Was ein Gaskonzern und Sport, Oligarchen und Putin miteinander zu tun haben. Gazprom-Chronik (1) bis 31.12.2012: hier; Gazprom-Chronik (2) 1/2013 – 8/2014: hier; Gazprom-Chronik (3) 9-10/2014: hier; Gazprom-Chronik (4) 11/2014 – 12/2015: hier; Gazprom-Chronik (V): ab 2016 (9.1.2016)
Exkurse: Die Silowiki; Itera und Igor Makarow; Datschenkooperative Osero; Greathill; Die St.-Petersburg-Connection; Medienholding Media-Most; Igor Bakai; Dmytro Firtasch; Eural Trans Gas (ETG); RosUkrEnergo; Russisch-Ukrainischer Gasstreit; Nord Stream und Gerhard Schröder; Matthias Warnig; Gazprom Germania; TNK-BP; Emfesz; Nord Stream; Der Gazprom-Wolkenkratzer; Gazpromi Beckenbauer, Fernsehsender Doschd und GazpromMedia; Arctic Sunrise
Intro
Diese – natürlich unvollständige – Chronologie des russischen Gaskonzerns ist aus mehreren sportpolitischen Gründen, aber auch geopolitischen Gründen auf der Nolympia-Webseite sinnvoll und wichtig.
1) Gazprom hat aus Gründen der Imagepflege einen wachsenden Einflusses als Sport-Sponsor und Miteigentümer zahlreicher Sportvereine und –verbände wie FC Schalke 04, Zenit St. Petersburg, Roter Stern Belgrad. Außerdem ist Gazprom seit 2012 offizieller Partner der Uefa Champions League und seit 2013 offizieller Fifa-Partner für die Periode 2015 bis 2018 bis zur WM 2018 in Russland. Einer Bewerbung von St. Petersburg um die Olympischen Sommerspiele 2024 gilt als wahrscheinlich.
2) Dazu kommt das internationale und nationale Engagement der russischen Regierung bei Sport-Großereignissen wie zum Beispiel: Leichtathletik-WM 2013 in Moskau; Olympische Winterspiele 2014 inSotschi/Russland; Formel-1-Rennen 2014 inSotschi/Russland; Judo-WM 2014 in Tscheljabinsk/Russland; Fecht-WM2014 in Kasan/Russland; Schwimm-WM 2015 in Kasan/Russland; Eishockey-WM 2016inMoskau/St. Petersburg/Russland; Fußball-WM 2018inRussland. (Vgl. auch Gazprom; Der Sport ist politisch; Sport-Oligarchen)
3) Der russische Präsident Wladimir Putin besetzte in den letzten Jahren zahlreiche nationale und internationale Positionen von Sportfunktionären mit russischen Vertrauten. Russland hat vier Mitglieder im IOC (Witalji Smirnow, Schamil Tarpischtschew, Alexander Schukow, Alexander Popow). Um nur einige der russischen Oligarchen mit Sportfunktionen zu nennen:
Igor Makarow (Mitglied im Weltradsportverband UCI); Roman Abramowitsch (FC Chelsea), Dmitri Rybolowlew (AS Monaco), Alischer BurchanowitschUsmanow (Präsident des Internationalen Fechtverbandes FIE); Wladimir Lisin (Vorsitzender des Europäischen Schützenverbandes); Witalji Mutko (Russlands Sportminister, seit 2009 Mitglied im Fifa-Exekutivkomitee), etc.(Vgl. hierzu im Kritischen Olympischen Lexikon zur Involvierung mit dem Sport: Gazprom; Putin, Wladimir, Putin-Russland; Sport-Oligarchen.)
Aber auch zum Verständnis der derzeitigen geopolitischen Entwicklung ist der historische Hintergrund der Gazprom-Chronik hilfreich. Die Machtstellung von Gazprom, des größten Gaskonzerns und einer der größten Erdölkonzerne der Welt, betrifft Europa, Vorderasien – und seit Mai 2014 auch China als neuen Abnehmer. Hinzu kommt der „Gaskrieg“ mit der Ukraine und die damit bis zum Jahr 2014 dauernden kriegsähnlichen Konflikte. Und nicht zuletzt spielt die Klimaerwärmung eine wichtige Rolle: So war im April 2014 erstmals dauerhaft der CO2-Wert in der Atmosphäre über der Marke von 400 ppm gestiegen (spiegelonline 26.5.2014; zur Keeling-Kurve hier). Viele Details konnten hier nicht aufgeführt werden. Einer wichtige Quelle ist das Buch von Jürgen Roth: Gazprom -. Das unheimliche Imperium (Frankfurt 2012; Seitenzahlen hier in Klammern). Dazu kommen zahlreiche am Schluss aufgeführte Quellen sowie Fundstücke von der Nolympia-Webseite.
Und in eigener Sache: Mein Mitgefühl gilt der Bevölkerung Russlands und der Ukraine, die in unterschiedlicher und doch gleicher Weise unter der Ausplünderung leiden.
Und: Auch wenn man Putin-Russland und die dortige Oligarchen-Welt kritisiert, muss deswegen noch kein Freund der US-Politik und der US-Oligarchen, des US-Drohnenkriegs und der NSA-Überwachung sein.
Gazprom heute
Gazprom ist einer der mächtigsten Energiekonzerne der Welt mit Erdgas- und Ölförderung. Der Gaskonzern beschäftigt über 400.000 Mitarbeiter und macht einen Umsatz von über 130 Milliarden Euro: Der Gewinn liegt bei rund 25 Prozent. Gazprom ist auch Mitbesitzer von Banken, Investmentgesellschaften, Fluggesellschaften, Versicherungen, Bauunternehmen, und Medien. Für Übernahmen hat Gazprom nach Schätzungen zwischen 2001 und 2007 über 40 Milliarden Dollar ausgegeben (Roth S. 8; Wikipedia). Der Kreml dominiert über die Gazprom-Tochter Gazprom-Media die fünf wichtigsten Fernsehsender und zwei Drittel aller russischen Medien (Roth S. 12). – „Schließlich sind sie nicht mehr als das Sprachrohr des Kreml“ (Roth S. 13).
Vorgeschichte
– Der Beginn der Gaslieferungen: „Die Sowjetunion lieferte ab dem Jahr 1973 eine halbe Milliarde Kubikmeter Erdas jährlich an die Bundesrepublik, ab 1978 dann drei Milliarden Kubikmeter Erdgas. Im Gegenzug lieferte Mannesmann 1,2 Millionen Tonnen Großrohre an die UdSSR, die damit ihre Gaspipelines ausbaute. Die großen deutschen Banken gewährten der Sowjetunion einen zinsgünstigen Kredit über 1,2 Milliarden Deutsche Mark“ (Pörzgen S. 67). – „Daraus entwickelte sich Deutschlands größtes Erdgasimport- und -Verteilungsunternehmen mit einer quasi monopolartigen Stellung, die durch den Abschluss der deutsch-sowjetischen Verträge 1973 noch wuchs. Bei dem Geschäft, das die Errichtung einer Erdgaspipeline von Sibirien bis nach Deutschland vorsah, lieferte die Mannesmann AG finanziert von der Deutschen Bank nahtlose Rohre, die zum Bau der Pipeline benötigt wurden. Im Gegenzug belieferte die heutige Gazprom die Ruhrgas mit Erdgas. Aus dem über Jahrzehnte bis zum Jahr 2000 fixierten Erlös tilgte die sowjetische Seite den Kredit bei der Deutschen Bank“ (Wikipedia.org).
