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IOC und Diktaturen

„Das Komitee hat eine Vorliebe dafür, Militärdiktatoren Honig ums Maul zu schmieren“, schrieb Andrew Jennings 1996 über das IOC. Nun könnte es sich dabei um eine Zufälligkeit handeln: Dem ist aber nicht so. Es gibt enge und logische Zusammenhänge zwischen dem Denken im Totalitarismus und den dem Sport zugeschriebenen Bedingungen: Wettkampf – Leistung – Gehorsam – Funktionieren – Anpassung – Regelbeachtung – Gehorsam – Elite – Dienst – Leitung – Unterordnung – Hierarchien – Konkurrenz …

Mit diesen militärischen Attributen lässt sich ein autoritäres Regime führen, aber auch eine Sportorganisation. Und Sport intoniert das Führerprinzip. Diese Primärtugenden verkörpern die elitären Sportideen des IOC. Sie wurden von Pierre de Coubertin in die Welt gesetzt und von Funktionären weiterentwickelt, die sich auf Kosten von Sportlern und Staaten ein berauschendes Leben machen.

(Das Gegenmodell zum IOC wäre zum Beispiel: Verantwortung, Respekt, Achtung, Bescheidenheit, Demut, Ehrlichkeit, sorgsamer Umgang mit Ressourcen.)

Bei Hitler zu Hause
Im Juni 1936 sagte Heinrich Mann in Paris anlässlich der Olympischen Sommerspiele 1936 in Berlin: „Glauben Sie mir, diejenigen der internationalen Sportler, die nach Berlin gehen, werden dort nichts anderes sein als Gladiatoren, Gefangene und Spaßmacher eines Diktators, der sich bereits als Herr dieser Welt fühlt“ (Cassier 14.5.2012).
So war es und so ist es bis heute.
Im Vorfeld der Olympischen Spiele 1936 in Garmisch-Partenkirchen und Berlin hatte der amerikanische Sportfunktionär, spätere IOC-Präsident und Antisemit Avery Brundage Deutschland besucht, um festzustellen, dass Juden im Dritten Reich nicht diskriminiert würden. Hohe und höchste Sportfunktionäre des Dritten Reichs sprachen mit ihm. Hohe und höchste Sportfunktionäre wie z. B. von Halt, Carl Diem, Willi Daume glitten später bruchlos und nahtlos in hohe und höchste Positionen der Sporthierarchie der Bundesrepublik.
In Italien blieben nach 1945 drei Adlige im IOC, die in Mussolinis faschistischer Partei gewesen waren.

Nähe zu autoritären Staaten und Regimen
Die Spiele wurden bis heute kritiklos an repressive Regierungen vergeben: wie zum Beispiel an Mexiko 1968 (zehn Tage vor Eröffnung der Spiele wurden 250 Studenten bei Protesten gegen Korruption und Unterschlagungen von Militär und Geheimpolizei erschossen); in die UdSSR mit Moskau 1980; in die Militärdiktatur nach Südkorea (Seoul 1988); in das kommunistische China (Peking 2008); in das undemokratische Russland (Sotschi 2014).

Im Jahr 2013 wird Moskau Gastgeber der 14. Leichtathletik-WM sein, 2015 ist es Peking. Für IAAF-Vizepräsident Sergej Bubka ist dieser Ort ideal: „Es gab keine Fragezeichen bei dieser Bewerbung: Gute Sportstätten, keine Risiken und Probleme“ (SZ 22.11.2010). Die internationalen Sportverbände haben bis heute keine Probleme mit undemokratischen Regimen, im Gegenteil: Hier stört wenigstens niemand.

Das Samaranch-IOC
Juan Antonio Samaranch hatte enge Beziehungen zum Diktator und Faschistenführer Franco. Samaranch pflegte auch gute Kontakte zu den Diktatoren Ceaucescu (Rumänien) und Schiwkow (Bulgarien), Honecker (DDR), Breschnew (UDSSR), Islam Karimow (Usbekistan), Saddam Hussein, Fidel Castro, Jelzin, Deng Xiaoping, Chun Doo Hwan und Roh Tae Woo (Südkorea) etc. Er verlieh den > Olympischen Orden an viele Regimeführer und Vertreter autoritärer Systeme.

