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Profisport-Funktionäre

Samaranch schafft den olympischen Amateur ab
Berufs- oder Profisportler gab es zunächst nur in wenigen Sportarten wie Boxen und Golf, Tennis und Fußball. Bei Olympischen Spielen waren sogar bis zum Amtsantritt des IOC-Präsidenten Juan Antonio Samaranch 1980 nur Amateursportler zugelassen. Samaranch ließ 1981 beim Olympischen Kongress in Baden-Baden die Amateursportregeln lockern und Profisportler an den Olympischen Spielen teilnehmen. 1986 wurde der Amateurparagraph endgültig abgeschafft. Samaranch äußerte zuvor zwar öffentlich, dass die Teilnahme von erklärten Profis unerwünscht sei. „Doch er hatte ihnen bereits Tür und Tor geöffnet, und an jeder weiteren Olympiade nahmen mehr Profisportler teil“ (Jennings, Andrew, Das Olympia-Kartell – Die schäbige Wahrheit hinter den fünf Ringen., Reinbek 1996, S. 57).

Profisport bedeutet: viel Geld
Profisport bedeutet Kommerzialisierung, exorbitante Fernsehrechtsgebühren, Sponsoren, Kommerz, Kapital.
Profisport produziert angepasste, bestens entlohnte Sportidole, die sich nur für Sport und für sonst nichts mehr interessieren, die auch kommerziell als Vorbilder gelten.
Profisport bedeutet Hochleistungssport, der High-Tech-Mittel benötigt und nur noch von kapitalkräftigen Industriestaaten zu finanzieren ist.
Profisport brachte auch das Phänomen der Sportsoldaten hervor, die pro forma bei Bundeswehr, Zoll und Polizei angestellt sind und vom Staat für die Ausübung ihres Sports bezahlt werden.
Profisport bedeutet viel Geld für die großen Sportverbände.
Profisport bedeutet natürlich auch hoch dotierte Ämter für deren Funktionäre.

Die Werte und Maßstäbe des Profisports werden in immer weitere Teile der Gesellschaft transportiert: unbedingter Leistungsgedanke, Ich-bezogenes Karrierestreben, Elitedenken, Erfolg als oberste Leitlinie jeden Handelns – und natürlich Geld. Die Kehrseite der Sport-Medaille: Doping, Korruption, Schiebungen, Wettbetrug, die Intransparenz der großen Sportverbände wie IOC und Fifa. „Reisen, speisen, Spesen machen und die Hand aufhalten wird zum Prinzip einer neuen Kaste aus Funktionsträgern“ (Kistner, Thomas, Fifa  Mafia. Die schmutzigen Geschäfte mit dem Weltfußball, München 2012, S. 47).
Immer mehr Profisportler
Viele der global immer zahlreicher – und mächtiger – werdenden Profisport-Funktionäre waren früher selbst oft aktive Sportler. Sie wurden von den damaligen Profisport-Funktionären zum Profisport gebracht und bringen nun selbst junge Sportler zum Profisport: Aus Verführten werden Verführende.
Es handelt sich hierbei um ein sich selbst reproduzierendes System, das immer stärker auswuchert. Mit nationalen und internationalen Meisterschaften, Europameisterschaften, Weltmeisterschaften, Olympischen Spielen wächst jedes Jahr die Zahl der prominenten Sportler, die aufgrund ihres Profisports oft keine abgeschlossene Ausbildung erfahren haben und „nur Sport“ können. Dazu werden ständig zusätzliche Sportdisziplinen in den Wettkämpfen zugelassen, und damit wächst wiederum die Zahl der aktiven Sportler. Nur wenige ehemalige Sportler schaffen den Übergang in ein „normales“ Arbeitsleben. Viele sind noch dazu durch den Leistungssport körperlich geschädigt.

Immer mehr Sportinstitutionen
Für diese Profisportler werden mit staatlichen Mitteln immer neue Sportinstitutionen geschaffen: Ausbildungsstätten, Olympiastützpunkte, Leistungszentren, Eliteschulen des Sports, Sportakademien etc.. Dazu kommen in den Verbänden immer neue Planstellen und Verwaltungsposten. Daneben gibt es noch zahlreiche Jobs bei den mit dem Sport benachbarten Sektoren: bei den Sponsoren (französischer Coca-Cola-Abfüller Jean-Claude Killy), beim Sponsoring (Öffentlichkeitsarbeit, Präsentation, Werbung), in der Sportartikelindustrie (Adidas etc.), im Sportjournalismus, in den Nationalen Olympischen Komitees (Hochspringer Sergej Bubka ist Chef des NOK der Ukraine, Läufer Sebastian Coe Chef des London 2012 Organisationskomitees LOCOG), in den Sportverbänden (Goldmedaillen-Fechter und DOSB-Präsident Thomas Bach, FDP), in Sportunterstützungsinstitutionen (z.B. Deutsche Sporthilfe), in den Parteien, in der Sportpolitik (Bronzemedaillengewinner 1976 und MdB Eberhard Ginger (CDU) saß lange Jahre im Sportausschuss des Deutschen Bundestages) usw.
À propos Sportausschuss des Deutschen Bundestages: Dessen Vorsitzende ist seit 2009 Dagmar Freitag (SPD), die seit 2001 auch Vizepräsidentin des Deutschen Leichtathletik-Verbandes ist. Eine Interessenskollision kann Frau Freitag aber nicht erkennen.
Vergleiche: Der Sportausschuss

