– Russische Hacker-Gruppe „Fancy Bears“ klaut Wada-Daten
Die russische Hacker-Gruppe „Fancy Bears“ hat die Wada-Datenbank geknackt. „Die Wada selbst hat den Cyberangriff mittlerweile bestätigt. Dabei wurden Daten prominenter US-amerikanischer Sportler gestohlen und anschließend im Internet veröffentlicht. Darunter sind die Turnkönigin von Rio de Janeiro, Simone Biles, die Tennis-Schwestern Serena und Venus Williams, sowie die US-Basketballerin Elena Delle Donne. (…) Bis auf den Umstand, dass sie in Russland ansässig ist, weiß man wenig über sie. Die ‚New York Times‘ vermutet lediglich, dass die Gruppe mit dem militärischen Geheimdienst GRU zusammenarbeitet und auch für den E-Mail-Hack bei der demokratischen Partei von Hillary Clinton verantwortlich sei. Auch mit der Cyberattacke auf den deutschen Bundestag im Vorjahr wird sie in Verbindung gebracht. Der Kreml hat jede Verwicklung in die aktuelle Hacker-Aktion allerdings deutlich zurückgewiesen. (…) Die ‚Fancy Bears‘ hatten bereits vor Kurzem den Wada-Account der Kronzeugin für das russische Doping, Julia Stepanowa, gehackt. Stepanowa lebt an einem geheimen Ort, der Hack sollte möglicherweise auch dazu dienen, ihren Aufenthaltsort zu erfahren. Die Athletin hatte sich in die USA abgesetzt und dort ausführlich über das Staatsdoping in Russland ausgesagt. (…) Wada und IOC haben ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die genannten Athleten nicht unter Dopingverdacht stehen. Alle Ausnahmegenehmigungen seien geprüft und von den betreffenden Stellen anschließend anerkannt worden“ (Ahrens, Peter, War es ein russischer Racheakt? in spiegelonline 14.9.2016). – „Fancy Bear“ gab bekannt, „man sei eine internationale Vereinigung von Hackern. (…) Diese Kompetenzen habe man genutzt, um die Datenbank der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) mal etwas genauer zu ’studieren‘. Dabei sei man auf ’sensationelle Belege‘ für die ‚dreckigen Methoden‘ der USA gestoßen, der erfolgreichsten Nation bei den Sommerspielen von Rio de Janeiro. Am Dienstag stellte die digitale Piratenbande die beworbenen Dokumente dann im Internet aus. Recht bald wurde klar: Die Papiere waren echt; die Wada bestätigte, dass man beraubt worden sei, die Spur führe zu russischen Hackern“ (Angriff in der Grauzone, in SZ 15.9.2016). Dagegen behauptete Kreml-Sprecher Dmitri Peskow am 14.9.2016: „Wir können ohne Zögern eine Beteiligung der russischen Regierung oder eines russischen Geheimdienstes ausschließen“ (Ebenda).
– Athleten mit Ausnahmegenehmigungen
„Unter den Athleten sind nach Wada-Angaben auch fünf Deutsche, unter anderem Diskusstar Robert Harting und Speerwerferin Christina Obergföll. Insgesamt seien vertrauliche Informationen von 25 Sportlern aus acht Nationen durch die Hacker publik gemacht worden, erklärte die Wada. Zu den prominenten Namen, die ‚Fancy Bears‘ veröffentlicht, zählen neben Harting und Obergföll auch die britischen Tour-de-France-Sieger Bradley Wiggins und Christopher Froome. Aus Deutschland sind zudem die drei Schwimmer Christian vom Lehn, Franziska Hentke und Christian Reichert genannt. Alle aufgeführten Athleten hatten Ausnahmegenehmigungen für Medikamente beantragt, die eigentlich auf der Dopingliste stehen – in allen Fällen wurde dies genehmigt“ (Daten von Harting und Obergföll gehackt, in spiegelonline 15.9.2016). – „Turnerin Simone Biles, Diskuswerfer Robert Harting, die Tennisspielerinnen Venus und Serena Williams: Sie und weitere Sportler stehen im Zentrum eines Hackerangriffs. Die Athleten nehmen Medikamente, die auf der Dopingliste stehen oder haben diese eingenommen. Unrechtmäßig gedopt haben sie dennoch nicht: Sie haben eine Ausnahmegenehmigung, TUE genannt (‚Therapeutic Use Exemption‘). Ärzte haben ihnen also bescheinigt, dass sie die Wirkstoffe aus medizinischen Gründen benötigen. (…) Dennoch sagt etwa der Sportwissenschaftler Ross Tucker dem britischen ‚Guardian‘, er würde erwägen, die TUE komplett zu streichen. Klar, das sei hart. ‚Aber was ist der Nachteil, wenn Asthmatiker nicht an Wettbewerben teilnehmen können?‘, fragt er. Unglücklicherweise hätten die Bemühungen, Sportler mit medizinischen Problemen miteinzubeziehen, ein Schlupfloch für Doper geschaffen“ (Weber, Nina, Warum Dopingmittel manchmal erlaubt sind, in spiegelonline 15.9.2016; Hervorhebung WZ).
