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Gazprom-Chronik (4): 11/2014 – 12/2015

Was ein Gaskonzern und Sport, Oligarchen und Putin miteinander zu tun haben. Gazprom-Chronik (1) bis 31.12.2012: hier; Gazprom-Chronik (2) 1/2013 – 8/2014: hier; Gazprom-Chronik (3) 9-10/2014: hier; Gazprom-Chronik (4) 11/2014 – 12/2015: hier; Gazprom-Chronik (V): ab 2016 (9.1.2016)

Exkurse:
Die Silowiki; Itera und Igor Makarow; Datschenkooperative Osero; Greathill; Die St.-Petersburg-Connection; Medienholding Media-Most; Igor Bakai; Dmytro Firtasch; Eural Trans Gas (ETG); RosUkrEnergo; Russisch-Ukrainischer Gasstreit; Nord Stream und Gerhard Schröder; Matthias Warnig; Gazprom Germania; TNK-BP; Emfesz; Nord Stream; Der Gazprom-Wolkenkratzer; Gazpromi Beckenbauer, Fernsehsender Doschd und GazpromMedia; Arctic Sunrise
Vergleiche auch: Gazprom-NTW

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Aktualisiert: 22.12.2015

November 2014:

– Gazprom kauft Sovag. Gazprom Deutschland soll die Mehrheit von 50,1 Prozent der „Schwarzmeer und Ostsee Versicherungs-Aktiengesellschaft“ (Sovag) übernehmen, um die eigenen Investitionsprojekte versichern zu können – und um die Sovag vor russischen Oligarchen zu schützen. „Wer die bisherigen Besitzverhältnisse von Sovag zurückverfolgt, landet im Eigentumsgeflecht der Oligarchen. Sovag gehört zurzeit mehrheitlich zu 50,9 Prozent der Sogaz, einem der größten russischen Versicherer. Die restlichen Anteile von 49,1 Prozent hält eine Tochter der russischen Volga Gruppe, die Gennady Timchenko gehört. (…) 2013 erzielte Sovag einen Umsatz von 93 Millionen Euro. Gazprom selbst ist einer der besten Kunden von Sovag“ (Gentrup, Anna, Selbstschutz, in SZ 4.11.2014).

-Ungarn baut South Stream. Das ungarische Parlament hat den beschleunigten Bau der South Stream-Gaspipeline beschlossen, obwohl die EU den Weiterbau untersagt hat, da Gazprom sowohl das Gas liefert als auch die Pipeline betreiben soll. „Die Pipeline soll Gas aus Russland unter dem Schwarzen Meer hindurch über Bulgarien, Serbien, Ungar und Slowenien nach Italien bringen“ (Ungarns Parlament beschleunigt South-Stream-Bau, in spiegelonline 4.11.2014). – „Das ungarische Pipeline-Gesetz ist nur eine von mehreren freundlichen Gesten, mit denen EU-Kritiker Orbán die Nähe zu Moskau sucht. Kroatische Medien berichten derzeit, die Regierung in Budapest wolle die Anteile, die der ungarische Mineralölkonzern MOL an der kroatischen Tochter INA hält, an Gazprom verkaufen“ (Kahlweit, Cathrin, Viktor Orbán sucht Moskaus Nähe, in SZ 5.11.2014).

– „Winterpaket“ für Ukraine ist Mogelpackung. Nach der Vereinbarung zwischen der Ukraine und Russland stellen die EU und der Internationale Währungsfonds (IWF) und andere 4,6 Milliarden Dollar als Zwischenfinanzierung bereit. „Die Parteien vereinbarten, dass die Ukraine offene Gasrechnungen in Höhe von 3,1 Milliarden Dollar bis Ende 2014 bezahlt. Zudem kann Kiew bis Ende 2014 für 1,5 Milliarden Dollar neues Gas einkaufen“ (Gammelin, Cerstin, Ein erpresstes Winterpaket, in SZ 5.11.2014). Hans-Jochen Luhmann vom Wuppertal-Institut zufolge müsste dieses „Winterpaket“ bis einschließlich März 2015 laufen und koste dann 6,9 Milliarden Dollar (Ebenda). Tschechiens Botschafter Václav Bartuška bemängelte, dass die Europäer die Rechnung für die Ukraine bezahlen müssten: „Die Osteuropäer haben reformiert und sich geändert, um in die EU zu kommen. Die Ukraine macht das nicht, sie will bezahlt werden“ (Ebenda). Außerdem weigere sich die Ukraine seit 23 Jahren, eigene Messstellen zu installieren, um den Gas-Import und -Export kontrollieren zu lassen. Außerdem fragte Bartuška, was passiere, „wenn die Russen Gas nach Donezk und Luhansk lieferten und Kiew aufforderten, dafür zu zahlen? ‚Die EU versucht alles, um den Kontakt mit der Realität zu verzögern. Die Realität ist, dass wir einen Krieg im Osten haben'“ (Ebenda).

– Neues vom chinesischem Gasgeschäft. Russland wird von 2019 bis 2049 jährlich 30 Milliarden Kubikmeter Gas aus Westsibirien nach China liefern. „Mit dem Gasgeschäft will Russland angesichts der Ukraine-Sanktionen seine Abhängigkeit vom europäischen Markt verringern. Die Lieferungen über eine neue Leitung im Westen wären zusätzlich zu dem Gasgeschäft über 38 Milliarden Kubikmeter jährlich im Gesamtwert von 400 Milliarden US-Dollar über die Ostroute, das im Mai unterzeichnet worden ist“ (Russisches Gas für China, in SZ 10.11.2014).

– DEA-Verkauf stockt. Der mit gut 30 Milliarden Euro verschuldete RWE-Konzern will seit längerem seine Öl- und Gasfördertochter Dea für 5,1 Milliarden Euro an den Fonds Letter One in Luxemburg verkaufen, der von der Alfa Group des russischen Milliardärs und Putin-Freundes Michail Fridman kontrolliert wird. Das deutsche Wirtschaftsministerium hat – nach RWE-Intervention bei der Kanzlerin – zugestimmt. Nun fehlen Zustimmungen Dritter. „Insgesamt benötigt RWE in 14 Ländern, in denen Dea Öl und Gas fördert, eine Freigabe. (…) Nach Angaben aus Konzernkreisen stellt sich vor allem Großbritannien quer. (…) Die Regierung in London hat Einfluss auf den Verkauf, weil RWE Dea auch über wichtige Förderlizenzen in Großbritannien – vor allem in der Nordsee – verfügt. Wechselt der Eigentümer, könnte London diese aufheben. (…) RWE Dea erkundet und beutet weltweit öl- und Gasvorkommen aus und hält Anteile an etwa 190 Ö- und Gaslizenzen in Europa, dem Nahen Osten und Nordafrika“ (Balser, Markus, Delikates Russland-Geschäft, in SZ 14.11.2014).

– Russische Gas-Politik. Das Auswärtige Amt ist laut einem vertraulichen Papier alarmiert über die aggressive Politik von Russland auf dem Balkan. „Moskau versuche, über die enge militärische Zusammenarbeit und russische Lieferungen von Gas Serbien enger an sich zu binden. In Bosnien-Herzegowina gehe Russland ähnlich vor“ (Merkel warnt vor russischem Einfluss in Moldawien, Serbien und Georgien, in spiegelonline 17.11.2014). – Serbien: „Der Moskauer Ölmulti Lukoil besitzt inzwischen 79,5 Prozent am lokalen Tankstellennetz Beopetrol, Gazprom hält die Mehrheit am größten Gasbetreiber des Landes“ (Blome, Nikolaus, Koelbl, Susanne, Müller, Peter, Neukirch, Ralf, Schepp, Matthias, Traufetter, Gerald, Zurück im Kalten Krieg, in Der Spiegel  47/17.11.2014).

– Serbien, Russland und das Gas. „Serbien hängt am Gashahn des kremlkontrollierten Gazprom-Konzerns. Gazprom und der russische Lukoil-Konzern dominieren Serbiens Raffinerien und Tankstellen. Moskau finanziert die Modernisierung der serbischen Eisenbahn und will seine zur Umgehung der Ukraine gedachte Erdgaspipeline South Stream durch Bulgarien und Serbien nach Westeuropa bauen. (…) Die Mehrheit am serbischen Gasmonopol sicherte sich Gazprom zum Dumpingpreis. (…) Von 2007 bis 2013 hat Serbien Russland Waren für gut vier Milliarden Euro geliefert – aber für fast 33 Milliarden Euro in die EU. Investitionen aus EU-Ländern überstiegen die aus Russland um fast das Vierfache. Dazu hat Serbien seit dem Jahr 2000 aus Moskau so gut wie keine kostenlose Hilfe bekommen – gegenüber weit über vier Milliarden Euro aus Brüssel und Washington. Und so hat Serbien trotz Drucks aus Moskau nicht im Juli mit dem South Stream-Bau begonnen. Daran hat auch Putins Besuch Mitte Oktober in Begleitung von Gazprom-Chef Alexej Miller nichts geändert“ (Hassel, Florian, In aller Freundschaft, in SZ 18.11.2014).

