Der Fifa-Präsident ist – wie bei allen großen Welt-Sportverbänden – automatisch Mitglied im IOC. Deshalb werden im Kleinen Olympischen Lexikon Fifa und Fußball mitbehandelt.
Intro
Seit den Achtzigerjahren mussten bei Wettkämpfen der Fifa (Fédération Internationale de Football Association) die Stadien „absolut sauber“ sein, um die Anzeigen der eigenen Sponsoren platzieren zu können. Damals gewann Horst Dassler Sepp Blatter als neuen Generalsekretär, den er noch in Landersheim ausbildete.
Der Autor des Buches Wie das Spiel verlorenging, David A. Yallop, hält die Fifa für eine chauvinistische Vereinigung: „Die Mitglieder: Männer. Das Exekutivkomitee: Männer. Das Spiel wird kontrolliert von alten, hässlichen, übergewichtigen Männern.“
Der alte Fifa-Slogan lautete: „Für das Gute im Spiel“. Der neue Slogan von 2007 lautet: „Für das Spiel. Für die Welt.“ Die ganze Welt – darunter tut es der Welt-Fußballverband nicht mehr. Der zweitägige Fifa-Kongress in Zürich 2007, wo der Slogan präsentiert wurde, kostete 14 Millionen Dollar. Finanziell kein Problem, wo doch die Gelder für die Fernsehrechte, die jeder WM-Veranstalter als Erstes an die Fifa abtreten muss, reichlich fließen.
Schießlich müssen die Fifa-Repräsentanten entlohnt werden – und nicht einmal schlecht. „In Blatters Zirkel kassiert mittlerweile jedes ehrenamtliche Exekutivmitglied 100.000 Dollar pro Jahr, plus 500 Dollar Taschengeld pro Tag, First-Class-Flüge, Fünf-Sterne-Hotels, Spesen. Weitere 250 Dollar pro Tag gibt es für mitreisende Damen. Und dann sind da noch irgendwelche Boni“ (Kistner 2012, S. 206).
Und was ist die Fifa in Wrklichkeit? „Ein Schweizer Verein, statuarisch auf Augenhöhe mit Pilz- und Hasenzüchtern, geführt allerdings von teils mit Strafermittlungen belasteten Personen, presst Regierungen über WM-Garantieforderungen den Zugang zu sensibelsten Daten ab“ (Kister 2012, S. 337).
Fifa und Diktaturen
Fifa-Generalsekretär Jérôme Valcke äußerte im April 2013: „Das mag jetzt vielleicht verrückt klingen, aber manchmal ist weniger Demokratie bei der Planung einer WM besser. Wenn es ein starkes Staatsoberhaupt mit Entscheidungsgewalt gibt, vielleicht wie Putin sie 2018 hat, ist es für uns Organisatoren leichter als etwa in Ländern wie Deutschland, in denen auf verschiedenen Ebenen verhandelt werden muss“ (SID, Valcke: „Weniger Demokratie bei Planung hilfreich“, in welt.de 24.4.12013). – Fifa-Pate Sepp Blatter lobte gleichzeitig die „versöhnende Kraft des Fußballs“ – ausgerechnet am Beispiel der WM 1978 in der damaligen Militärdiktatur Argentinien: „Es war die erste WM, in die ich direkt involviert war und ich bin glücklich gewesen, dass Argentinien gewann. Zwischen der Bevölkerung und dem politischen System hat es eine Art Aussöhnung gegeben“ (Ebenda). Grit Hartmann bemerkte dazu: „Der Junta diente das Turnier zur Stabilisierung sowie zur internationalen Legitimation, und die Fifa trug dazu bei. Deren Präsident Joao Havelange erkannte die Vorteile schon unmittelbar nach dem Staatsstreich der Militärs: ‚Jetzt ist Argentinien in der Lage, die WM auszurichten‘. Nach dem glatten Turnierverlauf behauptete er, die Welt habe „das wahre Gesicht Argentiniens‘
gesehen“ (Hartmann 6.6.2014).
Fifa und ISL/ISMM
Unter Blatter war die Fifa in den Betrugsfall der Sportmarketinggruppe > ISL/ISMM verwickelt, die 138 Millionen Schweizer Franken (90 Millionen Euro) weltweit an hohe Sportfunktionäre gezahlt hatte. Blatter soll auf Weiterbeschäftigung des Geldboten > Jean-Marie Weber bestanden haben, der als Einziger alle bestochenen Personen kannte. Die Fifa trat zunächst 2001 als Privatkläger auf, da ihr 60 Millionen US-Dollar aus Fernsehverträgen vorenthalten wurden, zog dann aber im Juni 2004 völlig überraschend die Klage zurück. Jean-Marie Weber bezahlte 2,5 Millionen Franken Geldbuße, damit der Konkursverwalter im Fall ISL/ISMM den Auftrag zu Ermittlungen gegen Sportfunktionäre zurückzog.