TUE sind in vier Fällen erlaubt: um aktuelle oder chronische Krankheiten zu behandeln, wenn sie keine Leistungssteigerung bewirken, wenn es keine alternativen Behandlungsalternativen gibt und wenn sie nicht zur Therapie eines Doping-Schadens eingesetzt werden (Ebenda). „TUEs gelten seit Langem als Grauzone, als Bypass für Athleten, die über angebliche Krankheiten Zugang zu leistungsfördernden Mitteln erhalten. Mittlerweile sind diverse Fälle aktenkündig, bei denen sich Athleten TUEs mithilfe gefälschter Atteste erschlichen. Fakt ist, dass immer mehr Sportler Ausnahmen erstehen. 2013 waren 636 TUEs bei der Wada registriert, 2014 schon 897, 2015 bereits 1330, wie die Agentur zuletzt mitteilte. Werden Spitzensportler immer kränker? ‚Wenn ein Hochleistungsathlet liest, was er alles nehmen darf, wenn er einen Arzt findet, der ihm die Ausnahmegenehmigung erteilt – dann ist es für mich logisch und konsequent, dass er das auch versucht‘, sagte Anti-Doping-Experte Perikles Simon dem Tagesspiegel. ‚Es darf im Elitesport überhaupt keine Ausnahmegenehmigungen geben, weil sie den Wettbewerb verzerren. Wenn einer krank ist, dann kann er eben nicht im Hochleistungssport starten’“ (Angriff in der Grauzone, in SZ 15.9.2016).
– Web-Adressen zu Therapeutic Use Exemptions
Wada: hier
Usada: hier
Nada: hier
– Werner Franke: Doping schon in der Schule
Der Heidelberger Dopingexperte Prof. Werner Franke zu „Fancy Bears“: „Eigentlich sind das gar keine Enthüllungen. In den USA etwa beginnt das Dopen junger Mädchen beim Geräteturnen schon in der Schule. (…) Wenn jemand ganz hibbelig ist, dann muss man ihn ruhig stellen, vor allem auf dem Schwebebalken. Da hilft Ritalin. Deshalb ist es im Turnen ein weitverbreitetes Dopingmittel. Auch wenn man das nicht wahrhaben will“ („Ruhigstellen auf dem Schwebebalken“, in Der Spiegel 38/17.9.2016).
– 4. Lieferung von „Fancy Bears“
„Die Hackergruppe ‚Fancy Bears‘ hat zum vierten Mal medizinische Daten von Sportlern veröffentlicht. Auf seiner Website verlinkte das anonyme Hackerkollektiv Ausnahmegenehmigungen von 26 Sportlern aus zehn Ländern. Darunter sind Stars wie der Tennisspieler Rafael Nadal, der Schwimmer László Cseh, der mehrfache Lauf-Olympiasieger Mohamed Farah und der Golfer Justin Rose. Damit hat die Gruppe inzwischen 66 Datensätze ins Netz gestellt. Die veröffentlichten Dokumente dürften bei einem Angriff auf die Athletendatenbank der Welt-Anti-Doping-Agentur Wada erbeutet worden sein. Sie zeigen die Ausnahmegenehmigungen, die es Athleten erlauben, Mittel einzunehmen, die eigentlich auf der Dopingliste stehen“ (Hacker machen weitere Athletendaten öffentlich, in spiegelonline 19.9.2016).