IOC-Mitglieder
Speziell die unter Samaranch aufgenommenen IOC-Mitglieder zeichneten sich durch ihre Nähe zu Diktatoren aus – wie > Mohamad Bob Hasan (Freund des indonesischen Diktators Suharto); > Francis W. Nyangweso (ehemaliger Verteidigungsminister des Menschenschlächters Idi Amin in Uganda); > Park Yong-sung (südkoreanischer Konzernmanager, wegen Unterschlagung und Korruption zu drei Jahren auf Bewährung und umgerechnet 6,9 Millionen Euro verurteilt, der enge Verbindungen zu den südkoreanischen Diktatoren Roh und Hwan hatte); > Kim Un Yong (Agent des südkoreanischen Geheimdienstes und Sekretär des Diktators Park Chung Hee); Sergio Santander Fantini (Vertrauter des chilenischen Diktators Pinochet; verlor seinen IOC-Sitz wegen Bestechlichkeit im Salt Lake City-Skandal) – und viele mehr.

Die Herren der Ringe waren 2009 ein Konglomerat von 95 vornehmlich älteren Herren (und nur 19 Frauen) mit größtenteils engen Verbindungen zu Industrie und Wirtschaftskreisen.

In der Gegenwart fühlen sich die globalen Sportmonopolisten > IOC und > FIFA stark genug, Staaten zu erpressen und auf der Änderung von Steuergesetzen zu ihren Gunsten zu bestehen. Geld regiert die Welt, und IOC und FIFA sind wie zwei Geldmaschinen. IOC-Mitglied und FIFA-Präsident Sepp Blatter beschrieb die Machtverhältnisse im Sport so: „Wir sind mächtiger als die UNO“ (Rüttenauer 11.4.2008). Und das IOC hat monopolistisch den Weltsport erobert; es dominiert und determiniert ihn zu seinen Gunsten.

Internationale Sportverbände
Auch Internationale Sportverbände gehen nahe Verbindungen zu Diktaturen ein, die sich mit hohen Zahlungen für Sportveranstaltungen internationales Renommee erhoffen. So soll die Eishockey-Weltmeisterschaft 2014 in Weißrussland, „Europas letzter Diktatur“, stattfinden. Mitte März 2012 hat der dortige Diktator Alexander Lukaschenko zwei angebliche Attentäter hinrichten lassen.
„Selbst jetzt, nachdem das Lukaschenko-Regime zwei angebliche Attentäter hinrichten ließ, kommt vom IIHF nur der Hinweis, seine Mitglieder könnten beim nächsten Kongress „das Für und Wider“ beraten – „falls eines der Mitglieder das Thema aufgreift“. Das ist bescheiden genug formuliert, doch sollte es dazu wirklich kommen, kann es nur eine Entscheidung geben: Weißrussland die WM zu entziehen. An das Märchen, eine sportliche Großveranstaltung könne auch mithelfen, skandalöse Strukturen in einem Land nachhaltig offenzulegen oder gar zu ändern, glaubt nach den Erfahrungen rund um Olympia in Peking hoffentlich niemand mehr“ (Aumüller 20.3.2012).
Heiner Geißler äußerte zu Peking 2008, die Sommerspiele 2008 hätten nie in China hätten stattfinden dürfen: „Die Olympischen Sommerspiele 2008 in Peking waren eine ethische Katastrophe. Durch die Spiele sollte angeblich eine Liberalisierung in dem Land eintreten. Das Gegenteil war der Fall. Die Mächtigen werden durch solche Veranstaltungen international anerkannt“ (faz.net 28.12.2013). Und zu Sotschi 2014: „Das IOC hätte verhindern müssen, dass dort unter Bedingungen  der Lohnsklaverei Sportstätten gebaut werden“ (Ebenda).

