Der Beitrag stützt sich vor allem auf das Buch „Das Reichssportfeld“ von Wolfgang Schäche und Norbert Szymanski. Die Seitenzahlen beziehen sich hierauf. Vergleiche auch Reichssportfeld
– Vorgeschichte
Die Olympischen Sommerspiele 1916 wurden vom IOC nach Berlin vergeben (und wurden dann kriegsbedingt abgesagt). Der Architekt Otto March baute von 1909 bis 1913 das „Deutsche Stadion“, damals das größte Stadion der Welt. Am 8.6.1913 wurde es mit 35.000 Turnern und Sportlern eingeweiht (S. 27). Das Stadion sollte als Anlage „für nationale Kampfspiele und nationale Kunst“ dienen (S. 24).
– Ideologisch-politischer Unterbau
Die XI. Olympischen Sommerspiele 1936 wurden vom IOC am 13. Mai 1931 nach Berlin vergeben. Am 24.1.1933 fand die Gründungssitzung des Nationalen Organisationskomitees statt. Deren Schirmherrschaft hatte am 9.2.1933 Reichspräsident Paul von Hindenburg übernommen (Ueberhorst 1986, S. 4).
Am 30.1.1933 wurde Adolf Hitler neuer Reichskanzler. Nach Hindenburgs Tod übernahm Hitler in Personalunion am 2.8.1934 das Amt des Reichspräsidenten und am 13.11.1934 die Schirmherrschaft für die Olympischen Spiele 1936 (A.a.O., S. 5).
Schon nach kurzem unterwarf das NS-Regime alle jüdischen Sportler strengen Restriktionen, machte ihnen ein normales Training unmöglich und verschlechterte deren Leistungsbilanzen: Schließlich erfolgte ein konkretes Verbot der Teilnahme. Nach Protesten aus Kreisen des IOC durften zwei „halbjüdische“ Sportler als Alibi teilnehmen, um die Kritik einzudämmen. Der spätere IOC-Protestant Avery Brundage äußerte sich dazu dezidiert antisemitisch.
Die Konzeption der Olympischen Spiele wurde zunächst von Theodor Lewald und Carl Diem vorbereitet, das Konzept zwischen 1933 und 1936 entwickelt. Am 5.10.1933 besichtigte Hitler das geplante Baugebiet und entschied, dass das Stadion vom Reich gebaut werden müsse. Er deklarierte es zur Reichsaufgabe, da die Welt zu Gast eingeladen sei. Auch das schon herausgestrichene „Haus des Deutschen Sports“ müsse gebaut werden (S. 55). So wurde das Deutsche Reich Bauherr des Sport-Großprojekts, das ab sofort unter „Reichssportfeld“ firmierte. Nach Hitlers Vorstellung waren 120-130.000 Besucher unzureichend: Er zeichnete einen Platz in Verlängerung des Stadions auf, der einer halben Million Menschen Platz geboten hätte (S. 57).
Die Bausumme wurde von 5,5 auf über 100 Millionen Reichsmark aufgestockt (Ueberhorst 1986. S. 6).
Das Bauprogramm des Reichssportfeldes „(war) in Form und Inhalt eindeutig politisch-ideologisch determiniert. In ihm verkörperte sich exemplarisch der Herrschafts- und Machtanspruch seiner politischen Bauherren und das damit verbundene ästhetische Selbstverständnis des nationalsozialistischen Terrorstaates in der Phase seiner politischen Konsolidierung“ (S. 8).
Schäche und Szymanski betonen vor allem „die inhaltliche Verknüpfung einer Sportanlage mit militärischen Elementen und dem intendierten Aspekt des Todeskults“ (S. 9).
– Die Sport-Bauwerke
1934 wurde das 1913 gebaute „Deutsche Stadion“ gesprengt und mit dem Bau des Olympiastadions begonnen: Es sollte 106.000 Zuschauerplätze haben. Das Aufmarschgelände davor (später Maifeld genannt) stellte einen gigantischen Aufmarschplatz dar und war für ein Fassungsvermögen von immer noch 180.000 Zuschauern projektiert (S. 63).