– Fritz Sörgel: „Hochleistungssport als Zirkus“
Der Anti-Doping-Experte Fritz Sörgel auf die Frage der SZ, warum seit 2013 die Zahl der Therapeutic Use Exemptions (TUE) um 50 Prozent gestiegen ist: „Das Problem ist, dass wir nur die Zahl der TUEs kennen, nicht die vorwiegend gefundenen Substanzen. Aus den Listen der Fancy-Bear-Hacker ist das auch nur bedingt ersichtlich. Das erschwert die Analyse natürlich. (…) Wenn ein Sportler seinen Sport nur noch ausüben kann, wenn er Schmerzmittel nimmt, muss man die Frage stellen, ob man das nicht im Bereich des Dopings ansiedelt“ (Knuth, Johannes, „Dann hätten wir DDR-Verhältnisse“, in SZ 21.9.2016). Zur Frage der Grenze zwischen Schmerzmittel und Doping: „Wir müssen da unterscheiden zwischen Kortisonpräparaten, die entzündungshemmend und dadurch schmerzlindernd wirken, und den üblichen Schmerzmitteln wie Ibuprofen und Diclofenac, besser bekannt als Voltaren. In den Listen der Fancy-Bear-Hacker tauchen zu 90 Prozent Kortisonpräparate auf, entweder als Schmerzmittel oder für die Asthmatherapie“ (Ebenda). Und zur Frage der Freigabe der Mittel im Rahmen der TUE: „Man kann über das generelle Freigeben schon nachdenken. Aber solange beispielsweise der Leichtathletikverband vom Kinder- über den Hochleistungssport bis zum sportelnden Greis alles organisiert, ist das keine Lösung. Dann hätten wir wieder DDR-Verhältnisse. Wir hätten massenhaft kranke, junge Sportler, der volkswirtschaftliche Schaden durch Langzeitschäden wäre verheerend. Und am Ende wären wir wieder da, wo wir jetzt schon sind. Dann sind es die Spitzensportler, die eine optimale Versorgung mit Leistungssteigerern haben. Und von den Spitzensportlern nehmen die aus armen Ländern immer noch das Antik-Anabolikum Stanozolol, während die Topathleten Zugang zu schwer nachweisbaren Substanzen und Beratung haben“ (Ebenda).
– Christopher Froome: „therapeutische Maßnahmen“
Der britische Radprofi erklärte, dass das bestehende Anti-Doping-System „zum Missbrauch“ einlade. „Er monierte vor allem die Praxis der medizinischen Ausnahmegenehmigungen. Dass er selbst zweimal derartige Genehmigungen in Anspruch genommen habe, sei dabei unerheblich. ‚Das waren therapeutische Maßnahmen‘, rechtfertigte sich der Kapitän des Sky-Teams. (…) Hacker hatten Froomes Daten öffentlich gemacht, ebenso die seines Vorgängers als Toursieger, Bradley Wiggins. (…) ‚Es ging nicht darum, einen unfairen Vorteil zu erlangen‘, so Wiggings in einem BBC-Interview. ‚Ich leide mein Leben lang unter Asthma. Ich bin damals zu meinem Teamarzt gegangen, und wir haben einen Spezialisten aufgesucht, um die Probleme zu behandeln’“ (Froome wehrt sich gegen Dopingvorwürfe, in spiegelonline 27.9.2016).
– Nächster Rad-Profi mit Ausnahmegenehmigung
Bradley Wiggins hat fünf Olympiasiege und acht -Titel plus einen Tour-de-France-Gewinn. Er verbrachte sechs Jahre beim Team Sky, von 2010 bis 2015. Dessen Teamdoktor Steven Peters hat vor drei Jahren der Sunday Times gesagt, dass man Fahrer, die akut an Asthma leiden, lieber aus dem Rennen nehme, anstatt ihnen eine Ausnahmegenehmigung zu verschaffen. Wiggins’ Daten zeigen nun, dass er drei TUEs für das starke Kortikoid Triamcinolon erhielt: vor der Tour de France 2012, die er gewann, dazu vor der Tour 2011 und dem Giro d’Italia 2013. Der Grund: Asthma. ‚Es ging nicht darum, einen unfairen Vorteil zu erlangen. Ich leide mein Leben lang unter Asthma‘, verteidigt sich Wiggins nun. In seiner 2012 erschienenen Autobiografie ist von Asthma aber nirgendwo die Rede; 2012 habe er nur ‚ein oder zwei Mal kleine Erkältungen gehabt‘, steht dort“ (Knuth, Johannes, Formal vor Moral, in SZ 28.9.2016).
Thomas Kistner zu den TUEs: „Über die stillen Tuning-Praktiken in autokratischen Ländern von Russland bis China oder sportiven Spezialfällen von Kenia bis Jamaika braucht man gar nicht zu räsonieren. Schon der Blick in den Westen verrät ja, in welches Milieu auch Europas Erfolgsländer eingebettet sind, vorneweg der Klassenprimus England und Spaniens ‚Gold-Generation‘. Zu chronischen, gut fundierten Dopingverdächtigungen, zu Affären um die dortigen Anti-Doping-Agenturen und sinistre Sportärzte in Madrid oder London gesellt sich eine neue Erkenntnis: Die von russischen Hackern aus der Wada-Datenbank geklauten Listen zu medizinischen Ausnahmegenehmigungen für Substanzen, die auf der Dopingliste stehen, weisen allein Spanien und England 21 Prozent all dieser Sonderatteste zu. Zählt man Amerikaner und Deutsche dazu, bieten nur diese vier Länder ein Drittel aller Athleten weltweit auf, die so krank sind, dass sie Freifahrscheine für verbotene Stoffe brauchen. Huch!“ (Kistner, Thomas, Mitmischen bei den Falschen, in SZ 29.9.2016).
