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Peking 2022

Hier sollen ohne Anspruch auf Vollständigkeit diverse Meldungen zu den ökologisch abstrusen Olympischen Winterspielen 2022 in Peking gesammelt werden. Wird ergänzt.

– Wer will noch Olympische Winterspiele?
Am 1.10.2014 zog Oslo die Bewerbung um Olympische Winterspiele 2022 zurück. Damit blieben aus neun Bewerbern für Olympische Winterspiele 2022 letztlich nur zwei übrig: Barcelona 2022 wurde von Thomas Bach persönlich aufgefordert, zurückzuziehen. Vorreiter des weiteren olympischen Desasters war die Abwahl von Graubünden 2022 Anfang März 2013 (mit den Aktiven vom Olympiakritischen Komitee Graubünden). Dann kam die vierfache Abwahl von München 2022. Dann zogen Stockholm 2022 und Lviv/Lemberg 2022 zurück; Krakau 2022 wurde zu 70 Prozent abgewählt. Und nun zog Oslo 2022 zurück. Es verbleiben für 2022 von neun Bewerbern nur noch zwei Bewerber aus lupenreinen Diktaturen: Almaty/Kasachstan und Peking/China. Schließlich gewann Peking bei der IOC-Abstimmung im Juli 2015.

– Human Rights Watch kritisierte das IOC
Am 21.7.2015 gab HRW eine Pressemitteilung zu den beiden Kandidaten für die olympischen Winterspiele 2022 heraus (HRW, China/Kazakhstan: 2022 Games Major Test of Olympic Reforms, New York 21.7.201). Seit 2005 hat HRW schwere Verletzungen der Menschenrechte bei Olympischen Spielen dokumentiert. Bei Peking 2008 hat der Staat tausende seiner Bürger gezwungen, olympische Sportstätten zu bauen, die Pressefreiheit verletzt und Proteste unterdrückt. Bezüglich China 2022 und Kasachstan 2022 wird sich das IOC einen extremen Test ausgesetzt sehen, die Agenda 2020 zur Verbesserung des Schutzes der Menschenrechte durchzusetzen. Die IOC-Evaluierungskommission hat im Frühjahr 2015 beide Staaten besucht, aber in den offiziellen Berichten steht nichts über die schweren Bedenken bezüglich der Menschenrechte. Mindestens zwei bekannte Menschenrechtsaktivisten, Cao Shunli und Tenzin Delek Rinpoche, sind Anfang 2014 gestorben, weil ihnen nötige medizinische Hilfe verweigert wurde (Ebenda). China ist der führende Internet-Zensor und hat ausgerechnet während des IOC-Besuches Yirenping, eine Anti-Diskriminierungs-NGO, wiederholten Schikanen ausgesetzt. Die IOC-Mitglieder haben sich weder mit Yirenping getroffen noch Bedenken über die Regierung geäußert. HRW-Direktorin Minky Worden äußerte: „Wir haben bereits schon einmal Olympische Spiele gesehen, bei denen die Menschenrechtsverletzungen in China gefördert wurden, und das Umfeld ist 2015 beträchtlich schlechter als 2008“ (Ebenda). In Kasachstan wurde Mitte Februar 2015 ein diskriminierendes Gesetz gegen Lesben, Schwule und Transgender erlassen. Kasachstan hat einen höchst problematischen Rekord bei der Verletzung der Menschenrechte. Gewerkschaftler wurden getötet und inhaftiert, ein Führer der Opposition zu siebeneinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Gerade Groß-Sportereignisse können Menschenrechtsverletzungen fördern, wie die Olympischen Winterspiele Sotschi 2014 zeigen. Bei den European Games 2015 in Aserbaidschan ging der Staat ein Jahr vor vor Beginn der Spiele dramatisch gegen unabhängige Journalisten und Menschenrechtler vor und verklagte Dutzende wegen angeblicher krimineller Vergehen (Ebenda).