– „Unsichtbare Parteiwirtschaft“. Schon früh dachte das Zentralkomitee der KPdSU über notwendige Maßnahmen nach dem Ende der UdSSR nach. Roth zitiert aus einem KPdSU-Dokument: „Auszuarbeiten sind Vorschläge für die Schaffung neuer ‚vermittelnder’ Wirtschaftsstrukturen (Fonds, Assoziationen…), die bei minimal ‚sichtbaren’ Verbindungen zum ZK der KPdSU zu Zentren der Herrschaft einer ‚unsichtbaren’ Parteiwirtschaft werden können“ (Roth S. 137. Quelle: Bernd Knabe, Die System-Mafia als Faktor der sowjetisch-russischen Transformation, Köln 1998). Ein wichtiger Baustein sollte der Gazprom-Konzern werden, der zu Zeiten der UdSSR ein „Arbeitsbereich des Ministeriums für Gasförder- und Gastransportindustrie“ war (Roth S. 7).
Ein Insider beschrieb die Aufteilung nach dem Ende der UdSSR so: „Banken und Wirtschaftssteuerung haben die Nachrichtendienste übernommen, die Partei die Administration und die Armee die Schwerindustrie. Die Mafiaorganisationen werden in allen Bereichen für die nötige Ruhe und Stabilisierung sorgen“ (Roth S. 138).
Exkurs: Die Silowiki
„An den Schalthebeln des Putin-Systems – und damit auch bei der Gazprom – sitzen ungewöhnlich viele ehemalige Kader des Militärs und des KGB beziehungsweise des heutigen FSB. Diese Kader der sowjetischen Sicherheitsstrukturen werden (…) Silowiki genannt. Auf sie stützt sich die Herrschaft Putins. (…) Die Silowiki beherrschten die feine wie die grobe Diplomatie (…) So viel hat sich da bis heute nicht geändert“ (Roth S. 147).
Roth fand in der Gazprom-Führungsriege über ein Dutzend KGB-Veteranen, z.B.: „Valery Golubew, Gazproms stellvertretender Vorsitzender; Konstantin Tschuitschenko, der Leiter der Gazprom-Rechtsabteilung und Geschäftsführer von RosUkrEnergo; Sergej Uschakow, stellvertretender Leiter des Gazprom-Verwaltungsausschusses, Jury Schamalow, Leiter von Gazflot; Jewgeni Plyusnin, der seit 2009 Chef der Gazprom-Sicherheitsabteilung und in Personalunion Leiter der Unternehmenskommunikation ist“ (Roth S. 150). Luke Harding nennt im Guardian noch Igor Setschin, Nikolai Patruschew (Chef des Inlandgeheimdienstes FSB 1999 – 2008), seinen Nachfolger Alexander Bortnischew und Viktor Iwanov, einer von Putins engsten Verbündeten (Harding 21.12.2007).
Zu den Silowiki gehören inzwischen auch der Nachwuchs der Putin-Günstlinge, vor allem in den russischen Bankhäusern (Roth S. 121). Söhne und Töchter „nahmen erst dann Managementfunktionen ein, nachdem die Väter sich durch wenigstens einen Amtswechsel innerhalb des Systems Putin als dessen treue Begleiter erwiesen hatten“ (Roth S. 122). Putin-Kritiker Alexej Nawalny: „Die Verantwortlichen dieser Firmen werden über ihre Kinder das Vermögen aus den Staatsbetrieben für sich generieren“ (Roth S. 122). Ähnlich wurden und werden die Posten im großen Gazprom-Konzern-Geflecht verschoben.
1989:
Das Gasministerium wurde 1989 nach dem Ende der UdSSR in das Staatsunternehmen Gazprom umgewandelt „und hatte sofort das Monopol auf 95 Prozent der gesamten sowjetischen Gasförderung“ (Roth S. 7).
Wiktor Tschernomyrdin wurde der erste Vorstandsvorsitzende von Gazprom (Roth S. 33). Tschernomyrdin „liefert ein hervorragendes Beispiel dafür, was den Diebstahl von Staatseigentum angeht“ (Roth S. 35). Er hat in Österreich Scheinfirmen installiert, „über die er einen Teil seines Vermögens bei Gazprom abgezweigt haben soll. Es soll sich um circa 600 Millionen Euro handeln. Vorgeworfen wurden ihm zudem, dass hohe Summen über Gazprom an ihn und an Firmen, die von seinen Kindern kontrolliert würden, geflossen seien. Die Rede ist von fünf Milliarden US-Dollar. (…) Da ist es kein Zufall, dass ein großer Teil der Bauvorhaben von Gazprom über die Stroitransgas realisiert werden, einer Firma, die vom Tschernomyrdin-Klan beherrscht wurde“ (Roth S. 36).
Das System lief und läuft so: „Gazprom liefert das Erdgas zu sehr niedrigen russischen Preisen an private Handelsfirmen, die im Besitz des Managements oder von befreundeten Unternehmern waren. Diese Handelsfirmen wiederum verkauften das Erdgas mit sehr hohen Profiten zu Weltmarktpreisen. Die Erlöse landeten auf ausländischen Konten, insbesondere in Zypern, Österreich, Liechtenstein und der Schweiz“ (Roth S. 38).
1990:
– Gazprom gründete mit Gazexport und Lukoil die Imperialbank (Roth S. 137).
– Gazprom gründet mit Wintershall die Beteiligungsgesellschaften Wintershall Erdgas Handelshaus GmbH und Vorläufergesellschaften der Wingas GmbH (www.gazprom-germania.de): Damit bekam Gazprom einen direkten Zugang zum deutschen Markt.
17.2.1992: Der Staatskonzern Gazprom wurde eine private Aktiengesellschaft: Der russische Staat hielt zunächst 41 Prozent (Roth S. 7f; S. 37). Tschernomyrdin war zwischen 1992 und 1998 unter Boris Jelzin russischer Ministerpräsident. „Seine wichtigste Rolle bestand unter anderem darin, dass der Gasriese minimale Steuern bezahlte“ (Roth S. 37). Sein Nachfolger als Gazprom-Chef wurde Rem Wjachirew (Roth S. 37).