Nachtrag November 2016: Beispiele
Dopingexperte Prof. Werner Franke zum Radsport: „Es müsste zwei Tour de France geben: eine für Asthmatiker und eine für Gesunde. Denn die Gesunden haben gegen die angeblichen Asthmatiker, die Medikamente einnehmen, keine Chance“ (Hacke, Detlev, Ludwig, Udo, Kranke Helden, in Der Spiegel 44/2016). Der deutsche Radsportler Marcel Kittel: „Wenn jemand schweres Asthma hat, dann hat er im Leistungssport nichts zu suchen“ (Ebenda). – Der Mainzer Dopingexperte Prof. Perikles Simon zum Einsatz von Human-Insulin: „Durch die geschickte Kombination von Timing, Ernährung und Training kann jemand Muskelzuwächse erreichen, die er ohne das Insulin nie erreicht… Es ist eine knallharte Dopingsubstanz“ (Ebenda). Simons Kollege Prof. Fritz Sörgel erwähnt Untersuchungen, wonach Spitzensportler im Durchschnitt „mindestens zehn unterschiedliche Stoffe“ einnähmen (Ebenda).
Erwähnt wurden durch „Fancy Bears“ u. a. Radsportler Bradley Wiggins und Chris Froome (Toursieger), Serena Williams und Rafael Nadal (Tennis), Simone Biles (Turnen). Speziell Ritalin (Wirkstoff Methylphendiat) wird im Turnsport eingesetzt: Allerdings hat Ritalin Nebenwirkungen, es kann bei Kindern zu Wachstumsstörungen führen. Aber auch das kann nützen. Turnerinnen sollten eines nicht werden: zu groß. Seit Längerem hält sich der Verdacht, Ritalin werde bei Mädchen genau zu diesem Zweck missbraucht“ (Ebenda).
Nachtrag Dezember 2016: Fancy Bears beliefert den Spiegel
„Zahlreiche US-amerikanische Spitzensportler haben sich offenbar vor den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro kurzfristig medizinische Ausnahmegenehmigungen für Medikamente beschaffen wollen, die auf der Dopingliste stehen. Das geht aus einem E-Mail-Verkehr zwischen mehreren Mitarbeitern der amerikanischen Anti-Doping-Agentur Usada hervor, der dem Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL von der Hackergruppe ‚Fancy Bears‘ zugespielt wurde. Demnach waren die Angestellten der Usada im Juni, rund sechs Wochen vor den Spielen in Rio, unter großem Druck. Viele Athleten sollen gleichzeitig und zudem nicht fristgerecht sogenannte TUE beantragt haben. TUE steht für Therapeutic Use Exemption; die Ausnahmegenehmigungen sind für kranke Spitzensportler gedacht. Betroffene Athleten reichen ein entsprechendes Attest ihres Arztes bei ihrer nationalen Anti-Doping-Agentur ein. Wenn dem Antrag stattgegeben wird, dürfen die Sportler ansonsten verbotene Mittel und Substanzen einnehmen, ohne eine Sperre fürchten zu müssen – ein Prozedere, das auch zum Missbrauch einlädt und deswegen seit einiger Zeit in der Kritik steht. (…) Die E-Mails, die die ‚Fancy Bears‘ dem SPIEGEL zugespielt haben, zeigen aber gerade, dass sogar die eigenen Usada-Mitarbeiter manche der Praktiken der Athleten hinterfragen. Die TUE werden von den nationalen Anti-Doping-Agenturen nur unter bestimmten Auflagen erteilt, manche der Anträge der Sportler werden auch abgelehnt. Insgesamt hat die Zahl der Zertifikate zuletzt aber enorm zugenommen. 2015 gab es laut Wada 1330 Ausnahmegenehmigungen, 2014 waren es noch 897 gewesen. Es werden längst nicht alle TUE wegen echter Krankheiten beantragt. Unter den Spitzensportlern gibt es einige, die das System zu ihrem Vorteil nutzen. Sie täuschen Leiden nur vor, um so auf legale Weise dopen zu können. Viele Radsportler zum Beispiel holen sich auf diesem Weg die Erlaubnis, Präparate gegen Asthma einnehmen zu können. Die passenden Medikamente erweitern die Atemwege und verbessern die Sauerstoffaufnahme. Unter Turnern ist Ritalin beliebt. Die Sportler geben an, unter der Aufmerksamkeitsstörung ADHS zu leiden und deswegen auf das Medikament angewiesen zu sein. Ritalin steigert allerdings auch die Leistung, es hat eine stimulierende Wirkung und schärft die Konzentration. (…) Die Hacker sollen laut der Wada aus Russland stammen und haben nun offenbar auch Zugang zu Usada-Dokumenten. ‚Es ist wirklich wichtig, dass die Menschen erkennen, dass solche Cyberangriffe nur dazu genutzt werden, um falsche Nachrichten zu verbreiten und von staatlich durchgeführten Dopingsystemen abzulenken, die, wie wir wissen, zahlreiche Olympische Spiele korrumpiert haben‘, schreibt Usada-Sprecher Ryan Madden auf SPIEGEL-Anfrage“ (Buschmann, Rafael, Eberle, Lukas, Henrichs, Christoph, Wie sich US-Sportler die Einnahmen verbotener Medikamente genehmigen lassen, in spiegelonline 1.12.2016).