Motorsport in der Bahrain-Diktatur
Das Königreich Bahrain hat eine schiitische Mehrheit, wird aber von einer sunnitischen Herrscherfamilie regiert. Im März 2011 gab es Massenproteste gegen die Unterdrückung der Schiiten mit „mehr als 40 Toten, Massenverhaftungen, Folterungen und der Entlassung von Regimekritikern“ (Formel 1 fährt in Bahrain, in SZ 14.4.2012). König Hamad bin Isa al-Khalifa konnte sich nur mit Hilfe von 1200 Soldaten aus Saudi-Arabien an der Macht halten (Zekri 12.4.2012). Seit 2004 findet im Bahrain International Circuit ein Formel-1-Rennen statt. Der Grand Prix soll trotz der aktuellen Proteste in Bahrain auch dieses Jahr dort stattfinden: Termin ist der 22. April.
Joe Stork von Human Rights Watch äußerte zum Grand Prix in Bahrain: „Für mich ist das ein schreckliches Klima, um ein festliches Sportereignis stattfinden zu lassen“ (Formel 1 fährt in Bahrain, in SZ 14.4.2012). Amnesty International verurteilte die Vorgänge in Bahrain in einem aktuellen Bericht vom April 2012 heftig. Der Generalsekretär von AI Deutschland äußerte zum Grand Prix: „Amnesty International rät der Formel 1, Bahrain weiträumig zu umfahren. 2011 ist es dort zu schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen  gekommen. Mindestens 47 Menschen, die friedlich demonstrierten, sind getötet worden… Viele Demonstranten sind heute noch in Haft. Und bis heute gibt es bei Protestaktionen immer wieder Tote und Verletzte. Eine Absage des Rennens wäre ein Signal, dass die Lage weiter besorgniserregend ist“ (Hofmann, René, „Weiträumig umfahren“, in SZ 12.4.2012).
Aber der Nahe Osten ist ein wichtiger Markt für Autohersteller und Sponsoren. Da werden die Bedenken gegenüber autoritären Regimen und Diktaturen von den Motorsport-Funktionären rasch beiseite geschoben. Originalton Eccelestone: Wir mischen uns nicht  in Politik oder Religion ein. Wir gehen dorthin“ (Brümmer 13.4.2012).
René Hofmann schrieb dazu in der SZ: „Angesichts von Tränengaswolken und Bildern von angeschossenen Kindern ist es mehr als zynisch, wenn Formel-1-Vermarkter Bernie Ecclestone behauptet, in Bahrain gehe es demokratischer zu als in manch anderen Ländern. Und alles sei ruhig und friedlich“ (Hofmann, René, Tod und Spiele, in SZ 14.4.2012).
Das ist ein weiterer Beweis für die Affinität von Internationalen Sportverbänden und autoritären Regimes und Diktaturen.
Vergleiche unter Aktuelles: Motorsport in der Bahrain-Diktatur