Nachdem Tschernomyrdin 1992 aus dem Amt des Ministerpräsidenten ausgeschieden war, kehrte er als Aufsichtsratsvorsitzender zu Gazprom zurück; 2001 wurde er Botschafter in der Ukraine (Roth S. 37). Der ehemalige russische Finanzminister Boris Fjodorow äußerte, Tschernomyrdin hätte illegal während der Privatisierung von Gazprom große Anteile des Konzerns erhalten: Fjodorow „bezeichnete die Privatisierung von Gazprom als den größten Raubzug der Geschichte“ (Roth S. 38).
Tochter und Sohn von Gazprom-Chef Rem Wjachirew erhielten für einen symbolischen Betrag von wenigen Dollar eine Firma, die Gazprom mit Industrieanlagen belieferte (Roth S. 39). „In anderen Fällen wurde den Kindern der Topmanager eine Tarnfirma übertragen, die ein Zehntel des Gasexports nach Ungarn kontrollierte“ (Ebenda).
Wjachirew unterstützte bei der Präsidentenwahl im Jahr 2000 den falschen Kandidaten, nämlich den Moskauer Oberbürgermeister Juri Luschkow – und nicht Wladimir Putin. „Er verlor den Job als Vorstandsvorsitzender und sein Sohn den Posten bei der Tochtergesellschaft Gazexport“ (Roth S. 39). Nachfolger Wjachirews wurde – bis zum heutigen Tag – Alexei Miller, der vier Jahre unter Putin in St. Petersburg gearbeitet hatte (Roth S. 40). Miller war „1996 Chef der Seehäfen, 1999 Generaldirektor der Baltische Pipeline Systeme, 2000 Vizeminister für Energie, 2001 Gazprom-Vorstandschef“ (Mihm 21.4.2006; Balser 25.6.2014a).
Exkurs: Itera und Igor Makarow
Makarow war Broker für Gazprom und „endete als Hauptexporteur von turkmenischem Gas in die Ukraine und nach Europa, ein Milliardengeschäft“ (S. 51). Makarow, Mitglied im inneren Zirkel von Wladimir Putin und ehemaliger Radsportler, ist heute Präsident des Russischen Radsportverbandes und Eigentümer des Doping-berüchtigten Katjuscha-Teams mit dem Sponsor Gazprom (Wikipedia); er war auch Unterstützer des Briten Brian Cookson bei dessen Wahl zum UCI-Präsidenten im September 2013. 1992 gründete Makarow das Unternehmen Itera International Energy: „Finanziert wurde Itera mit einem Kredit von Gazprom in Höhe von 427 Millionen US-Dollar. Gleichzeitig lieferte ihm Gazprom Erdgas unter dem Selbstkostenpreis“ (Roth S. 51f). Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC stellte fest, „dass Gazprom einen Anteil von 32 Prozent der Gazprom-Tochtergesellschaft Purgas an Itera verkauft hatte, und zwar für sage und schreibe 1200 Dollar. Der tatsächliche Marktwert, errechnete PwC, hätte jedoch 400 Millionen Euro betragen“ (Roth S. 52). Im unter Verschluss gehaltenen Prüfbericht von PwC aus dem Jahr 2002 stand auch: „Seltsam war zudem, dass Gazprom Itera mit weiteren 616 Millionen Kreditgarantien, Darlehen und anderen Dienstleistungen unterstützte“ (Roth S. 52). Makarow stieg mit Itera massiv in den Ölhandel ein und „wird im Kreml geradezu hofiert“ (Roth S. 52).
1995:
Der Amerikaner William Browder war Hedgefonds-Manager und wurde Mitglied im Gazprom-Aufsichtsrat. Bald fiel ihm Merkwürdiges auf. „Während der Gaspreis in Russland bei 21 US-Dollar pro tausend Kubikmeter lag und das Gas nach Deutschland für 103 Dollar verkauft wurde, mussten die Verbraucher in Deutschland dafür insgesamt 352 Dollar bezahlen. Eine Preissteigerung von 242 Prozent“ (Roth S. 43).
Die vom Tschernomyrdin-Clan beherrschte Firma Stroitransgas bezahlt für einen Gazprom-Anteil von 4,83 Prozent gerade einmal 2,5 Millionen Dollar – der damalige Marktwert betrug 191 Millionen Dollar (S. 43). Stroitransgas wurde 2002 von einem Gericht verurteilt, diese Anteile für 2,5 Millionen Dollar an Gazprom zurückzugeben: Nun zahlte Gazprom für die 4,83 Prozent plötzlich 144 Millionen Dollar. „Und Browder wunderte sich noch mehr, als er herausfand, dass Stroitransgas von Gazprom dafür bezahlt wurde, Geschäfte mit der eigenen Tochtergesellschaft zu tätigen“ (Roth S. 43). Browder übte auch Kritik am Gaszwischenhändler Itera: „Gazprom war ein armes Unternehmen, nur weil es Itera reich machte“ (S. 43)
Browder forderte schließlich von Gazprom radikale Änderungen: Deshalb musste er 2005 Russland verlassen und verlor alle Vermögenswerte; sein Anwalt Sergei Magnitski starb laut der Moskauer Menschenrechtsorganisation Helsinki-Gruppe bei einer Folter durch Beamte des Innenministeriums (Roth S. 47). Die US-Regierung verhängte im Juli 2011 gegen über sechzig in den Browder-Skandal verwickelte Personen ein Einreiseverbot, worauf vom Kreml im Gegenzug elf amerikanische Beamte im Oktober 2011 zu unerwünschten Personen erklärt wurden (Roth S. 50f).
Tim Neshitov behandelte ausführlich das Thema Magnitski unter dem Titel: Der Kreml, 230 Millionen Dollar und der Unbestechliche (SZ-Magazin 6.2.2015): Er referierte dort über das Buch von William Browder: Red Notice. Wie ich Putins Staatsfeind Nr. 1 wurde. Browder versuchte zusammen mit Magnitski, gegen Korruption und Oligarchentum anzugehen „Seinen wichtigsten Sieg errang Browder über den Energiemonopolisten Gazprom. Als Putin den korrupten Gazprom-Chef feuerte, schoss die Gazprom-Aktie an einem einzigen Tag um 134 Prozent in die Höhe. Bald kostete sie bereits das 100-fache von dem Preis, den Hermitage einst dafür bezahlt hatte. (…) ‚Der Vorteil an Putin war‘, sagt Browder: ‚Als ehemaliger KGB-Agent hatte er keine Vergangenheit. Jeder durfte sich seinen Putin zusammenwünschen. Auch ich blendete viel aus, den Krieg in Tschetschenien etwa.‘ Browder bekam erst Zweifel, als ein anderer Oligarch, den er gern hinter Gittern gesehen hätte, Roman Abramowitsch, von Gazprom 13 Milliarden Dollar für eine Ölfirma kassierte, die er sich unter dubiosen Umständen angeeignet hatte. ‚Ich sah, dass Putin nicht dabei war, eine korrupte Oligarchie zu beseitigen. Er baute seine eigene auf‘“ (Ebenda; Hervorhebung WZ).
