Das IOC steht ziemlich in der Bredouille: Nach drei Stationen in Asien (Pyeongchang 2018, Tokio 2020 und Peking 2022) und den Rückzügen für die Olympischen Sommerspiele 2024 von Hamburg, Rom und Budapest verkauft IOC-Präsident Thomas Bach nun die Bewerbung Paris 2024 und Los Angeles 2028 als Premiumwahl. Dabei hat das Interesse an Olympischen Spielen durch Korruptionsskandale und Bestechungen, System-Doping (Sotschi 2014!) und Gigantismus schwer gelitten. In lockerer Reihenfolge werden hierzu Pressestimmen gesammelt.
Zur Doppelvergabe Paris 2024/Los Angeles 2028
– Aus einem Kommentar von Daniel Gehrmann in nzz.ch:
„An einer ausserordentlichen Session am 11. und am 12. Juli in Lausanne sollen sie den Weg frei machen für Spiele 2024 in Paris und 2028 in Los Angeles. Der Vorschlag der Exekutive ist ein Befreiungsschlag. Das Image der Spiele ist lädiert wie vielleicht noch nie in ihrer Geschichte: Kostenüberschreitungen, Korruptionsvorwürfe und politischer Missbrauch haben ihre Schatten über das vermeintliche Sportfest gelegt. Die letzten Spiele in Rio de Janeiro haben den Imageschaden noch akzentuiert. Nicht einmal ein Jahr nach Olympia zerfallen die Sportstätten bereits. Die Bemühungen der PR-Abteilung des IOK, die Spiele für das Land trotzdem als durchschlagenden Erfolg mit nachhaltigem Vermächtnis für die Bevölkerung darzustellen, waren ein untauglicher Versuch der Schadensbegrenzung. (…) Gleichzeitig schrecken die ungebremst wachsenden Kosten immer mehr potenzielle Bewerber ab. Gerade in der westlichen Welt, die die olympische Bewegung über Jahrzehnte getragen hat, wächst die Ablehnung. Ursprünglich haben 37 Städte rund um die Welt die Bewerbung für die Spiele 2024 zumindest geprüft. Nun stellen sich in Lima noch Los Angeles und Paris jener Wahl, die seit Freitag keine mehr ist. (…) Das IOK kauft sich mit dem Traditionsbruch Zeit. Die nächsten Sommerspiele werden 2025 vergeben. Es hofft, dass das Image bis dann korrigiert ist. Doch ohne echte Reformen wird die Hoffnung unerfüllt bleiben“ (Gehrmann, Daniel, Das IOK kauft sich Zeit, in nzz.ch 9.7.2017).
– Aus einem Artikel von Thomas Kistner in der SZ:
„Hektische Betriebsamkeit in Lausanne. Am Sitz der Bewegung entscheidet das Internationale Olympische Komitee (IOC) am Dienstag über die Doppelvergabe der Sommerspiele 2024 und 2028. (…) Die ramponierte olympische Bewegung versucht sich als das darzustellen, was sie bis vor zehn Jahren war: eine begehrte Braut, um deren Gunst die halbe Welt buhlt. Doch das ist längst vorbei. Eine desaströse Anti-Doping-Politik, der galoppierende Gigantismus und eine in Fifa’sche Sphären reichende Skandaldichte haben für eine Abkehr der westlichen Welt von der Ringe-Industrie gesorgt. (…) Der Prozess des Niedergangs hat auch das Rennen um die Spiele 2024, die eigentlich allein zur Vergabe anstünden, massiv geprägt. Ein Bewerber nach dem anderen hat sich verabschiedet. So blieben nur Paris und Los Angeles (welches seinerseits zweite Wahl ist für Boston, das wieder absprang). Die Liste der Aussteiger für 2024 ergänzen Hamburg, Rom und Budapest. (…) Während in Lausanne also ein Bewerbungsprozess simuliert wird, obwohl unter der Hand sogar die Reihenfolge (Paris 2024, Los Angeles 2028) schon geregelt erscheint, bescheren dem IOC seine früheren, realen Bewerbungen sehr viel Ärger. Hinter der Hochglanzkulisse sieht es so aus: Strafbehörden ermitteln zu zwei Städtevergaben, schwer wiegt der Korruptionsverdacht. Ausgerechnet Macrons Frankreich spielt dabei eine Schlüsselrolle: Die Ende 2013 kreierte Sonderstaatsanwaltschaft Parquet National Financier (PNF) hat sowohl die vergangenen wie die nächsten Sommerspiele im Visier, Rio 2016 und Tokio 2020. Die Beweislast wirkt in beiden Fällen erdrückend – wozu