Dezember 2014:

– Ende von South Stream. Am 1.12.2014 stoppte Wladimir Putin höchstpersönlich das Gaspipeline-Projekt South Stream. Gazprom-Chef Alexej Miller: „Das Projekt ist vom Tisch. Das war’s“ (Kein Anschluss unter dieser Pipeline, in spiegelonline 2.12.2014). – Miller: „Dass ist der Anfang vom Ende unseres Modells, bei dem wir uns auf Lieferungen bis zum Endverbraucher auf dem europäischen Markt orientierten“ (Gazprom wendet sich von Europa ab, in spiegelonline 6.12.2014).
South Stream sollte russisches Gas unter Umgehung der Ukraine über 2.380 Kilometer von der Stadt Anapa durch das Schwarze Meer zum italienischen Ort Tarvisio transportieren. Beteiligt waren Gazprom (50 Prozent), die italienische Eni (20 Prozent), Wintershall und EdF (je 15 Prozent). Die Kosten wurden auf ca. 16 Mrd. Euro geschätzt, davon hat Russland bis jetzt vier Milliarden Euro investiert (Ebenda). Der EU-Energiekommissar Maros Sefcovic bemerkte zum Ende von South Stream: „Alles, was wir über diese Entscheidung wissen, haben wir aus den Pressestatements von Präsident Wladimir Putin und Gazprom-Chef Alexej Miller erfahren“ (Balser, Markus, Braun, Stefan, Ein Hauch von Eiszeit, in SZ 17.12.2014). Sefkovic schlug für die EU eine „Einkaufsunion“ vor: „Wir zahlen zusammen jedes Jahr 400 Milliarden Euro für Energieimporte – verlässlich und pünktlich“ (Ebenda). Er kündigte für die EU eine neue Gasinfrastruktur mit neuen Flüssiggasterminals und einem zusätzlichen Gas-Zentrum im Mittelmeer an, um z. B. Schiefergas aus Tunesien und Algerien zu nutzen. „Brüssel plant zudem, die Kapazität der geplanten Pipeline für Gas aus Aserbaidschan auszubauen. Die TAP-Pipeline wird von 2019 an Gas aus der kaspischen Region nach Europa bringen – vorbei an Russland“ (Ebenda). – „Die TAP soll kaspisches Gas nach Europa bringen. South Stream war eine gefährliche Konkurrenz; jetzt aber wird die TAP die wichtigste Verbindung von der Türkei nach Westeuropa. Sie steht für die Art von Pipeline, die in Europa die politischen Megaprojekte wie Nabucco und South Stream ablöst: kürzer, regionaler und finanziell machbarer“ (Thumann, Michael, Sein großer Schwenk, in Die Zeit 4.12.2014).
Zur Rekapitulation: South-Stream war ein Gegenprojekt zur Nabucco-Pipeline, die die Abhängigkeit vom Gazprom-Gas für Europa verringern sollte und 2013 gestoppt wurde. Der Kreml und Gazprom planten, „die South-Stream-Pipeline, um das ihnen verhasste Nabucco-Projekt der EU zu torpedieren. Als Nabucco starb, machte Russland erst recht weiter. Putin reiste kreuz und quer über den Balkan und schloss Verträge“ (ebenda). – „Die Europäer hätten den Rohstoff direkt in Zentralasien einkaufen und unter Umgehung Russlands importieren können. Politisch und wirtschaftlich wäre das ein herber Schlag für Moskau und seinen Einfluss gewesen. Denn Russland betrieb mit dem zentralasiatischen Gas ein lukratives Geschäft: Es nahm Ländern wie Kasachstan, Turkmenistan oder Aserbaidschan den Rohstoff günstig ab, pumpte ihn in russische Pipelines und verkaufte ihn als russisches Gas mit einem Preisaufschlag nach Westeuropa“ (Wetzel, Hubert, In die Röhre geschaut, in SZ 3.12.2014).
In jedem Fall sind Diktaturen die Gaslieferanten.

– South Stream und Bulgarien.
In Bulgarien wurde von Gazprom im Vorfeld getrickst. „So konnte etwa Gazprom selbst Gesetzesänderungen fürs Parlament in Sofia entwerfen, mit denen South Stream kurzerhand zur ‚Seepipeline‘ umgetauft und so der EU-Aufsicht entzogen werden sollte“ (Hassel, Florian, Jäher Druckabfall in Serbien und Bulgarien, in SZ 3.12.2014). Die EU-Kommission übte auf Bulgarien Druck aus, da die von Gazprom mit den Transitländern geschlossenen Verträge EU-Recht brechen würden: „Nach dem sogenannten ‚Dritten Energiepaket der EU‘ dürfen Pipelines in Europa nicht von Unternehmen betrieben werden, die auch gleichzeitig Gas fördern“ (Bidder, Benjamin, Kazim, Hasnain, Russland düpiert, Türkei profitiert, in spiegelonline 2.12.2014). – „Aus Sicht der EU-Kommission besteht die Gefahr, dass das Projekt gegen die im dritten Energiepaket fixierten Entbündelung von Produktion, Transport und Distribution von Erdgas verstößt“ (Wechlin, Daniel, Der Kreml weicht dem Druck Brüssels, in nzz.ch 2.12.2014). – „Auf Druck aus Brüssel stoppte Bulgarien im Juni dann vorerst alle Arbeiten an dem Projekt. Ohne Unterstützung aus Sofia ließ sich South Stream nicht fortführen“ (Kein Anschluss unter dieser Pipeline, in spiegelonline 2.12.2014).
Die moskaufreundliche bulgarische Regierung musste im Sommer 2014 zurücktreten: „Anfang Oktober 2014 gewann der Konservative Bojko Borissow die Wahl. Der war schon bis Anfang 2013 Regierungschef und hatte damals bereits zwei russische Milliardenprojekte gestoppt – das Atomkraftwerk Belene und eine Ölpipeline“ (Hassel, Florian, Jäher Druckabfall in Serbien und Bulgarien, in SZ 3.12.2014). „Tatsächlich fehlen für South Stream – nicht nur in Bulgarien – bis heute unabhängige Wirtschaftlichkeitsanalysen. Energieexperten wie Ilian Wassilew, lange bulgarischer Botschafter in Moskau, hielten South Stream für unwirtschaftlich und für ein gigantisches Korruptionsprojekt: Die Baukosten wurden zuletzt auf 4,2 Milliarden Euro geschätzt – fast viermal mehr als für eine ähnliche Gaspipeline in Deutschland“ (Hassel, Florian, Jäher Druckabfall in Serbien und Bulgarien, in SZ 3.12.2014). – „Der frühere und im Oktober wiedergewählte Regierungschef Bojko Borrisow erklärte zwar, dass er sich an die EU-Vorgaben halten wolle. Aber Korruptionsskandale und Oligarchenkämpfe bei der Ausschreibung der Pipeline erschwerten den Bau in Bulgarien. South Stream drohte bereits in einem Wust von Problemen zu ersticken, bevor der Gazprom-Vorsitzende Alexej Miller nun in Ankara sagte: ‚Schluss. Das Projekt ist gestoppt'“ (Thumann, Michael, Sein großer Schwenk, in Die Zeit 4.12.2014).
Hier kommt wieder Arkadji Rotenberg ins Spiel – der vermutlich von Putin-Russland Kompensation für die entgangenen Pipeline-Geschäfte einfordern und erhalten wird.
„Dem Zentrum für Demokratiestudien zufolge wäre Bulgarien besser beraten, in Energiesparen zu investieren. Mehr als die Hälfte der gesamten Energie geht schon beim Transport verloren; nur wenige Häuser sind isoliert“ (Hassel 3.12.2014).
Das würde auch der Klimaerwärmung besser entgegenwirken.
Putin forderte dann Anfang Dezember 2014 Bulgarien auf, die geplanten Gas-Transitgebühren in Höhe von 400 Millionen Euro pro Jahr von der EU-Kommission einzufordern (Balser, Markus, Russland stoppt Pipeline-Projekt, in SZ 2.12.2014).
Der serbische (und Putin-freundliche) Ministerpräsident Aleksandar Vucic sagte, Serbien zahle den Preis für die Konflikte der Mächtigen. Der EU-Aspirant Serbien hätte wiederum mit 300 Millionen Euro Gas-Transfergebühren rechnen können. „In einem neuen Licht wird der umstrittene Verkauf des serbischen Erdölkonzerns NIS an die russische Gazprom beurteilt werden müssen. Eine Mehrheitsbeteiligung von 51 % am staatlichen Monopolisten war 2008 zu einem Freundschaftspreis an die Russen verhökert worden. Belgrad rechtfertigte den Spottpreis von 400 Millionen Euro für das umsatzstärkste Unternehmen des Landes mit dem Anschluss an South Stream“ (Konsternation in den Transitländern, in nzz.ch 2.12.2014).
Russland argumentierte, die South-Stream-Verträge seien mit den Transitländern vor Ratifizierung des Energiepakets geschlossen worden. Die 63 Milliarden Kubikmeter Gas will Gazprom nun mit einer Offshore-Pipeline in die Türkei liefern. „Außerdem versprach der russische Präsident Putin der Türkei bei seinem Besuch in Ankara am Montag einen Rabatt von sechs Prozent für russische Gaslieferungen“ (Ebenda; Balser, Markus, Raus aus Europa, in SZ 9.12.2014).
Manchmal kommt einem Putin wie ein staatlicher Gasvertreter vor: Gasputin eben.
Politisch interessant: Putin unterstützt den syrischen Diktator Baschar al-Assad, den die Türkei vehement bekämpft. Aber die Energie eint: „Die energiehungrige Türkei bezieht 61 Prozent ihres Gases aus Russland, und sie bräuchte noch mehr, vor allem zu einem günstigeren Preis. Den will Putin gewähren. Dafür darf die russische Rosatom das erste Atomkraftwerk der Türkei bauen, in der Mittelmeerprovinz Mersin. Nur Stunden vor Putins Ankunft billigte die türkische Regierung eine 3000 Seiten starke ‚Umweltanalyse‘ für das auch wegen möglicher Erdbebengefahren umstrittene Projekt“ (Hans, Julian, Schlötzer, Christiane, Ein Handschlag, ein Faustschlag, in SZ 3.12.2014). – „Moskau hat mit dem Ende von South Stream keinesfalls die Idee von sich als dem Hauptlieferanten Europas aus dem Osten aufgegeben. Nur soll jetzt statt Südosteuropa die Türkei der Umschlagpunkt sein. Das bindet das Nato-Land und den EU-Beitrittskandidaten Türkei enger an Russland. Schon jetzt bezieht die Türkei über 60 Prozent ihres Erdgases aus Russland“ (…) Putin aber vertraut Erdogan. Er weiß um dessen Wut auf die EU, die ihn in den Beitrittsverhandlungen immer wieder kalt abservierte. Er weiß, dass Erdogan sich mit Gas, Öl und Atomkraft eng an Russland bindet“ (Thumann, Michael, Sein großer Schwenk, in Die Zeit 4.12.2014).