„Das Urteil belegt, wie über Firmen, Stiftungen und Schwarzkonten des ISL-Konglomerats 138 Millionen Schweizer Franken (90 Millionen Euro) Schmiergeld an hohe Funktionäre des Weltsports gezahlt wurden“ (Weinreich 25.11.2008). Die Ausarbeitung der Vereinbarung zwischen Weber und dem Konkursverwalter besorgte der Anwalt Peter Nobel, der gleichzeitig Blatters persönlicher Anwalt ist.
Im November 2005 ließ ein Untersuchungsrichter Blatters Büro im Zug des ISL/ISMM-Skandals durchsuchen. Im Juni 2010 kamen Spitzenmitarbeiter der Fifa gegen eine „Wiedergutmachungszahlung“ von 5,5 Millionen Franken und die Übernahme der Kosten des Verfahrens straffrei davon. Die Namen der korrupten Funktionäre wurden geheim gehalten. „Fifa-Funktionäre geben zu, Schmiergelder klassiert zu haben – und die Fifa bleibt untätig“, beschrieb Thomas Kistner (SZ 25.6.2010) den Vorgang, bei dem der Insolvenzverwalter zwei Dutzend Empfänger von Schmiergeldern in den großen Sportverbänden wie Fifa, IOC, IAAF identifizierte. So betrieb der brasilianische Verbandschef Ricardo Teixeira mit seinem früheren Schwiegervater und früheren Fifa-Präsidenten > Joao Havelange die Firma Renford Investments, die von ISL mindestens 2,5 Millionen Dollar erhielt und nicht an die Fifa weiterleitete.
„Seine Vergehen sind Legende, allein die parlamentarischen Untersuchungsberichte über das Verschwinden Dutzender Millionen Dollar füllen tausend Seiten Akten. Obgleich Teixeiras Mitwirkung an dubiosen Finanztransaktionen bestens dokumentiert ist, wurde er von seinen Freunden aus der Politik herausgepaukt, etwa von Brasiliens Staatspräsident Luiz Inácio Lula“ (Weinreich 5.6.2010).
Ein Schmiergeldprozess im Zusammenhang mit der brasilianischen Connection wäre natürlich angesichts der Fußball-WM 2014 in Brasilien superpeinlich geworden.
Der Europa-Rat legte im April 2012 den Report “Gute Geschäftsführung und Ethik im Sport” vor. In dem Bericht wird festgehalten, dass sich Spitzenfunktionäre der Fifa in der ISL-Affäre eines “kriminellen Missmanagements” schuldig gemacht hätten. “Für den Rechteerwerb wurden jahrzehntelang Sportfunktionäre bestochen, allein von 1989 bis 2001 waren rund 140 Millionen Schweizer Franken geflossen” (Kistner 25.4.2012). Die Fifa und zwei lateinamerikanische Funktionäre (Havelange und Teixeira) bezahlten 5,5 Millionen Franken, um die Einstellung des Verfahrens zu erreichen. Francois Rochebloine vom Europarat-Ausschuss Kultur, Wissenschaft, Erziehung und Medien hielt fest: “Herr Blatter war Technischer Direktor der Fifa von 1975 bis 1981, Fifa-Generalsekretär von 1981 bis 1998 und ist seither ihr Präsident. Da die Fifa von signifikanten Zahlungen an bestimmte ihrer Offiziellen wusste, ist kaum vorstellbar, dass Blatter nichts davon wusste” (Ebenda).
Thomas Kistner stellte sich die Frage, warum die Konkurrenten gegen diese offensichtlichen Schiebereien und Kurruption in der Fifa nie etwas unternahmen und unternehmen: „Weil irgendwann wieder neue Rechte veräußert werden, und man will es sich nicht für alle Zeiten mit dem Weltverband verscherzen“ (Kistner 2012, S. 89).
Fifa und die Welt
Auf der Website Fifa.com ist der Satz zu lesen: „Bei heute 208 in der Fifa zusammengeschlossenen Verbänden ist das höchste Organ des Weltfußballs zu Recht als ‚Vereinte Nationen des Fußballs’ bezeichnet worden.“
„Wir sind mächtiger als die UNO“, erklärte Fifa-Präsident Blatter und dachte vermutlich nicht nur an die 208 Mitgliedsstaaten (Rüttenauer 11.4.2008). Sein Verband sei auch größer als die katholische Kirche und gebiete über ein Sechstel der Weltbevölkerung.
Die Fifa gibt sich auch stärker als Nationalstaaten und kanzelte zum Beispiel französische Politiker ab, die nach dem blamablen Ausscheiden der französischen Nationalmannschaft bei der WM 2010 Konsequenzen im nationalen Fußballverband gefordert hatten (siehe weiter unten).
Fifa und Infront
Der Lieblingsneffe von Sepp Blatter, Philippe Blatter, der vorher als Mitarbeiter von McKinsey die Bücher geprüft hatte, wurde Präsident und CEO der Sportrechte-Agentur Infront, die zusammen mit der Fifa die Fußball-WM 2010 in Südafrika vermarktet. „Die Fifa beteuert, dass die Personalie reiner Zufall sei: Infront sei ja eine ‚unabhängige Firma, wir haben nichts damit zu tun'“ (Kistner 2012, S. 209).