Der „Olympische Platz“ lag am Anfangspunkt der Hauptachse des Sport- und Aufmarschfeldes: Das Olympische Tor und der Glockenturm bildeten die Enden der Achse. (S. 83).
Die „Langemarckhalle“ sollte an die verlustreichen Gefechte deutscher Truppen des Ersten Weltkriegs im November 1914 in der Nähe des belgischen Ortes Langemarck erinnern.
Die „Dietrich-Eckart-Freilichtbühne“ (im Nachkriegs-Berlin: Waldbühne), benannt nach einem frühen Nationalsozialisten und Ideengeber Hitlers, war ein Ort für „nationale Theater- und Weihespiele“ (S. 88).
Der Glockenturm an der Westseite des Festplatzes sollte ganz Berlin überragen (S. 57). Weitere Gebäude waren u. a. Deutsches Sportforum mit dem Haus des Deutschen Sports, Reichsakademie für Leibesübungen, Schwimmstadion, Hockeystadion, Tennisanlagen, Coubertinplatz, Reiterstadion, etc. (S. 65)
– Die „Kunstwerke“
„Wieviel gesünder und künstlerisch stärker erweist sich das, was draußen im Reichssportfeld an Bildwerken geschaffen wurde…“ (Alfred Abel, Von der Plastik des Reichssportfeldes, S. 99). Deshalb kamen Schäche und Szymanski zu dem Schluss: „Die Skulpturen und Plastiken „sind vor allem Ideologieträger“ (S. 11). Bildhauer wie Arno Breker, Karl Albiker, Josef Thorak, Joseph Wackerle durften pompöse nationalsozialistische Werke aufstellen mit den Titeln: Siegesgöttin, Zehnkämpfer, Diskuswerfer, Rosseführer, Staffelläufer, Boxer (S. 73, S. 99)
„Die an der Antike orientierten plastischen Bildwerke und die Bauplastik machten das Reichssportfeld gleichsam zu einer Kultstätte. Sie sollten im Besonderen die militärischen Seiten des Sports wie Kampf, Zucht, Disziplin, Mut, Opferbereitschaft und Heroik verbildlichen“ (S. 99).
– Der Architekt
Werner March, der Sohn vom Erbauer des „Deutschen Stadions“, baute dann 1934 bis 1936 das Olympiastadion: Er bekam wegen seiner „Verdienste um den Bau des Reichssportfeldes“ von Hitler persönlich den Professorentitel verliehen (S. 79). Werner March baute auch für Hermann Göring dessen „Jagdhaus Karinhall“ in der Schorfheide und für Joseph Goebbels ein großes Anwesen auf der Havelinsel Schwanenwerder (Schäche, Szymanski S. 120).
– Die Kosten
Im Juli 1934 wurde die Gesamtsumme auf 11,6 Millionen Reichsmark (RM) veranschlagt (S. 60). Im Januar 1935 lagen sie schon bei 24,5 Millionen RM (S. 68). Die endgültigen, wahrscheinlich um ein Vielfaches höheren Kosten wurden vermutlich nicht veröffentlicht.
– Die Eröffnung – eine Huldigung des Militärischen
In der Verpflichtungserklärung für deutsche Olympiakandidaten vom Dezember 1934 stand u. a.: „Ich unterstelle mich dem Reichssportführer und den von ihm eingesetzten Lehr- und Schulungskräften, die mir Helfer sind zu dem mir gegebenen Ziel“ (S. 106).
„Zur festgesetzten Minute werden am 1. August 1936 die größten olympischen Spiele beginnen, die die Welt bisher gesehen hat“ (S. 75, Zitat: Aufzeichnungen von Albert Burrer jun.).
Und diese Olympischen Sommerspiele hatten einen eindeutig militärischen Impetus.
