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Neckermann, Josef

(* 1912, † 1992)

Vita
Josef Neckermann stammte aus einer Würzburger Kohlenhändlerfamilie. Auf den Betriebspferden machte er seine ersten Erfahrungen als Reiter. 1933 trat er der Reiterstaffel der SA und 1937 der NSDAP bei. 1934 wurde Neckermann Kohlelieferant der NS-Luftwaffe und belieferte die Fliegerhorste. „Innerhalb kürzester Zeit stellte sich die Firma vom Einzelhandel auf den Großhandel mit dem Militär um“ (Veszelits, S. 75).

Neckermann überließ der Familie den Kohlehandel. Er übernahm im Zug der Arisierung 1935 zwei Würzburger Kaufhäuser und 1938 ein Berliner Kaufhaus und stieg in das Warenhaus- und Textilgeschäft ein.
Neckermann belieferte das Militär mit Textilien und meldete sich 1941 freiwillig zur SS. Er suchte „stets die Nähe zu den NSDAP-Granden, um die eigene Geschäftskarriere zu beschleunigen“ (Schlautmann 17.9.2005).

Ab 1950 baute Neckermann seine „Textilgesellschaft Neckermann KG“ auf. 1976 wurde sein Unternehmen von Karstadt übernommen.
Er gewann von 1960 bis 1972 sechs olympische Medaillen. Von 1967 bis 1988 war er Vorsitzender der Stiftung Deutsche Sporthilfe.

Profiteur der „Arisierungen“
Ab 1.4.1933 ließ das NS-Regime jüdische Geschäfte boykottieren. Die Unternehmen mit jüdischen Eigentümern wurden nach dem Erlass der Nürnberger Rassegesetze am 15.9.1935 „arisiert“. Mit Hilfe dieser Rassengesetze „ging der ‚arische’ Teil Deutschlands nun auf Schnäppchenjagd. Die jüdischen Unternehmen lagen auf dem Wühltisch“ (Veszelits, S. 82). Juden wurden enteignet bzw. mussten zu Niedrigstpreisen ihr Geschäft verkaufen. Ab 31.12.1935 durften sie keine eigenen Geschäfte mehr besitzen (A.a.O., S. 90).

Neckermann kam so schon im Oktober 1935 in den Besitz der beiden Kaufhäuser von Siegmund Ruschkewitz im Zentrum von Würzburg. „Als Zahlung erhielt Siegmund Ruschkewitz schließlich rund 50.000 Reichsmark – so weit hatte Neckermann den Kaufpreis gedrückt“ (A.a.O,, S. 88). Der Kaufhauseigentümer mit 130 Angestellten wurde zum Verkauf gezwungen „in Anbetracht der Umsatzeinbußen, behördlichen Schikanen und Boykottaufrufen der NS-Frauenorganisationen“ (A.a.O., S. 83). Kurz danach übernahm Neckermann das „arisierte“ Würzburger Kaufhaus Vetter (A.a.O., S. 92).

Und 1938 übernahm Neckermann das Berliner Unternehmen von Karl Amson Joel, dem Großvater des amerikanischen Sängers Billy Joel. Neckermann „drückte zuerst den vereinbarten Kaufpreis – und zahlte am Ende gar nichts“ (Wikipedia). Das Inventar wurde von 200.000 auf 5.300 Reichsmark herunterbewertet; 500.000 Reichsmark behielt Neckermann als Sicherheit ein. „Den Rest des Kaufpreises, 1,14 Millionen Reichsmark, entrichtete ich auf ein Treuhandkonto beim Bankhaus Hardy & Co. in Berlin“ (Neckermann S. 97). Dieses Geld erreichte Joel nie, siehe unten.

Die Firmierung war ab 1938 „Wäsche- und Kleiderfabrik Josef Neckermann, Versandhaus Berlin“ und schickte an Joels ehemalige Kunden den ersten Versandkatalog.
Dazu übernahm Neckermann nach der Besetzung des Sudetenlandes im September 1938 einen Textilfertigungsbetrieb in Bärenstein, dessen tschechischer Eigentümer zwangsevakuiert wurde (Veszelits, S. 110).