passt, dass die Qualität der Kooperation mit den betroffenen Ländern äußerst unterschiedlich ist. Die Brasilianer haben die Party hinter sich und suchen nun nach Beweismitteln gegen so ziemlich alle politischen Köpfe, die ihnen dieses Milliarden-Desaster eingebrockt haben; sie arbeiten den französischen Kollegen bereitwillig zu. Hingegen werden Japans Ermittler von Kennern der Vorgänge als sehr zurückhaltend beschrieben. (…) Kurz vor den Vergaben an Rio im Jahr 2009 bzw. Tokio anno 2013 gab es millionenschwere Geldbewegungen von Konten, die jeweils dem engen Bewerberumfeld zuzuordnen sind. Empfänger waren Firmen des Sohnes des damals mächtigsten Afrika-Funktionärs, Lamine Diack. Der Senegalese präsidierte zugleich dem Leichtathletik-Weltverband IAAF. Als 2015 aufflog, dass sein Sohn Dopingfälle gegen Geld vertuscht haben soll, schritt die Staatsgewalt ein; seither steht Diack, 84, in Frankreich unter Hausarrest. Seinen umtriebigen Filius sucht Interpol per Haftbefehl; er dürfte den Senegal nicht verlassen. Tokios Bewerber hatten an Diacks Firma Black Tidings zwei Millionen Dollar gezahlt, angeblich für Beratungsdienste. Was nicht nur aus dem Raster der Geschäftsaktivitäten Diacks und seiner Agentur fiele, sondern auch die spannende Frage aufwirft: Warum ging die erste Tranche erst drei Wochen vor der Kür ein? (…) Ähnlich klar erscheint die Sache in Rio. Dort hatte der Geschäftsmann Arthur Soares, der mit seinen Firmen den Dienstleistungsbereich der Spiele-Stadt beherrschte, zwei Millionen Dollar an Diack Junior überwiesen – nur drei Tage vor der Kür. Gekauft wurden damit unter anderem Uhren und Schmuck. Äußerst pikant erscheint zudem ein Geldtransfer am Tag der Rio-Kür von Diack an eine Firma des Ex-Sprinters Frankie Fredericks. Der Namibier ist seit 2012 IOC-Mitglied, er leitete bis März 2017 die Evaluierungskommission für die Spiele 2024. Fredericks weist jeden Verdacht von sich, die Zahlung sei vielmehr ohne Bezug zum Wahltag erfolgt“ (Kistner, Thomas, Die Braut, der keiner traut, in SZ 10.7.2017).
– Macron und Trump stehen Gewehr bei Fuß
„IOC-Präsident Thomas Bach sprach bei seiner Begründung der Doppelvergabe kürzlich von einer ‚goldenen Gelegenheit‘ und einer ‚Win-win-win-Situation‘. Er habe dabei wohl neben den starken Bewerbern Paris und Los Angeles gleich auch das IOC miteinbezogen, meint Sportjournalist Jens Weinreich gegenüber SRF News. Dass aber auch Geldprobleme von Ausrichtern das IOC in diese Lage gebracht hätten, sei offensichtlich. ‚Mit dem Begriff «win-win-win» hat Präsident Bach wohl auch gleich sein Komitee miteinbezogen‘. (…) Die Olympia-Kandidaten Paris und Los Angeles wollen die Olympischen Spiele 2024 ausrichten. (…) In Paris hatte man nach den Worten von Weinreich alles im Griff: Es gab keine Abstimmung, der neugewählte Präsident Emmanuel Macron war schon lange dafür, und auch die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo bekannte sich dann doch noch rechtzeitig zum Vorhaben. (…) Unterstützt wird die Bewerbung Frankreichs vom neuen Präsidenten Emmanuel Macron, der eigens in die Schweiz reiste. Er landete auf dem Militär-Flugplatz Payerne, traf sich mit der Waadtländer Regierung und nahm am Abend an einem Galadinner des IOC teil“ (Zwei auf einen Streich – Not oder Tugend? in srf.ch 11.7.2017). – „Die Franzosen haben ihre Position dank dem Auftritt des Staatspräsidenten Emmanuel Macron gestärkt, der extra nach Lausanne gereist war, um vor den IOK-Mitgliedern zu sprechen und ihnen zu erklären, wie wichtig die Spiele für seine Reformpläne seien. Macron ass bereits am Abend vor der Session mit den Mitgliedern und punktete dabei mit Bescheidenheit und Eloquenz“ (Germann, Daniel, Das IOK und die zwei Tauben auf dem Dach, in nzz.ch 11.7.2017).