Peking 2022: Kein Schnee, kaum Wasser, Smog und eine Diktatur. Peking setzte sich am 30.7.2015 mit 44 zu 40 Stimmen gegen Almaty (Schnee, Diktatur) durch. „Die Kandidatur Pekings war aber dennoch hochumstritten. In Chinas Hauptstadt fällt kaum einmal Schnee, für Wintersport-Veranstaltungen müssen riesige Mengen Kunstschnee produziert werden. Das bedeutet neben hohen Kosten auch einen starken Eingriff in die Natur. Zudem steht China wegen Menschenrechtsverletzungen in der Kritik – das gilt allerdings auch für den unterlegenen Bewerber“ (Peking bekommt den Zuschlag, in spiegelonline 31.7.2015). – „Menschenrechtler und Dissidenten verlangen vom Internationalen Olympischen Komitee, die zunehmende Unterdrückung in China in die Entscheidung mit einzubeziehen. ‚Wir fordern eine Ablehnung der Pekinger Bewerbung, weil China derzeit eine Menschenrechtskrise durchmacht‘, forderten prominente Regimekritiker am Wochenende in einem offenen Brief“ (Mayer-Kuckuk, Finn, Mal mehr, mal weniger Menschenrechte, in fr-online 27.7.2015). – „Ein weiterer Schwachpunkt ist die Luftqualität – Sportler und olympische Funktionäre sind von  Berichten über Dauersmog irritiert. Doch für Ausnahme-Ereignisse hat Peking bewährte Tricks wie die Abschaltung von Chemiewerken und die Manipulation des Wetters auf Lager, um die Lage kurzfristig zu verbessern“ (Ebenda).

– Bach betet gesund. In der FAZ hat IOC-Präsident Thomas Bach eine Eloge auf seine IOC-Agenda 2020 ausgebreitet. Dort wird aus IOC-Sicht das Problem der Menschenrechte – noch dazu in den beiden Diktaturen China und Kasachstan – wie folgt „gelöst“: „Daher hat die IOC-Evaluierungskommission bei der Bewertung der beiden Olympiabewerbungen die Ansichten von Nichtregierungsorganisationen und Experten unter anderem zu den Themen Menschenrechte, Arbeitnehmerrechte, Medienfreiheit und Umweltschutz miteinfließen lassen. Die Kommission hat diese Aspekte mit den jeweiligen Regierungen erörtert und entsprechende Zusagen eingeholt. Diese besagen, dass die Prinzipien der Olympischen Charta und der Vertrag mit der Gastgeberstadt für alle Teilnehmer der Olympischen Spiele und für alle direkt mit den Spielen im Zusammenhang stehende Angelegenheiten eingehalten werden“ (Bach, Thomas, Premiere und Abschied zugleich, in faz.net 31.7.2015; Hervorhebung WZ).
So will sich der IOC-Präsident über die von vielen Menschenrechtsorganisatoren gerügte Endauswahl zweier Diktaturen für 2022 hinwegmogeln: mit einer Interimsdemokratie während der 16 Tage olympische Winterspiele. Vorher und nachher Diktatur as usual. Dazu gilt dies nur „für alle Teilnehmer der Olympischen Spiele und für alle direkt mit den Spielen in Zusammenhang stehende Angelegenheiten“, tangiert also nicht den Umgang mit der „Zivilgesellschaft“ und mit Regimekritikern etc.
Auch irreführend ist die Aussage von Bach zum Demonstrationsrecht: „Dies betrifft über die oben angesprochenen Themen hinaus auch das Verbot jeglicher Diskriminierung sowie das Demonstrationsrecht während der Dauer der Spiele“ (Ebenda). Die Diktaturen brauchen gar nicht selbst Demonstration verbieten. Das erledigt schon die Olympische Charta des IOC selbst, die jegliche Demonstration während olympischer Spiele verbietet. Regel 50 besagt: „3. Jede Demonstration oder politische, religiöse oder rassische Propaganda ist an den olympischen Stätten, Austragungsorten oder in anderen olympischen Bereichen untersagt“ (S. 50f.).
Bach kennt als Jurist und IOC-Präsident natürlich Regel 50, Punkt 3.