Die Fifa-Einnahmen der WM 2006 in Deutschland lagen bei 2,2 Milliarden Euro; die der WM 2010 werden wohl bei vier Milliarden Euro liegen: Allein die Fernsehrechte bringen 1,6 Milliarden Euro. In der Schweiz ist die Fifa kein gewinnorientierter Verein (!); aber auch alle Einnahmen im Gastgeberland sind steuerfrei – das lässt sich die Fifa vor der Vergabe der Fußball-WM (wie auch das IOC bei Olympischen Spielen) von der jeweiligen Regierung per Gesetz zusichern.
Fifa und Südafrika
Das Land hatte 2009 ein Haushaltsdefizit von rund 80 Milliarden Rand (etwa 8,5 Milliarden Euro) Die WM kostet Südafrika etwa vier Milliarden Dollar für die Stadien plus weitere Milliarden für den Ausbau von Straßen und Flughäfen: Damit hätte man das gesamte südafrikanische Gesundheitswesen sanieren können. Fünf Fußballstadien wurden neu gebaut, fünf generalüberholt: zehn Stadien, die nach der Weltmeisterschaft weitgehend zu > White Elephants werden.
„Die Liga in Südafrika braucht im Alltag die vielen Stadien nicht, die von der Fifa verlangt werden für so ein Turnier, sie werden vor sich hinrotten oder rückgebaut werden wie die Arenen in Japan und Südkorea“ (Gertz/Kistner 2010).
Im Dezember 2010 war klar: Die für mehr als zwei Milliarden Euro Stadien neu gebauten und sanierten zehn Stadien werden weitgehend ungenutzt bleiben. Das von Blatter geforderte „Greenpoint Stadium“ ist nach ganzen sechs WM-Spielen bereits jetzt ein „White Elephant“. Es kostet pro Jahr vier Millionen Euro Unterhaltskosten. Die Rugby Clubs lehnten einen Umzug dorthin dankend ab, ebenso die Cricket Clubs. Da half es auch nichts, dass Blatter Mitte Dezember 2010 mit einem 60-Millionen-Scheck für die südafrikanische Fußball-Jugend einflog und posaunte: „Die Fifa ist kein Zirkus, der sein Zelt nach der Vorführung abbaut und weiterzieht. Wir werden ein bleibendes Vermächtnis hinterlassen“ (Dieterich 23.12.2010).
Wäre es wenigstens nur ein Zelt gewesen, das die Fifa in Südafrika hinterlassen hätte!. Die zehn unbrauchbaren Stadien sind in der Tat ein schwerwiegendes „bleibendes Vermächtnis“.
Statt der erwarteten halben Million Besucher kam nur ein Drittel. Die teuren VIP-Pakete erwiesen sich als Ladenhüter. Das Bruttosozialprodukt soll durch die WM 2010 um ganze 0,5 Prozent ansteigen – bei über vier Milliarden Euro, die für 31 Tage WM-Zirkus investiert wurden. Eine Studie der Citybank stellte fest, dass die Macht im Land zugunsten der Fifa und globaler ökonomischer Interessen verschoben wurde. Immerhin können die Bewohner des Nobel-Stadtteils Sandton jetzt in zwölf Minuten über eine 20 Kilometer lange U-Bahn den Flughafen erreichen.
Im Südafrika des Jahres 2010 gibt es mit 2600 Elendssiedlungen achtmal so viele wie 1994, dem Jahr des Endes der Apartheid. Offiziell ist ein Viertel der Bevölkerung in Südafrika arbeitslos; der inoffizielle Anteil liegt weit darüber. Millionen Südafrikaner leben in Armut. Was hätte das Land alles dringender gebraucht als diese pompöse und bombastisch teure Fußball-Infrastruktur: zum Beispiel Investitionen in Bildung und Ausbildung, Arbeitsplätze, Gesundheitswesen, Soziales, Wasserversorgung etc. In den zahlreichen Slums gibt es keinen Strom, keine Wasserversorgung und keine Abwasserkanäle: Das Abwasser läuft oberirdisch ab, und Kinder infizieren sich dadurch (Perras 6.7.2010).
Doch Südafrika brachte vier Milliarden Euro für die WM auf, und die Fifa nahm vier Milliarden Euro ein: Das nennt man ein ausgeglichenes Budget! Und die deutsche Industrie erbeutete Aufträge in Höhe von 1,5 Milliarden Euro beim Bau von Stadien und Straßen und dem durch die WM nötigen Ausbau der Energieversorgung (SZ 13.7.2010).