„Die Präsidenten beider Länder, Emmanuel Macron und Donald Trump, hatten persönlich in Lausanne für ihre Kanidaten geworben. (…) Es ist das erste Mal seit 100 Jahren, dass wieder zwei Olympische Spiele an einem Tag vergeben werden. Im Juni 1921 waren die Spiele 1924 an Paris und 1928 an Amsterdam vergeben worden“ (Olympia-Städte 2024 und 2028 stehen praktisch fest, in srf.ch 11.7.2017).
– Einstimmigkeit?
„Die 83 anwesenden Mitglieder des Internationalen Olympischen Komitees ermächtigen die Exekutive an ihrem ausserordentlichen Treffen in Lausanne, ein Abkommen mit den Städten Los Angeles und Paris zu treffen, um die Spiele 2024 und 2028 gemeinsam zu vergeben. Damit eine Doppel-Vergabe zustande kommt, müsste sich mindestens eine Stadt bereit erklären, sich nicht nur für die Spiele 2024, sondern auch für 2028 zu bewerben. Es ist ein Befreiungsschlag des IOK. Denn der Organisation gehen die Veranstalter aus. Nacheinander haben Boston, Hamburg, Rom und Budapest ihre Bewerbungen zurückgezogen, weil sich starke innenpolitische Opposition regte. Zu gross, zu teuer, ethisch nicht mehr verantwortbar, so die Argumente. Einstimmig legitimierte die Session ihre Führung, nun den Schaden zu begrenzen und die Gespräche mit Los Angeles und Paris anzugehen. Sie tat es aber nicht nur einstimmig, sondern teilweise widerwillig. Die Diskussion, die der Abstimmung vorausgegangen war, dauerte beinahe zweieinhalb Stunden. Denn es ist klar: Mit dem Ja zur Doppel-Vergabe entmachtet sich das Plenum selber“ (Germann, Daniel, Das IOK und die zwei Tauben auf dem Dach, in nzz.ch 11.7.2017).
– IOC prosperiert finanziell
„Der Ruf des Internationalen Olympischen Komitees IOK und seiner Spiele mag angeschlagen sein, doch finanziell geht die Rechnung zumindest für den Sport weiterhin auf. Das IOK generierte aus dem letzten olympischen Zyklus mit den Winterspielen 2014 in Sotschi und den Sommerspielen vor einem Jahr in Rio de Janeiro einen Gewinn von 5,7 Milliarden Dollar. Das ist eine Steigerung um 7,6 Prozent im Vergleich zur vorangegangenen Periode. Der Grossteil der Einnahmen stammt aus dem Verkauf der TV-Rechte (4,2 Mrd. / +4,2 Prozent). Das Sponsoring spült eine weitere Milliarde in die Kasse (+ 5,6 Prozent). Das IOK verteilte je 739 Millionen an die ihm angeschlossenen Sportverbände und die Nationalen Olympischen Komitees. Die Veranstalter in Sotschi partizipierten mit 833 Millionen am Erfolg, jene in Rio mit 1,531 Milliarden. Die Reserven des IOK betragen mittlerweile 2,1 Milliarden. Zumindest in Asien scheint die Marke ‚Olympia‘ weiterhin zu strahlen. Die chinesische E-Kommerz-Plattform Alibaba schloss sich im Januar dem Programm an. Dagegen beendete McDonald’s sein Engagement vorzeitig“ (Germann, Daniel, Das IOK und die zwei Tauben auf dem Dach, in nzz.ch 11.7.2017).