– EU gegen South Stream. Das russische Pipeline-Modell widerspricht der EU-Gesetzgebung: „Sowohl der Gasproduzent als auch die Gasleitung und der Gasverkäufer sind unter dem Dach des russischen Monopolisten. Gazprom verkauft, und Europa kauft. Schon 2009 untersagte die EU diese Bündelung und forderte, dass Energieproduzenten künftig keine Leitungen unterhalten dürfen. Gazprom trieb der EU zum Trotz die South-Stream-Pipeline voran. In diesem Konflikt war das Ende von South Stream schon angelegt“ (Ebenda).

– Gaspreis entscheidend? Allerdings kann auch ein ganz anderer Grund vorliegen: „Zuletzt waren Zweifel laut geworden, ob sich die Trasse nach Europa angesichts fallender Gaspreise für Gazprom noch rentiert“ (Balser 2.12.2014). – „Erleichterung wird sich auch bei Gazprom breitgemacht haben; denn das Projekt wurde immer teurer, während Gas dem Öl folgend, zuletzt immer billiger wurde“ (Hans, Schlötzer, 3.12.2014). Markus Balser listet in der SZ einige Gründe für das Ende von South Stream auf: – Europa wird weniger Gas brauchen; – der Ausbau grüner Energien schreitet voran; – Russland und Gazprom fehlt es – auch durch den Ukraine-Krieg – an Geld, auch weil der Rubelkurs eingebrochen ist. „Das Vertrauen in sichere Gaslieferungen aus Russland schwindet mit jeder Eskalation der Krise. Stattdessen bandeln Europas Regierungen und unternehmen mit Alternativen zu Gazprom an: mit Lieferanten aus den USA oder Katar. Die Folgen reichen weit. Sie bedeuten wohl das Ende einer Ära in Europas Energiepolitik. Denn die Zeit der Riesenpipelines scheint vorbei zu sein“ (Balser, Markus, Feuer und Flamme, in SZ 9.12.2014).

– Gas-Anschluss. Der russische EU-Botschafter Wladimir Tschischow äußerte am 3.12.2014 über die geänderten Pipeline-Pläne. „Während sich Bulgarien als ’nicht vertrauenswürdiger Partner‘ erwiesen habe, kämen andere EU-Mitgliedsstaaten wie Österreich und Ungarn, aber auch Serbien infrage, so Tschischow (Moskau lockt Österreich mit Aussicht auf neue Pipeline, in tt.com 3.12.2014).

– Die Folgen des Endes von South Stream. Die Stahlkonzerne Salzgitter, Dillinger Hütte und Voestalpine und das Mannesmann Röhrenwerk sind vom Aus für die Rohrleitung betroffen. Europipe, ein Gemeinschaftsunternehmen von Salzgitter und Dillinger Hütte, hatte für den ersten Strang der South-Stream-Pipeline 450.000 Tonnen Röhren im Wert von 600 Millionen Euro geliefert. Anschlussaufträge fehlen: „Vor allem in Europa, wo sich neue, milliardenteure Leitungen wegen der niedrigen Gas- und Ölpreise kaum noch lohnen“ (Bialdiga, Kirsten, Aus der Traum, in SZ 3.12.2014).

– Deutsche Gasindustrie verunsichert. Wintershall-Vorstand Mario Mehren war bei South Stream beteiligt – jetzt beendete Russland die Planungen, ohne seine Partner zu informieren. Wintershall „fördert mit russischen Partnern 28 Milliarden Kubikmeter Gas, ein Drittel des deutschen Bedarfs. Mehren: „Viele Entscheidungen Russlands sind nur schwer nachzuvollziehen“ (Balser, Markus, Feuer unterm Eis, in SZ 5.12.2014). Wintershall will dennoch weitere 1,5 Milliarden Euro in Sibirien investieren. Wintershall und Gazprom stehen „gerade vor der Umsetzung eines 2012 vereinbarten Milliardengeschäfts. Gazprom soll die Kontrolle über das deutsche Gashandelsgeschäft von Wintershall bekommen und künftig jeden fünften Kunden in Deutschland direkt beliefern. Wintershall darf im Gegenzug mehr Gas in Sibirien fördern. Der Deal: Gazprom will in Deutschland hoffähig werden, Deutschland teilhaben an den Erdgasreserven Russlands“ (Ebenda).
Wintershall wäre nicht der erste Energiekonzern, der in Russland enteignet wird…
Im Gefolge der Krim-Annektierung im März 2014 zogen Investoren bislang 128 Milliarden Dollar aus Russland ab. Dieses Kapitel würde zur weiteren Exploitation benötigt: „Denn auch in Sibirien geht das Gas zur Neige. In weiter nördlichen, noch schwerer zugänglichen Feldern versuchen Forscher fündig zu werden“ (Ebenda).

– Überweisungen im Krieg. Der ukrainische Gasversorger Naftogaz hat am 5.12.2014 378 Millionen Dollar (307 Millionen Euro) an Gazprom überwiesen. „In der Ukraine herrschen kalte Wintertemperaturen“ (APA/Reuters, Kiew überwies Hunderte Millionen für russisches Gas, in tt.com 6.12.2014).

– Höhere Gaspreise in der Ukraine. Ministerpräsident Arsenij Jazenjuk warnte vor dem drohenden Staatsbankrott der Ukraine und wies darauf hin, dass die Ukraine 2015 zusätzlich zum Hilfsprogramm des Internationalen Währungsfonds 15 Milliarden Dollar benötige. Die Währungsreserven sind mit acht Milliarden Dollar auf dem tiefsten Stand seit zehn Jahren. Die Gaspreise für die ukrainische Bevölkerung sollen angehoben werden (Reuters, dpa, Kiew kündigt höhere Gaspreise an,. in SZ 12.12.2014).

– Aserbaidschan wird EU-hoffähig (1). „Nach dem Stopp der Gaspipeline South Stream durch Russland will die EU-Kommission den Weg für eine andere Pipeline aus Aserbaidschan freimachen. (…) EU-Energiekommissar Maros Sefcovic sagte, Aserbaidschan und die Türkei hätten die EU aufgefordert, den Fortgang des Projektes sicherzustellen. Baku und Ankara hätten ihrerseits ‚feste Zusicherungen‘ gemacht, das Projekt umzusetzen, das bis 2020 Gas aus Aserbaidschan an die Grenze der Europäischen Union bringen soll“ (AFP, Neuer Gas-Korridor gesucht, in SZ 10.12.2014). 