Neckermann kooperierte mit der Organisation Todt und belieferte die Westwallarbeiter mit Wäsche und Wolldecken. Er urteilte: „Es ging mir gut… Ich war glücklich zu dieser Zeit“ (Ebenda). „Ich hatte nicht das geringste Bedürfnis, in Schwierigkeiten zu kommen“ (A.a.O., S. 106). „Abstinenz hätte den Ruin bedeutet“ (A.a.O., S. 116).

Kriegsgeschäfte
Neckermann trat 1933 der Reiterstaffel der SA und 1937 der NSDAP bei. Das liest sich in seinen 1990 erschienenen Memoiren so: „Zu erzählen bleibt noch, dass ich im Mai einen Brief erhielt, in dem mir mitgeteilt wurde, ich sei für ‚würdig’’ befunden worden, der NSDAP beizutreten. So wurde ich Pg. mit der Mitgliedsnummer 4 516 510“ (Neckermann S. 90).

Neckermann pflegte mit vielen hohen Ministern und Funktionären des NS-Regimes engen wirtschaftlichen Kontakt. Vor allem auf drei stützte er sich: „Hayler, Ohlendorf und Kehrl, das war sein Dreigespann,, das es ihm ermöglichte, im groß angelegten NS-Textilgeschäft Fuß zu fassen“ (A.a.O., S. 126).

– Franz Hayler hatte schon 1923 am „Hitler-Putsch“ an der Münchner Feldherrnhalle mitgemacht, wurde 1938 Leiter der Reichsgruppe Handel, Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, später SS-Brigadeführer.
– Otto Ohlendorf trat 1925 der NSDAP bei, wurde 1941 nach Russland für Reinhard Heydrichs „Endlösung“ abkommandiert und war dort für die Einsatztruppe „D“ und für die Ermordung von 92.000 Menschen verantwortlich. Ohlendorf wurde 1948 zum Tod verurteilt und 1951 hingerichtet (A,a.O., S. 131f).
– Hans Kehrl war Generalreferent im Wirtschaftsministerium, führte 1939 die Kleiderkarten ein und wurde 1943 Albert Speers Generalstabschef (A.a.O., S. 122ff).

Neckermann wurde Leiter der „Reichsstelle Kleidung“ (A.a.O., S. 115). Sein Unternehmen lieferte auch Uniformen und Kleidung für Zwangsarbeiter.

1941 gründete Neckermann die „Zentrallagergemeinschaft für Bekleidung“ (ZLG), welche alle staatlichen Aufträge erhielt. „Alle Anfragen sind an die Reichsstelle Kleidung zu richten. Von dort aus wurde alles an die ZLG zur Bearbeitung weitergeleitet. Und wer saß als zuständiger Referent in der Reichsstelle Kleidung? Josef Neckermann! … So konnte Neckermann die Konkurrenz kontrollieren und sich selbst Aufträge zuschanzen“ (A.a.O., S. 134). Er belieferte im Jahr 1942 die Wehrmacht mit drei Millionen Winteruniformen. „In seiner Doppelfunktion als Geschäftsführer der ZLG und Leiter der Reichsstelle Bekleidung erreichte sein Aufgabengebiet unvorstellbare Dimensionen“ (A.a.O., S. 157).

Schließlich arbeiteten Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge für Neckermann. Der ZDF-Historiker Guido Knopp äußerte: „Neckermann selbst scheute sich nicht, Kleider von Juden aus Konzentrationslagern und polnischen Ghettos, u. a. in Bialystok, für die deutsche Kriegswirtschaft umnähen zu lassen und rechnete sich das im Nachhinein sogar noch als große Tat an“ (Knopp , zitiert nach Veszelits S. 151). Neckermanns Kollege Hugo Boss belieferte Wehrmacht, SS und Hitlerjugend (Obermaier 21.9.2011).
Neckermann wurde von Hitler 1942 zu dessen 53. Geburtstagsfeier in die Wolfsschanze eingeladen und präsentierte dort seine Winteruniformen (A.a.O., S. 140f). Er erhielt dafür von Hitler persönlich das Kriegsverdienstkreuz 1. Klasse.

