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Kosten Olympischer Spiele

Vorbemerkung
Im Juni 2012 veröffentlichten Bent Flyvbjerg und Allison Stewart von der Saïd Business School der University of Oxford die Studie: „Olympic Proportions: Cost and Cost Overrun at the Olympics 1960 – 2012“. Hierin wurden die enormen Kostenüberschreitungen Olympischer Spiele berechnet. Das Folgende ist ein Kurzexzerpt der Studie. Link zur Studie: hier (Alle Zitate mit Seitenangabe aus der Studie; Übersetzung: Wolfgang Zängl)

Zusammenfassung
In dieser Studie untersuchten die Autoren die Kostenüberschreitung Olympischer Spiele anhand der letztlich angegebenen realen Kosten verglichen mit den in der Bewerbung ursprünglich angegebenen Kosten, die dem IOC sieben Jahre vorher angegeben wurde. Die Kostenüberschreitung betrug durchschnittlich real 179 Prozent und nominal 324 Prozent. („Real terms“ bedeutet hier: preisbereinigt.) „Die Daten zeigen, dass die Entscheidung, Olympische Spiele auszurichten, für eine Stadt und ein Land eines der am finanziell höchst riskanten Typen von Megaprojekt ist, das überhaupt existiert – ein Risiko, das viele Städte und Länder auf eigene Gefahr erfahren haben“ (S. 3; Hervorhebung WZ).
Für die Olympischen Sommerspiele 2012 in London ergaben sich bei Anfangskosten von 4,208 Mrd. Pfund reale Kosten von geschätzten 14,8 Milliarden Pfund (Stand Juni 2012): Damit ist London auf dem Weg zu den bislang teuersten Olympischen Spielen. Inzwischen liegt Sotschi 2014 mit 50 Milliarden $ derzeit an der Kosten-Spitze
(Die vorliegende Studie wurde im Juni 2012 abgeschlossen: Zu diesem Zeitpunkt waren noch keine endgültigen Zahlen von London 2012 bekannt. Für Peking 2008 wurden von China keine wirklich realistischen Zahlen benannt; WZ).

Zum Verständnis Olympischer Spiele
„Das ‚Bid Book’ (Bewerbungsbuch) ist ein rechtlich bindendes Abkommen und stellt die Basis dar, mit der zukünftige Kosten und Kostenüberschreitungen gemessen werden können. Allerdings wird dies selten gemacht; neue Budgets werden entwickelt, nachdem die Bewerbung an die Ausrichterstadt vergeben wurde, und diese neuen Budgets unterscheiden sich oft grundsätzlich von denen, die in der Bewerbungsphase präsentiert wurden“ (S. 4).

Kostenüberschreitungen
„Was bei der Festlegung der Kosten und der Gewinne der Spiele berechnet werden kann, kann unterschiedlich erörtert werden. Im Besonderen ist der Nutzen des „olympischen Erbes oft schwer zu bestimmen und stellt deshalb eine Schwierigkeit bei nachträglichen Schätzungen dar“ (S. 6). Der Deutsche Holger Preuss behauptete in seinem 2004 erschienenen Buch The economics of staging the Olympics, dass seit 1972 jedes Durchführungsbudget (OCOG) eine positive Bilanz hatte, wenn die Kosten für Investitionen davon abgezogen wurden. Andere Autoren widersprachen den Ergebnissen von Preuss und stellten fest, dass der reine Wirtschaftsgewinn der Spiele bestenfalls zu vernachlässigen sei und selten ausgeglichen wird durch die Einnahmen oder einem Anstieg bei Tourismus und Gewerbe (S. 6). „Die Forderung des IOC, dass in den Angebotsunterlagen eine Garantie enthalten ist, damit Kostenüberschreitungen von der austragenden Stadt bzw. vom Land übernommen werden, stellt einen kritischen Punkt beim Vergleich der endgültigen Kosten der Spiele dar, und die wahrscheinliche Kostenüberschreitung sollte schon im Planungsprozess der Spiele berücksichtigt werden…“ (S. 7).