1996:
Gazprom hatte 1990 mit dem Ölförderer Lukoil die Imperialbank gegründet. „Nach Konflikten mit Lukoil entschloss sich Gazprom 1996, eine eigene Bankengruppe zu schaffen. Die Konzernfinanzen wurden seitdem von der Gazprombank und der National Reserve Bank (NRB) abgewickelt“ (Roth S. 137).
Mai 1996:
Pawlo Lasarenko wurde Ministerpräsident in der Ukraine. Nach schweren Korruptionsvorwürfen muss er im Juli 1997 zurücktreten. Er soll „bei einem Geschäft mit dem Energieversorger ‚Vereinigte Energiesysteme’ 260 Millionen Doller in die eigene Tasche gewirtschaftet haben“ (Hartmann 3.7.1997). Im November 2000 erhielt die Ukraine 13,4 Millionen DM von einem Lasarenko-Konto in der Schweiz zurück. Im Februar 1999 wurde Lasarenko in den USA verhaftet und im Juni 2003 gegen eine Kaution von 65 Millionen US-Dollar aus der Haft entlassen; wegen Erpressung und Geldwäsche wurde er 2006 zu neun Jahren Haft und zu zehn Millionen Dollar Geldstrafe verurteilt (Wikipedia). In der Anklageschrift stand: „Lasarenko und seinen Partnern gelang es, Hunderte Millionen Dollar durch Betrug, Erpressung, Bestechung und Unterschlagung … für die Verteilung von Gasimporten erhalten zu haben“ (Follath, Schepp 12.5.2014).
Exkurs: Datschenkooperative Osero
Am 10.11.1996 wurde eine Kooperative von Datschen namens „Osero“ (der See) in der Nähe von St. Petersburg eingetragen. Laut Jürgen Roth wurden die Mitglieder von „Osero“ von der Mafiaorganisation Tambowskaja geschützt: „Wer Mitglied der Kooperative Osero war, die von der Tambowskaja geschützt wurde, der brachte es später zu großem Einfluss und Reichtum“ (Roth S. 201). Nach Boris Nemtsow „stiegen diese Freunde von durchschnittlichen Unternehmern zu Dollarmilliardären auf“ (Roth S. 201).
Vorsitzender war
– Wladimir Smirnov, Vorstandsvorsitzender der Petersburg Fuel Company zwischen 1997 und 1998, Generaldirektor der Tekhsnabexport (Tenex), Export von Nukleartechnologie mit 35 bis 50 Prozent Weltmarktanteil; Berater von Rosatom (Wikipedia.org)
Mitglieder waren:
– Wladimir Putin, 2000 – 2008 und ab 2012 russischer Ministerpräsident; 2008 – 2012 Premierminister
– Wladimir Jakunin: „Jakunins Karriere hat wie die Putins beim sowjetischen Geheimdienst KGB begonnen“ (Veser 20.3.2014). Er wurde stellvertretender Verkehrsminister 2000, Präsident der Russischen Eisenbahnen 2005. Er war verantwortlich für die Zerstörung des Mzymta-Tals durch den Bau von Autobahn und Eisenbahn für Sotschi 2014. Jakunin musste sich 2014 Geld aus dem Russischen Staatshaushalt leihen. Er hat ein großes Anwesen im Moskauer Umland: “Auf einem komplexen Schaubild, das eine ganze Großleinwand füllt, hat der Anti-Korruptions-Blogger Alexej Nawalny dargestellt, wie Jakunin Geld aus russischen Staatsaufträgen über ein Gewirr von Off-Shore-Firmen ins Ausland transferieren soll” (Hans 22.3.2014. Jakunins Sohn hat in London eine 15-Millionen-Dollar-Villa). Seit April 2014 steht Jakunin auf der Sanktionsliste der USA.
– Andrei Fursenko, von 2004 bis 2012 Minister für Erziehung und Wissenschaft; seit April 2014 auf der Sanktionsliste der US-Regierung (Veser 20.3.2014).
– Sergey Fursenko,Generaldirektor von Lentransgaz, dann von Gazprom Transgaz St. Petersburg, Vorstandsvorsitzender Rossija-Medienholding NMG (Roth S. 201), Vorsitzender des russischen Fußballverbandes 2010 – 2012, Präsident des Fußballklubs Zenit St. Petersburg
– Viktor Myachgin war Direktor der Rossjia Bank von 1995 bis 1998 und von 1999 – 2004.
– Yury Kowaltschuk, laut Forbes-Liste 2008 mit einem geschätzten Vermögen von 1,9 Milliarden US-Dollar Nummer 53 der reichsten Russen; Vorstandsvorsitzender der Rossija Bank. Diese soll eine Bank des russischen Geheimdienstes KGB und der KPdSU gewesen sein mit Sitz in St. Petersburg. Sie „wurde von privaten Investoren um Wladimir Putin aufgekauft und ausgebaut“ (wikipedia.org). Kowaltschuk ist seit April 2014 auf der Sanktionsliste der USA. Die US-Regierung hat am 20.3.2014 auch das US-Vermögen der Rossija Bank eingefroren (Hans 22.3.2014; Wikipedia).
– Putin erklärte daraufhin, er werde bei der ihm angeblich unbekannten Bank ein Konto eröffnen: “Sie gilt als persönliche Bank des Präsidenten und hoher Beamter” (Hans SZ 24.3.2014). – “Sie ist mehrheitlich im Besitz von Personen, die zum Umfeld des russischen Präsidenten gehören. (…) Die Rede ist dabei nicht von dem Vermögen, das aus dem Gehalt Putins aus seiner Tätigkeit als Präsident oder Regierungschef angefallen ist, sondern von großen Geldströmen, die aus Staatsaufträgen wie etwa dem überteuerten Olympia-Projekt in Sotschi abgezweigt wurden” (Hans 22.3.2014).
– Eigentumsverhältnisse der Rossija-Bank: 30,4 Prozent Jury Kowaltschuk, 12,6 Prozent Nikolai Schamalow: über die restlichen 57 Prozent macht Wikipedia keine Angaben. Die Rossija-Bank hält u. a. 51 Prozent an Sogaz, dem Versicherungskonzern für die Gasindustrie (Roth S. 201). – „Sogaz ist heute das Versicherungsunternehmen in der russischen Gasindustrie. Sie versichert unter anderem die Pipelineprojekte South Stream, Nord Stream und Blue Stream“ (Roth S. 207). – „Sogaz wiederum kontrolliert die Gesellschaft Lider, die das Vermögen des Gazprom-Pensionsfonds Gazfond verwaltet. Gazfond ist größter Aktionär der Gazprom-Bank. Die Bank Rossija kontrolliert auch ein wichtiges Medienunternehmen und hält 50 Prozent an den Aktien des viertgrößten Mobilfunkkonzerns in Russland“ (Hosp 22.3.2014).