In seinen „Erinnerungen“ benutzte er die von vielen bemühte Entschuldigung: „Das kann nur einer verstehen, der dabei gewesen ist“ (Neckermann S. 105).

Nachkriegs-Geschäfte
Als Neckermann nach dem Krieg verhaftet wurde, äußerte er: „Ich wusste wirklich nicht, was man mir vorwarf“ (A.a.O., S. 165).

Am 1. Dezember 1945 wurde Neckermann wegen der Verletzung des alliierten Kontrollratsgesetzes zu einem Jahr Arbeitslager verurteilt. „Im Entnazifizierungsprozess wurde er im Mai 1948 in die Kategorie III der NS-Mitläufer eingestuft und mit einer Bußgeldstrafe von 2.000 DM belegt. Zu dieser Zeit waren die Spruchkammern wieder ganz in deutscher Hand, und der beginnende Kalte Krieg sorgte für milde Urteile der deutschen Spruchkammern.

Am 6.9.1948 gründete Neckermann die neue Textilgesellschaft Neckermann KG, die 1950 in die Neckermann Versand KG überging. Diese erzielte mit 88 Mitarbeitern einen Umsatz von 8,7 Millionen DM (A.a.O., S. 230; Wikipedia). Am 15.3.1950 erschien der erste neue Neckermann-Katalog. Die Neckermann-Zentrale am Frankfurter Ostbahnhof wurde 1951 eingeweiht.

Neckermann weitete das Geschäft stark aus; durch die niedrigen Preise blieb die Rendite gering, und es bestand ständiger Finanzbedarf von außen. 1968 hatte die Neckermann-Gruppe 1,65 Milliarden Mark Umsatz und beschäftigte 18.145 Mitarbeiter (A.a.O., S. 363). 1976 übernahm Karstadt das angeschlagene Unternehmen und hatte im Folgenden – wie die beteiligten Banken – wenig Freude daran. Der Karstadt-Vorsitzende Walter Deuss analysierte später: „Wir sind davon ausgegangen, dass wir in ein intaktes Unternehmen einsteigen. Das war leider nicht der Fall“ (A.a.O., S. 398).

Kaum Wiedergutmachung
Neckermann wehrte sich vehement gegen Entschädigungszahlungen bzw. suchte diese stark zu drücken. An die Söhne von Siegmund Ruschkewitz musste er Anfang 1950 im Rahmen eines Vergleiches 50.000 DM bezahlen sowie das zentral gelegene Würzburger Grundstück zurückgeben, erhielt aber die Verfügung über das Kaufhaus Merkur zurück (Neckermann S. 192).

Im Mai 1949 klagte Carl Amson Joel gegen Neckermann auf Wiedergutmachung in Höhe von 8 Millionen DM: „Joel wollte schlicht sein Geld bekommen, das ihm Josef Neckermann angeblich schon 1938 überwiesen hatte (Veszelits S. 239). Im August 1949 wurde Neckermann zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt: Die ersten zwölf Monate waren auf Bewährung, der Rest wurde bis 15.12.1949 ausgesetzt unter der Voraussetzung einer Einigung mit Joel. Im November 1950 wurde Neckermann dann – unter den veränderten politischen Bedingungen des Kalten Krieges – freigesprochen.

Da Joel von 1950 bis 1955 kein Vergleichsangebot von Neckermann erhalten hatte, klagte er 1955 erneut. Das Verfahren endete 1957 mit einem Vergleich: Joel wurde 1957 von Neckermann mit zwei Millionen DM entschädigt – einem Bruchteil des damaligen Wertes (A.a.O., S. 283). Neckermann hatte sein Vermögen mit wenigen hunderttausend Mark angegeben.