Dazu wurden für die Zeit der WM 2010 auf Wunsch der Fifa 56 Schnellgerichte eingerichtet, um Kleinkriminelle zügiger aburteilen zu können. 110 Richter, 260 Staatsanwälte, 200 Dolmetscher und 1500 Hilfskräfte wurden dafür eingesetzt. „Südafrika habe sich zum Büttel der Fifa gemacht, erklärte ein hoher westlicher Diplomat“ (Osang 5.7.2010). Und Holger Gertz schrieb in der Süddeutschen Zeitung: „Dass ein kleiner Dieb ohne große Debatte zu 15 Jahren Haft verurteilt werden konnte, war vorher nicht üblich – und ist Ausdruck eines sehr speziellen Rechtsempfindens“ (SZ 13.7.2010)
Vor der WM 2010 – wie in Vancouver 2010 – wurden Bettler, Obdachlose und andere sozial Auffällige aus den südafrikanischen Innenstädten verbannt. Die Bewohner von Slums in der Nähe der Sportstätten wurden umgesiedelt und Menschenrechte eingeschränkt, ganz ähnlich wie bei Olympischen Spielen. Die Fifa richtete Bannmeilen um die Stadien ein: Händler durften ihrem Beruf nicht mehr nachgehen, Garküchen mussten wegen der offiziellen Fifa-Partner schließen, „Alle wollen etwas gewinnen bei so einer Weltmeisterschaft, aber die meisten gewinnen nichts – abgesehen von der Fifa natürlich und den Sportartikelfirmen“ (Gertz 9.7.2010).
Blatter und seine Fifa-Kollegen bezogen dagegen während der WM 2010 in Südafrika wie üblich die besten Suiten in den teuersten Hotels und verfolgten von Ehrenlogen aus die Fußballspiele. Blatter standen die zwei Privatjets „Fifa One“ und „Fifa Two“ zur Verfügung.
Zwischen 2007 und 2010 nahm die Fifa 4,189 Milliarden Dollar ein und bestätigte die Haupteinnahmequelle, den „finanziellen Erfolg der Fußball-Weltmeisterschaft in Südafrika“ (spiegelonline 3.3.2011). Der Überschuss stieg auf 631 Millionen Dollar, die Reserven auf 1,28 Milliarden Dollar. Für die Fernsehrechte der WM 2018 und 2022 wurden allein für den Nahen und Mittleren Osten und ausgewählte Gebiete in Asien 1,7 Milliarden Dollar eingenommen.
Das Gehalt des Fifa-Präsidenten Blatter ist seit 1998 strengstes Geheimnis. Das Gehalt des Fifa-Personals ist großzügig. Thomas Kistner hat einen Vergleich gezogen: „Während der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg im Jahr 2010 für 47 Richter und 629 Mitarbeiter nur 55 Millionen Euro an Löhnen bezahlt habe, liegt dieser Wert bei der Fifa enorm viel höher: Für die 387 Angestellten und 24 Mitglieder des Exekutivkomitees gab der Weltverband insgesamt 102 Millionen Euro aus“ (Kistner 2012, S. 403).
Fifa und die Südafrikaner
Selbst die billigsten Plätze waren für die meisten Afrikaner zu teuer. Hunderte Sicherheitskräfte protestierten wegen unerfüllter Lohnforderungen. Demonstranten trugen Plakate mit Sprüchen wie „Apartheid gibt es noch immer“, „Weltmeisterschaft für alle“ und „Verschwinde, Fifa-Mafia“. Das Politmagazin Newsweek titelte: „Sepp Blatters Zirkus: Die große Fifa-Abzocke.“
Die Cape Times schrieb: „Je mehr wir hören, wie die Fifa versucht, bei der WM fast jeden Aspekt unseres Lebens zu kontrollieren, umso klarer wird, dass wir unser Geburtsrecht an Blatter verschleudert haben.“ Die Fifa antwortete nicht eben geschickt: „Es ist einfach nicht wahr, dass wir während der WM Südafrika übernehmen, wir nehmen nur einen Teil unter Kontrolle“ (sueddeutsche.de 27.5.2010).
Der Gewerkschaftsfunktionär Eddie Cottle urteilte im Oktober 2010: „Der Gewinner ist mal wieder die Fifa. Der Verlierer der südafrikanische Staat und seine knapp 50 Millionen Bürgerinnen und Bürger“ (Haselbauer 19.10.2010). In Südafrika herrschten zur WM die Fifa-Gesetze und keine anderen. Und vier der zehn Arenen stehen seither leer und verfallen schon.
Jeder zweite Südafrikaner zwischen 15 und 24 Jahren findet keine Arbeit. Fast jeder zweite Südfafrikaner lebt in bitterer Armut. Und die für Südafrika so teuere WM ist vorbei. „Was soll nun mit all den Fußballtempeln geschehen, die für teures Geld aus dem Boden gestampft wurden und nicht mehr ausgelastet sind?“ (Perras 14.4.2011) Allein das Cape Town Stadium in Green Point hat 450 Millionen Euro gekostet: Niemand weiß, wie es künftig genutzt werden soll.
Viele deutsche Unternehmen profitierten. So baute das Hamburger Architekturbüro Gerkan, Marg und Partner (gmp) drei der zehn Fußballstadien (Läsker 25.5.2010). Der Versicherungskonzern Munich Re versicherte die WM gegen Ausfälle (Hesse 20.5.2010).