– Aserbaidschan wird EU-hoffähig (2). Zwar hat Diktator Ilcham Alijew gerade Kritiker der Regierung inhaftieren lassen, die sich mit Enthüllungen um die Präsidentenfamilie beschäftigten – aber nun geht es nach dem Ende von South Stream um Gas-Alternativen. „EU-Energiekommissar Maros Sefcovic will jetzt vor allem den Bau des ‚Südkorridors‘ vorantreiben, über den Gas von Aserbaidschan durch Georgien, die Türkei,. Griechenland bis Italien gepumpt werden soll – vorbei an Russland. (…) Durch die Transanatolische Pipeline (Tanap), die Ende 2018 fertiggebaut sein soll, könnte in fünf Jahren erstes Gas nach Westen strömen. Quelle ist das aserbaidschanische Gasfeld Schah Denis-23, eines der größten der Welt, das von einem internationalen Konsortium ausgebeutet wird. Für die Europäer ist die Mixtur aus autoritärem Staat und viel Öl und Gas ein Dilemma. (…) Das Gasfeld Schah Denis hat nachgewiesene Reserven von 1,2 Trillionen Kubikmeter Gas. (…) Aber reicht die Pipeline und ihre Kapazität von 16 Milliarden Kubikmetern für die Nachfrage in Europa? Darüber wird noch debattiert. Aserbaidschan könnte das ebenfalls mit reichlich Gas ausgestattete zentralasiatische Turkmenistan dazuholen. Aber wie auch immer, an Aserbaidschan kommt Europa nicht vorbei.“ (Nienhuysen, Frank, Viel Öl und ein paar dunkle Flecken, in SZ 12.12.2014).
Menschenrechte kontra Gaslieferungen: Die EU wird den Mund halten, wenn Diktator Alijew mit Gaslieferungen lockt.

– Putin-Gazprom-Fernsehen NTW (1): Der Duma-Abgeordnete und frühere KGB-Mann Andrej Lugowoi berät eine TV-Produktionsfirma: „Beim Sender NTV, der Gazprom gehört, soll bald eine Agentenserie nach einer wahren Begebenheit laufen, über die Lugowoi wohl bestens Bescheid weiß: Es geht um die Polonium-Vergiftung des Putin-Kritikers Alexander Litwinenko im Londoner Exil. Für die britischen Ermittler gilt Lugowoi als Hauptverdächtiger, was dieser bestreitet“ (Personalien, in Der Spiegel 51/15.12.2014). – „Lugowoi hat sich in den Monaten vor Litwinenkos rätselhaftem Tod mehrfach geschäftlich mit diesem getroffen, zuletzt am 1. November 2006, dem Tag, an dem Litwinenko erste Anzeichen der später zu seinem Tod führenden Vergiftung zeigte. Spuren von Polonium-210 fanden sich an vielen Orten, an denen sich Lugowoi seit seiner letzten Anreise nach London am 16. Oktober aufhielt. Von Seiten der britischen Generalstaatsanwaltschaft wird Lugowoi seit 22. Mai 2007 offiziell des Mordes an Litwinenko beschuldigt. Im Juli 2006 hatte das russische Parlament ein Gesetz verabschiedet, das es russischen Staatsorganen ausdrücklich erlaubt, sogenannte Extremisten im Ausland zu ‚liquidieren‘; dabei zählen zu den Extremisten auch die, welche ‚den Staatspräsidenten verleumden‘. Die Entscheidung über staatliche Hinrichtungen außerhalb der geltenden Gesetze fällt demnach allein der Präsident“ (Wikipedia, Lugowoi).
Nachtrag: Nach britischem Untersuchungsbericht gab Putin den Litwinenko-Mord in Auftrag
Ein britischer Untersuchungsbericht sah im Januar 2016 eine Billigung des Mordes an Alexander Litwinenko durch Wladimir Putin höchstpersönlich und dem damaligen FSB-Chef Nikolai Patruschew als wahrscheinlich an: “Sie sollen den Mord am einstigen KGB-Agenten und späteren Kreml-Kritiker Alexander Litwinenko in Auftrag gegeben haben, der 2006 in London an einer Poloniumvergiftung starb. Dem 43-Jährigen soll das Gift in den Tee gemischt worden sein” (Putin soll Mord an Kreml-Kritiker Litwinenko gebilligt haben, in spiegelonline 21.1.2016; So heimtückisch tötet Polonium-210, in spiegelonline 21.1.2016).

– Putin-Gazprom-Fernsehen NTW (2): Der Blogger und Putin-Gegner Alexej Nawalny hatte 2011 und 2012 die Massenproteste gegen die massiven Wahlfälschungen angeführt, die Putin zum dritten Mal in das Präsidentenamt brachten. Alexej Nawalny und sein Bruder Oleg wurden von einer Putin-nahestehenden Sonderstaatsanwaltschaft angeklagt, mit ihrer damaligen Speditionsfirma vor Jahren den Kosmetikkonzern Yves Rocher um umgerechnet 600.000 Euro geprellt zu haben. „Sogar Mitarbeiter von Yves Rocher sagten im Prozess, der Firma sei kein Schaden entstanden“ (Bidder, Benjamin, Der Bruder muss büßen, in spiegelonline 30.12.2014). „Nur vier Tage nach Eingang der Anzeige berichtete der Gazprom-Sender NTV groß über die Vorwürfe gegen Alexej Nawalny“ (Ebenda; Hervorhebung WZ). Alexej Nawalny wurde am 30.12.2014 zu dreieinhalb Jahren auf Bewährung verurteilt. Sein Bruder Oleg muss für dreieinhalb Jahre in eine Strafkolonie (Ebenda). Die Urteilsverkündung wurde vom 15. Januar 2015 auf den 30. Dezember 2014 vorverlegt, um Demonstrationen zu vermeiden. „Zwischen Silvester und dem 10. Januar verabschiedet sich ganz Russland in die Winterferien. Behörden haben geschlossen, Unternehmen stoppen den Betrieb und vor allem: Zeitungen erscheinen nicht. Dabei ist der Druck auf kritische Medien ohnehin ähnlich hoch wie auf Oppositionelle. Die Organisation Reporter ohne Grenzen beklagt, dass die Pressefreiheit in Russland so eingeschränkt sei, wie seit dem Ende der Sowjetunion nicht mehr. Immer neue Gesetze bereiten kritischen Medien Probleme, immer wieder werden kritische Journalisten und Journalistinnen wie die Chefredakteurin des angesehenen Nachrichtendienstes Lenta.ru, Galina Timtschenko, entlassen“ (Beitzer, Hannah, Freiheit sieht anders aus, in sueddeutsche.de 30.12.2014). Nach dem Urteil sagte Alexej Nawalny: „Dieses Regine hat kein Recht zu existieren, es muss zerstört werden“ (Ebenda).

– Gazprom über Nordkorea nach Südkorea: „Russland hat den nordkoreanischen Machthaber Kim Jong Un nach Moskau eingeladen. (…) Nordkorea unterstützt Russland in der Ukraine-Krise. Russland sucht zudem die Allianz mit Nordkorea, um seine Erdgasexporte nach Südkorea auszubauen. Putin hatte jüngst einen persönlichen Gesandten Kims empfangen und sich dabei für einen Ausbau der Beziehungen ausgesprochen“ (Putin lädt Kim nach Moskau ein, in spiegelonline 17.12.2014; Hervorhebung WZ).

– Deutsch-russische Gasgeschäfte scheitern. Am 18.12.2014 teilte BASF mit, dass der Milliardentausch von Unternehmensteilen zwischen der BASF-Tochter Wintershall und Gazprom gestoppt sei. „Gazprom wäre seinem Ziel näher gekommen, Gas nicht mehr nur an der europäischen Grenze abzuliefern. Erstmals hätte der Konzern Endkunden direkt beliefern können. Zudem hätte das Unternehmen Zugriff auf strategisch wichtige Gasspeicher in Deutschland erhalten und einen Teil des Gashandels kontrolliert. (…) Nach dem Aus für die Milliardenpipeline South Stream gilt das geplatzte Geschäft damit als weiterer Hinweis darauf, dass sich der Konzern in einer radikalen Kehrtwende vom Ausbau seines Geschäftes in Westeuropa verabschiedet“ (Balser, Markus, Kalte Grüße aus Moskau, in SZ 19.12.2014). – „‚Wir bedauern, dass der Asset-Swap nicht abgeschlossen wird‘, erklärte BASF-Chef Kurt Bock. Der Konzern werde seine Zusammenarbeit mit Gazprom in den bestehenden Gemeinschaftsunternehmen jedoch fortsetzen“ (Ebenda).
„BASF und der russische Staatskonzern hatten eigentlich schon 2012 vereinbart, dass die Öl- und Gastochter Wingas das hiesige Gashandels- und Gasspeichergeschäft vollständig an Gazprom abgibt. Dafür sollte BASF im Gegenzug mehr Anteile an großen Erdgasfeldern in Sibirien erhalten. (…) Irritiert nehmen westliche Manager zur Kenntnis, dass Konzernstrategien russischer Partner in diesen Tagen plötzliche Richtungswechsel erfahren. Im Fall BASF hatte Gazprom mit Nachdruck das Ziel verfolgt, Gas endlich direkt an deutsche Kunden zu liefern“ (Balser, Markus, Bohren unter Hochdruck, in SZ 20.12.2014). Putin persönlich habe schließlich den BASF-Gazprom-Deal abgelehnt.