Bewerbungsbudget im Vergleich zu endgültigen Austragungskosten
Die Kosten für die Durchführung olympischer Spiele setzen sich aus drei Kategorien zusammen:

1. OCOG-Kosten:
Durchführungskosten der Spiele wie Technologie, Transport, Arbeitskräfte, Verwaltung, Sicherheitskosten, Catering, Eröffnungs- und Schlussfeiern, medizinische Versorgung…

2. Direkte NON-OCOG-Kosten:
Baukosten des Austragungsortes, des Landes oder privater Investoren, um die Austragungsstätten, das Olympische Dorf, das Internationale Fernsehzentrum und das Medien- und Pressezentrum zu errichten.

3. Indirekte NON-OCOG-Kosten: Straßen-, Schienen- und Flughafeninfrastruktur, private Kosten wie Verbesserungen im Hotelsektor oder Geschäftsinvestitionen zur Vorbereitung der Spiele (S. 9).
Anmerkung: Um das OCOG-Budget möglichst niedrig zu halten (und nur mit dieser Zahl argumentieren die Bewerber in der Öffentlichkeit gern), wird alles, was geht, vom OCOG-Budget in das direkte und indirekte NON-OCOG-Budget umgeschichtet.

Die Autoren verfügten über die Bewerbungs- und Abschlusskosten von 16 Olympischen Spielen; von insgesamt 27 Spielen fehlten also elf. „Das ist für sich schon ein interessantes Resultat, weil es bedeutet, dass für 41 Prozent der Olympischen Spiele zwischen 1960 und 2010 sich niemand fragte, wie gut das Budget für diese Spiele ausgereicht hat – und damit der Lernprozess verhindert wurde, wie man verlässliche Budgets für die Spiele entwickeln könnte“ (S. 9f).
Das geht noch weiter: Trotz vielfacher Anfragen von MdL Ludwig Hartmann (Bündnis 90/Die Grünen, Sprecher vom Netzwerk NOlympia) sind bis heute weder die Bewerbungskosten für München 2018 noch die angefallenen, erst durch die Bürgerentscheide vom 10.11.2014 gestoppten Bewerbungskosten für München 2022 bekannt – und sollen es wohl auch nicht werden.

Tabelle 1: Sportbedingte effektive Kostenüberschreitungen der Olympischen Spiele 1960 – 2012 (in Prozent. Ich habe Sommer- und Winterspiele getrennt; WZ)
Olympische Sommerspiele:
London 2012: 101 % (noch keine endgültigen Kosten bekannt); Peking 2008: 4 % (Zahlenvorlage ungenügend; Schätzungen gehen von 40 bis 80 Mrd. aus; WZ); Athen 2004: 60%; Sydney 2000: 90 %; Atlanta 1996: 147 %; Barcelona 1992: 417 %; Montreal 1976: 796 % (S. 10; wie erwähnt: auch München 1972 fehlt).
Anmerkung: In der Diskussion Hamburg 2024 bzw. Berlin 2024 spielt diese Tabelle eine wichtige Rolle.
Olympische Winterspiele:
Vancouver 2010: 17 %; Turin 2006: 82 %; Salt Lake City 2002: 29 %; Nagano 1998: 56 %; Lillehammer 1994: 277 %; Albertville 1992: 135 %; Calgary 1988: 59 %; Sarajevo 1984: 173 %; Lake Placid 1980: 321 %; Grenoble 1968: 201 % (S. 10).
Anmerkung: Für die Bewerbung Oslo 2024 ist die Überschreitung bei Lillehammer mit 277 Prozent ebenfalls eine Warnung.
Die durchschnittliche effektive Kostenüberschreitung (ohne London 2012) beträgt bei Olympischen Sommerspielen 252 %, bei Olympischen Winterspielen 135 %, zusammen 179 % (S. 10. Und die Autoren addierten nur die offiziellen Zahlen – es gibt ausreichend innoffizielle, verschwiegene und in andere Haushaltsbereiche verschobene Kosten!).
Dazu schreiben die Autoren:
1. Bemerkenswert ist, dass alle Olympische Spiele Kostenüberschreitungen erfahren hatten. Zur „Defizitgarantie“ in den IOC-Verträgen schreiben de Autoren, „diese Garantie ist dem Unterschreiben eines Blankoschecks bei einem Kaufvertrag sehr ähnlich“ (S. 11; Hervorhebung WZ).
2. Mit durchschnittlich effektiven 179 Prozent Kostenüberschreitung sind diese bei Olympischen Spielen offensichtlich höher als bei anderen Megaprojekten.
3. Die Kostenüberschreitungen haben über die Jahre etwas abgenommen (S. 11f. London 2012 und erst recht Sotschi 2014 änderte diesen Trend, S. 13f).