Motorsport: Bernie Ecclestone
Ende 2011 wurden auch die Motorsportler vom IOC aufgenommen und Mitglied der Olympischen Familie. Bernie Ecclestone,  der ehemalige Gebrauchtwagenhändler, ist Chefvermarkter der Formel 1 und dadurch Milliardär. Er hält offenbar wenig von demokratischen Gepflogenheiten und viel von Adolf Hitler. In einem Interview mit der Times äußerte er: „Wenn man sich die Demokratie ansieht, dann hat sie nicht viel Gutes für viele Länder gebracht, dieses (Großbritannien) eingeschlossen.“ Das erklärt auch Ecclestones Engagement für diktatorische Regimes in Bahrain und anderswo.
Unbestritten sei, dass Hitler „eine Menge von Leuten kommandieren“ und auf diese Weise „Dinge erledigen“ konnte. „Er wurde überredet, Dinge zu tun, von denen ich nicht weiß, ob er sie überhaupt wollte oder nicht… Am Ende hat (Hitler) sich so verirrt, dass er kein sehr guter Diktator  mehr  war. Entweder wusste er, was geschah und bestand weiter darauf, oder er ließ alles gewähren – aber in beiden Fällen war er kein Diktator“ (Alle Zitate: Koydl 6.7.2009). Der Präsident des Jüdischen Weltkongresses, Ronald Lauder, nannte Ecclestones Äußerungen „bestürzend und gefährlich“ und forderte seinen Rücktritt von der  Formel 1. Ecclestone „entschuldigte“ sich später für seine Äußerungen und brachte gleich ein weiteres Lob für Hitler: „Zwischen 1933 und 1938 hat er aus einem bankrotten Land eine ziemlich starke  Kraft in Europa gemacht“ (SZ 8.7.2009).
Zu Ecclestones rechter Gesinnung passt, dass Ecclestones enger Freund Max Mosley ein Sohn des britischen Faschistenführers Oswald Mosley (1896 – 1980) ist. Mosley organisierte 2008 eine Sexorgie mit Prostituierten in Naziuniformen. Er war von 1993 bis 2009 FIA-Präsident und verkaufte 1999 die Rechte an der Formal 1 für 100 Jahre an Ecclestone. Ecclestone bedauerte im Oktober 2011, dass die Formel 1 im Gegensatz zu Zeiten Mosleys zu demokratisch geworden sei: „Max und ich konnten anstehende Fragen und Probleme zumeist sehr schnell lösen“ (freiepresse.de 27.10.2011).

Olympische Sommerspiele 2008 in Peking
Der Generalsekretär von Amnesty International Deutschland, Wolfgang Grenz, äußerte im April 2012 bezüglich der Olympischen Spiele in Peking: „Peking hatte bei der Bewerbung versprochen: Die Spiele werden die Menschenrechtssituation verbessern. Eingetreten ist dann das Gegenteil: Für die  Olympia-Bauten gab es Zwangsräumungen. Es gab Säuberungsaktionen, bei denen Bettler und illegale Taxifahrer in Haft genommen wurden. Die Regierung stellte politisch missliebige Personen unter Hausarrest. Wir werfen dem Internationalen Olympischen Komitee vor, da eine Chance verpasst zu haben“ (Hofmann 12.4.2012).
Friedhard Teuffel nannte zwei Gründe, warum sich das IOC in autoritären Staaten wohl fühlt: „Dort wird ihm immer noch der Rote Teppich ausgerollt, und das Regime erfüllt bereitwillig alle olympischen Wünsche“ (Teuffel 25.5.2012).

Die Stories gehen weiter: Olympischer Fechter nicht mehr Präsident
Der Fecht-Olympiasieger von 1968 und 1972 und Fecht-Weltmeister 1970 und 1971, Pál Schmitt, musste am 2. April 2012 als ungarischer Präsident zurücktreten. Und das ging so:
Pál Schmitt studierte an der Karl-Marx-Wirtschaftsuniversität in Budapest, wurde 1983 Mitglied des IOC und 1990 Präsident des Olympischen Komitees; diese Funktion hat er bis heute. Bei der ungarischen Parlamentswahl erhielt er auf der Fidesz-Liste des rechtspopulistischen Viktor Orbán ein Mandat und wurde am 29.6.2012 zum ungarischen Staatspräsidenten gewählt. “Schmitt unterzeichnete in 20 Monaten ohne Widerrede mehr als 360 Gesetze” (Wikipedia). Am 11.1.2012 wurde bekannt, dass Schmitt 180 von 215 Seiten seiner 1992 eingereichten Doktorarbeit aus einer 1987 auf französisch verfassten Studie eines bulgarischen Sportwissenschaftlers kopiert hatte. Am 29.3.2012 erkannte der Senat der Budapester Semmelweis-Universität Schmitt den Doktortitel ab. Der rechte Ministerpräsident Orbán hatte noch erkärt: „Wenn er sich entschieden hat, für seine Wahrheit zu kämpfen, dann kann ihm niemand das Recht dazu nehmen“ (Präsident unter Druck, in SZ 31.3.2012; Ungarns Präsident tritt nach Plagiatsaffäre zurück, in spiegelonline 2.4.2012; Wikipedia).
Orbán schloss übrigens im Juli 2012 eine Abschaffung der Demokratie in Ungarn nicht aus und drohte, „dass wir nicht anstelle der Demokratie andere politische Systeme ausdenken müssen, die wir im Interesse des wirtschaftlichen Überlebens einzuführen haben“ (SZ 28.7.2012).