Unverständlicherweise reichen die negativen Erfahrungen noch nicht: Südafrika denkt an eine Bewerbung für die Olympischen Sommerspiele 2020. IOC-Präsident Jacques Rogge kommentierte: „Good news“ (SZ 25.6.2010). Und er ergänzte später: „Wir wären glücklich, wenn sich Südafrika bewerben würde“ (Raupp 12.7.2010). Damit würden die nächsten Milliarden in eine unnütze Sport-Infrastruktur investiert werden.
Fifa und die Kontrolle
Die Ersatzspieler der Nationalmannschaften wurden zu Werbeträgern mit Fifa-Leibchen. Im weiträumigen Umfeld der Stadien und Fanparks durfte niemand ohne Zustimmung der Fifa Geschäfte machen oder werben. Die Fifa besaß durch den Merchandise Marks Act Hausrecht, um auf diese Weise die sogenannte Trittbrett-Werbung zu verhindern. So wurden zwei Holländerinnen inhaftiert, weil sie Kleider einer niederländischen Brauerei getragen hatten. Sie wurden erst freigelassen, nachdem die Brauerei sich verpflichtet hatte, das Fifa-Reglement bis zum Jahr 2022 anzuerkennen.
Die Bildregie der Fernsehübertragungen bevorzugte die für Zuschauer langweiligere Totale: So war die elektronisch gesteuerte Bandenwerbung der Sponsoren besser zu lesen.
Als die französische Sportministerin nach dem blamablen Auftritt der Nationalmannschaft bei der WM 2010 in Südafrika den Rücktritt des Verbandschefs forderte, teilte der Generalsekretär der Fifa (und Franzose) Jérôme Valcke ultimativ mit: „Ich habe der Sportministerin gesagt, dass sie vorsichtig sein soll. Kein Politiker kann einen Sportfunktionär zum Rücktritt zwingen.“ Und Blatter warnte den französischen Staatspräsidenten Sarkozy vor jeglicher Intervention, da politische Einmischung von der Fifa geahndet wird: „Der französische Fußball kann auf die Fifa zählen, sollte es zu politischen Einmischung kommen – selbst wenn es auf präsidialer Ebene geschieht“ (SZ 30.10.2010). Er drohte mit dem Ausschluss des französischen Fußballs von internationalen Wettbewerben.
Im Oktober 2010 suspendierte die Fifa den nigerianischen Verband: Als Begründung wurde die Einmischung der Regierung in interne Angelegenheiten genannt, aber auch die Gerichtsverfahren gegen hohe Verbandsfunktionäre wegen des Verdachts der Korruption (!). (Fifa suspendiert nigerianischen Verband, in spiegelonline 4.10.2010)
Die Fifa besitzt in solchen Fällen die Macht, einen Landesverband von der WM auszuschließen. Man nimmt zwar gern das Geld des Staates – aber bitte ohne jede Mitsprache. (Die Sportfunktionäre des IOC halten es schließlich genauso.)
Fifa und Brasilien 2014
Zwölf Spielorte soll es für die WM 2014 in Brasilien geben. An sechs Stadien wird 2010 gebaut. Allein für die Renovierung des Stadions Maracana in Rio de Janeiro sollen 270 Millionen Euro ausgegeben werden. Die Stadien in Manaus im Amazonasgebiet und in Ciuaba im Bundesstaat Mato Grosso werden nicht einmal von Erstligisten genutzt. Über 100 Milliarden Dollar will Brasilien für die Fifa-WM 2014 und die Olympischen Sommerspiele 2016 investieren: Unsummen an sinnlos investiertem, verlorenem Geld in einem Land mit katastrophaler Armut. (Burghardt 13.7.2010).
Dazu plant Brasilien mitten im Amazonasgebiet den drittgrößten Staudamm der Welt mit 11.000 Megawatt – das Kraftwerk Belo Monte -, für das 500 Quadratkilometer Urwald überflutet werden sollen. 50.000 Ureinwohner müssten umgesiedelt werden. Als Begründung wird neben dem großen Stromausfall im November 2009 die nötige Energieversorgung für die Fußball-WM 2014 und die Olympischen Sommerspielen 2016 in Rio de Janeiro genannt. Die Regierung setzte den Bau gegen das Justizministerium des Bundesstaates Pará durch, das den Staudamm als „Affront gegen Umweltgesetze“ bezeichnet hatte (Schoepp SZ 24.4.2010; vgl. auch www.regenwald.org).