1.8.1936: Kranzniederlegung in der Neuen Wache, Abschreiten der Ehrenformation, Aufmarsch der NS-Jugendorganisationen im Lustgarten. Hitler schritt am Glockenturm die Front von Heer, Marine und Luftwaffe ab und ehrte in der Langemarckhalle mit Kriegsminister Werner von Blomberg die Gefallenen des Ersten Weltkriegs, „ehe er an der Spitze der Mitglieder von IOC, NOK und OK über das Maifeld zum Marathontor das Olympiastadion betrat“ (S. 107).
Weit über 1000 Fackelträger kamen aus dem Tunnel des Marathontores und bildeten „Feuerblocks“. Der „Große Zapfenstreich“ endete mit dem Kommando „Helm ab zum Gebet“. Dann ertönte das Deutschland-Lied und das Horst-Wessel-Lied.
„Die Hunderttausend haben sich von ihren Plätzen erhoben… Adolf Hitler … schreitet unter tosenden Heilrufen die breite Freitreppe hinab, über die Aschenbahn, wo ihn Rudolf Heß mit der Reichsregierung erwartet… Mit letzter Steigerung ordnet sich der Jubel in die Weise des Deutschlandliedes und des Horst-Wessel-Liedes. Der olympische Stander geht hoch. Eine Stimme hallt über den Platz: Heißt Flaggen!“ (S. 107, Zitat Werner Siebart).
Carl Diems Opus Festspiel „Olympische Jugend“ rief im vierten Bild „Heldenkampf und Totenklage“ direkt zum Opfertod auf: „Allen Spiels heil’ger Sinn: /Vaterlandes Hochgewinn./ Vaterlandes höchst Gebot / in der Not: Opfertod!“ (S. 109).
„Die enge Verflechtung von Sportlichem und Militärischem belegt auch das in das Fest- und Kulturprogramm der Spiele eingefügte ‚Grosse Militärkonzert mit Zapfenstreich’ der deutschen Wehrmacht im Olympiastadion. Am Abend des 13. August 1936 marschierten dazu mehr als 2000 Militärmusiker der verschiedenen Waffengattungen in das Stadion ein…“ (S.111).
Auch bei der Abschlussfeier am 16.8.1936 wurde Militärisches zelebriert. Zu Beethovens Opferlied „Die Flamme lodert“ wurde die heruntergelassene Olympische Fahne von Scheinwerfern bestrahlt. Kanonenschüsse und Glockenschläge begleiteten die Schlussszenerie. Der von Albert Speer konzipierte „Lichtdom“ aus Flakscheinwerfern illuminierte die Beendigung der Olympischen Spiele.
Leni Riefenstahl erhielt im November 1935 von Goebbels persönlich den Auftrag zu einem Film über die Spiele. Die beiden Teile erhielten den Titel „Fest der Völker“ und „Fest der Schönheit“. Goebbels und die NS-Führung waren restlos begeistert.
– Der wahre „Olympische Frieden“
Schon vor den Olympischen Spielen kämpfte die deutsche „Legion Kondor“ in Spanien auf Seiten von General Franco für den Faschismus. (Der spätere, von 1980 bis 2001 herrschende IOC-Präsident Juan Antonio Samaranch war dessen eingeschworener Bewunderer und nach eigenen Angaben Faschist bis zum Ende des blutigen Franco-Regimes.)
Kurz nach den Olympischen Sommerspielen 1936 wurde der zweite Vierjahresplan zur faktischen Mobilmachung beschlossen (S. 9). Das „Münchner Abkommen“ von 1938 besiegelte die Eingliederung des Sudetenlandes 1938. Der Überfall auf Polen am 1.9.1939 war der Beginn des Zweiten Weltkriegs.
– Olympische und NS-Allmachtsphantasien
„Dieses Reichssportfeld war in meinem Geist entstanden. Es gab keinen Teil darin, den ich nicht vorgeschlagen, für den ich nicht den Namen gegeben hatte, dessen Verwendung nicht von mir vorbestimmt war. Es war mein Werk. Es sollte eine Hochburg des Sports für alle Zeiten sein…“ (S. 126).