– Osteuropa gespalten. Bulgarien hängt noch viel stärker von den russischen Gaslieferungen ab als Deutschland, wie der bulgarische Ministerpräsident Bojko Borrisow bei einem Besuch bei Angela Merkel sagte. „Auch die Linie osteuropäischer Länder hat für Moskau einen Haken. Man wolle ‚auf Grundlage der bestehenden europäischen Normen‘ verhandeln, betonte Borrisow. Das Problem: Genau die, darunter auch Transparenzpflichten, stoßen in Moskau und in der Gazprom-Zentrale auf wenig Gegenliebe“ (Balser, Markus, Braun, Stefan, Ein Hauch von Eiszeit, in SZ 17.12.2014).

– Gazprom und die Messe Frankfurt. Der Geschäftsführer der Messe Frankfurt berichtete von erfolgreichen Geschäften mit Russland: „Wir haben in Russland unser Geschäftstempo erheblich gesteigert und unseren Umsatz seit 2011 fast verdreifacht“ (Einecke, Helga, Auslandsgeschäft wird immer wichtiger, in SZ 18.12.2014). – „Gerade haben die Frankfurter mit dem Betreiber eines neuen Messezentrums in der Nähe des Flughafens von St. Petersburg einen Kooperationsvertrag unterschrieben. Mehrheitseigner ist der mächtige russische Konzern Gazprom. Elf Messen richten die Frankfurter in Russland aus“ (Ebenda).

– DEA-Verkauf gestoppt. Auch der Verkauf der RWE-Tochter Dea für fünf Milliarden Euro an die Investmentfirma Letter One des russischen Oligarchen Michail Friedman steht eventuell vor dem Aus: Großbritannien blockiert den Verkauf wegen der politischen Sanktionen gegen Russland (Ebenda). Die BASF teilte am Jahresende mit, dass ihre Tochter Wintershall ihre 15-prozentige Beteiligung an der South Stream Transport B.V. an den russischen Partner OAO Gazprom verkauft hat. Über den Kaufpreis wurde Stillschweigen vereinbart. Auch die französische EDF und die italienische ENI sind ausgestiegen (BASF steigt bei Pipeline-Projekt aus, in spiegelonline 29.12.2014).

– Erlöse aus Öl- und Gassektor werden „aufgegessen“. Der ehemalige russische Finanzminister Alexej Kudrin warnte Anfang 2013 im Spiegel, dass die Erlöse aus dem Öl- und Gassektor nicht einfach nur „aufgegessen“ werden dürften, sondern damit neue Industrien aufgebaut werden sollten. Stattdessen wurden unter Putin die Staatskonzerne ausgebaut, die inzwischen 50 Prozent der russischen Wirtschaft kontrollieren. „Großunternehmen wie Gazprom und Rosneft wirken zwar imposant. Sie erweisen sich aber auch als gigantische Geldvernichter. Der Energieriese Gazprom etwa hat zwischen 2011 und 2013 rund 50 Milliarden Dollar an Börsenwert verloren, wohlgemerkt: noch vor dem Ausbruch der Krise in der Ukraine“ (Bidder, Benjamin, Neef, Christian, Wimpernschlag der Anarchie, in Der Spiegel 52/20.12.2014; Hervorhebung WZ).

– Wenn das russische Erdgas ausbleibt… Deutschlands größter Gas-Fernnetzbetreiber ist Open Grid Europe in Essen: Drei Viertel der deutschen Erdgasmenge laufen durch dessen Rohre. Open Grid Europe ging aus der Ruhrgas AG hervor. Vor zehn Jahren „wurden Unternehmen wie Ruhrgas in mehrere Einheiten aufgespalten. Der Handel mit Gas, der Transport durch die Leitungen, der Verkauf an Endkunden – all das musste fortan getrennt betrieben werden. Das soll für mehr Wettbewerb sorgen (Boehringer, Simone, Liebrich, Silvia, Willmroth, Jan, Auf und zu, in SZ 20.12.2014). Im Herbst 2014 haben sich Brüsseler Beamte der EU Gedanken gemacht über einen möglichen Ausfall russischen Erdgases. Deutschland stünde wegen der EU-weit größten Speicherkapazitäten ganz gut da und könnte ca. 80 Tage die Versorgung aufrecht erhalten. „Wird das Gas knapp, versuchen erst die Händler, es aus anderen Quellen zu beschaffen, etwa über Holland. Misslingt das, können sie den Transport teilweise unterbrechen. Einige Abnehmer wie Industriebetriebe bekommen dann kein Gas mehr. Privathaushalte haben oberste Priorität, sie würden zuletzt von der Versorgung abgeschnitten“ (Ebenda).

– Gazprom-Produktion flau. Gazprom rechnet für 2014 mit der Produktion von 444,4 Milliarden Kubikmeter Erdgas (2013: 487,4): Das ist die geringste Menge in der Gazprom-Geschichte. Die EU erhielt 2013 125 Milliarden Kubikmeter Erdgas, das sind 27 Prozent ihres Bedarfs. Grund für den Rückgang sind die im Juni 2014 gestoppten Lieferungen an die Ukraine und die Sanktionen des Westens, aber auch russische Konkurrenten. „Andere Anbieter wie Novateg, Rosneft und Lukoil treten als Mitbewerber auf. Nach einer Einschätzung der Sberbank CIB haben Gazproms Konkurrenten ihren Marktanteil in diesem Jahr auf 35 Prozent fast verdoppeln können“ (Gazprom-Produktion auf historischem Tief, in spiegelonline 24.12.2014).

– Staatsgelder für Gazprombank. Der russische Finanzminister Anton Siluanow stellte der Gazprombank weitere 1,1 Milliarden Euro in Aussicht (Russland droht schwere Bankenkrise, in spiegelonline 27.12.2014). – „Wirtschaftsminister Anton Siluanow teilte zudem mit, die staatlich kontrollierte Gazprombank werde binnen einiger Tage 70 Milliarden Rubel erhalten“ (Russland hilft zweitgrößter Bank mit Milliarden, in spiegelonline 30.12.2014; das sind umgerechnet rund 965 Millionen Euro).

Januar 2015:

– Gasfelder der Ukraine. Putin ließ kurz nach den Olympischen Winterspielen 2014 in Sotschi die Krim völkerrechtswidrig annektieren. Ein wichtiger Grund mögen die riesigen Gasfelder um die Krim gewesen sein: „Denn seit der Annexion der Krim beansprucht Russland auch den Zugriff auf Meeresgebiete um die Halbinsel, die die  dreifachen Ausmaße der Landmasse haben – Rohstoffvorkommen im Wert vieler Milliarden Euro inklusive. Russland beruft sich dabei auf das internationale Seevölkerrecht, das Ländern in einem Streifen von fast 400  Kilometer vor der eigenen Küste die Hoheit über Rohstoffe einräumt. Die Regierung in Moskau hatte noch kurz nach der Annexion erklärt, es gebe keine Verbindung mit Gasgeschäften. Russland interessiere sich nicht für das Öl und Gas der Region“ (Balser, Markus, Quellen des Zorns, in SZ 9.1.2015).
Sehr interessanter Aspekt: Russland annektiert wider das Völkerrecht die Krim und beansprucht mithilfe des Seevölkerrechts die Krim-Gasvorkommen. Gasputin…
Der ukrainische Staatskonzern Naftogaz hat keinen Zugang mehr zu einigen Hochseefeldern. Die Krim-Tochter von Naftogaz, Chornomornaftogaz, wurde von Russland abgekoppelt, das Management durch Gazprom-Manager abgelöst, wie Naftogaz erklärte. Westliche Konzerne – u. a. Exxon und OMV -, wollten schon vor 2017 Gas fördern: Das Projekt ist gestoppt, und der Ukraine entgehen hohe Einnahmen (Ebenda). Außerdem hätte die Ukraine mit den eigenen Gasvorkommen ihre Abhängigkeit von Gazprom verringern können.
Als Zwischenlösung soll der „Reverse Flow“ dienen: Kiew möchte Gasimporte aus Westeuropa, „die durch eine Umkehrung der Fließrichtung bestehender Pipelines erfolgen könnten“ (Ebenda). So möchte die Ukraine von deutschen Gasversorgern fast drei Milliarden Kubikmeter Gas.