– Zwei Wochen Menschenrechte: Pressestimmen zu Peking 2022
Claudio Catuogno
schrieb in einem Kommentar zu der für das IOC leidigen Frage der Menschenrechte: „Menschenrechtsfragen hingegen sind in Bachs olympischer Weltsicht traditionell nicht so das Problem. Auch seinem reformierten IOC reicht es, wenn Diktaturen mal für zwei Wochen Demokratie spielen. Das klingt dann so wie in Bachs jüngstem Interview mit der dpa: ‚Die Olympische Charta und der Gastgebervertrag müssen vollumfänglich für die Dauer der Spiele Anwendung finden. Dies gilt für alle Teilnehmer und im Zusammenhang mit allen direkt Olympia-bezogenen Aktivitäten.‘ China und Kasachstan hätten das ‚garantiert’“ (Catuogno, Claudio, Mehr Qual als Wahl, in SZ 29.7.2015).
Johannes Aumüller schrieb in der SZ: „Peking 2022, das bedeutet also: hohe Kosten für die Infrastruktur, massive Folgen für die Natur, nicht zuletzt, weil der wahrscheinlich benötigte Kunstschnee Unmengen an Wasser und Energie frisst. Dörfer müssen weichen, und Beobachter befürchten ein erneutes Propagandafest und eine Verschlechterung der Lage für Menschenrechtler und Minderheiten“ (Aumüller, Johannes, Verliebt ins Vogelnest, in sueddeutsche.de 1.8.2015).
Oliver Fritsch in zeit.de: „Zwar behaupten die chinesischen Bewerber, ihre Spiele würden Natur und Kosten schonen. Doch das können sie Leuten erzählen, die das IOC für einen gemeinnützigen Verein halten. Schnee fällt in Peking nämlich so gut wie nie, hohe Berge gibt es nicht. Viele Wettbewerbe werden auf Kunstschnee stattfinden, vier Autostunden von Peking entfernt. Was für ein Fake! Die Mächtigen des Sports aber werden sagen: Alles gut, kein Problem, die Chinesen kriegen das hin. Worüber die Sportmächtigen kein Wort verlieren, ist Politik. Und die wird uns die Spiele mächtig verleiden. (…) Experten schätzen die Zahl der Todesstrafen in China auf über 5.000 pro Jahr, die bevorzugte Disziplin ist übrigens der Genickschuss. Peking ist ein Extrembeispiel, aber keine Ausnahme“ (Fritsch, Oliver, Olympische Spiele 2022: Die nächsten Jahre werden kein Spaß, in zeit.de 31.7.2015).
Claus Vetter in tagesspiegel.de: „Unrechtsstaat A oder Unrechtstaat B, Peking oder Almaty – ist ja auch schon egal. Wer heutzutage Olympia haben will, muss auch Bürger haben, die nichts wollen dürfen. Zwei Kandidaten sind noch übrig geblieben für 2022, dabei wollten ursprünglich mal acht Kandidaten in Konkurrenz treten um die Ausrichtung der Spiele. München und Graubünden waren dabei, Stockholm, Oslo, Krakau und Lemberg auch. Allesamt schneesicherer als Peking, doch sie scheiterten allesamt am Votum des Volkes. Olympische Spiele haben in der Demokratie kaum noch eine Chance, sicher auch, weil sie mit ihren vielen Investitionen undemokratische Anforderungen an die Ausrichter stellen“ (Vetter, Claus, Unrechtsstaat A oder Unrechtsstaat B? in tagesspiegel.de 31.7.2015).
Dominik Fürst in sueddeutsche.de: „Außerdem sind, anders als es in jüngster Zeit in vielen westlichen Metropolen der Fall war, in China kaum Proteste gegen große Bauprojekte oder die Austragung der Spiele an sich zu erwarten. Im Gegenteil: 88 Prozent der Bürger von Chinas Hauptstadt haben sich für die Spiele ausgesprochen. (…) Ein Problem bei Olympischen Winterspielen in Peking ist die simple Tatsache, dass es dort kaum natürlichen Schnee gibt. Viele Wettkämpfe werden wohl auf Kunstschnee stattfinden – was nicht alle Athleten begrüßen dürften. Die Stadt leidet zudem unter massiver Luftverschmutzung. Heftige Kritik am Austragungsort kommt auch von Menschenrechtlern. ‚Die Vergabe an Peking birgt ganz klar die Gefahr, dass es bei der Vorbereitung und Durchführung der Olympischen Spiele wie bei den Sommerspielen 2008 zu Menschenrechtsverletzungen kommt‘, sagte Wolfgang Büttner von Human Rights Watch. Dass auch die Umsiedlung ganzer Dörfer geplant ist, passt zur heiklen Menschenrechtssituation. Doch Demokratiefragen und Großveranstaltungen im Sport sind freilich ein anderes, riesiges Thema“ (Fürst, Dominik, So wird Olympia in Peking, in sueddeutsche.de 31.7.2015).
Jens Weinreich in spiegelonline: „Olympia-Planer, die mit den Umständen vertraut sind, gehen davon aus, dass die Spiele in Peking und der Bergregion von Zhangjiakou die Kosten der Winterspiele 2014 in Sotschi von 50 Milliarden Dollar bei Weitem überschreiten und vielleicht sogar einen dreistelligen Milliardenbetrag fordern. Offiziell aber werden die Infrastrukturprojekte wie Autobahnen und eine Schnellzugstrecke nicht den Olympia-Etats zugerechnet. Und das sind nicht die einzigen Unstimmigkeiten. Insofern bleibt das IOC seiner Tradition des Gigantismus treu, obwohl doch Präsident Thomas Bach mit seiner sogenannten Agenda 2020 angeblich auf Nachhaltigkeit und Kostenreduzierung setzt. Elementare Fragen der Menschenrechte in den Bewerberländern Kasachstan und China wurden auf der 128. IOC-Vollversammlung nicht thematisiert“ (Weinreich, Jens, Verdächtige vier Stimmen, in spiegelonline 31.7.2015).