– Nikolai Schamalow hält 12,6 Prozent an der Rossija-Bank (siehe auch oben). Er war auch beteiligt am „Palazzo Putin“.
Exkurs: Palazzo Putin
(Dieser Palastbau hat nicht direkt mit Gazprom, jedoch mit engen Bekannten von Putin aus der Osero-Zeit zu tun und wirft ein bezeichnendes Licht auf den Umgang mit Geldern des russischen Staates.)
„Schamalow, ein gelernter Zahnarzt, war zwischen 2001 und 2008 Repräsentant der Siemens AG für die Nord-West-Region von Russland. (…) Erst als öffentlich wurde, dass Nikolai Schamalow unter anderem Krankenhäusern Computertomographen zu weit überhöhten Preisen verkaufte, wurde er von Siemens entlassen. (…) In deutsche Schlagzeilen geriet Nikolai Schamalow, als durch Veröffentlichungen der Moskauer Zeitung Vedemosti bekannt wurde, dass er der Bauherr eines prächtigen Palastes in der Nähe des Dorfes Praskowejewka am Schwarzen Meer sei“ (Roth S. 205f). Schamalows italienischer Palazzo verfügt über ein Kasino, einen Winter-Theatersaal, ein Sommer-Amphitheater, eine Kirche, Schwimmbäder, Sportanlagen, Hubschrauberlandeplätze, einen Landschaftspark, Teehäuser, Bedienstetengebäude und technische Infrastruktur – auf einem Areal von 70 Hektar. Dies alles hat angeblich 770 Millionen Euro gekostet (rund eine Milliarde US-Dollar). Dazu wurde eine eigene Gas- und Stromversorgung und eine neue Gebirgsstraße gebaut (Wikipedia.org). Kommentar in der Zeit: „Denn erstaunlich ist dieses Gebäude vor allem, weil es uns vorführt, wie arm selbst der größte Reichtum sein kann und wie teuer es offenbart ist, einen schlechten Geschmack zu haben“ (zeitonline 28.1.2011). In Wirklichkeit soll der Palast Schamalows Osero-Kollegen Wladimir Putin gehören.
Sergej Koleschnikow kannte Schamalow seit 1993, als dieser noch Direktor von Petromed war: Seit 2000 waren sie Geschäftspartner (Wikipedia.org). Koleschnikow sandte 2010 dem damaligen Präsidenten Dmitri Medwedew Unterlagen und Fotos über den Palast – natürlich ohne Reaktion. Der Kreml dementierte umgehend. Putins Pressesprecher Dmitri Peskow: „Die Anlage sei vielmehr für Olympiagäste gedacht, der Premier habe damit überhaupt nichts zu tun“ (aktuell.ru 20.1.2011).
Im März 2011 übernahm angeblich der russische Milliardär Alexander Ponomarenko den Luxuskomplex für 350 Millionen Dollar (Wikipedia.org). Ponomarenko hatte mit einem Partner die Russian General Bank in Moskau gründete, die zur Übernahme der Hafengesellschaft Nowosibirsk diente. 2008 verkauften sie 20 Prozent ihrer Holding an Putin-Freund Arkadi Rotenberg (Forbes 24.5.2014). 2010 verkaufte Ponomarenko mit seinen Partnern (u. a. wieder Rotenberg) seine Anteile am Nowosibirsk-Hafen und erhielt vom staatlichen Ölkonzern Transneft zwei Milliarden US-Dollar (aktuell.ru 3.3.2011).
– Luxuspalast statt Gesundheitsfürsorge. Jürgen Roth hatte schon 2012 geschrieben, dass der Prachtbau mit Geldern finanziert wurde, die eigentlich für die Anschaffung von medizinischem Gerät für russische Krankenhäuser gedacht waren (Roth S. 206). Im Mai 2014 geriet diese Geschichte erneut in die Presse. Die Nachrichtenagentur Reuters schrieb am 21.5.2014, der Palast sei „mit russischen Steuergeldern aus einem Projekt für die Modernisierung von Krankenhäusern gebaut worden“ (reuters.com 21.5.2014). Russlands Gesundheitsfürsorge sollte mit einer Milliarde US-Dollar vom Staat und durch Spenden von reichen russischen Oligarchen verbessert werden. So stellte Roman Abramowitsch 203 Millionen US-Dollar zur Verfügung, von Alexej Mordaschow (CEO von Severstal) kamen 14,9 Millionen (Wikipedia.org). Koleschnikov sagte, dass 15 bis 20 Prozent seiner Verträge an Siemens gingen. Aber Putin verfügte, dass 35 Prozent des Kapitals auf Offshore-Konten überwiesen werden sollten (Ebenda). – „Es geht um Lieferungen von Medizintechnik, bei denen der russische Staat letztlich um bis zu 100 Millionen Dollar geprellt worden sein könnte“ (Giesen, Ott 22.5.2014).
Exkurs: Greathill
Die zwei Vertrauten von Putin, Nikolai Schamalow und Dmitri Gorelow, gründeten in Großbritannien die Firma Greathill. „In dem 2005 von Putin ins Leben gerufenen, eine Milliarde Dollar teuren Gesundheitsprojekt agierten Schamalow und Gorelow als Vermittler, wie aus den Reuters vorliegenden Dokumenten ersichtlich ist“ (Ebenda). Eine Milliarde Dollar sollten für 15 High-Tech-Kliniken ausgegeben werden: Der russische Staat zahlte für die Siemens-Geräte aber oft doppelt so viel wie üblich (Giesen, Ott 22.5.2014). Schamalkow und Gorelow erhielten staatliche Verträge in Höhe von 200 Millionen Dollar (zeitonline 21.5.2014). Greathill kaufte die medizinischen Geräte von Siemens und lieferte sie überteuert an Petromed: „eine Firma in St. Petersburg, die einem anderen Großaktionär der Rossija-Bank gehörte. Die Bank hatte Petromed in den frühen Neunziger Jahren gegründet. Einer der Kapitalgeber damals war eine Abteilung der Stadt Sankt Petersburg – geleitet seinerzeit von Wladimir Putin. (…) Von den gut 200 Millionen Dollar, die der russische Staat über Petromed an Greathill gezahlt hat, sollen laut Reuters-Dokumenten 84 Millionen Dollar auf Schweizer Bankkonten gewandert sein“ (Giesen, Ott 22.5.2014).