– Bach, Macron, Trump…
Thomas Kistner in der SZ: „IOC-Chef Thomas Bach und seine Vorstandskollegen hatten den Mitgliedern geradezu eingetrichtert, dass kein Weg an der Doppellösung vorbei führe. Bach hatte von einer sich rasant wandelnden Welt erzählt, in der auch das IOC den politischen Veränderungen Rechnung tragen müsse. Für Olympia-Interessenten sei es ’schwierig geworden, mit einer zweiten Kandidatur zurückzukommen‘, wenn die erste gescheitert sei. Da sei es besser, gleich beiden Kandidaten die Spiele bis 2028 zu geben. So lässt sich die Misere der olympischen Familie auch betrachten. Tatsächlich dürfte kein Zweifel daran bestehen, dass das IOC viel lieber so weitermachen würde wie bis vor wenigen Jahren, als sich ein knappes Dutzend Interessenten aus aller Welt um die Spiele balgte – das man genüsslich durch Vor- und Endauswahlen bugsieren konnte. (…) Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron, der am Vortag von Paris ins nahe Lausanne geflogen war und mit Bach parliert hatte, ließ keinen Zweifel daran, dass für ihn nur der Zuschlag für 2024 zählt. ‚Wir haben dreimal verloren, wir wollen es nicht ein viertes Mal tun. So einfach ist das‘, sagte er vor der Presse – in Anspielung auf die zuletzt gescheiterten Pariser Bewerbungen um die Spiele 1992, 2008 und 2012. Derweil ließ sein US-Kollege Donald Trump via Twitter wissen: Auch er bemühe sich intensiv um 2024; man arbeite hart daran, diese und keine anderen Spiele in die Staaten zu holen. Das wirft die Frage auf, ob der nicht allzu beratungsoffene Trump überhaupt in die Feinheiten des olympischen Milliardenbusiness eingeweiht ist – oder ob er wirklich alle Hebel für LA-Spiele 2024 in Bewegung setzen will. Weil er sich just im Sport gern als Siegertyp sehen würde?“ (Kistner, Thomas, Zwei große Vögel in der Hand, in SZ 12.7.2017).
– Nervus rerum des IOC: natürlich das Geld
Aus einem Beitrag von Jens Weinreich in spiegelonline: „Bevor die 130. IOC-Vollversammlung in Lausanne also das historische Olympia-Doppel für 2024 und 2028 genehmigte, wurde eine Stunde lang über Geld geredet. So ausführlich, dass sich sogar ausgewiesene Fans des deutschen IOC-Präsidenten Thomas Bach wunderten und nachfragten: Fürst Albert von Monaco wollte wissen, wann man dann endlich zur Sache käme und sich den Olympiabewerbungen von Paris und Los Angeles widmen würde. (…) Wenn es um Geld geht, zeigt sich der Monopolist IOC knallhart. Den Olympiaorganisatoren aus Rio, die um einen zusätzlichen Zuschuss von 35 Millionen Dollar ersucht hatten, um Dienstleister zu bezahlen und das Projekt ordnungsgemäß abzuwickeln, zeigte man in Lausanne die kalte Schulter. ‚Die Bücher sind geschlossen‘, erklärte Kommunikationsdirektor Mark Adams. Es bleibt beim Zuschuss von 1,531 Milliarden Dollar für die reinen Organisationskosten in Rio – wobei die Gesamtkosten des Projekts, inklusive Sportstättenbau und anderer Infrastruktur, mehr als 13 Milliarden betrugen und zum Großteil aus öffentlichen Kassen beglichen wurden. (…) Anne Hidalgo und Eric Garcetti, die eng miteinander befreundeten Bürgermeister von Paris und Los Angeles, nahmen Bach in die Mitte zum Dreifach-Siegerfoto, nachdem die IOC-Session den Vorschlag des Exekutivkomitees ohne Gegenstimme akzeptiert hatte: Man einigt sich hinter verschlossenen Türen mit Paris und Los Angeles darauf, wer die Sommerspiele 2024 (höchstwahrscheinlich Paris) und 2028 (Los Angeles) austrägt – auf der turnusmäßigen Session im September in Lima bestätigen die IOC-Mitglieder dann nur noch den Dreier-Deal. Für IOC-Boss Bach eine ‚Win-win-win-Situation‘, er sprach in Lausanne zudem unentwegt von einer ‚goldenen Gelegenheit‘. (…) Es soll Kandidaten künftig leichter gemacht werden, im Winter und im Sommer. Doch sollte man sich von den blumigen Versprechen nicht täuschen lassen: Olympia bleibt ein Riesen-Event und ein riskantes Projekt. Da geraten auch Mega-Cities ins Straucheln, wie derzeit in Tokio zu beobachten ist. Das Gastgeber 2020 ächzt unter enormen Lasten, die Kosten hatten sich zunächst auf 20 Milliarden Dollar vervielfacht und wurden nun auf knapp 13 Milliarden gestutzt. Die Zahlen bleiben volatil. Das IOC hat die Zahl der Sportarten für Tokio von 28 auf 33 und die Entscheidungen von 306 auf 341 erweitert“ (Weinreich, Jens, Monopolympia, in spiegelonline 12.7.2017).