– RWE verkauft doch. Letter One, die Firma des russischen Oligarchen Michail Fridman, übernimmt spätestens im März 2015 von RWE die Öl- und Gasfördertochter Dea. Die 30 Milliarden Euro Schulden von RWE würden dadurch gerade einmal um fünf Milliarden Euro gesenkt (Balser, Markus, Bohren unter Vorbehalt, in SZ 17.1.2015).
Es ist schon frappierend, wie die beiden deutschen Stromriesen RWE und Eon trotz der Lizenz zum Gelddrucken jeweils Milliarden-Schuldenberge aufgehäuft haben – schon vor dem deutschen Atomausstieg. Managementfehler haben Misswirtschaft, Fehlspekulationen und falsche Investitionen verursacht.
Dea „hält Anteile an etwa 190 Öl- und Gaslizenzen in Europa, dem Nahen Osten und Nordafrika“ (Ebenda). Der Trick, um britische Bedenken zu umgehen: „Letter One hat sich demnach verpflichtet, das britische Dea-Geschäft mehrere Jahre rechtlich unabhängig und getrennt von den restlichen RWE Dea-Aktivitäten zu halten“ (Ebenda).

– Die tollen Geschäftsleute von RWE. „Nach derzeitigem Stand wird der Verkaufspreis deutlich unter den im vergangenen Jahr ausgehandelten fünf Milliarden Euro liegen. Die Gas- und Ölvorkommen in der britischen Nordsee werden aus dem Gesamtpaket ausgeklammert. (…) Wintershall hatte im vergangenen Jahr rund 4,5 Milliarden Euro geboten und damit wohl mehr, als Fridman nun bezahlen muss“ (Rückschlag beim Dea-Verkauf, in Der Spiegel 4/17.1.2015; Hervorhebung WZ).
Aus welcher Motivation heraus betreibt RWE den Ausverkauf an Putin-Russland? Finanzielle Gründe scheinen ja nicht ausschlaggebend zu sein.

– Gazprom verlagert. „Russlands Rohstoffkrise führt derweil in den Konzernen zu harten Einschnitten. Der russische Gaskonzern Gazprom verlagert einem Medienbericht zufolge seine Energie-Handelstochter von London nach St. Petersburg. Hintergrund seien der niedrige Ölpreis und die westlichen Sanktionen wegen der Ukraine-Krise, heißt es. Auch ein Umzug der deutschen Tochter war in der Vergangenheit diskutiert worden“ (Balser, Markus, Hans, Julian, Schwarzes Gift, in SZ 19.1.2015).

– Deutsche Industrie baut ab. Eine Folge des Ukraine-Krieges: „Nach einer Umfrage der Deutsch-Russischen Außenhandelskammer (AHK) wollen 30 Prozent der deutschen Unternehmen Personal in Russland abbauen“ (Deutsche Firmen leiden unter Ukraine-Krise, in spiegelonline 5.2.2015. Warum eigentlich „Krise“? Es ist ein veritabler Krieg, den Putin auf dem Boden der Ostukraine seit fast einem Jahr inszeniert). AHK-Präsident ist Rainer Seele, im Hauptberuf Vorstandschef der BASF-Wintershall, die gerade ihr Gasgeschäft an Gazprom verkaufen wollte. Seele: „Wir halten dem russischen Markt die Treue“ (Ebenda).

Februar 2015:

– Tourismus-Konzern Gazprom: “‘Gazprom. Wir machen Urlaub in Russland!’, steht auf einem riesigen Plakat an der Talstation zum Skigebiet des staatlichen Energiekonzerns. Nicht nur Beamte der Sicherheitsbehörden mussten im Herbst ihre Reisepässe bei den Behördenleitern abgeben – Auslandsreisen nur noch auf schriftlichen Antrag. In einigen Staatsunternehmen soll es ähnliche Regelungen geben. Wäre doch unfair, wenn nur die Chefs nicht reisen dürften, deren Namen auf den Sanktionslisten stehen” (Hans, Julian, Gertz, Holger, Ihr uns auch, in SZ 6.2.2015). Julia Nabereschnaja von der Umweltwacht Nordkaukasus: “Gazprom wolle das Skigebiet auf einen Gletscher mitten im Unesco-Weltnaturerbe-Park ausdehnen, um den Betrieb auch im Sommer in Gang zu halten. ‚Die Pläne dafür gibt es schon'“ (Ebenda).

– Ukraine-Gas und Gazprom. „Der russische Gaskonzern Gazprom behindert die Lieferung westeuropäischen Erdgases in die Ukraine. An einer Verbindungsstelle der Gaspipeline an der slowakisch-ukrainischen Grenze blockiert der russische Staatskonzern den Gasfluss aus dem Westen mit Verweis auf ein Übereinkommen mit der slowakischen Regierung aus dem Jahre 1999“ (Gazprom blockiert westeuropäische Gaslieferungen, in spiegelonline 8.2.2015). Laut dem Chef des ukrainischen Versorgers Naftogas, Andrij Kobolew, verstoße dieses Übereinkommen gegen Bestimmungen der europäischen Energieunion. „Durch die Richtungsumkehr des Gasflusses zwischen Russland, der Ukraine und Westeuropa werde es gelingen, im Jahre 2015 90 Prozent des Erdgases aus Europa zu beziehen, so Kobolew. Voraussetzung ist allerdings, den Streit mit Gazprom zu klären. Größter Lieferant der Ukraine ist neben dem norwegischen Statoil-Konzern der deutsche Energieriese RWE, der wiederum Gas aus Russland bezieht. Noch im Jahre 2013 stammten 95 Prozent der ukrainischen Gasimporte aus Russland“ (Ebenda).

– Nächster Ärger für RWE. Der damalige RWE-Konzernchef Jürgen Großmann wollte 2008 unbedingt in den russischen Strommarkt einsteigen. Er kooperierte mit dem russischen Milliardär Leonid Lebedew, dessen Konzern Sintez den Einstieg beim russischen Stromversorger TGK-2 vollzog. „RWE soll die Papiere plötzlich abgelehnt haben. Folge: Der Sintez-Aktienkurs stürzte ab. (…) Am 17. September 2008 schließlich, kurz nachdem die globale Finanzkrise mit der Pleite von Lehman Brothers ausbrach, soll der RWE-Chef den Deal per Telefon gestrichen haben – unter Verweis auf die unsicheren Zeiten“ (Balser, Markus, Filmreif, in SZ 5.2.2015). Nun hat Lebedew Großmann vor dem Essener Landgericht Großmann auf 900 Millionen Euro verklagt. „Für den von der Energiewende überrollten und hoch verschuldeten zweitgrößten deutschen Energiekonzern könnte der Rechtsstreit dann äußerst unangenehm werden, denn die Vorwürfe aus Russland reichen weit. RWE habe Lebedews Firma zuerst in die gemeinschaftliche Übernahme von großen Teilen des russischen Stromversorgers TGK-2 gedrängt, erklären seine Anwälte. Nach Beginn der Finanzkrise habe sich der Konzern dann aus dem Staub gemacht und Lebedew mit gewaltigen Schulden sitzen lassen. (…) So soll Großmann Ex-Kanzler Gerhard Schröder (SPD) eingeschaltet haben, um über Russlands Präsident Wladimir Putin Einfluss auf das Zustandekommen des Geschäfts zu nehmen. Für den deutschen Energiekonzern kommen die Vorwürfe aus Russland ungelegen. RWE versucht händeringend, ein anderes Milliardengeschäft mit russischen Investoren abzuschließen: Den Verkauf der Öl- und Gasfördertochter RWE Dea für fünf Milliarden Euro an den Investor Michail Fridman. Bis Ende März soll das Geschäft perfekt sein, damit RWE seinen riesigen Schuldenberg abbauen kann“ (Balser, Markus, Milliardär gegen Milliardär, in SZ 13.2.2015). – „Die Financial Times berichtet, dass Letter One einen Verkauf von Nordsee-Gasfeldern vorbereite. Die US-Bank Morgan Stanley, die Fridman schon beim Dea-Kauf behilflich war, könne schon bald mit der Suche nach Käufern beauftragt werden“ (Reuters/SZ, Funkkontakte – Michail Fridman, in SZ 7.4.2015).
Nachtrag 1: Am 24.3.2015 wies das Landgericht Essen die 900-Millionen-Euro-Klage gegen RWE ab – Großmann selbst ist dagegen noch nicht aus dem Schneider: „Eine Klage gegen Großmann sei zulässig, erklärte das Landgericht Essen“ (Russischer Oligarch scheitert mit Klage gegen RWE, in spiegelonline 24.3.2015). – Lebedews Konzern Sintez legte Ende April 2015 Berufung gegen diese Entscheidung des Landgerichts Essen ein (Steitbarer Oligarch, in SZ 29.4.2015).
Nachtrag 2: Lebedew behauptete, dass RWE von vornherein bei der Übernahme von TGK-2 als Sieger feststand. Der Chef des damaligen russischen Energiemonopolisten RAO Unified Energy Systems of Russia, Anatolij Chubais, sagte Lebedew, er habe eine Mehrheitsbeteiligung schon RWE zugesagt. „Am 14. März 2008, dem Tag der Versteigerung, habe es dann die nächste Überraschung gegeben, sagt Lebedew. Gut eine Stunde vor Start der Auktion habe ein Sintez-Manager einen Anruf von RWE erhalten. Man habe ihm befohlen, ein sehr niedriges Gebot abzugeben: 2,5 Kopeken pro Aktie. Der Sintez-Vertreter habe gefragt, ob man nicht lieber mehr bieten solle. ‚Die Antwort war ein deutsches Nein‘, sagt Lebedew. ‚So eins, das keinen Widerspruch duldet.‘ Gegen 14 Uhr schrieb Großmann eine Mail an ausgewählte Mitarbeiter. ‚Chubais informierte mich soeben telefonisch – schon einige Minuten, bevor es offiziell wäre – dass wir gewonnen hätten‘, hieß es darin. (…) Es habe bei der Auktion nur einen Bieter gegeben, teilt TGK-2 auf Anfrage mit. Illegal sei das nicht. Merkwürdig ist nur, dass in den Wochen zuvor noch die Namen zahlreicher anderer Interessenten durch die Presse gegangen waren. Genannt worden waren unter anderem der britische Energieriese International Power, der japanische Mischkonzern Mitsui, der deutsche Chemiekonzern Evonik und der russische Investor Prosperity Capital Management. (…) Lebedew sagt, das Geschäft sei gewissermaßen in der Familie geblieben. RWEs Russlandschef, Carsten Weber-Chubais, sei schließlich der Ehemann der Nichte von Anatolij Chubais“ (Schultz, Stefan, Oligarch wirft RWE dubiose Geschäfte in Russland vor, in spiegelonline 8.6.2015).