Internationale Sportverbände und Diktaturen
Nicht nur das IOC, sondern auch seine großen Internationalen Mitgliedsverbände werfen sich ohne Not und ungeniert Diktaturen an den Hals: Fußball-EM 2012 in der Ukraine, Eishockey-WM 2014 in Weißrussland, Olympische Winterspiele 2014 in Sotschi, Handball-WM 2016 in Katar, Fußball-WM 2018 in Russland, Fußball-WM 2022 in Katar usw. usw.
Der jüngste Fall ist Weißrussland, wo mit Alexander Lukaschenko der letzte Diktator Europas herrscht. Hier soll die Eishockey-WM 2014 stattfinden. Vergleiche hier.

IOC und Putin-Russland I: Sotschi 2014
Aus einem Kommentar von Hajo Seppelt zur Ukraine-Krise: „Vielmehr bereiten die Sportfunktionäre – auch jetzt bei den Paralympics – Putin wieder die weltweite Bühne, um sich als Freund der Athleten in Szene zu setzen. Gleichzeitig verbieten dieselben Funktionäre, dass Ukrainer einen Trauerflor tragen, wenn sie der Ermordeten in ihrer Heimat gedenken. Das IOC verbreitet indes allzu gern seine angeblich so humanitären Kernbotschaften von Frieden und Völkerverständigung, betont sogar seinen Beobachterstatus bei den Vereinten Nationen. Der IOC-Präsident schweigt aber, wenn der Olympia- und Paralympics-Gastgeber mit der Annexion der Krim einen – nicht nur nach westlicher Lesart – eindeutigen Bruch des Völkerrechts androht. Putin hält auf der Bühne des Sports mit spöttischem Blick die Welt zum Narren. Und das IOC schaut zu. Es hat auf dem Basar politischen und ökonomischen Kalküls seine Seele schon lange verkauft. Und Thomas Bach, der deutsche IOC-Präsident, ist der personifizierte Ausdruck dieser Haltungslosigkeit“ (Seppelt, Hajo, Liebesgrüße aus Moskau, in deutschlandfunk.de 9.3.2014).

Aus einem Kommentar von Evi Simeoni in der FAZ: „Das Gewicht der politischen Ereignisse lastet schwer auf den Paralympics in Sotschi. Es wird den Sportlern und ihren Delegationen unmöglich sein, die Tatsache zu überspielen, dass sie zu Gast beim Völkerrechts-Brecher Wladimir Putin sind. Dass sie laufen, springen und Schlitten fahren, während ein paar hundert Kilometer weiter die Lunte an einem Pulverfass brennt. Und dass derjenige, der sie entzündet hat, sie als Komparsen für seine persönliche Propaganda-Show eingekauft hat. Die Verantwortlichen für dieses Desaster, die Mitglieder des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), sollten sich selbstkritisch ansehen, was sie da angerichtet haben. (…) In Sotschi offenbart sich nicht zum ersten Mal das Versagen der Verantwortlichen in diesem Punkt: Dass unter dem Deckmantel der politischen Neutralität und der pädagogischen Wertevermittlung jeder Zahlende eine Bühne für seine Selbstdarstellung geliefert bekommt. Die Weltverbesserungs-Attitüde ist ad absurdum geführt“ (Simeoni, Evi, Olympische Havarie, in faz.net 7.3.2014).

IOC und Putin-Russland (II): Gastgeberland überfällt Gast
Der ukrainische IPC-Präsident Waleri Suskowitsch kritisierte am Ende der Paralympics Putin-Russland: „Niemals zuvor in der Geschichte der paralympischen Bewegung hat eine Gastgeber-Nation zur gleichen Zeit eine Aggression oder eine Intervention ausgeübt gegen ein anderes Land, das an den Paralympics teilnimmt“ (Russlands Behinderte hoffen auf Wandel, in ard.br.de 16.3.2014).