Im November 2010 wurde bekannt, wie der Schwiegersohn des früheren Fifa-Präsidenten João Havelange, Ricardo Teixeira, an der WM 2014 profitiert. (Vgl. Havelange, João)
Die Fußball-WM wirft ihre Schatten voraus
Aus einem Gastkommentar von Christopher Gaffney in n-tv: „Die brasilianischen Vorbereitungen für die WM wurden von den Anforderungen und Voraussetzungen der Fifa bestimmt. Damit ein Spiel einer Fifa-WM stattfinden kann, bedarf es eines Stadions nach Fifa-Standard, eines Transport- und Sicherheitsplans, ausreichender Flughafen- und Hotelkapazitäten, Kommunikationsinfrastruktur und finanzieller Garantien. (…) In Brasilien sorgt der desaströse Zustand der städtischen Infrastruktur jedoch dafür, dass alle WM-Städte in allen Fifa-Kategorien investieren mussten, um die Anforderungen zu erfüllen. Als der Fußball-Weltverband 2007 die WM-Endrunde an Brasilien vergab, hieß es, dass nicht ein einziges Stadion im Land WM-tauglich war – obwohl das Maracana-Stadion in Rio de Janeiro erst 2007 für die Pan-Amerika-Spiele für 100 Millionen Dollar renoviert worden war. (…) Alle städtischen Stadien, die für die WM saniert wurden, wurden privatisiert. Das hat schon 2013 zu einem Anstieg der Ticketpreise um 32 Prozent geführt. Die unteren Schichten in Brasilien können es sich nicht länger leisten, Profi-Fußball anzuschauen. Die Drehkreuze vor den Stadien sind zu sozialen Filtern geworden, die nur noch die Mittel- und Oberklasse passieren kann. Noch schlimmer ist, dass die WM Straßenhändlern die Möglichkeit nimmt, ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Der öffentliche Raum rund um WM-Stadien wird im Namen der Fifa und ihrer Sponsoren von öffentlichen Sicherheitskräften überwacht und gesäubert. Die massiven Ausgaben für die öffentliche Sicherheit führen zu einer Militarisierung des öffentlichen Raumes. Drohnen und Roboter werden während der WM durch die brasilianischen Städte patrouillieren. Während des Confed-Cups gehörten Soldaten plötzlich wieder zum Straßenbild – etwas, das es seit den Tagen der Militärdiktatur nicht mehr gegeben hatte“ (Gaffney 4.3.2014).
170.000 Polizisten und Soldaten für die WM
In der SZ schrieb Thomas Kistner zur WM 2014: „Ein Heer aus 170.000 Militärs und Polizisten stellt die Regierung mit Hilfe französischer Polizeiexperten für den Vorstadt-Nahkampf auf die Beine; konservativen Politikern in Brasilia erscheint die Gelegenheit günstig, gleich auch die Anti-Terror-Gesetzgebung im Land zu verschärfen. (…) Nur noch 52 Prozent der Brasilianer stehen laut Institut Datafolha hinter der WM; gestiegen sei die Zahl der WM-Gegner von anfänglich zehn auf den Höchststand von 38 Prozent“ (Kistner 5.3.2014).
Fifa und die Fußball-WM 2018 und 2022
Rückblick zur Fifa-WM 2014: Ein „Rotationsprinzip“ zwischen den Erdteilen sollte die Fußball-WM neu gestalte. Die Kontinentalverbände entscheiden selbst und vergeben de WM. Für 2014 war Brasilien Alleinkandidat: Und es flossen wohl keine Schmiergelder. Für Blatter blieb nur noch die Rolle, im Oktober 2007 die Wahl bekanntzugeben. „Am selben Tag schaffte seine Exekutive einstimmig das Rotationssystem ab“ (Kistner 236f).
Die Weltmeisterschaften 2018 und 2022 wurden am 2.12.2010 im Fifa-Hauptquartier im Doppelpack vergeben: Damit sahnte das alternde Fifa-Exekutivkomitee ein letztes Mal gründlich ab. 24 Mitglieder hat das illustre (besser: berüchtigte) Gremium. Bis zum Jahr 2022 „dürfte mancher altersbedingt kaum mehr transportfähig sein. Und der nächste WM-Veranstalter für 2026 wird erst ungefähr 2019 gekürt“ (Kistner 2012, S. 360).