– 225 Therapeutic Use Exemptions auch bei Fußball-WM 2010
„Eine Veröffentlichung der mutmaßlich russischen Hackergruppe ‚Fancy Bear‘ hat am Dienstag die Fußballszene und die Anti-Doping-Organisationen in Aufregung versetzt. Die Hacker publizierten auf ihrer Plattform verschiedene Dokumente zum Thema Doping im Fußball. Daraus ergibt sich, dass es in den Jahren 2015 und 2016 insgesamt etwas mehr als 350 Positivfälle im Fußball gab. Zudem veröffentlichte die Gruppe eine unter dem Logo des Weltverbandes erstellte Liste mit Datum vom 13. Juni 2010, die für die damalige WM in Südafrika angefertigt worden war. Darauf stehen 25 Spieler, die für den Zeitraum des Turniers ein Mittel benutzen durften, das auf der Dopingliste steht. Vermerkt sind auch vier Spieler des Deutschen Fußball-Bundes (DFB). Ihnen lagen gemäß der Übersicht sogenannte medizinische Ausnahmegenehmigungen (TUEs) für verschiedene Mittel vor. Bei allen geht es um Salbutamol, bei jeweils einem Sportler auch um Formoterol beziehungsweise Budesonid. Solche TUEs ermöglichen es Sportlern, Substanzen einzunehmen, die eigentlich verboten sind. Salbutamol etwa ist ein Mittel, das gewöhnlich Asthma-Patienten nutzen. (…) Die Fancy Bears, die das jüngste Leck in die Datenbänke der Verbände getrieben haben, sorgen seit einer Weile für Aufsehen im Weltsport. Auf ihrer Webseite inszenieren sich die Hacker als Mitglieder des führungslosen Internet-Kollektivs Anonymous, die sich um Fair Play sorgen. Vieles spricht aber dafür, dass die Motive woanders wurzeln. Die Initiative Wirtschaftsschutz, der auch Bundesnachrichtendienst und Bundesamt für Verfassungsschutz angehören, verschickte vor einem Jahr die Warnung: Es ‚bestehen Indizien für eine Steuerung durch staatliche Stellen in Russland.‘ Die Gruppe soll den Deutschen Bundestag und die Demokraten vor der jüngsten US-Wahl angegriffen haben, um kompromittierendes Material aufzutreiben. Seitdem sich die Berichte über staatlich abgeschirmtes Doping in Russland häufen, stellte die Gruppe auch immer wieder Daten von Athleten im Internet aus, bevorzugt aus westlichen Nationen. Die, so das Narrativ, würden sich ja ebenfalls mit verbotenen Schnellmachern fitmachen. Dass nun Unterlagen über bekannte westliche Fußballer auftauchen, ergibt vor diesem Hintergrund auch Sinn: Erst kürzlich hatte es weitere Hinweise gegeben, dass auch Russlands Fußball in das staatliche Manipulationssystem dort eingebunden war“ (Aumüller, Johannes, Knuth, Johannes, Viele Ausnahmen für die WM, in SZ 23.8.2017).