Tabelle 3: Sportbedingte nominale Kostenüberschreitungen der Olympischen Spiele 1960 – 2012 in Prozent
Olympische Sommerspiele:
London 2012: 133 % (im Juni 2012 waren noch keine endgültigen Kosten bekannt); Peking 2008: 35 % (Zahlenvorlage ungenügend; Schätzungen gehen von 40 bis 80 Mrd. aus; WZ); Athen 2004: 97%; Sydney 2000: 108 %; Atlanta 1996: 178 %; Barcelona 1992: 609 %; Montreal 1976: 1266 % (S. 10).
Olympische Winterspiele:
Vancouver 2010: 36 %; Turin 2006: 113 %; Salt Lake City 2002: 40 %; Nagano 1998: 58 %; Lillehammer 1994: 347 %; Albertville 1992: 169 %; Calgary 1988: 131 %; Sarajevo 1984: 1257 %; Lake Placid 1980: 502 %; Grenoble 1968: 230 % (S. 10).
Die durchschnittliche nominale Kostenüberschreitung (ohne London 2012) beträgt bei Olympischen Sommerspielen 347 %, bei Olympischen Winterspielen 288 %, zusammen 324 % (S. 12).

Sportbedingte Kosten Olympischer Spiele (in Mrd. $):
Olympische Sommerspiele:
London 2012: 14.8 (noch keine endgültigen Kosten bekannt); Peking 2008: 5.5 (Zahlenvorlage ungenügend; Schätzungen gehen von 40 bis 80 Mrd. aus; WZ); Athen 2004: 3.0; Sydney 2000: 4.2; Atlanta 1996: 3.8; Barcelona 1992: 11.4; Montreal 1976: 6.0 (S. 13).
Olympische Winterspiele:
Vancouver 2010: 2.3; Turin 2006: 4.1; Salt Lake City 2002: 2.3; Nagano 1998: 2.3; Lillehammer 1994: 1.9; Albertville 1992: 1.9; Calgary 1988: 1.0; Sarajevo 1984: 0.01; Lake Placid 1980: 0.4; Grenoble 1968: 1.0 (S. 13).

Diese Zahlen zeigen nach Ansicht der Autoren folgendes:
1. Die Kostenüberschreitung der Olympischen Spiele um 100 Prozent hat Kontinuität. Kein anderer Typ von Megaprojekten zeigt eine ähnliche kontinuierliche Kostenüberschreitung.
2. Mit einer durchschnittlichen Kostenüberschreitung von effektiv 179 Prozent und nominal 324 Prozent liegen die Olympischen Spiele vor allen anderen Großprojekten.
3. Zwar haben sich die Kostenüberschreitungen über einen Zeitraum abgeschwächt: Allerdings wird London 2012 diesen Trend wieder umdrehen (S. 13f).
Anmerkung: Ebenso die Kosten von Sotschi 2014 und Rio 2016!