Thomas Kistner ist die Einzelnen durchgegangen:
1 Sepp Blatter: bekannter Hintergrund, seit 36 Jahren Fußball-Pate; 2 Michel Platini, Katar-Befürworter, dubiose Wahl zum Uefa-Präsidenten sowie Wahl der EM-Länder Polen und Ukraine etc.; 3 Amos Adamu (Nigeria; im Dezember 2010 durch Danny Jordaan/Südafrika ersetzt) und 4 Reynald Temarii (Tahiti) wurden wegen nachgewiesener Korruption vorzeitig suspendiert; 5 Ricardo Teixeira (Brasilien), musste wegen ISL-Skandal und millionenschwerer Korrption 2012 zurücktreten; 6 Julio Grondona (Argentinien), führte Fifa-Finanzkommission, hat eine dreistellige Millionensumme auf europäischen Bankkonten; 7 Nicolás Leoz (Paraguay) steht mit über 700.000 Dollar auf den Schmiergeldlisten der ISL; 8 Mohamed Bin Hammam (Katar), Fifa-Vizepräsident, führte Fifa-Finanzkommission, von Blatter wegen Fifa-Kandidatur 2011 geächtet; 9 Jack Warner (Trinidad), Multimillionär, Fifa-Vizepräsident, führte Fifa-Finanzkommission, erhielt gern von Blatter WM-Fernsehrechte für einen Dollar, die er für Millionen Dollar weiterverkaufte; 10 Chung Moon-joon (Südkorea), Hyundai-Erbe und reichster südkoreanischer Politiker; 11 Rafael Salguero (Guatemala), „gilt als Marionette Warners“ (Kistner); 12 Witali Mutko (Russland), „der Russe hängt an Putins Strippen“ (Kistner); 13 Marios Lefkaritis (Zypern), Königsmacher des Uefa-Präsidenten Platini, dubiose Geschäfte um die Fußball-EM 2012 etc.; 14 Senes Erzik (Türkei); 15 Ángel Maria Villar Llona (Spanien), „Ultrafan von Blatter“ (Kistner), Manipulationsvorwürfe bei siebter Amtszeit; 16 Franz Beckenbauer (Deutschland), kooperierte mit Horst Dassler und tut dies noch mit Fedor Radmann; 17 Worawi Makudi (Thailand), „bewegt sich verlässlich wie ein Schweizer Uhrwerk im Zentrum von Filz, Deals und Vergünstigungen“ (Kistner); 18 Issa Hayatou (Kamerun), auch IOC-Mitglied, vielfache Korruptionsvorwürfe, steht auf ISL-Listen; 19 Hany Abo Rida (Ägypten), war bei Hammams karibischem Treffen dabei, der eine Million Dollar verteilte; 20 Chuck Blazer (USA), amerikanischer Vielfach-Fußballfunktionär, gegen den 2011 das FBI bezüglich Korruption erlittelte – sowie drei unauffällige: 21 Junji Ogura (Japan), 22 Geoff Thompson (England), „ist eine Marionette Blatters“ (Weinreich 25.10.2010), 23 Michel D’Hooge (Belgien/Holland), 24 Jacques Anouma (Elfenbeinküste). (Vergleiche; Kistner 2012, S. 306ff; Weinreich 25.10.2010)
Fazit: „Die WM-Turniere wurden, einer stillen Zwangsläufigkeit folgend, an die Kandidaten mit immensen Rohstoffreserven und autokratischen Regierungen vergeben“ (Kistner 2012, S. 334f). Allein das Marketingbudget Katars für die WM 2022 lag bei 200 Millionen Dollar: „Peanuts innerhalb eines WM-Gesamtplans, der auf bis zu 100 Milliarden Dollar beziffert wird“ (Kistner 2012, S. 364).
Dazu müssen die austragenden Länder diverse Garantien geben: Einreisevisa und Ausreiseerlaubnis müssen bedingungslos und uneingeschränkt erteilt werden, Arbeitsgesetze müssen aufgehoben und weitestreichende Steuerbefreiungen erteilt werden (Kistner 2012, S. 337; S. 340).
„In Russland und Katar hat Blatters betagte Tafelrunde Ausrichter erwählt, die sich mit solchen Garantien leichter tun als ihre Mitbewerber und deren Wirtschaftspolitik nicht so klar ausgestellt ist wie die der Konkurrenten. Der Deal mit den Siegern, heißt es hinter den Kulissen, habe rund drei Wochen vor der Kür festgestanden“ (Kistner 2012, S. 340).
Der ehemalige englische Bewerbungschef Lord David Triesman gab 2011 im britischen Parlament folgende Wünsche von vier Fifa-Exekutivmitglieder an ihn vor der WM-Vergabe an: Jack Warner wollte vier Millionen Dollar für ein Ausbildungszentrum auf Trinidad – das Geld sollte über ihn laufen. Nicolás Leoz forderte die Erhebung in den Ritterstand. Worawi Makudi wollte die TV-Rechte an einem Länderspiel von England gegen Thailand. Und Ricardo Teixeira fragte schlicht: „Sag mir, was du für mich hast“ (Kistner 2012, S. 348).
Fifa und der Friedensnobelpreis
Mit großem Getöse wurde während der WM 2010 das Fifa-Programm „Football for Hope“ für Kinder aus Armenvierteln vorgestellt. Es kostet etwa 17 Millionen Dollar – das sind rund 0,5 Prozent der Einnahmen von etwa 4 Milliarden Dollar bei der WM 2010. Der Medizinprofessor und Fußballexperte Richard Witzig nannte das Programm ein „minderwertiges Ergebnis“ und bezeichnete es als „Alibipolitik“.
„Die Fifa hat überzogen mit ihrem zur Schau gestellten Einsatz für die Gerechtigkeit in der Welt, ihre Slogans sind zu dick aufgetragen, die Auftritte des Präsidenten Blatter sind zu effektheischend“ (Gertz 9.7.2010).