Zur Erinnerung: Die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo begann als Gegnerin von Paris 2024 und musste vom damaligen Präsidenten Francois Hollande auf olympischen Kurs gebracht werden.
– „Bombastische Verpackung“
„Paris will die Spiele 2024 ausrichten, an den zauberhaftesten Plätzen dieser insgesamt sehr zauberhaften Stadt. Für Olympia ist das ein Glücksfall – je bombastischer die Verpackung daherkommt, umso nachsichtiger lässt sich ja bisweilen über den Inhalt hinwegsehen. Auch Los Angeles will die Spiele 2024 und verspricht: die Lässigkeit von Long Beach und Santa Monica. Außerdem ganz viel ‚Hightech‘ – und vor allem Spiele, für die man so gut wie nichts neu bauen müsste. In Rio de Janeiro hat der olympische Kraftakt von 2016 den Bankrott einer gesamten Region beschleunigt, in L.A. wären alle Sportstätten schon da. (…) Es ist also nur verständlich, dass das Internationale Olympische Komitee (IOC) unter seinem Präsidenten Thomas Bach gerade sehr erpicht darauf ist, mit beiden Metropolen ins Geschäft zu kommen. Indem es die Spiele 2024 und 2028 im Paket vergibt, anstatt die Kandidaten, wie bisher üblich, in einen Bieterwettkampf zu treiben. (…). Das Verfahren zeigt, wie ernst die Lage ist. Denn die Wahrheit ist: Paris und Los Angeles sind derzeit die einzigen Großstädte auf diesem Planeten, die Olympia noch eine Heimat geben wollen“ (Kistner, Thomas, Bachs Gnadenspiele, in SZ 12.7.2017).
– IOC kauft Boston für das Jahr 2028
„Die Olympischen Spiele 2024 werden in Frankreichs Hauptstadt ausgerichtet. Los Angeles ist dann als Gastgeber der Sommerspiele 2028 vorgesehen. Eine entsprechende Vereinbarung sei getroffen, bestätigte am Montag das Internationale Olympische Komitee (IOC). Die Organisatoren in LA erhalten laut IOC-Mitteilung kurz- und mittelfristig 1,8 Milliarden Dollar für Programme, um den Jugendsport zu fördern. ‚Das IOC begrüßt die Entscheidung von Los Angeles‘, sagte IOC-Präsident Thomas Bach“ (DPA, Olympia 2024 in Paris, in SZ 1.8.2017).
Damit kauft sich das IOC Zeit und täuscht über die peinliche Situation hinweg, dass kaum noch jemand die gigantischen Gladiatorenspiele des globalen Sportkonzerns IOC haben will.
Die Summen des IOC im Einzelnen: „Die wichtigsten Zahlen mit den vielen Nullen: Los Angeles erhält einen Vorschuss von 180 Millionen Dollar für die Organisation und 160 Millionen Dollar für die Jugendförderung – so was wird gewöhnlich erst nach den Spielen gezahlt. (…) Insgesamt wird das IOC die Spiele in Los Angeles mit mindestens 1,8 Milliarden Dollar bezuschussen, es könnten abhängig von den Einnahmen aus TV-Verträgen und Sponsoren-Vereinbarungen auch zwei Milliarden werden. Das wären 500 Millionen Dollar mehr, als Rio de Janeiro für die Spiele 2016 bekommen hat. Los Angeles darf zudem Verträge mit eigenen Sponsoren abschließen, so diese nicht mit den Partnern des IOC konkurrieren. Diese Einnahmen darf die Stadt ebenso behalten wie die Erlöse aus dem Verkauf von Tickets und Souvenirs“ (Schmieder, Jürgen, 340 Millionen Dollar Vorschuss, in SZ 2.8.2017; Hervorhebung WZ). – „‚Sie machen es finanziell für uns so attraktiv, dass wir dumm wären, nicht auf 2028 auszuweichen‘, sagte Bürgermeister Eric Garcetti“ (Ebenda).
