Der Jurist und Bauunternehmer Primo Nebiolo (* 1923, † 1999) war seit 1961 Präsident des Internationalen Hochschulsport-Verbandes. 1992 wurde er von Samaranch als IOC-Mitglied ernannt und blieb dies bis zu seinem Tod 1999.
Mit der Hilfe von > Horst Dassler wurde Nebiolo wie folgt zum Präsidenten der International Amateur Athletic Federation (IAAF) gewählt: Der amtierende Präsident hatte Neuwahlen angesetzt und wollte wieder kandidieren. Dassler kaufte Stimmen für Nebiolo und warnte den Amtsinhaber, der daraufhin seine Kandidatur zurückzog. Damit war Nebiolo der einzige Kandidat und kam ohne Abstimmung 1981 ins höchste Amt der Leichtathletik. Er besetzte dieses Amt bis 1999 und wurde sechs Mal ohne Gegenkandidat wiedergewählt (Simson, Jennings S. 128ff).
Unter Nebiolo begann die Luxusära im IAAF – Luxus für ihn selbst, natürlich. „Gewiss, der teuerste Nobelwagen in Niedersachsen musste in Hannover bis aufs Rollfeld des Flughafens zur Maschine vorfahren, damit Nebiolo überhaupt im November 1990 zum deutschen Einheitsverbandstag nach Salzgitter kam. Gewiss, er bestellte sich eine Karosse, um einem Bankett in der Duisburger Mercatorhalle beizuwohnen, obwohl sie nur fünfzig Meter von seinem Hotel entfernt lag… All dies könnte auf das ‚Phänomen der Geltungssucht‘ hindeuten, das etwa der Heidelberger Professor Gerhard Treutlein bei dem Italiener ortete… Deshalb muss sein erstes Wort im besten Hotel der Stadt zwangsläufig ‚Suite‘ heißen. Nebiolos Vorauskommando darf verlangen, dass eine Wand zum Nachbarraum durchbrochen wird, da heutzutage fast alle Nobelsuiten leider viel zu klein ausfallen“ (Hartmann 21.10.1995).
Ein Problem Nebiolos lag sicher darin, dass er selbst zu klein ausgefallen ist.
Unter Nebiolos Ägide erfolgten die Ausrichtung zum Profisport und die Kommerzialisierung der Leichtathletik. Er handelte Südkorea im Namen der IAAF für die Olympischen Sommerspiele in Seoul 1988 einen zusätzlichen Anteil von 20 Millionen Dollar für Fernsehrechte ab, die er in eine persönliche Stiftung in Monte Carlo einbrachte (International Athletics Foundation IAF), deren Mitglieder und Ausgaben er bestimmte und die jährliche Feste für 500 000 Dollar veranstaltete.
Bei den Weltmeisterschaften 1987 in Rom wurde der gedopte Ben Johnson Weltmeister über 100 Meter. Zwei Tage später wurde das Dopingmittel Stanozol in seiner Blutprobe gefunden und ihm die Goldmedaille aberkannt. Sowohl Samaranch als auch Nebiolo erklärten, dass Johnson bei den Olympischen Sommerspielen 1992 in Barcelona willkommen sei. Das gerade in der Leichtathletik immer virulentere Dopingproblem wurde von Nebiolo, aber auch vom IOC unter Samaranch unter den Tisch gekehrt.
Nebiolo war auch Präsident des italienischen Leichtathletikverbandes FIDAL, musste aber dort nach dem Skandal bei der WM 1987 in Rom zurücktreten. Der Weitspringer Giovanni Evangelisti wurde mit Wissen Nebiolos auf den dritten Platz getrickst: Der Messstift war schon vor dem Sprung von korrupten Kampfrichtern in den Sand gesteckt worden. Dabei wurde aber eine fest installierte Kamera am Ende der Sprunggrube übersehen, die den Betrug aufzeichnete (Simson; Jennings S. 211ff).