„Das WM-Viertelfinale 2010 in Südafrika war ein besonderes Ereignis. Auch, weil Deutschland gegen Argentinien stark aufspielte und im Land der Unterlegenen nach dem 0:4 von einem ‚Massaker‘ die Rede war. (…) Und nun ist klar, dass dieses Spiel noch aus anderen Gründen besonders war: Selten dürften sich bei einem WM-Turnier zwei Teams gegenübergestanden haben, in deren 23er-Kadern so viele Spieler an Asthma litten. Am Dienstag veröffentliche die mutmaßlich russische Hackergruppe ‚Fancy Bears‘ ein internes Dokument des Fußball-Weltverbandes (Fifa), demzufolge kurz vor der WM in Südafrika 25 teilnehmenden Spielern die Nutzung verbotener Substanzen erlaubt wurde – mithilfe von Ausnahmeregeln, die das Anti-Doping-Reglement vorsieht. Die Fifa bestreitet die Echtheit des Dokuments nicht, sie protestiert nur gegen die Veröffentlichung der Daten.(…) Bei Argentinien standen demnach fünf Spieler mit Attesten für ein Dopingmittel im Kader: Diego Milito, Carlos Tévez, Juan Verón, Gabriel Heinze und Walter Samuel (Tevez und Heinze spielten). Bei Deutschland waren es drei: Mario Gomez, Dennis Aogo, Hans-Jörg Butt (die im Viertelfinale aber nicht zum Einsatz kamen). (…) Experten wundern sich aber schon seit geraumer Zeit, dass die Asthmatiker-Quote im Spitzensport erstaunlich hoch ist, insbesondere bei Ausdauersportarten. In Deutschland beträgt sie unter Erwachsenen der Normalbevölkerung circa fünf Prozent. Bei Olympischen Winterspielen oder der Tour de France reichte schon mal die Hälfte aller Teilnehmer eine solche Ausnahmegenehmigung ein, bei Sommerspielen ein Fünftel. Als im Radsport vor einem guten Jahrzehnt die Zahl der Asthmatiker stark anstieg, wiesen Beteiligte darauf hin, dass sich viele Sportler das eigentlich verbotene Mittel missbräuchlich verschreiben lassen würden. (…) Bisher war nicht bekannt, dass auch im Fußball die Asthmatiker-Quote erhöht ist. Der DFB verwies auf datenschutzrechtlichen Gründe bei der SZ-Anfrage, wer, wann und wo die Ausnahmegenehmigung beantragt hat. Bei allen vier Spielern geht es gemäß der veröffentlichten Liste um Salbutamol, bei zwei von ihnen auch um andere Asthma-Mittel. Offenkundig galten deren Ausnahmegenehmigungen für einen längeren Zeitraum. Denn in der nun veröffentlichten Liste sind die Substanzen mit dem Stichwort ‚TUE‘ vermerkt. Dabei brauchte es für den Konsum von Salbutamol im Jahr 2010 keine TUE, sondern nur eine DOU; das ist eine andere, abgeschwächte Form der offizellen Ausnahmegenehmigung. Folglich müssen die Bescheinigungen für die deutschen Sportler aus der Zeit vor 2010 stammen, als das Reglement noch ein anderes war“ (Duell der Asthmatiker, in SZ 24.8.2017).
Zu „Fancy Bear“ Johannes Knuth in der SZ: „Man muss dabei zwei Dinge unterscheiden: das, was die Gruppe vorgibt zu enthüllen, und das, was sich aus den Daten tatsächlich lesen lässt. Erst seitdem der Sport durch faktenbasierte Enthüllungen erschüttert wird, durch den McLaren-Report über staatlich abgeschirmtes Doping in Russland zum Beispiel, kontern die Bären diese Berichte durch Gegenleaks, vor allem über Sportler aus westlichen Nationen. Diese Form der Spionage wird vermutlich zunehmen, so wie der Sport vermehrt von Enthüllungen entblättert wird. Systemisches Doping, so wie es die Bären behaupten, lässt sich mit ihrer digitalen Beute bislang aber nicht belegen – die Athleten konsumierten die Substanzen oft mit Ausnahmeregeln, für ihr Asthma zum Beispiel. Die Hacker bedienen zunächst also die Vorurteile jener, die Russland auch im Sport als Opfer einer Schmutzkampagne wähnen, vom Westen gesteuert“ (Knuth, Johannes, Digitale Bärenjagd, in SZ 24.8.2017).