IOC und Putin-Russland (III): Milliarden-Investitionen für Putin
Kreml-Kritiker Alexej Nawalny: „Ausländische Kritik hin oder her: Die Wettkämpfe waren milliardenteure Propaganda und haben Putin geholfen“ (Ebenda).

IOC und Putin-Russland (IV): Gleich und gleich gesellt sich gern
Bach hat Wladimir Putin am 17.3.2014, einem Tag nach der russischen Einverleibung der Krim-Halbinsel, zu einem Besuch der IOC-Zentrale und des Olympischen Museums in Lausanne eingeladen (SID, IOC-Präsident Bach lädt Putin nach Lausanne ein, in zeitonline 20.3.2014). Bundestags-Vizepräsidentin Claudia Roth (Bündnis 90/Die Grünen) kritisierte, dass Bachs „Kumpanei“ mit Putin offenbar keine Grenzen kenne: „Wohlfeil und verlogen offenbart sich hier Bachs stets hochgehaltene Behauptung von der angeblichen Politikferne des Sports“ (Bach lädt Putin ein, in SZ 22.3.2014). Das IOC habe das Ziel, durch Sport zu einer friedlichen und gerechten Welt beizutragen. „Sein Präsident übt stattdessen lieber den Schulterschluss mit Diktatoren“ (Ebenda).
Ob Putin wohl noch ein Visum für die Schweiz bekommt?

Achtung IOC, Fifa, Ecclestone: Turkmenistan nicht vergessen! „Turkmenistan ist reich an Bodenschätzen wie Öl und Gas, aber arm an internationaler Bedeutung. Das zu ändern lässt sich der zentralasiatische Wüstenstaat sehr viel kosten: Für sechs Milliarden Dollar entsteht in der Hauptstadt Aschgabat ein Sportkomplex der Superlative. Rund um ein bereits existierendes Stadion mit 35 000 Plätzen werden auf 157 Hektar zahlreiche Arenen hochgezogen, darunter ein Wassersportzentrum, eine Tennisanlage, Fußballplätze, zwei Allzweckhallen, ein Medienzentrum, ein Luxushotel und ein Athletendorf für 12 000 Sportler. Das Baumaterial wird vor allem aus Europa herangeschafft, Lastwagen haben dafür bislang eine Gesamtstrecke von mehr als 40 Millionen Kilometern zurückgelegt. 2017 trägt Turkmenistan die Asian Indoor and Martial Arts Games aus, das erste Sport-Großereignis in der Geschichte des seit 1991 eigenständigen Landes. Weitere sollen folgen. Wie groß Turkmenistans Ambitionen sind, verdeutlicht der Name des Projekts: Ashgabat Olympic Complex. (…) In Turkmenistan herrscht Präsident Gurbanguly Berdymuchammedow autoritär, Menschenrechte werden systematisch missachtet, die Massenmedien unterliegen der Zensur“ (Asiens Ambitionen, in Der Spiegel 14/31.3.2014; Hervorhebung WZ).