– Peking 2022: Nachrichten aus der China-Diktatur (1)
Kai Strittmatter
in der SZ zu Peking 2008 und der Leichtathletik-WM im August 2015 in Peking:Und all die großen Versprechen auf mehr Offenheit? ‘Komplette Pressefreiheit’ für ausländische Medien, hatten KP-Funktionäre einst angekündigt. Ein unzensiertes Internet. Saubere Luft. Und natürlich ‘die Verbesserung der Menschenrechte’. Und auch das IOC sang das Lied Pekings. China gebe sich ‘große Mühe’ bei den Menschenrechten, sagte Jacques Rogge vor Beginn der Spiele 2008. Mittlerweile muss man sagen: Bei jedem einzelnen dieser Punkte steht China heute schlechter da als damals. Selbst der Smog ist heute schlimmer. Hier immerhin hat die Regierung Abhilfe versprochen. Bei den Bürgerrechten ist mit Besserung erst mal nicht zu rechnen, im Gegenteil. 2008 stand China auf dem wenig ruhmreichen Platz 167 auf dem ‘Index der Pressefreiheit’ von ‘Reporter ohne Grenzen’. Im letzten Jahr war es auf Platz 175 abgerutscht. Die Zensur ist noch repressiver, Internet und soziale Medien sind unter KP-Chef Xi Jinping noch unfreier. Jene zarten Keime von Zivilgesellschaft, die damals zu sprießen begannen, werden von den Sicherheitsbehörden im Moment systematisch zertreten. In den letzten vier Wochen erst verhörten, verschleppten und verhafteten sie mehr als 260 Rechtsanwälte. Die wachsende Zensur in Netz und Medien, die Re-Ideologisierung an Universitäten und Think-Tanks hat dazu geführt, dass kritische Stimmen in China inzwischen noch seltener zu hören sind” (Strittmatter, Kai, Mehr Stolz als Recht, in SZ 14.8.2015).