Der Profisport melkt den Staat
Die nationalen Regierungen  werden von den nationalen Profisport-Funktionären erfolgreich zur Ausweitung des Sportsektors gedrängt. Der inzwischen kritiklos überall praktizierte nationale Medaillenspiegel tut ein Übriges, damit die staatlichen Mittel für den Profisport erhöht werden: „Der Medaillenspiegel wird insbesondere bei Olympischen Spielen, Welt- und Kontinentalmeisterschaften als Kriterium für den Erfolg eines Landes bzw. die Effektivität der dortigen Sportverbände angesehen“ (Wikipedia).
Und wenn der DOSB mit seinen 27,5 Millionen Mitgliedern winkt, dann spurt die Bundesregierung und der Bundesinnenminister wird zum Bundessport-Innenminister.
Diese finanzielle und personelle Aufrüstung erfolgt aber auch international – über das IOC und die Fifa und die über 35 Internationalen Sportverbände. Die meisten residieren in der Schweiz, da sie dort steuerliche und verbandsrechtliche Vorteile haben und Korruption im Sport rechtlich in einer Grauzone liegt. Man kennt sich.

So wächst das Profisport-Funktionärssystem und seine Macht jedes Jahr anscheinend unaufhörlich. Staaten und Politiker sonnen sich im Licht des Profisports und seiner Funktionäre und stellen diese Entwicklung nicht mehr infrage.

Die Konsequenzen sind immens
– Die Profisport-Funktionäre treiben den Hochleistungssport ständig weiter vorwärts.
– Immer mehr Geld versickert im Profisport, während der Breitensport ausgehungert wird, siehe die Folgen der Olympischen Spiele in London 2012 und die Situation des dortigen Breitensports.
– Die ursprünglich positive Idee des Bewegungssports zur Förderung der Gesundheit ist durchkommerzialisierten High-Tech-Gladiatorenspielen gewichen, die für die Gesundheit kontraproduktiv sind.
– Der Profisport hat nichts, aber auch gar nichts zu tun mit Sport zur Gesundheitsförderung, im Gegenteil: Er ruiniert die Gesundheit der Spitzensportler.
– Mit der Kommerzialisierung des Sports begannen auch die oben erwähnten Problembereiche Doping und Korruption und ihre Begleiterscheinungen.
– Und der Sport wird entscheidend abhängig von Geldquellen, Sponsoren, Fernsehübertragungen – und muss Glamour und grenzenlose Leistungen und Sensationen liefern.
– Industriekonzerne überweisen die Sponsoring-Millionen an die Profisport-Funktionäre und setzen sie von der Steuer ab.
– Nicht zuletzt aus monetären Gründen drängen immer mehr Breitensport-Funktionäre und Breitensportler in den Profisport.

Beim Geschäft der Funktionäre mit dem Profisport bleiben auf der Strecke: Gewissen, Moral und Menschenrechte – zum Beispiel bei der Fußball-EM 2012 in der Ukraine oder der Eishockey-WM 2014 beim  Diktator Lukaschenko in Weißrussland, siehe hier.

Sportler bleiben auf der Strecke
Die Deutsche Sporthilfe hat im Februar 2013 eine Studie über Sportler und Spitzensport veröffentlicht, die auch die dunklen Seiten des Profisports beleuchtet. 1154 Spitzensportler wurden befragt – mit folgendem Ergebnis: u. a. Depressionen 9,3 %, Burn-out 11,4 %, Essstörungen 9,6 %. “5,9 Prozent räumten ein, ‘regelmäßig’ zu Dopingmitteln zu greifen, dazu kommt eine erhebliche Dunkelziffer: Zwei Fünftel der Teilnehmer beantworteten die Frage gar nicht” (“Zahlen sind alarmierend”, in SZ 22.2.2013). “40,7 Prozent  beantworteten die Frage nicht, könnten hypothetisch also auch dopen” (Reinsch, Michael, Die Wahrheit über Athleten, in faz.net 21.2.2013). Unter Erfolgsdruck stehen 88,6 %, Druck aus dem Umfeld nannten 79,8 %, Streben nach Anerkennung 69,8 % und Existenzangst 57,7 % (Ebenda; Deutsche Sportler manipulieren aus Existenzangst, in welt.de 20.2.2013).
Der Vorsitzende der Deutschen Sporthilfe, Michael Ilgner, musste feststellen: “Es ist frappierend, wie brüchig das Fundament des Spitzensports ist” (Ebenda).
Anno Hecker stellte dazu in der FAZ fest: „Es müssen ehrliche Antworten auf unangenehme Fragen gegeben werden – etwa auf die Frage, welchen Leistungssport die Bürger in Deutschland haben wollen, was sie dafür als Steuerzahler zu leisten bereit sind. Oder auf die Frage, was es tatsächlich kostet, einen Spitzensport zu unterhalten, der junge Menschen nicht sich selbst überlässt, nicht in Abhängigkeiten treibt, zu Doping und Manipulation animiert oder die Seele überlastet“ (Hecker, Anno, Ehrlicher Sport, in faz.net 1.3.2013).

Vergleiche: Amateursportler, Samaranch