– Paris 2024, Los Angeles 2028: Bachs Täuschung
„Erst gibt es ein Radrennen auf der Avenue des Champs-Élysées, einen Schwimmwettkampf in der Seine sowie Beachvolleyball unter dem Eiffelturm. Vier Jahre später findet das von Hollywood inszenierte Spektakel an der Pazifikküste statt. Es werden grandiose Bilder sein, die das IOC um die Welt schicken kann. Die Show wird wieder über jeden Skandal hinwegtäuschen müssen, der bis dahin aufgedeckt wird. In den USA wird die Sendergruppe NBC Universal diese Bilder zeigen, sie soll auch deshalb auf eine amerikanische Stadt bis spätestens 2028 gedrängt haben. In vielen anderen Ländern muss erst noch verhandelt werden. Bach hat nun elf Jahre lang Planungssicherheit für das Geschacher mit Sponsoren und Sendern – und er hat mit Paris und Los Angeles zwei Angebote, die kaum einer ablehnen kann“ (Ebenda).
– Auslaufmodell Olympische Spiele?
„Die Vereinbarung verdeutlicht, wie sehr das IOC von seinem jahrzehntelang gepflegten Selbstverständnis abgewichen ist, Kandidaten in einen Bieterwettstreit zu treiben und dann nach eher undurchsichtigen Kriterien einen Gewinner zu küren. Es gab ja nach dem Rückzug von Hamburg, Rom, Budapest und Boston ohnehin nur noch zwei Bewerber um die Spiele 2024: Der eine wollte aufgrund von vorgesehenen Baumaßnahmen keinesfalls nach hinten ausweichen, der andere nicht als Verlierer dastehen. Das IOC erklärt nun beide Städte zu Siegern, weil sie beide ganz dringend braucht“ (Ebenda). Wobei die Wahl längst gefallen ist: „Tatsächlich gibt es für die IOC-Mitglieder nichts mehr abzustimmen, wenn sie sich am 13. September in Lima treffen. Dass Paris die Spiele 2024 ausrichtet und Los Angeles vier Jahre später zum Zuge kommt, ist im Grunde seit Monaten klar“ (Klimke, Barbara, Geben statt nehmen, in SZ 2.8.2017).
Dazu aus einem Kommentar von Thomas Kistner in der SZ: „Tatsächlich war der formale Schlussakt bei der Session in Lima schon vor Monaten abgesegnet worden und seit viel längerem absehbar: Das IOC schnappte sich die letzten Mohikaner, die noch in der Bewerber-Arena für 2024 standen. Im Wissen um die schwindende Attraktivität des Events, und dass es sich nicht gleichzeitig an Seine und Pazifik ausrichten lässt, wurden den Verbliebenen gleich noch die Spiele 2028 zugeschanzt, garniert mit einer dicken Finanzspritze für L.A., weil es sich hinten anstellt – fertig war das olympische Rettungspaket. Lange vorbei sind die Zeiten, als IOC-Präsidenten über die Fernseher auf allen Kontinenten flimmerten, in den Händen ein Kuvert, um nach quälenden Sekunden der Welt zu verkünden: ‚The winner is …!‘ (…) Paris und L.A. haben die Reihenfolge locker am grünen Tisch ausgekartelt und nun genügend Zeit, ihre Versprechen umzusetzen und dabei vielleicht den Schnitt von bald 200 Prozent, um den die anfänglichen Veranstalterbudgets gern überschritten werden, etwas nach unten zu drücken. Das aktuellste Beispiel: Tokios Spiele-Budget für 2022 wurde in der Bewerbung mit gut vier Milliarden Euro angesetzt; heute liegt es bei elf Milliarden. Der von der Gouverneurin zur Budgetprüfung eingesetzte Experte Shinichi Ueyama rechnet laut ARD mit Kosten von bis zu 22 Milliarden Euro“ (Kistner, Thomas, Das letzte Wasser in der Wüste, in SZ 15.9.2017).
– Wer hätte das gedacht? Paris 2024, Los Angeles 2028 gewählt
Am 13.9.2107 beschloss die Vollversammlung des IOC in Lima einstimmig diese Doppel-Vergabe. Los Angeles rechnet mit Gesamtkosten von 4,4 Milliarden Euro, Paris mit 6,4 Milliarden Euro (Zuerst Paris, vier Jahre später Los Angeles, in spiegelonline 13.9.2017).
Schaun mer mal…
– Hat Paris bekommen, was es wollte?