London 2012
Hier nennen die Autoren für das ursprüngliche OCOG-Budget 1,538 Mrd. Pfund und für das direkte NON-OCOG-Budget 2,670 Mrd. Pfund: zusammen 4,208 Mrd. Pfund. Bei Fertigstellung der Studie im Juni 2012 lag das OCOG-Budget schon bei 2,608 Mrd. Pfund (+ 70 %) und das direkte NON-OCOG-Budget bei 5,832 Mrd. Pfund (+ 118 %): zusammen 8,441 Mrd. Pfund (+ 101 %) (S. 15).

Anmerkung WZ: Als Fazit kann man daraus ersehen, dass den offiziellen, ursprünglichen Haushaltsbudgets keineswegs zu trauen ist: OCOG-Budget und direktes und indirektes NON-OCOG-Budget werden ständig und bewusst über fünf Jahrzehnte zu niedrig angesetzt. Die IOC-Funktionäre wissen sehr wohl, dass realistisch prognostizierte Zahlen die Zustimmung in der Bevölkerung für die Olympischen Spiele weiter fallen lassen würde. Deshalb senkte die Bewerbungskommission Oslo 2022 im September 2014 das Budget so ganz einfach um eine Milliarde Euro – wohl wissend und bewusst in Kauf nehmend, dass die realen Kosten um ein Entsprechendes darüber liegen würden. Und die Bevölkerung bezahlt letztlich mit ihren Steuergeldern die olympische Fake-Rechnung.

In diesem Zusammenhang ist auch eine Untersuchung über die unterschiedlichen Folgen von Sport-Großereignissen in Industrie- und Entwicklungsländern interessant: Baumann, Robert, Matheson, Victor, Infrastructure Investments and Mega-Sports Events: Comparing the Experience of Developing and Industrialized Countries, Worcester/Massachusetts August 2013: hier
– Beispiel 1: Fußball-WM 2014. Die ursprünglichen Kosten für die Stadien von 2,2 Milliarden Reais stiegen auf 6,9 Milliarden Reais, haben sich also mehr als verdreifacht (Baumann, Robert, Matheson, Victor, Infrastructure Investments and Mega-Sports Events: Comparing the Experience of Developing and Industrialized Countries, Worcester, Massachusetts August 2013, S. 10). Insgesamt soll die WM 2014 über 13 Milliarden Dollar gekostet haben (A.a.O., S. 31). In vier Stadien fanden je vier Spiele statt: Nunmehr stehen sie weitgehend leer.
– Beispiel 2: Fußball-WM Russland 2018. Die Kosten für die Fußball-WM 2018 in Russland stiegen von 10 Milliarden Dollar im Jahr 2010 über 20,5 Milliarden Dollar 2012 und 29 Milliarden Dollar im Frühjahr 2013. Das Sportministerium befürchtete bereits 2013, dass die WM 2018 über 44 Milliarden Dollar kosten wird (A.a.O., S. 13). Auch hier wird in vielen Stadien nach der WM ein weitgehender Leerstand erwartet.
– Beispiel 3: Katar 2022. Die Fifa schreibt inzwischen bei Fußball-Weltmeisterschaften zwölf Stadien mit jeweils mindestens 40.000 Plätzen vor; das Stadion für Eröffnung und Abschluss muss 80.000 Plätze haben. Bei der Bewerbung um die Fußball-WM 2022 boten die USA 38 komplette Stadien an und übererfüllten die Fifa-Platzvorgaben fünf Mal, ohne dass ein einziges Stadion hätte neu gebaut werden müssen. „Die Fifa hingegen wählte als Austragungsland Katar, eine Wahl, durch die zehn neue Stadion mit 45.000 Plätzen mit Klimatisierung gebaut werden müssen, wobei viele von ihnen nach der WM abgebaut und in Entwicklungsländern wieder aufgebaut werden sollen. (…) Katar soll angeblich insgesamt 200 Milliarden Dollar für die Vorbereitung und Durchführung der WM 2022 ausgeben“ (Baumann, Robert, Matheson, Victor, Infrastructure Investments and Mega-Sports Events: Comparing the Experience of Developing and Industrialized Countries, Worcester, Massachusetts August 2013, S. 9).