– Putin besucht Ungarn: Es geht um Gas. Am 17.1.2015 besuchte Putin seinen rechten Gesinnungsgenossen, den ungarischen Präsidenten Viktor Orbán. Putin und Orbán unterschrieben mehrere Wirtschafts- und Kooperationsabkommen. „Orbán möchte mit Putin außerdem die Modalitäten neuer Gaslieferungen verhandeln, da Ungarns Vertrag mit Gazprom dieses Jahr ausläuft“ (Verseck. Keno, Putins Besuch in Ungarn: Orbán verschaukelt die EU, in spiegelonline 17.2.2015). – „Ungarn habe nationale Interessen im Zusammenhang mit Russland, unter anderem günstige Bedingungen bei Gaslieferungen und eine Vereinbarung über das Recht Ungarns, russisches Gas auch zu exportieren“ (Kahlweit, Cathrin, Ungarn mittendrin, in SZ 17.2.2015).

– Putins Geheimnisse. Der Film von Michael Renz ist sehr aufschlussreich: “Mensch Putin! Über die Geheimnisse des russischen Präsidenten” (ZDF, 17.2.2015).

– Russland auch ohne Sanktionen in der Krise. Igor Nikolajew, Direktor des Instituts für strategische Analyse, Moskauer Hochschule für Wirtschaft: „Russland wäre auch ohne Sanktionen von ganz allein in die Krise gegangen“ (Rohrbeck, Felix, Thumann, Michael, Wer hat Schuld an der Misere? in Die Zeit 19.2.2015). Die Strukturreformen, die Ministerpräsident Dmitri Medwedew bis 2011 vorgeschlagen hat, seien immer wieder verweigert worden. Russland blieb vom Energiegeschäft abhängig. „Mindestens 52 Prozent des Staatshaushaltes kämen aus der Öl- und Gasindustrie“ (Ebenda).

– Putins Kontakte in das rechtsradikale europäische Lager: “Putins Netzwerk in Europa Wie Moskau rechte Parteien sponsert und unterwandert”. Von Hendrik Loven, Sabina Wolf, Katharina Kraft; Film in Report München, 24.2.2015, 21:45 – 22.15 hier

– Diktatoren-Erdgas. Die EU strebt noch 2015 Erdgas-Verhandlungen mit den Diktaturen Aserbeidschan und Turkmenistan an. Ein „Memory of Understanding“ soll die „Widerstandsfähigkeit der europäischen Gasversorgung steigern. „Turkmenistan etwa besitzt zwar eines der weltgrößten Gasvorkommen; der Ex-Sowjet-Staat ist aber auch eine Diktatur und zählt laut Transparency International zu den zehn korruptesten Nationen der Erde. Aserbaidschan belegt in einer Rangliste der Organisation Reporter ohne Grenzen zum Thema Pressefreiheit Platz 162 von 180. (…) Sinnvoller – und womöglich günstiger – wäre es, mehr Flüssiggas nach Europa zu importieren. Der Rohstoff wird dabei auf minus 164 Grad gekühlt und als sogenanntes liquified natural gas (LNG) per Tanker in alle Welt exportiert“ (Schultz, Stefan, Europa setzt auf Gas von Autokraten, in spiegelonline 22.2.2015). 

– Deutsche Gasspeicher nicht voll. Die deutschen Gasvorräte sind trotz des milden Winters auf dem niedrigsten Stand seit vier Jahren. 2012 lag der Befüllgrad bei 67,85 Prozent, 2014 bei 64,5 Prozent und jetzt im Februar 2015 bei 54 Prozent. Der Grund liegt im Gaspreis: Die Händler erwarten demnächst weit niedrigere Einkaufspreise. Falls Russland aufgrund des Ukraine-Kriegs die Lieferungen einschränkt, könnte es im März 2015 zu Versorgungsengpässen kommen. MdB Bärbel Höhn (Bündnis 89/Die Grünen): „Vorgaben für eine Mindestbevorratung hat die Bundesregierung entgegen aller Warnungen für Gas bislang nicht verabschiedet“ (Ausverkauf beim Speichergas, in Der Spiegel 8/14.2.2015).

– Gazprom-Gaslieferungen an die Ukraine vor dem Aus. „Das russische Energieunternehmen Gazprom droht, der Ukraine den Gashahn abzudrehen, wenn diese nicht innerhalb von zwei Tagen neues Geld überweist. Die Ukraine habe nur noch 219 Millionen Kubikmeter Gas übrig, für die bereits bezahlt wurde, teilte Konzernchef Alexei Miller mit. Die Ukraine bezieht ihr Gas gegen Vorkasse und hat laut Gazprom ihre nächste Zahlung noch
nicht überwiesen. Das noch übrige Gas würde gerade reichen, um den Bedarf für zwei Tage zu decken. Sollte es danach zu einem Lieferstopp kommen, ‚könnte dies auch Auswirkungen auf die europäische Energieversorgung haben‘, teilte Miller mit. Der staatliche ukrainische Gaskonzern Naftogaz beschuldigte dagegen Gazprom, bereits bezahltes Gas nicht zu liefern. Man habe am 19. Februar 114 Millionen Kubikmeter Gas bestellt, aber nur 47 Millionen erhalten, heißt es in einer Stellungnahme vom Dienstag. Man verlange dafür eine Erklärung“ (Gazprom droht Ukraine mit neuem Lieferstopp, in spiegelonline 24.2.2015).

– Schwache „EU-Energie-Union“. Der für die EU-Politik zuständige Vizepräsident der EU-Kommission, Maroš Sefcovic sagte, die Energie-Union solle die Grenzen zwischen den 28 nationalen Energiemärkten aufheben. Die deutsche Regierung wird sich dagegen aussprechen und hat bereits im April 2014 im Hinblick auf Wintershall und Eon klargemacht: „Deutsche Unternehmen haben mit russischen Unternehmen langfristige Verträge abgeschlossen, die teilweise noch eine Vertragslaufzeit über mehr als 20 Jahre haben. Die Bundesregierung ist kein Vertragspartner und nimmt keinen Einfluss auf die Vertragsingalte“ (Brössler, Daniel, Gammelin, Cerstin, EU will Moskaus Energie-Macht brechen, in SZ 24.2.2015). – „Bis 2030 soll die EU-Union aufgebaut sein“ (Ebenda).
Dann wird es zu spät sein. Außerdem wird auch das nicht zu verwirklichen sein. Die EU existiert meines Erachtens seit längerem nicht mehr als einheitliches politisches Gebilde, siehe Ungarn, Serbien etc.

– Ukraine und Gazprom im Krieg (1). Die Ukraine beklagte, dass ihr Gas-Pipeline-Netz gezielt angegriffen wird und verlangte von Gazprom 13 Milliarden Dollar. Moskau beliefert inzwischen die Ost-Ukraine: „Die Rechnung soll Kiew bekommen. Das Gas, das Gazprom seit vergangener Woche in die Ostukraine liefere, soll nach Ansicht des Krem die ukrainische Regierung bezahlen. ‚Gemäß den Verträgen muss Kiew für russisches Gas zahlen‘, erklärte Ministerpräsident Dimitrij Medwedew“ (Balser, Markus, Der Pipeline-Krieg, in SZ 24.2.2015). D.h. Russland liefert in die „Volksrepubliken“, und Naftogaz soll bezahlen – ohne Kontrolle der Lieferungen. Naftogaz hat Gazprom wegen zu hoher Preise vor dem Internationalen Schiedsgericht in Stockholm auf sechs Milliarden Dollar Rückzahlungen verklagt und will weitere sechs Milliarden Dollar wegen entgangener Transitgebühren. Naftogaz will außerdem künftig 90 Prozent der Gaslieferungen über die EU. „Gazprom fordert mehr als zehn Milliarden Dollar wegen nicht eingehaltener Verträge“ (Balser, Markus, Mahnung aus Moskau, in SZ 25.2.2015). Russland droht, die Gaslieferungen nach Westeuropa zu drosseln. „Schon jetzt kommt bei vielen Energieversorgern zehn bis zwanzig Prozent weniger Gas an als bestellt. Beobachter werten das als Machtdemonstration aus Moskau“ (SZ 24.2.2015).
Auch eine Reaktion auf die „EU-Energie-Union“.