– Peking 2022: Nachrichten aus der China-Diktatur (II)
Kai Strittmatter in der SZ zu Peking 2022: „Die Gegend um Peking ist eine der trockensten der Erde, es herrscht katastrophale Wasserknappheit. In Peking liegt mehr Smog als Schnee in der Luft, Bürgermeister Wang Anshun selbst nannte deshalb seine Stadt ‚unbewohnbar‘. Im Ort Chongli, wo viele der Wettkämpfe stattfinden, fallen im Dezember und Januar nur zweieinhalb Millimeter Niederschlag“ (Strittmatter, Kai, Spiele der Heuchler, in SZ 1.8.2015). Zum Stichwort Menschenwürde und Olympische Sommerspiele 2008 in Peking schrieb Strittmatter: „Es sei klar, verkündete IOC-Präsident Jacques Rogge 2008, dass die Spiele ‚viel dazu beitragen werden, die Lage der Menschenrechte in China zu verbessern‘. Das Gegenteil geschah. Chinas Hardliner benutzten die Spiele als Argument, um den Sicherheitsapparat aufzublasen, im Gefolge der Spiele überstieg das Budget für innere Sicherheit erstmals das für die Landesverteidigung. Heute verbrennen sich in China Tibeter, dem Internet wird noch das letzte Quäntchen freier Geist ausgetrieben, und die Zivilgesellschaft wird systematisch ausgerottet. KP-Chef Xi Jinping agiert noch repressiver als seine Vorgänger, in den vergangenen drei Wochen haben die Behörden mehr als 250 Bürgerrechtsanwälte und ihre Mitstreiter verhört, verschleppt und verhaftet“ (Ebenda). Die Rückgabe des Reisepasses an den Künstler Ai Weiwei ist für Strittmatter nur ein zynischer PR-Gag vor der Entscheidung des IOC für Peking 2022: „Andere sitzen weiter im Gefängnis: Die Journalistin Gao Yu, der uigurische Bürgerrechtler IlhamTohti, der Autor Liu Xiaobo, dem 2010 der Friedensnobelpreis zuerkannt wurde. Tatsächlich ist China das erste Land, das die Olympischen Spiele zuerkannt bekommt, während es einen Friedensnobelpreisträger hinter Gittern sitzen hat. Liu Xiaobo hatte seine Freiheit übrigens am 9. Dezember 2008 verloren – keine vier Monate nach der Abschlussfeier der Sommerspiele in Peking. Die KP wird nun für ihre Chuzpe belohnt. Und alle Diktatoren der Welt dürfen sich in ihrem Verdacht bestätigt fühlen, dass alles hehre Gerede von Menschenwürde und Bürgerrecht bloß scheinheiliges Geschwätz ist“ (Ebenda).

– Peking 2022: Nachrichten aus der China-Diktatur (III)
SZ-Reporter Kai Strittmatter traf sich im Juni 2015 in Peking mit dem Anwalt und Menschenrechtler Zhou Shifeng. „Ein Bekannter aus dem Apparat habe ihn angerufen, erzählte Zhou, und ihn gewarnt: ‚Pass auf, du bist der Nächste.‘ Dennoch, Angst habe er keine, sagte Zhou. Wie das? ‚Ich habe nichts Illegales getan. Was können sie schon tun?‘ Dann zählte er auf: ‚Mich festnehmen? Mich denunzieren im Staatsfernsehen? Als schlechten Menschen, als Betrüger?‘ Sechs Wochen später taten sie genau das. ‚Außerdem“, sagte Zhou, ‚bin ich der Chef einer Kanzlei mit vielen bekannten Anwälten. Wenn sie mich verschleppen, dann haben sie die am Hals.‘ Auch dafür fanden die Behörden eine Lösung: Sie steckten Zhous fünf Kollegen ebenfalls ins Gefängnis. Sofort nach den Festnahmen vermeldeten die Staatsmedien die ‚Zerschlagung eines bedeutenden Verbrechersyndikats‘. Damit war Zhous Kanzlei gemeint. Sie hatte sich einen Namen gemacht mit der Verteidigung von Opfern von Lebensmittelskandalen und illegalen Häuserabrissen, von misshandelten Petitionären und Feministinnen und von prominenten Andersdenkenden. (…) Schon im letzten Jahr kursierte ein Spruch: Früher seien in China die Anwälte hinter Gitter gegangen. Dann die Anwälte der Anwälte. Mittlerweile schnappe man die Anwälte der Anwälte der Anwälte. (…) Gleichzeitig ist der Parteichef Gefangener des Systems, das zu verteidigen er geschworen hat. Echte Unabhängigkeit der Justiz ist ihm ein Graus. Die KP muss weiter über allem stehen. (…) Die KP hat unter Xi Jinping nämlich wieder den Pranger eingeführt, eine Praxis, die China zuletzt in der Kulturrevolution pflegte. Seit zwei Jahren werden prominente politische Gefangene auf CCTV vorgeführt, lange bevor sie einen Gerichtssaal betreten, lange bevor sie ihren Anwalt zu Gesicht bekommen: reuig, geständig, gebrochen. Diese Filme werden von ernst dreinblickenden Sprechern mit einer kräftigen Prise Sex und Rufmord gewürzt und in den Nachrichten rauf- und runtergespielt“ (Strittmatter, Kai, Recht und Rache, in SZ 7.8.2015).