– Neues von Christopher Froome (1)
„Hacker hatten enthüllt, dass er als Radprofi dreimal medizinische Ausnahmegenehmigungen für Triamcinolon erhielt, das im Wettkampf verboten ist und leistungssteigernd wirken kann. Angeblich wegen Heuschnupfens. Der Wiggins rein zufällig vor großen Rundfahrten befiel. Und dann war da dieses ominöse Paket, das 2011 an Wiggins geliefert wurde, während der wichtigen Dauphiné-Rundfahrt. Steckte darin Triamcinolon? Oder bloß Fluimucil, ein Hustensaft, wie Wiggins und sein Team Sky beteuern? Aber warum schickten sie dann einen Boten mit Hustensaft vom britischen Verbandssitz in Manchester bis zum Teambus nach Frankreich, wo der Stoff überall vertrieben wird? Sky verstrickte sich in diverse Merkwürdigkeiten, irgendwann gelangten sie zu der Erkenntnis, dass man ein ganz bestimmtes Medikament für Wiggins ordern musste (der die Dauphiné auch mit Husten gewann). Belege dafür, dass das Mittel tatsächlich im Paket steckte, habe man leider nicht. Nur auf dem Laptop des Teamarzts, Richard Freeman. Das Gerät sei ihm halt in Griechenland gestohlen worden. (…) Die britische Daily Mail enthüllte zu Wochenbeginn den Namen jener Firma, die bis zuletzt den britischen Radsportverband belieferte: Fit 4 Sport Ltd. Die offeriert auf ihrer Internetseite „eine große Auswahl an Erste-Hilfe-Produkten – innerhalb von 24 Stunden“. Stammkunden seien britische Profiteams, Fußball, Rugby. Vor sechs Jahren lieferte die Firma auch eine Ladung Testosteronpflaster an das britische Radsportzentrum in Manchester, adressiert an: Verbandsarzt und Sky-Doktor Richard Freeman. Der beteuerte intern, er habe die Pflaster nie bestellt, die Firma müsse die Fracht versehentlich abgesetzt haben, es gebe da auch eine E-Mail. Doch als Verband und Ukad schriftliche Belege verlangten, weigerten sich sowohl Freeman als auch Fit 4 Sport zu kooperieren. (…) Vor Kurzem trat Shane Sutton in einer Dokumentation der britischen BBC auf. Sutton war bis vor einem Jahr technischer Direktor beim Radsportverband, er führte Wiggins einst zum Tour-Sieg. Das Narrativ von Team Sky, damals wie heute, bei Wiggins’ Nachfolger Chris Froome: marginal gains. Als Sutton nun gefragt wurde, ob diese kleinen Gewinne auch bedeuten, Ausnahmegenehmigungen für verbotene Medikamente zu erlangen, wenn ein Athlet nicht fit sei, sagte Sutton: ‚Ja, denn die Regeln erlauben das’“ (Knuth, Johannes, Husten und rudern, in SZ 22.11.2017).
– Neues von Christopher Froome (2)
„Droht dem vierfachen Tour-de-France-Sieger Christopher Froome eine lange Sperre? Bereits am 7. September soll der britische Radsport-Star bei einer Dopingprobe bei der Spanien-Rundfahrt den erlaubten Grenzwert für das Asthma-Medikament Salbutamol deutlich überschritten haben. Das ergab eine gemeinsame Recherche von ‚Guardian‘ und ‚Le Monde‘, der Radsport-Weltverband UCI hat den positiven Test bestätigt. Froome hat bereits auf die Anschuldigungen reagiert. Dass er an Asthma leide, sei allseits bekannt, er behandle die Symptome der entzündlichen Erkrankung der Atemwege mithilfe eines Inhalators. ‚Mein Asthma ist während der Vuelta schlimmer geworden, deshalb habe ich auf den Rat des Teamarztes die Salbutamol-Dosis erhöht.‘ Dabei habe er jedoch sorgfältig darauf geachtet, die zulässige Dosis nicht zu überschreiten“ (Tour-de-France-Sieger Froome positiv getestet, in spiegel.de 13.12.2017).
Dazu aus einem Kommentar von Peter Ahrens in spiegel.de: „Froome weiß jedenfalls sehr genau, dass er seit Jahren unter verschärfter Beobachtung steht. Daher ist an dem jetzt bekannt gewordenen positiven Dopingtest noch das Überraschendste, dass Froome und seinem Team Sky überhaupt so etwas passiert. Sky ist für viele Radsportfans so etwas wie die Inkarnation des Bösen und hat das kasachische Astana-Team darin abgelöst. Sky dominiert die großen Rundfahrten fast nach Belieben, die Erfolge werden argwöhnisch beäugt, aber ihren Dominatoren Froome und zuvor Bradley Wiggins konnte bisher nichts nachgewiesen werden. Bis heute. Froome wurde bei der Spanienrundfahrt Vuelta eine extrem hohe Dosis des Asthmawirkstoffs Salbutamol nachgewiesen. (…) Salbutamol erfreut sich seit Jahren großer Beliebtheit bei Rad- und anderen Ausdauersportlern. Es weitet die Bronchien – und es hat noch einen anderen großen Vorteil: Die Einnahme ist unter Auflagen gestattet, wenn man zuvor eine Ausnahmegenehmigung an die Antidopingbehörden gestellt hat. Eine Genehmigung, in der zum Beispiel aufgeführt ist, dass der Sportler unter Asthma leidet und deshalb zur Einnahme des Mittels gezwungen ist. Das hat in der Vergangenheit dazu geführt, dass zahlreiche Radprofis sich als kurzatmig und asthmakrank herausstellten. Auch Wiggins und Froome haben für große Rennen und Rundfahrten diese Genehmigungen, im Fachjargon TUE abgekürzt, eingeholt“ (Ahrens, Peter, Der kurzatmige Antidopingkampf, in spiegel.de 13.12.2017).