– Ukraine und Gazprom im Krieg (2). Kiew versorgt Bevölkerung der „Volksrepubliken“ von Donezk und Luhansk nicht mehr mit Gas zu versorgen. Der russische Präsident Wladimir Putin sagte: „Das riecht nach Völkermord“ (Putin wirft Ukraine „Völkermord“ vor, in spiegelonline 25.2.2015. Klingt etwas seltsam, wenn der Verursacher von zwei Tschetschenien-Kriegen anderen Völkermord vorwirft). – „Vergangene Woche hatte der staatliche ukrainische Konzern Naftogaz angekündigt, Gaslieferungen in die Separatistengebiete zu stoppen. Als offiziellen Grund nennt Naftogaz Reparaturen an den vom Krieg beschädigten Leitungen. Russland selbst hatte bereits angekündigt, die Gaslieferung an die Ukraine zu unterbrechen, sollte diese die offenen Rechnungen nicht bald bezahlen. (…) Die Ukraine bezieht ihr Gas gegen Vorkasse und hat laut Gazprom für künftige Lieferungen noch kein Geld überwiesen. Das bereits bezahlte Gas reicht nach Schätzungen von Gazprom nur noch zwei Tage, hieß es am Dienstag“ (Ebenda). – „Die russische Gazprom versorgt die Rebellengebiete nun selbst – und möchte, dass Kiew dafür bezahlt. Die Gebiete gehörten ja zur Ukraine. Zynischer geht es kaum: Während Russland einerseits militärisch die Abspaltung der Rebellengebiete forciert, beharrt es anderseits auf der territorialen Integrität“ (Benz, Matthias, Die Ukraine und Putins viele Hebel, in nzz.ch 25.2.2015).

– Putins Gaspolitik: Nächstes Ziel Moldawien? „Tatsächlich bestimmt Russland bereits seit einem Vierteljahrhundert die Geschicke des kleinen Landes entscheidend mit:
– Die Moldau-Republik, unabhängig seit 1991, ist nahezu vollständig von russischen Energielieferungen abhängig, vor allem von russischem Gas. Das staatliche moldauische Gasunternehmen Moldovagas gehört zur Hälfte dem russischen Konzern Gazprom. (…)
– In Transnistrien im moldauischen Landesosten, wo seit 25 Jahren moskautreue Separatisten herrschen, hat Russland zudem rund 2000 Soldaten stationiert und umfangreiche Waffenlager eingerichtet, die es trotz eines Abkommens von 1999 nicht abzieht.
– Wann immer das Land mit seinen dreieinhalb Millionen Einwohnern in den vergangenen Jahren gegen den russischen Einfluss aufbegehrte, übte Moskau Druck aus. Meistens über den Gashahn, zunehmend auch mit Importsanktionen“ (Verseck, Keno, Putin hat die Republik Moldau im Blick, in spiegelonline 26.2.2015; Hervorhebung WZ).

– Russischer Haushalt mit großem Minus. „Die Sanktionen, die Rubelabwertung und der niedrige Ölpreis sowie Kapitalflucht haben Russland in eine tiefe Krise gestürzt“ (Ukrainer-Konflikt reißt riesige Löcher in russischen Haushalt, in spiegelonline 27.2.2015). Dazu kommen die hohen Kosten des Ukraine-Krieges. Deutsche Firmen leiden ebenso unter dem Ukraine-Krieg. „‚Russland wendet sich an Asien‘, warnte der Chef der Deutsch-Russischen Außenhandelskammer, Rainer Seele, am Freitag vor Unternehmern in Berlin. ‚Diese Marktanteile künftig zurückzugewinnen, wird schwierig, wenn nicht unmöglich.‘ Werde in Folge des Minsker Abkommens der Weg zu Frieden und stabilen Verhältnissen konsequent beschritten, müssten die Sanktionen schrittweise fallen. Seele, zugleich Vorstandsvorsitzender des Öl- und Gasproduzenten Wintershall, widersprach Behauptungen, deutsche Firmen zögen sich in Scharen aus Russland zurück. Nach wie vor seien 6000 Unternehmen mit deutscher Beteiligung im Land aktiv“ (Ebenda). Der US-Geheimdienstchef James Clapper „rechnet damit, dass die prorussischen Rebellen im Frühjahr die ukrainische Hafenstadt Mariupol angreifen werde“ (Ebenda).

– Kreml hatte Krim und Ostukraine schon im Februar 2014 geplant. Am 25.2.2015 veröffentlichte die russische Zeitung Nowaja Gaseta Auszüge aus einem Dokument, das beweist, wie der Kreml die Annektierung der Krim und den Einmarsch in die Ostukraine schon vor dem Sturz des damaligen Präsidenten Viktor Janukowitsch plante. Ein Nebeneffekt: „Mit dem Anschluss der Regionen im Osten der Ukraine werde zum einen die Kontrolle über das Gasnetz gesichert, heißt es. ‚Zugleich wird die geopolitische Konstellation in Ost- und Mitteleuropa grundlegend verändert. Russland bekommt wieder eine Hauptrolle“ (Hans, Julian, Katastrophe nach Plan, in SZ 26.2.2015).

März 2015:

– Michail Friedmans Helfer. Am 3.3.2015 wurde der RWE-Dea-Deal mit Friedmans L1 Energy besiegelt: Gerichtsverfahren werden folgen. Die britische Regierung wird klagen: Bei dem 5,1-Milliarden-Euro-Deal hat Gas einen Anteil von 20 Prozent. In Deutschland kauft Putin-Freund Friedman 20 Prozent der deutschen Gasförderung und 25 Prozent der deutschen Ölförderung (Sorge, Nils-Viktor, Wie Michail Friedman aus RWE Dea einen Weltkonzern schmieden will, in manager-magazin.de 3.3.2015). Geld zum Expandieren hat Friedman genug: Er verkaufte seinen 14-Milliarden-Dollar-Anteil am britisch-russischen Ölkonzern TNK-BP 2013 für 50 Milliarden Dollar an Rosneft: Da war der Ölpreis noch oben und der Ukraine-Krieg noch nicht angezündet. Ein Helfer wird Friedman ist der ehemalige BP-Chef Lord Browne, der seit 2013 für Friedman arbeitet. Laut Browne wird L1 Energy nach den USA expandieren (Ebenda). Friedman erwirbt mit Dea fast 200 Öl- und Gaslizenzen in Europa, dem Nahen Osten und Nordafrika (Balser, Markus, Am Tropf, in SZ 3.3.2015). – „Die Regierung in London kann den Verkauf nicht verbieten, sie kann aber dem Käufer Förderlizenzen entziehen. Für den Milliardendeal hat das schwere Konsequenzen. RWE muss sich verpflichten, die britischen Aktivitäten, deren Wert auf eine Milliarde Euro geschätzt wird, zurückzukaufen, falls Europa die befürchteten Sanktionen beschließt“ (Ebenda).
Dazu aus einem Kommentar von Markus Balser in der SZ: „In der deutschen Energiepolitik spielte die Vorsorge vor Rohstoffengpässen in den vergangenen Jahren kaum noch eine Rolle. (…) Wie trügerisch diese Sicherheit ist, zeigen in diesen Tagen die immer neuen Volten Russlands in der Ukraine-Krise. Seit Monaten liefert der Rohstoffriese Gazprom westlichen Konzernen weniger Gas, als diese bestellen – eine Machtdemonstration des Kreml. (…) Dass nun auch noch der deutsche Öl- und Gasförderkonzern RWE Dea an russische Investoren verkauft wird, könnte sich als verhängnisvoll erweisen. Weder die Bundesregierung noch die Europäische Kommission trauten sich, ihre Bedenken gegen das Milliardengeschäft offen zu äußern. Allein die britische Regierung sprach aus, was Politiker in vielen Hauptstädten Europas ein Dorn im Auge ist: Die Abhängigkeit von einem kaum berechenbaren Geschäftspartner wächst“ (Balser, Markus, Brisanter Verkauf, in SZ 4.3.2015).

– Gazprom-Rabatt für Ukraine? Am 2.3.2015 einigten sich Russland und die Ukraine unter Vermittlung der EU über die Gaslieferungen bis Ende März: es war die Rede von einem Rabatt von 100 Dollar pro 1000 Kubikmeter. Im März 2015 sollen dann die Gaslieferungen