– Peking 2022: Nachrichten aus der China-Diktatur (IV)
Ein Artikel in Nature berichtet, chinesische Biologen hätten wegen der Skipisten der Olympischen Winterspiele aufgeschrien (Cyranoski, David, Chinese biologists lead an outcry over Winter Olympics ski site, in nature 11.8.2015). Junge chinesische Biologen sagten, dass die Pisten in einem geschützten Naturreservat liegen, das viele geschützte Arten wie Pekings einzige Shanxi-Orchideen beherbergt. Die geplanten Pistenbaustellen würden, so die Biologen, Umweltgesetze brechen und einen Präzedenzfall schaffen, der die bescheidenen Erfolge im Umweltschutz behindert. Die Online-Beiträge der Biologen in der chinesischen Social-Media-Webseite Weibo sind inzwischen nicht mehr aufzufinden.
Die geplanten alpinen Skipisten liegen genau im Herz des 4.600 Hektar großen Songshan Nationalparks. Der kürzlich zum Doktor promovierte Wang Xi hat am 1.2015 die Karten aus dem IOC-Evaluierungsreport mit denen der Nationalpark-Webseite montiert und festgestellt, dass sowohl der Start als auch das Ziel der alpinen Abfahrtsstrecken in das Gebiet des Nationalparks fallen. Xi teilte Nature mit, dass u. a. drei Orchideenarten betroffen seien, die unter der höchsten Schutzstufe im Pekings Artenschutzsystem stehen. Es gab von Wang Xis Mitteilung bei Weibo 240.000 Klicks – und zwei Tage später war nichts mehr im Internet. Der Entomologe Yun Ji hatte Xis Kartenmaterial kopiert und stellte dazu Informationen und Fotos über die seltensten und geschütztesten Pflanzen ins Netz, dazu Fotos von Vögeln, deren Lebensraum ebenfalls zerstört würde. Nach vier Stunden war auch Jis Weibo-Account nicht mehr erreichbar.
Weder das Olympische Komitee Chinas noch die Regierung in Peking haben dazu offizielle Erklärungen abgegeben. Am 7.8.2015 verkündete dann der stellvertretende Bürgermeister von Yanqing, dass Grenzen des Songshan-Nationalparks „angepasst“ würden und Teile des bisherigen Nationalparks verwendet würden, um „den nötigen Raum für lokale, nachhaltige Entwicklung zu schaffen und Ausgleich zwischen ökologischem Schutz und ökonomischer Wirtschaft zu fördern“ (Ebenda). Der Bürgermeister sagte, nach der „Anpassung“ würde es keine Überschneidung mehr geben zwischen den Skipisten und dem Nationalpark. Gemäß einer Regierungsanordnung von 2013 muss jemand, der die Grenzen von Nationalparks ändern will, einen Antrag vorlegen, der ein öffentliches Interesse bekundet, eine ökologische Bewertung und vier weitere Dokumente enthält. Xi und Ji konnten nirgendwo einen solchen Vorgang finden.
Peking 2022 fällt unter die IOC-Agenda 2020 – nichts Neues im IOC-Reich: Naturzerstörung as usual.