Das Reichssportfeld sollte ab 1944 „auf alle Ewigkeit“ der Austragungsort Olympischer Spiele werden (S. 10). Im Olympiastadion versammelte sich die Hitlerjugend zu Maifeiern, und Propagandaminister Joseph Goebbels hielt seine „Feuerreden“. Der NSDAP-Gau Groß-Berlin feierte am 10. Juni 1938 eine Sonnwendfeier: Hunderte von Fackelträgern bildeten ein Hakenkreuz (S. 116).
Das Stadion bildete „in zunehmendem Maße den Schauplatz politischer Großkundgebungen von Staat und Partei“ (S. 113).
– Das Ende
Der Marathontunnel bekam schon 1938 Zwischendecken und Betonwände und wurde zum Luftschutzbunker. Hier produzierte Blaupunkt während des Zweiten Weltkriegs Zünder für Flugzeugabwehrwaffen (S. 121). Auf dem Reichssportfeld wurden Wehrmachtsdienststellen eingerichtet.
Am 12.11.1944 leisteten Volkssturmmänner auf dem Olympischen Platz den Fahneneid. Ab Januar 1945 wurde das Olympiastadion zur Verpflegungsstelle des Volkssturms. Dort wurde ein Volkssturmbataillon unter dem „Kommissarischen Reichssportführer“ Karl Ritter von Halt eingerichtet. Adjutant von Halts wurde Carl Diem (S. 121f).
Im März und April 1945 wurden durch die NS-Sportfunktionäre Diem, von Halt und von Mengden die Hitlerjugend gegen die russische Armee eingesetzt; die meisten von ihnen verloren dort ihr Leben (vgl. Diem). „Als einer der letzten Befehle aus dem Führerbunker erging am 28. April 1945 an den Reichsjugendführer Artur Axmann der Auftrag, mit seiner HJ-Division den Havelübergang und das Reichssportfeld zu verteidigen. Für diese ‚strategische Operation’ mussten vier Tage vor der Kapitulation ´Berlins noch unzählige Hitlerjungen ihr Leben lassen“ (S. 123).
Das Reichssportfeld wurde schwer beschädigt, das Sportforum getroffen, der Glockenturm musste 1947 gesprengt werden.
Es sollte nicht vergessen werden, dass der frühere IOC-Präsident Avery Brundage noch 1971 betonte: „The Berlin Games were the finest in modern history … I will accept no dispute over that fact“ (wikipedia.org).
– Die Bewerbung um Olympische Sommerspiele Berlin 2000
1990 bezeichnete der damalige IOC-Präsident Samaranch Berlin als „exzellenten Olympiakandidaten“ für die Olympischen Sommerspiele 2000: Dieses Attribut ließ er üblicherweise allen Kandidatenorten zukommen. Das Berliner Abgeordnetenhaus stimmte im Oktober 1990 dem Konzept zu. Es gab heftige Proteste linker Gruppen. Ein ironischerweise nach dem unfähigen vormaligen Chef der Bewerbungsgesellschaft benanntes „Kommando Lutz Grüttke“ entwendete die Gedenktafel für Carl Diem und forderte einen Verzicht auf die Bewerbung (S. 151). Bei der Wahl des Austragungsortes der olympischen Sommerspiele 2000 im Jahr 1993 erhielt Berlin ganze neun Stimmen: Sydney wurde als Austragungsort für die Olympischen Sommerspiele 2000 gewählt.
Vergleiche auch: NS-Sportfunktionäre, Diem. Carl, Krümmel, Carl, Lewald, Theodor, Mengden, Guido von, Neuendorff, Edmund, Tschammer und Osten, Hans von (folgt).
Quellen:
Schäche, Wolfgang, Szymanski, Norbert, Das Reichssportfeld. Architektur im Spannungsfeld von Sport und Macht, Berlin 2001
Steinhöfer, Dieter, Hans von Tschammer und Osten, Reichssportführer im Dritten Reich, Berlin 1973
Ueberhorst, Horst, Spiele unterm Hakenkreuz, in Politik und Zeitgeschehen B 31/1986
Wikipedia