Als im Spiegel dann die tatsächlichen Bilanzzahlen veröffentlicht wurden, fühlte sich Joel getäuscht und klagte erneut. Bei diesem Verfahren ging es auch um die angebliche Überweisung Neckermanns an die Hardy-Bank. Joel hatte 1938 keine Zugriffsmöglichkeit auf das Konto gehabt. Als er klagte, lehnte die NS-Justiz ab, da Joel „Devisenausländer“ war (Veszelits S. 109).

Zu Neckermanns Überraschung hatte jedoch seine Korrespondenz mit der Hardy-Bank den Krieg überstanden. Vor Gericht stellte sich heraus, dass Neckermann über sein Konto mit der Bezeichnung „Sonderrechnung Joel“ verfügt hatte: „Über das Konto bleibe ich verfügungsberechtigt, solange ich Ihnen nicht andere Weisung zugehen lasse“ (Neckermann S. 240). „Da schöpften die Ermittlungsrichter den Verdacht, dass Neckermann das Konto doch nicht für Joel, sondern für sich selbst eingerichtet haben könnte“ (Veszelits S. 284f). Dennoch empfand das Gericht den Vergleich von 1955 als angemessen.

Olympionike Neckermann
1952 begann Neckermann wieder zu reiten und übte schließlich das vormalige Hobby professionell aus. Er gewann insgesamt sechs Olympische Medaillen: bei den Olympischen Sommerspielen in Rom 1960 in der Dressur-Einzelwertung Bronze, in Tokio 1964 Gold in der Mannschaftswertung, in Mexiko City 1968 in der Einzelwertung Silber und in der Mannschaftswertung Gold sowie in München 1972 Bronze in der Einzelwertung und Silber in der Mannschaftswertung.

Stiftung Deutsche Sporthilfe
Im Mai 1967 wurde die Stiftung Deutsche Sporthilfe gegründet; im Juli 1967 wurde Josef Neckermann deren Vorsitzender und blieb dies bis 1988. Er gewann die größten deutschen Konzerne als Unterstützer, dazu Politiker wie den damaligen Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger, Finanzminister Franz Josef Strauß, Innenminister Paul Lücke und der CDU-Verteidigungsminister Gerhard Schröder, sowie Gewerkschaftsführer und Verbände. „Dem Sport ist die Aufgabe der nationalen Repräsentation übertragen worden“ (Veszelits S. 354). Neckermann sammelte insgesamt 230 Millionen Mark, mit denen 16.500 Elitesportler gefördert wurden (Gernandt 2.6.2012).
Diese Übertragung wurde geschickt von alten Nationalsozialisten eingefädelt – und seitdem reklamiert der Sport die „nationale Repräsentation“ für sich.

1969 wurde die „Glücksspirale“ von NOK und den deutschen Lottogesellschaften gegründet, um u. a. auch Mittel für die Olympischen Spiele 1972 in München zu organisieren. Ab 1970 organisierte Neckermann seinen ersten „Ball des Sports“. Schirmherr war bis 1972 Bundespräsident Gustav Heinemann. Diese Schirmherrschaft übernehmen bis heute die jeweiligen Bundespräsidenten: Sie werden damit geschickt in die Interessen des Sports eingebunden.

Quellen:
Gernandt, Michael, Der Millionenbettler, in SZ 2.6.2012
Knopp, Guido, History. Geheimnisse des 20. Jahrhunderts, München 2002
Neckermann, Josef, Erinnerungen, Berlin 1992
Obermaier, Frederik, Die braunen Hemden des Hugo Boss, in SZ 21.9.2011
Schlautmann, Christoph, Neckermann und die Nazis, in Handelsblatt 17.9.2005
Veszelits, Thomas, Die Neckermanns, Frankfurt 2005
Wikipedia
www.sporthilfe.de/Historie_Ball_des_Sports.dsh
www.whoswho.de