– Smog-Tennis in Peking. 7.10.2015
Tennismatch in Peking. „Auffällig dabei: Etliche Zuschauer, die die Partie im National  Tennis Center verfolgten, trugen Atemschutzmasken, um sich vor dem Smog zu schützen, der sich über die Hauptstadt Chinas gelegt hat. Die schmutzige Luft ist bei dem Turnier, bei dem Männer und Frauen antreten, ein großes Thema. (…) In einem Facebook-Eintrag klagte der Slowake Martin Klizan, die schlechte Luft habe zu Hustenanfällen geführt und drohte, bei solchen Bedingungen die Veranstaltung künftig zu meiden. Die Nachricht wurde später gelöscht“ (Dicke Luft in Peking, in SZ 8.10.2015).

– Tiroler Geschäfte mit Peking 2022
„Eine Delegation von Tiroler Unternehmen bot in dieser Woche den chinesischen Verantwortlichen ihr Know-how für die Planung und den Bau des alpinen Skizentrums an. (…) Die Innsbrucker Bellutti Planen lieferten unter anderem Startnummern für die vergangenen vier Winterspiele. Tiroler Rohre hat für Sotschi Rohre für die Beschneiungsanlagen geliefert. Leitner ist bereits mit Liftanlagen und über die Töchter Prinoth und DemacLenko mit Pistenfahrzeugen und Beschneiungsanlagen in China vertreten“ (Eckerieder, Stefan, Olympia 2022 als Turbo für Tiroler Firmen, in tt.com 16.10.2015).

– Giftiger Schnee
„ Atmen, tief durchatmen, einfach so. Das wäre mal was. In Pekings U-Bahn versprechen großflächige Werbeplakate seit ein paar Tagen eben dies: ‚Atmen ohne Furcht‘. Man sieht eine joggende Frau. Sie trägt eine schwarze Maske, die Mund und Nase bedeckt, und von der ein dicker weißer Schlauch zu einem an ihrem Oberarm befestigten Gerät führt. Das ist der ‚Tragbare Luftfilter Fröhlicher Wind‘. So geht das also, Atmen ohne Furcht. (…) ‚Airmaggeddon‘ und ‚Airpocalypse‘, all die Worte, die vor vier Jahren schon einmal die Runde machten, sie waren zurück. Und es waren die Stadtbehörden selbst, die noch eins drauf setzten: Als kurz vor dem Wochenende Schneefall angekündigt war, warnten sie die Bürger: Drinbleiben! Jeden Kontakt mit dem Schnee vermeiden! Der Schnee nehme den Dreck in der Luft Huckepack, erklärte das Wetteramt Peking, und sei deshalb ’sehr schmutzig!!!‘. Giftiger Schnee, jetzt auch noch das. (…) Kein Zufall wohl, dass Chinas Nationale Energiebehörde gerade jetzt ein gigantisches Programm zur Förderung erneuerbarer Energien verkündete: 360 Milliarden US-Dollar will das Land bis 2020 in Sonne, Wind und Wasser investieren. 13 Millionen neue Jobs soll das bringen. Und gute Luft. China ist bei Solar- und Windenergie schon jetzt Weltrekordhalter. Bloß: Die schmutzige Kohle behält weiterhin die Oberhand. Auch wenn die Rekordinvestitionen Wirklichkeit werden – die erneuerbaren Energien stellen dann erst 15 Prozent des Energiemixes. Und dass in Chinas Politik gegensätzliche Kräfte miteinander ringen, kann man daran ersehen, dass erst vor zwei Monaten dieselbe Behörde ihren Fünfjahresplan vorgestellt hat, der sogar einen Ausbau der Kohleverbrennungskapazitäten um 20 Prozent vorsah“ (Strittmatter, Kai, Halt mal die Luft an, in SZ 9.1.2017).