Der oben erwähnte frühere Geschäftspartner von Schamalow, Sergej Koleschnikov schätzte, dass 2007 insgesamt um die 500 Millionen Dollar in der Schweiz angesammelt worden waren. Als 2005 die 200-Millionen-Grenze überschritten wurde, gründete man Rosinvest, eine Tochtergesellschaft von Lirius, um das Geld in Russland zu investieren. Rosinvest gehörte zu 94 Prozent Putin persönlich, je 2 Prozent Koleschnikov, Schamalow und Gorelow (Ebenda). Nach 2006 überwies Greathill 56 Millionen Dollar auf Konten der Firma Lanaval in der Schweiz; Lanaval transferierte 48 Millionen Dollar auf ein Konto der Firma Medea Investment in Liechtenstein. Diese Firma wird vom Architekten Lanfranco Cirillo kontrolliert, der den Putin-Palast entworfen haben soll. Cirillo räumte dies ein, äußerte sich aber nicht zur Finanzierung des Projektes (Ebenda).
Dezember 1997:
Gründung des European Business Congress, Sitz Berlin. „Hier trifft sich eine quasi handverlesene Elite überwiegend aus der deutschen und russischen Energiewirtschaft mit einer übermächtigen Beteiligung von Mitgliedern aus der Russischen Föderation. Noch klarer wird die Intention bei einem Blick in die Mitgliederliste unter dem Buchstaben G. Da stehen neben Gazprom weitere acht Unternehmen, die direkt zum Gazprom-Imperium gehören“ (Roth S. 78).
– Kriminelle Machenschaften. 1997 stellte eine Untersuchung des Washingtoner Zentrums für Strategische und Internationale Studien fest, es seien „zwei Drittel der russischen Wirtschaft unter Kontrolle krimineller Syndikate“ (Roth S. 140). – „Gleichzeitig waren jedoch noch weit größere Gangster am Werk, jene, die über die Rohstoffindustrie herrschten“ (Ebenda). Roth erwähnt die Oligarchen Boris Beresowski (der ein erklärter Gegner Putins war und unter ungeklärten Umständen im März 2013 in London starb) und Roman Abramowitsch (Putin-Freund, Eigentümer des FC Chelsea), der Beresowski bei der Übernahme von dessen Anteilen am Aluminiumkonzerns Rusal und am Ölkonzerns Sibneft betrog: Im November 2011 verkaufte Abramowitsch dann Sibneft für 13 Milliarden US-Dollar an Gazprom (Roth S. 141).
Dazu gehört auch Oligarch Alisher Usmanow, der wegen Betrugs, Kidnapping und Erpressung 1980 zu acht Jahren Gefängnis verurteilt wurde (Roth 141). Usmanow wurde 1988 stellvertretender Vorsitzender der Gazprom Invest Holding und sorgte für die Wiederbeschaffung von Gazprom-Vermögenswerten wie Stroitransgas, Severneftegazprom und Zapsibgazprom. „Putin schätzte ihn außerordentlich. Und die Gazprom Invest Holding wurde unter anderem zu einem der maßgeblichen Finanziers von Naschi, der Jugendorganisation der Regierung, um Putins Partei Einiges Russland zu unterstützen“ (Roth S. 145). Usmanow ist bis heute für Investitionen von Gazprom zuständig und wird auf ein Vermögen von 5,5 Milliarden US-Dollar geschätzt (S. 144).
– St. Petersburg: Hier erfolgte 1997 die Gründung der „Vereinigung von Bankinvestitionen in den Hafen“ (OBIP). „Miteigentümer waren Ilja Traber und Viktor Korytov, ein weiterer Anteil wurde von der Rossija Bank gehalten, Wladimir Putins Hausbank. Viktor Korytov hatte von 1979 bis 1992 für den KGB gearbeitet, war also ein Kollege von Wladimir Putin. Er ist heute stellvertretender Vorsitzender des Managementvorstandes der Gazprombank“ (Roth S. 199). Alexander Djukow kam ebenfalls 1998 zum St. Petersburger Hafen und wurde dort Generaldirektor. Er ist heute Vorstandsvorsitzender vom Ölexporteur Gazprom Neft, einer Gazprom-Tochter (Roth S. 199). Mikhail Sirotkin war 2000 bis 2001 bei der Betreibergesellschaft des St. Petersburger Hafens; er ist heute Leiter des Departments Einkaufsmanagement der Gazprom und Generaldirektor von Krasnoyarskgazprom und Gazprom Dobycha Krasnoyarsk (Roth S. 199; gazprom-germania.de).
„Alexej Miller war in den Jahren 1998 bis 1999 OBIP-Repräsentant und Direktor für Entwicklung und Investitionen des Sankt Petersburger Seehafens“ (Roth S. 199): Miller wurde im Mai 2001 von Putin zum Vorstandsvorsitzenden von Gazprom ernannt (Wikipedia; siehe auch unter 2001).
Jürgen Roth zitiert einen Bericht des damaligen russischen Innenministers vom August 2001: Die kriminelle Organisation Tambowskaja kontrolliere in St. Petersburg nicht nur über hundert Industrieunternehmen, sondern auch zu achtzig Prozent die vier wichtigsten Seehäfen St. Petersburg, Kaliningrad, Arkhangel und Murmansk (Roth S. 199).
Juli 1998:
Wladimir Putin wird Direktor des Inlandgeheimdienstes FSB.
1999:
– Schon 1999 erließ Wladimir Putin einen Befehl, „wonach ‚aktive Maßnahmen’ gegen kritische Journalisten durchgeführt werden müssten. (…) Großen Wert legte er auf Berichte des FSB über die politischen Sympathien der Chefredakteure aller Massenmedien“ (Roth S. 149).
Dezember 1999:
Am 31.12.1999 „gewährte Putin per Dekret Jelzin Straffreiheit für seine Handlungen während der Amtszeit sowie für künftiges Handeln und gewährte ihm und seiner Familie einige Privilegien“ (Wikipedia.org; Hervorhebung WZ).
Exkurs: Die St.-Petersburg-Connection
So „wird eine Gruppe von Männern in der russischen Administration und der staatsnahen Wirtschaft bezeichnet, die seit dem Amtsantritt Wladimir Putins im Jahre 2000 die russische Politik dominiert“ (Wikipedia.org). Dazu gehören u. a.:
Wladimir Putin selbst
Dmitri Medwedew, Aufsichtsratsvorsitzender von Gazprom, Ministerpräsident und Interims-Präsident (2008 – 2012)
Alexej Miller, CEO von Gazprom
German Gref, Wirtschaftsminister, Vorstand von Gazprom
Wiktor Iwanow, Vorstandsvorsitzender von Aeroflot
Sergei Iwanow, KGB, Verteidigungsminister 2001 – 2007; Vorsitzender der russischen Präsidialverwaltung (seit Mai 2014 auf der US-Sanktionsliste)
Nikolai Patruschew, FSB-Chef
Witali Mutko: studierte in St. Petersburg und arbeitete in der Ära Putin in der dortigen Stadtverwaltung (Wikipedia). Putins heutiger Sportminister Mutko machte eine bemerkenswerte Karriere: 1979 Eintritt in die KPDSU, 1990 Präsident des Sowjets, 1992 Aufsichtsrat des Fußballvereins Zenit St. Petersburg, wurde dessen Präsident von 1995 bis 2003; Verkauf von 25 Prozent Zenit-Anteile an Gazprom-Partner Lentransgaz; gewann Gazprom 1999 als Haupt-Sponsor; Präsident des russischen Fußballverbandes (2005 bis 2009), seit 2009 Mitglied des Fifa-Exekutivkomitees. Wahlkampfhelfer von Wladimir Putin 2000; Aufsichtsrat des Organisationskomitees von Sotschi 2014; russischer Minister für Sport, Tourismus und Jugend seit 2008 (Wikipedia; russiaprofile.org).