Bei der hochdefizitären WM 1993 in Stuttgart strich die IAAF 150 Millionen DM Gewinn ein – die deutschen Sportfunktionäre hatten sich Unterstützung für die Bewerbung um Olympische Sommerspiele 2000 in Berlin erhofft (Kistner 2.8.2012). Diese Bewerbung fiel dann krachend durch. Der damalige Bundespräsident Richard von Weizsächer überreeichte Nebiolo noch widerwillig das Bundesverdienstkreuz (Hartmann 21.10.1995).
Nebiolo setzte das Prinzip durch: „ein Land, eine Stimme“, das auch beim IOC und der FIFA herrscht. Dieses pseudodemokratische System hat einen einfachen Grund: Kleine Staaten mit wenig Sportlern können mit relativ wenig Geld gefügig gemacht werden und haben das gleiche Stimmengewicht wie große Staaten mit vielen Sportlern. Die großen Sportnationen attackierten Nebiolo wegen seiner immensen Ausgaben; die Vertreter der Kleinstaaten durften einfliegen und votierten für Nebiolo. Und alles sah richtig demokratisch aus.
Im Juni 1995 sorgten Nebiolo/IAAF, Samaranch/IOC, Havelange/Fifa und Vasquez Rana/Sportschützenverband bei der IOC-Session in Budapest dafür, dass das Alterslimit auf 80 Jahre angehoben wurde (Kistner 2.8.2012).
Seine Biografie aus den Achtzigerjahren zeigte ihn im freundlichen Gespräch mit dem rumänischen Diktator Nicolae Ceaucescu.
Nachtrag 1: IAAF und die Futtertröge
„Wie an die Futtertröge heranzukommen war, heckte Paulens Thronfolger Primo Nebiolo (‚Primo Napoleone‘) aus, ein Turiner Rechtsanwalt mit zweifelhaftem Ruf. Er schöpfte den Rahm von den Erträgen des IOC ab und emanzipierte gleichzeitig mit der Einführung von Weltmeisterschaften die IAAF vom Geld des Olympischen-Ringe-Zirkels. Die Wundertüte, in die Nebiolo zunächst griff, lieferten die Spiele 1984 in Los Angeles. Sie ließen die IOC-Erlöse für TV-Rechte (von 88 Millionen Dollar 1980 auf 290) und von Sponsoren explodieren, Letztere hatten nun den Sport als ideale Werbeplattform erkannt. Das frische Geld leitete Nebiolo, seit 1983 auch Chef des Verbunds olympischer Sommersportverbände (Asoif), größtenteils auf die Konten der Asoif-Mitglieder um. Filetstück für die IAAF ist ein viel beneidetes Alleinstellungsmerkmal: Pro Vierjahreszyklus sackt sie mehr IOC-Millionen ein als sieben nachrangige Verbände, zuletzt für die Periode von 2013 bis 2016 waren das 45,2 Millionen Dollar. Turnen, Schwimmen, Basketball, Rad, Fuß- und Volleyball, Tennis bekommen nur je 25 (von 2016 an muss die IAAF allerdings mit Turnen und Schwimmen teilen). 1985 bis 1995 jedenfalls badete die IAAF wie Dagobert Duck im Geld“ (Gernandt, Michael, Kehrtwende im Rekordtempo, in SZ 31.12.2015).
Vergleiche auch: Die verkauften Leichtathletik-Weltmeisterschaften und den IAAF-Dopingskandal in der Chronologie August 2015
Quellen:
Hartmann, Robert, Kein Fahrradständer für den kleinen König, in SZ 21.10.1995
Jennings, Andrew, Das Olympia-Kartell, Reinbek 1996
Kistner, Thomas, Weltmeister in einer ganz besonderen Disziplin, in SZ 2.8.1995
Kistner, Thomas/Weinreich, Jens, Der olympische Sumpf, München 2000
Simson, Vyv/Jennings, Andrew, Geld, Moral und Doping – Das Ende der olympischen Idee, München 1992
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