Stefan Grass vom Olympiakritischen Komitee Graubünden: „Ob die WM in Brasilien, Putins Spiele in Sotschi, Fussball in Katars Wüstenhitze, die vergangenen Olympiaden in Peking, Athen, Vancouver und Turin mit den verrottenden Ruinen an Wettkampfstätten, bankrotten Hotels und überdimensionierten Verkehrsinfrastrukturen – sie bleiben in der Kritik. Überall gibt es zunehmend Widerstände aus der betroffenen Bevölkerung gegen die drei grössten Sportevents auf der Welt: 1. Olympische Sommerspiele, 2. Fussball-Weltmeisterschaften, 3. Olympische Winterspiele (OWS). Das IOC* und die FIFA* verkaufen die emotionalen, internationalen Sportevents an die zwangsläufig interessierten Fernsehanstalten für Milliarden an Dollar. Dank den Urheberrechten und darauf abgestützt durch die Exklusivwerbung bezahlen Grosssponsoren für die weltweite TV-Präsenz dem IOC oder der FIFA weitere Milliarden. Wenn es um soviel Geld geht, bleibt alles andere auf der Strecke: der olympische Geist, der unpolitische Sport, die dopingfreien Wettkämpfe, die Förderung des Breitensports, die Entschädigung für Enteignete, die Löhne für die Arbeiter, der Umweltschutz und die nachhaltige Entwicklung. (…) Die Analysen von investigativen Journalisten zeigen deutlich: Sportgroßveranstaltungen können nur noch in Ländern vergeben werden in denen Regierungseliten, auch wenn demokratisch gewählt, keine Volksabstimmungen durchführen, wie in Sotschi, Peking, Pyeongchang, Katar und Brasilien. Der Deal ist eine Win-win-Situation einzig für die amtierenden Autokraten, die eine Show für ihre Macht veranstalten wollen und für das IOC, FIFA und seine Sponsoren, die neue Märkte erschliessen können. Es zeigt sich vor allem in Europa, wenn das Volk die Wahl hat zwischen Sportbegeisterung oder Zahlen der Zeche mit jahrelangen Schuldenlasten, fällt die Entscheidung gegen die Knebelung durch die Verträge des IOC. Die Volksseele versteht es wie in Brasilien, dass der Sport-Gigaevent nur dem Renommee der Regierung dient, IOC oder FIFA absahnen und vor allem das Geld im eigenen Land für Bildung, Gesundheit und Soziales fehlt“ (Grass, Stefan, Spiele für Diktatoren?  in Magazin Solidarität 2/2014; zum Artikel hier).

 

Vergleiche auch zu Kasachstan: Almaty 2022

Quellen:
Absage möglich, in SZ 20.3.2012
Aumüller, Johannes, An der Seite der Diktatoren, in SZ 20.3.2012
Aumüller, Johannes, Neudecker, Michael, Schweigen statt diskutieren, in SZ 19.5.2012
Brümmer, Elmar, „Wir gehen dorthin“, in SZ 13.4.2012
Cassier, Philip, Ein Amerikaner verhinderte Olympia-Boykott 1936, in welt.de 14.5.2012
„Charta wird mit Füßen getreten“, in faz.net 28.12.2013
Ecclestone bedauert: Formel 1 zu demokratisch, in www.freiepresse.de 27.10.2011
Ecclestone entschuldigt sich, in SZ 8.7.2009
Formel 1 fährt in Bahrain, in SZ 14.4.2012
Hofmann, René
– „Weiträumig umfahren“, Interview mit AI-Chef Wolfgang Grenz, in SZ 12.4.2012
– Tod und Spiele, in SZ 14.4.2012
– Schneller, höher, kritischer, in SZ 23.4.2012
Jennings, Andrew, Das Olympia-Kartell, Reinbek 1996
Kistner, Thomas/Weinreich, Jens, Der olympische Sumpf – Die Machenschaften des IOC, München 2000
Koydl, Wolfgang, Immer Ärger mit Bernie, in SZ 6.7.2009
Orbán will Wahlrecht ändern, in SZ 28.7.2012
Präsident unter Druck, in SZ 31.3.2012
Rückkehr nach Peking, in SZ 22.11.2010
Rüttenauer, Andreas, Es geht ums Geschäft, in taz.de 11.4.2008
Simson, Vyv/Jennings, Andrew, Geld, Moral und Doping – Das Ende der olympischen Idee, München 1992
Teuffel, Friedhard, Wo Olympia sich wohl fühlt, in tagesspiegel.de 25.5.2012
Ungarns Präsident tritt nach Plagiatsaffäre zurück, in spiegelonline 2.4.2012
Weinreich, Jens, Schach mit dem Präsidenten, in sueddeutsche.de 5.11.2009
Wikipedia
www.olympic.org
Zekri, Sonja, Hunger nach Freiheit, in SZ 12.4.2012