Gennadij Nikolajewitsch Timtschenko, Wohnsitz Genf, Gründungsmitglied vom St. Petersburger Judo-Klub „Jawara-Newa“ (mit Putin als Ehrenpräsident und Arkadi Rotenberg als Vorsitzendem). „Putin und Timtschenko kennen sich ebenfalls aus den frühen 1990er Jahren, als Putin in der Stadtverwaltung von St. Petersburg für Außenwirtschaftsbeziehungen zuständig war“ (Hosp 22.3.2014). Timtschenko, Oligarch, Ölhändler, Großaktionär des Konzerns Gunvor, wird aufgrund bester Kontakte zu den staatlichen Ölkonzernen Rosneft und Gazpromneft von Forbes auf 14,1 Milliarden Dollar Vermögen geschätzt (Bidder 13.1.2011; aktuell.ru 29.3.2011; Wikipedia). „Doch erst nach dem Einzug Putins in den Kreml stieg Timtschenkos Ölhandelsunternehmen ‚Gunvor’ in die erste Liga des weltweiten Rohölhandels auf (…) Die amerikanische Regierung gibt zur Begründung für die Sanktionen gegen Timtschenko an, Putin habe in Gunvor investiert. Auch Timtschenko, der sein Portfolio in den vergangenen Jahren um Baufirmen erweitert hat, soll an den Winterspielen in Sotschi sehr gut verdient haben“ (Veser 20.3.2014). – Timtschenko, sechstreichster Russe auf der Forbes-Liste, verkaufte noch blitzschnell am 19.3.2014 seine Aktien am Ölhandelsunternehmen Gunvor , bevor er am 20.3.2014 auf die US-Sanktionsliste gesetzt wurde(SZ 22.3.2014; zeitonline 15.4.2014).
Arkadi und Boris Rotenberg, profitierten u. a. vom Pipeline-Bau für Gazprom und lukrativen Aufträgen für Sotschi 2014. „Ihnen wurde günstig die Bausparte von Gazprom zugeschlagen. Ihr Konzern ‚Stroigazmontash’ bekommt jetzt reihenweise üppig dotierte Gazprom-Aufträge zum Bau von Gaspipelines und ist größter Lieferant von Gasleitungsrohren für Gazprom“ (aktuell.ru 29.3.2011). – „Die Multimillionärs-Brüder Rotenberg gelten als enge Bekannte von Staatschef Wladimir Putin. Für die Winterspiele in Sotschi sollen sie Verträge erhalten haben, die ihnen rund sieben Milliarden US-Dollar in die Tasche spielten” (SZ 22.3.2014).
Andrei Fursenko, 2004 bis 2012 Minister für Erziehung und Wissenschaft
Zur St. Petersburg Connection zählen des weiteren Dmitri Kosak, Boris Guslow, Leonid Reiman, Juri Schewtschenko, Schores Iwanowitsch Alfjorow, Ilja Klebanow (wikipedia.org).
2000:
– Staat wieder mit Gazprom-Mehrheit. „Nach Wladimir Putins Machtantritt im Jahr 2000 erhöhte sich die Beteiligung des russischen Staates an Gazprom auf 50,002 Prozent. Putin machte Gazprom zu seinem persönlichen Projekt“ (Roth S. 8). – „Gazprom war nach Putins Machtantritt am 7.5.2000 das erste Unternehmen, in dem sämtliche Schlüsselpositionen durch seine Bekannten und/oder engen Freunde aus St. Petersburg besetzt wurden“ (Roth S. 10).
2001:
Sergej Uschakow, ein KGB-Veteran aus St. Petersburg, war von 2001 bis 2002 stellvertretender Direktor des FSB und bis 2007 im Gazprom-Vorstand für die Sicherheit des Unternehmens zuständig. Ab 2007 beriet er Putin, danach Medwedew (Roth S. 202).
Exkurs: Medienholding Media-Most und GazpromMedia
„Auch die Übernahme des ehemaligen unabhängigen Fernsehsenders NTV der Medienholding Media-Most des Oligarchen Wladimir Gussinski im April 2001 war ein merkwürdiger Vorgang“ (Roth S. 111). NTV hatte vor den Parlamentswahlen 2000 über die Korruption des Jelzin-Systems berichtet und Putin wegen dessen brutaler Tschetschenienpolitik kritisiert. „Wenige Tage, nachdem Putin zum Präsidenten gewählt worden war, stürmte die Steuerpolizei, begleitet von Staatsanwälten und dem FSB, den Fernsehsender und Media-Most. Am 13. Juni 2000 wurde schließlich Gussinski verhaftet. Erst als er hinter Gittern im Gefängnis Butyrka eine besondere Vereinbarung mit dem Informationsminister Mikhail Lesin unterschrieb, kam er wieder frei und flüchtete kurze Zeit darauf nach Spanien. (…) Gleichzeitig übereignete er Gazprom seinen gesamten Media-Most-Konzern“ (Roth S. 111). Da die Holding des Fernsehsenders 300 Millionen US-Dollar Schulden bei Gazprom angehäuft hatte, sollte zu deren Begleichung die Mostbank, die im Besitz von Gussinski war, zur Schuldentilgung an eine Tochter der Zentralbank verkauft werden. Putin persönlich ließ diesen Verkauf stoppen. Der neue Chef von GazpromMedia, Alfred Koch, kündigte als erstes eine Vereinbarung, dass 211 Millionen Dollar Schulden von Media-Most in eine Aktienbeteiligung umgewandelt werden: Koch forderte die sofortige Rückzahlung der 211 Millionen Euro und im Juni 2001 weitere 262 Millionen Dollar. Dies konnte Gussinski aufgrund der Restriktionen nicht leisten. Der Focus-Journalist Boris Reitschuster: „Als Henker musste der staatlich kontrollierte Gazprom-Konzern herhalten – zum Unmut der eigenen Manager“ (zitiert nach Roth S. 112). Gazprom kam damit in den Besitz der Komsomolskaja Prawda, aber auch der Iswestija, „die sich daraufhin von einem liberalen zu einem strikt linientreuen Blatt wandelte. (…) Zu GazpromMedia gehören darüber hinaus die Fernsehsender NTV, NTV plus und TNT, das Nachrichtenmagazin Itogi, mehrere Zeitschriften sowie die Hälfte des Radiosenders Echo Moskwy“ (Roth S. 113).