Und aus einem Kommentar von Thomas Kistner in der SZ: „Froome bestreitet Dopingabsichten, er habe das Mittel wegen seiner chronischen Asthma-Erkrankung genommen. Im Sport darf Salbutamol im Falle von ärztlich attestierten Asthma- oder Bronchial-Erkrankungen mit einer Ausnahmegenehmigung (TUE) konsumiert werden. Allerdings ist die erlaubte Konzentration auf 1000 Nanogramm pro Milliliter beschränkt, die Probe des Briten vom 7. September wies aber 2000 Nanogramm auf. Das dürfte für eine Sperre ausreichen, immerhin hatte Froome damit mehr Salbutamol im Körper als beispielsweise 2007 der Sprintspezialist Alessandro Petacchi bei seinem Giro-d’Italia-Sieg: Dem Italiener wurde damals die Konzentration von 1360 Nanogramm nachgewiesen, wegen Missachtung der Regeln wurde er für zwölf Monate gesperrt. Und Petacchis Landsmann Diego Ulissi erhielt 2014 für eine Konzentration von 1900 Nanogramm neun Monate Sperre. (…) Froome und Sky sagen, sie wollen die UCI-Ermittlung voll unterstützen. Gut kooperiert wurde offenkundig auch schon bisher: Der Weltverband verzichtet bis auf Weiteres auf die Suspendierung seines Primus. Zwar geben das die Regeln her, trotzdem wirft das Prozedere der UCI bereits Fragen auf: Sie hatte, ganz in der Tradition früherer Intransparenz, die Causa Froome drei Monate lang unter dem Deckel gehalten; erst Anfragen der britischen Zeitung Guardian und des französischen Blatts Le Monde scheuchten den Weltverband auf“ (Kistner, Thomas, Froomes Überdosis, in SZ 14.12.2017).
Pressestimmen zum Fall Froome:
Daily Mail: „Der Radsport steht mal wieder im Fokus – und die traurige Wahrheit ist, dass wir ihm nicht mehr trauen können. Mit dem positiven Dopingtest von Chris Froome fällt eine weitere Säule der Glaubwürdigkeit.“
Guardian: „Ist dies das Ende des Teams Sky? Das Team hat stets beteuert, weißer als weiß zu sein. Dies muss nun in Frage gestellt werden. Der positive Test bedroht nicht nur Froomes Ruf, er könnte auch der letzte Nagel im Sarg des Teams sein.“
Le Soir: „Die Affäre Chris Froome. Der Radsport wird von seinen Dämonen eingeholt.“
Le Figaro: „Könnte Froome so fallen wie Armstrong? Der Radsport ist mit Doping noch nicht fertig.“
Corriere della Sera: „Froome unter Beschuss. Auf dem Spiel steht die Glaubwürdigkeit des Profis, seines Sky-Teams und des gesamten Radsports.“
Neue Zürcher Zeitung: „Dem Radsport hätte kaum etwas Schlimmeres passieren können: Die imagezersetzenden Dopingskandale der beiden vergangenen Jahrzehnte, von Festina über Fuentes bis Armstrong, schienen gerade halbwegs verkraftet zu sein. Die Branche war daran, sich aufzurappeln. Jetzt droht ein Rückschlag, dessen Wucht noch kaum absehbar ist.“
(Alle Zitate: „Radsport wird von den Dämonen eingeholt“, in spiegel.de 14.12.2017).
– Radsportler zum Fall Froome
„Christopher Froome beteuert beharrlich seine Unschuld, doch die Radsportwelt reagierte mit Wut und Fassungslosigkeit auf den positiven Dopingtest des viermaligen Tour-Siegers. ‚Unsere Glaubwürdigkeit und die unseres großartigen Sports steht auf dem Spiel‘, schimpfte der viermalige Zeitfahr-Weltmeister Tony Martin. (…) Im Fahrerlager sorgte der Befund des derzeit prominentesten und erfolgreichsten Fahrers für ein Beben, auch die deutschen Fahrer reagierten empört, sie fürchten um die Früchte jahrelanger Aufbauarbeit. Katjuscha-Profi Martin steht neben Fahrern wie Marcel Kittel oder John Degenkolb für den jüngsten Aufschwung des Radsports in Deutschland. Martins scharfe Kritik richtete sich vor allem an den Weltverband UCI, der 32-Jährige äußerte Vertuschungsvorwürfe. ‚Ich bin total wütend. Im Fall Christopher Froome wird definitiv mit zweierlei Maß gemessen‘, schrieb Martin: „Das, was hier läuft, ist inkonsequent, intransparent, unprofessionell und unfair’“ (SID, „Ein Fall wie Armstrong?“, in SZ 15.12.2017).