„Citius, altius, fortius“ – „Schneller, höher, stärker“ wurde 1894 von Pierre de Coubertin als Motto vorgeschlagen, 1924 erstmals zitiert und 1949 in die IOC-Satzung aufgenommen. Es ist am Anfang des 21. Jahrhunderts angesichts der auf vielen Gebieten sich andeutenden ökologischen Katastrophen so ziemlich das dümmste Motto, das sich jemand aussuchen kann. Es könnte auch gut von der deutschen Autoindustrie stammen.
Inzwischen geht der Trend zum „Tempo-Marathonlauf (Hahn 2.4.2011): Die Zwei-Stunden-Marke wird wohl demnächst fallen, was einem Durchschnitt von 21 km/h entspricht. Beim Spitzenbergsport ist „Speed-Climbing“ und „Speed-Hiking“ in: Die „Seven Summits“ wurden von einem Österreicher in 58:45 Stunden erstiegen, die drei großen Nordwände der Alpen von einem Schweizer in 7:04 Stunden. Die sinnlich erlebte Bergwelt wird von der digitalen Zeitmessung abgelöst.
Die Leistungssteigerungen werden vornehmlich durch absolute Professionalisierung und Höchsteinsatz von Geld, durch Doping und Techno-Doping erreicht.
Auch der Eiskanal von Vancouver (150 km/h) mit einem toten Rodler und vielen Unfällen ist ein Ergebnis von „Citius, altius, fortius“. Alte IOC-Herren beschleunigen die olympischen Wettbewerbe und verheizen junge Sportler. Die Parallelen zum Krieg liegen nahe.
Beim America’s Cup gab es im Mai 2013 einen Toten. Der Segel-Olympiasieger von Peking 2008 und der Olympia-Zweite in London 2012, Andrew Simpson, ertrank beim Training des schwedischen Segelteams Artemis für den America’s Cup. Der AC72-Katamaran kenterte bei einer Geschwindigkeit von 22 Knoten und Windböen von 31 Knoten: Simpson wurde unter Deck eingeschlossen (spiegelonline 10.5.2013).
Matthias Bröker, Schiffsbauingenieur der Yachtdesign-Firma Judel/Vrolijk in Bremerhaven: “Besonders im America’s Cup gilt das Motto: höher, schneller, weiter. Die Schiffe sind heute mehr denn je auf Kante konstruiert, es gibt keine Reserven mehr” (nzz.ch 11.5.2013).
Ein Ableger: Die X-Games: Im Juni 2013 kamen die X-Games in den Münchner Olympiapark. “Citius, altius, fortius (schneller, höher, stärker) – das Olympia-Motto passt zu den X-Games wie die Faust aufs Auge. In den Sportarten Skateboard, BMX, Motocross und Mountain Bike kämpfen in München mehr als 200 Athleten vier Tage lang gegeneinander – und gegen die Gesetze der Physik. Die Wettbewerbe, die sich mit Bezeichnungen wie ‘Big Air’ (Skateboard, BMX), ‘Best Whip’ (Motocross) oder „Slopestyle’ (Mountain Bike) schmücken, stehen im Zeichen von Höhe, Geschwindigkeit und Kraft. Hier ein Sprung von der Riesenschanze, dort ein Trick im Parcours: Angst ist für X-Games-Athleten ohnehin ein Fremdwort. Natürlich dürfen bei derlei Einlagen Kontrolle und Geschicklichkeit nicht fehlen – sowie eine hohe Schmerztoleranz, denn Stürze gehören bei den riskanten Manövern zur Tagesordnung… 17 000 Karten sind bereits verkauft, für zwei Wettbewerbe gibt es keine Tickets mehr. Insgesamt rechnet die Olympiapark München GmbH (OMG) mit bis zu 100 000 Besuchern. ‘Die X-Games sind nicht nur eine spektakuläre Sportveranstaltung, sie sind Lifestyle’, wirbt Ralph Huber, Geschäftsführer der OMG” (Ignatowitsch 11.5.2013; Hervorhebung WZ).
Ein besseres Motto für die Menschheit wäre zum Beispiel: Langsamer, bescheidener, intelligenter!
Nachtrag 1: Reinhard Merkel zum olympischen Motto
„Seit 1896 steht es monumental als kategorischer Imperativ über der Idee der Olympischen Spiele: ‚Citius, altius, fortius‘: schneller, höher, stärker! Das empfand man früh als Kontrapunkt zum Fairnessprinzip. Pierre de Coubertin, der ‚Vater‘ der modernen Spiele, anerkannte die Kollision nicht. Das Leistungsprinzip des ‚Citius‘ war der Herzschlag seiner grossen Idee. In einer Rundfunkansprache im Jahr 1935 sagte er: ‚Das zweite Merkmal des Olympismus ist, dass er Adel und Auslese bedeutet, aber wohlverstanden einen Adel, der vollkommene Gleichheit bedeutet, nur bestimmt durch die körperliche Überlegenheit des Einzelnen, die gesteigerte körperliche Vielseitigkeit und bis zu einem gewissen Grad durch seinen Trainingswillen.‘ Der meritokratische Gedanke ist unverkennbar. Weiter geht es dann freilich so: ‚Eine Utopie wäre es, zu verlangen, dass der Sport im Namen der Wissenschaft und von Amts wegen mit übergrosser Zurückhaltung und Mässigung betrieben werden soll. Das wäre eine widernatürliche Verbindung. [. . .] Seine Anhänger brauchen ungehemmte Freiheit. Darum hat man ihm den Wahlspruch ‚Citius, altius, fortius‘ gegeben, immer schneller, immer höher, immer stärker.‘ So ist das geblieben. Ist das der wahre Sinn des olympischen Sports, dann ist Doping sein konsequentester Ausdruck. Die Wissenschaften, die Coubertin 1935 noch der Mahnung zur Mässigung verdächtigte, sind längst die treibende Kraft des Gegenteils. Und sie werden das bleiben, solange der Wahlspruch des ‚Citius‘ gilt. Er verdrängt das Prinzip des Fairplay. Anders als zu Coubertins Zeiten sind beide nicht mehr kompatibel. Die olympische Idee, eine grosse Vision der Moderne, betreibt im Modus des Tragischen ihren eigenen Untergang“ (Merkel 3.9.2016).
Quellen:
Dick, Andi, Schneller hoch und weit, in DAV Panoprama 5/2010
Hahn, Thomas, Unwirklich schnell, in SZ 2.4.2011
Ignatowitsch, Julian, Greller, höher, weiter, in SZ 11.5.2013
Merkel, Reinhard, Der Sportsgeist schafft sich selber ab, in nzz.ch 3.9.2016
Olympiasieger Simpson stirbt bei America’s-Cup-Training, in spiegelonline 10.5.2013
Tempo und Tod, in nzz.ch 11.5.2013