Mai 2001:
Alexej Miller wurde von Putin zum Vorstandsvorsitzenden von Gazprom ernannt (Wikipedia)
Exkurs: Igor Bakai
Der ukrainische Gashändler Dmytro Firtasch (siehe Exkurs unten) traf in Turkmenistan den ukrainischen Geschäftsmann Igor Bakai. Dieser hatte den ukrainischen Präsidenten Leonid Krawtschuk überzeugt, Gas aus Turkmenistan für die Ukraine zu kaufen. 1998 wurde Bakai dann Generaldirektor der staatlichen Öl- und Gasgesellschaft Naftogaz (Roth S. 235) – mit erheblichen finanziellen Folgen. Bakai „soll zusammen mit seinem Vizechef bei Naftogaz 86 Millionen US-Dollar unterschlagen haben“ (Roth S. 238). Naftogaz-Vizechef Igor Didenko wurde im Januar 2001 in Deutschland verhaftet und im Juni 2004 wegen Beihilfe zur Untreue zu vier Jahren und drei Monaten Haft verurteilt. Als er nach drei Jahren in Untersuchungshaft wieder in die Ukraine ausreisen konnte, wurde er umgehend wieder Vizechef von Naftogaz (Roth 238f).
In der Ukraine wurde Wiktor Juschtschenko im Zug der „Orangen Revolution“ im Januar 2005 neuer Präsident. Bakai erhielt daraufhin von Putin persönlich die russische Staatsbürgerschaft. Roth zitiert die Badische Zeitung vom 10.3.2009: „Bakai soll einst als Chef des ukrainischen Staatsunternehmens Naftogaz ein offenbar märchenhaftes Vermögen angesammelt haben“ (Roth S. 241). Bakais Frau kaufte 2009 Schloss Rodeck bei Baden-Baden für 4,65 Millionen Euro (badische-zeitung.de 10.3.2009), 2010 das Schlosshotel Bühlerhöhe für 18 Millionen Euro (stuttgarter-nachrichten.de 11.12.2013) und die Grundig-Villa in Baden-Baden für acht Millionen Euro (welt.de 19.3.2010; Roth S. 241).
Bakai kehrte nach der Wahl von Putins Mann Wiktor Janukowitsch nach Kiew zurück. „Ohne seine Hilfe wäre Dmytro Firtasch wahrscheinlich nicht zu seiner heutigen Machtstellung auf dem europäischen Gasmarkt gekommen“ (Roth S. 240).
Exkurs: Dmytro Firtasch
Dmytro Firtasch „ist ein ukrainischer Geschäftsmann und Mitbesitzer des Gaszwischenhändlers RosUkrEnergo, der zu 50 Prozent im Besitz von Gazprom steht. Firtasch gilt mit einem im März 2014 auf 10 Milliarden Euro geschätzten Vermögen als einer der reichsten Ukrainer. Er verfügte, insbesondere während der Amtszeit von Wiktor Janukowytsch, über einen großen politischen Einfluss in der Ukraine. Firtasch hat enge Kontakte zu Russland und ist im Gas-, Chemie-, Medien- und Bankengeschäft tätig“ (Wikipedia).
Firtasch kooperierte zunächst mit dem früheren ukrainischen Präsidenten Leonid Krawtschuk, dann mit dessem Nachfolger Wiktor Juschtschenko, dann mit dessen Nachfolger Wiktor Janukowitsch. Schließlich soll er nach der Flucht von Janukowitsch und den Maidan-Kämpfen die UDAR-Partei des früheren Profiboxers Vitali Klitschko unterstützt haben.
„Seine Firmen steuert er über die DF Group. In Wien residieren die Dünger-Handelsfirma Ostchem und die Centragas. Beide Firmen haben Ableger in Zug: die erst 2012 gegründete Ostchem Gas Trading und die während der Gaskrise bekannt gewordene Gashandelsfirma RosUkroEnergo. Firtaschs Vermögen wird auf über 10 Milliarden Dollar geschätzt. Laut der Wiener Zeitung ‚Standard’ wirft allein Centragas pro Jahr rund 300 Millionen Franken Profit ab“ (Odenahl 14.3.2014).
Firtasch war mit 90 Prozent und Ivan Fursin mit 10 Prozent an Centragas beteiligt. Centragas war mit Gazprom zu je 50 Prozent Eigentümer von Eural Trans Gas (vgl. Exkurs unten), die 2004 in RosUkrEnergio umfirmierte (vgl. Exkurs unten).
Die Firma Itera des Oligarchen Igor Makarow hat enge Geschäftsverbindungen mit Gazprom. Itera bezog von Firtasch Ausrüstungsmaterial über dessen Unternehmen Highrock Holding (Roth S. 208). Als es zum finanziellen Streit kam, begann Firtasch seinen eigenen Gashandel mit turkmenischem Gas und drängte Makarow aus dem ukrainischen Markt (zu Firtasch siehe auch Mai 2014). Firtasch drängte auch 2004 Julija Timoschenko aus dem ukrainischen Gasgeschäft. „Er wird der Komplizenschaft mit dem ukrainischen Mafiapaten Semjon Mogilewitsch verdächtigt, der seit 2009 auf der FBI-Liste der zehn meistgesuchten Verbrecher steht“ (Odehnal 14.3.2014). Da Firtasch von den USA mit einem Auslieferungsbefehl gesucht wurde, verhaftete ihn die Wiener Polizei am 12. März 2014. (Vgl. auch Exkurs: RosUkrEnergo, Russisch-Ukrainischer Gasstreit und unter Mai 2014).
Exkurs: Eural Trans Gas (ETG)
Die ETG wird mit einem Grundkapital von 12.000 Dollar am 6.12.2002 im ungarischen Dorf Csapdi von drei rumänischen Bürgern gegründet: einer Schauspielerin, ihrem Mann und einer Krankenschwester. Ein ungarischer Rechtsanwalt hatte ihnen für diese Schein-Gesellschafterexistenz Geld in Aussicht gestellt. Der vierte Gesellschafter war Igor Fisherman, ein Komplize der Unterweltgröße Semjon Mogilewitsch (Roth S. 216).
Am Tag der Eintragung von ETG ins Handelsregister „unterschrieb einer der Hintermänner von ETG bei Gazprom in Moskau den Gasvertrag zwischen ETG und Gazprom. Damit waren die Rechte für den Gastransport von Zentralasien über Russland in die Ukraine in Höhe von mehreren Milliarden Dollar an die ETG vergeben“ (Roth S. 214; Hervorhebung WZ). Gazprom gewährte der ETG im ersten Halbjahr 2003 einen Kredit von 227 Millionen Euro, die <a title=