„Die Amerikaner bekommen den Zuschlag für 2028, die Pariser für 2024. Jetzt kommen die Spiele – hundert Jahre nach der letzten Austragung an der Seine – wieder nach Hause, in die Geburtsstadt ihres Gründers Pierre de Coubertin. So sehen sie das in Paris. Doch den Zuschlag zu bekommen, war wohl der einfachste Teil. Das Schwierige kommt jetzt, weil Estanguet (Chef der Pariser Bewerbung; WZ) und Hidalgo (Pariser Bürgermeisterin; WZ) ziemlich viel auf einmal versprochen haben, und diese Versprechen leicht zur versuchten Quadratur des Kreises werden können: Olympia 2024, das sollen bescheidene Spiele vor der ganz und gar unbescheidenen Kulisse von Paris sein. (…) Dabei ist absehbar, dass manche Verheißungen kaum einzulösen sind – etwa die von der sauberen Seine. In dem Fluss sollen manche Schwimmwettbewerbe stattfinden. Seit 1923 herrscht aber ein Badeverbot, und die Gesundheitsbehörden haben zuletzt alle Anträge abgeblockt, es aufzuheben: Es fließen viel zu viele Abwässer voller Kolibakterien in die Seine. Um 2024 darin schwimmen zu dürfen, müsste die Kloake gemäß EU-Vorschriften schon in drei Jahren saniert sein. Das wird sportlich“ (Klimm, Leo, Grandeur mit schmalem Etat, in SZ 14.9.2017).
Man darf an die Guanabara-Bucht erinnern, die für Rio 2016 gesäubert sein sollte – von wegen!
„Frédéric Viale vom Bündnis ‚Nein zu Olympia‘ hat auch sonst Zweifel. Vor allem an den Plänen der Organisatoren, die berühmt-berüchtigten nordöstlichen Vorstädte von Paris lebenswerter zu machen. Das betrifft Le Bourget, wo ein Medienzentrum für 20 000 Journalisten entsteht, und vor allem den sozialen Brennpunkt Saint-Denis. Dort steht seit der Fußball-WM 1998 schon das Stade de France, das auch zentraler Schauplatz der Spiele 2024 sein wird. Die Bürogebäude, die rund um das Stadion hochgezogen wurden, brachten keine Jobs für Geringqualifizierte. Viale befürchtet, dass die Verdrängung weitergeht, wenn in Saint-Denis nun das Olympische Dorf gebaut wird. ‚Obwohl ein Teil der Gebäude später für Sozialwohnungen genutzt wird, werden die Preise für Arme unbezahlbar sein, das beschleunigt die Gentrifizierung‘, sagt er. Tatsächlich erwarten die Makler einen Preisanstieg um 30 Prozent, zumal Saint-Denis besser angebunden wird. Viale mag außerdem nicht glauben, dass die Banlieue etwas von der geplanten Schwimmarena haben wird – weil sie nach 2024 weiter für Leistungssport genutzt werde. (…) Der Zuschlag soll dafür dem Megaprojekt Grand Paris Schub verleihen: Das – ohnehin geplante – 108 Milliarden Euro teure Vorhaben, vier Metro-Linien um die Stadt zu bauen, soll jetzt großteils schon zu Olympia fertig werden anstatt erst 2030. Doch diese Beschleunigung, warnt Viale, wird zusätzliche Steuermilliarden nötig machen“ (Ebenda).
– Paris 2024: IOC-systemerhaltend
„Manche Experten wie der Ökonom Alexandre Delaigue bestreiten die Kalkulation dennoch. Weil Olympia-Budgets immer überschritten werden, einer Studie zufolge durchschnittlich um 179 Prozent. ‚Da kann es gar keine gute Überraschung geben‘, sagt Delaigue. Das IOC verleite die Bewerberstädte zum Schönrechnen. Viele Ausgaben sind auch nicht richtig absehbar, zum Beispiel die für Sicherheit, die für London 2012 vier Mal mehr kosteten als ursprünglich veranschlagt. Auch für Paris ist die Sicherheit angesichts der – zumindest heute – akuten Terrorgefahr ein schwer kalkulierbarer Posten. Aber das Schlimmste daran, dass sich Paris so um die Spiele 2024 gerissen habe, sei die systemerhaltende Wirkung für das IOC, findet Delaigue: ‚Das ermöglicht, mit der Verschwendung weiterzumachen, als sei nichts’“ (Ebenda).