Im Oktober 2010 wurde bekannt, dass erneut zwei Mitglieder des Exekutivkomitees anlässlich der Wahl der WM-Orte 2018 und 2022 unter Korruptionsverdacht geraten sind. Verdeckt recherchierende Reporter der Sunday Times schnitten die Gespräche mit. Der nigerianische Abgeordnete wollte 570.000 Euro – angeblich für den Bau von Fußballplätzen. Ein Abgeordneter aus Tahiti verlangte 1,5 Millionen Euro für den Bau einer Sportakademie. Blatter verordnete Stillschweigen. (Kistner 18.10.2010, 22.10.2010)
Die beiden Mitglieder wurden im November 2010 für drei Jahre von Tätigkeiten im Fußball ausgeschlossen. Umgehend kritisierte Fifa-Vizepräsident Chung Mong-Joon (Südkorea): „Temarii und Amadu haben sich unvorsichtig geäußert. Aber ich frage mich, ob ihr Verhalten … eine solche Bestrafung nach sich ziehen muss“ (SZ 23.11.2010).
Anfang Januar 2011 trat der ehemalige Richter am Bundesgerichtshof, Günter Hirsch, aus der Fifa-Ethikkommission aus und stellte fest, dass „die Verantwortlichen bei der Fifa kein wirkliches Interesse daran haben, eine aktive Rolle bei der Aufklärung, Verfolgung und Vorbeugung von Verstößen gegen das Ethik-Reglement der Fifa zu spielen“ (Kistner 11.1.2011). Kommentar von Thomas Kistner: „Zurück bleiben 13 Vertreter aus Guam, Kolumbien oder Papua-Neuguinea in einem Gremium, für das sich fortan kaum eine Person gewinnen lassen dürfte, die Reputation zu verlieren hat“.
Die Ethikkommission bekam dann zu tun. Die Vorgänge in der Fifa im Mai 2011 vor der Wiederwahl Blatters zeigten, wie marode die Strukturen in der Fifa geworden sind. Fifa-Präsident (und IOC-Mitglied) Sepp Blatter spulte in einer beeindruckenden Pressekonferenz (dank an Jens Weinreich) sein in Jahrzehnten angesammeltes Fachwissen und Demokratieverständnis ab. Zuvor hatte er seine Rivalen und Vize-Präsidenten Mohamed bin Hammam (Katar) und Jack Warner (Trinidad und Tobago) kaltgestellt.
Sehr vermutlich kam die Wahl von Katar für die WM 2022 durch Bestechung zustande. Als sich der Katarer Mohamed Bin Hammam und Jack Warner (Trinidad/Tobago) gegen Blatter verbündeten, wurden beide von der der Ethik-Kommission der Fifa am 29.5.2011 – drei Tage vor der Wahl -, suspendiert. Die Kommission hat Blatter eigenhändig besetzt. „Die Ethiker sind flott zur Hand, wenn jemand gegen Blatters Interessen verstößt“ (Kistner 31.5.2011)
Die Fifa-Präsidentenwahl am 1. Juni 2011 war schon vorher längst zur Farce geworden (siehe u. a. Kistner 27.5.2011). Am 1.6.2011 wurde Blatter von 186 der 203 abstimmenden Mitglieder erneut gewählt (spiegelonline 1.6.2011). Das Signal an die Fußballwelt: “Ehrlichkeit, Transparenz, Fair Play – vergesst es einfach!” (spiegelonline 1.6.2011). Blatter ist seit 1975 bei der Fifa in leitender Position tätig und bestimmt damit seit 36 Jahren den (korrupten) Kurs.
„Eine Garde alter Männer bestätigte innerhalb weniger Tage sämtliche Vorbehalte gegen einen Verband, der als Monopolist mit seinem einzig bedeutsamen Gut, der Weltmeisterschaft, jährlich über eine Milliarde Dollar umsetzt, dreistellige Millionengewinne macht und sich außerhalb der ‚Fußballfamilie‘ nichts und niemandem verpflichtet zu fühlen scheint: keinem Strafrecht, keinem Steuerrecht, keiner Geschäftsethik. Und immer wieder geht es um denselben Verdacht: Bestechung oder Bestechlichkeit“ (Weinreich, Jens, Wulzinger, Michael, Tiefe Taschen, in Der Spiegel 23/6.6.2011).
Die Lobbyisten der Fifa arbeiteten seit geraumer Zweit in Oslo am Thema Friedensnobelpreis, von dem Blatter kundtat, dass er ihn für gerechtfertigt halte – für sich und/oder seine Fifa. Nach > Samaranch mit seinem IOC in den Achtzigerjahren steht damit der nächste Sportmonopolist in Oslo auf der Matte. Es bleibt nur zu hoffen, dass es auch diesmal nicht klappt.
Uli Hoeneß redete Klartext
Hoeneß sprach sich für eine Kooperation der europäischen Fußballverbände aus, um eine Neuausrichtung der Fifa zu erreichen und schloss selbst einen WM-Boykott oder eine Gegen-WM von Fifa-kritischen Verbänden nicht aus. Über das deutsche Fifa-Mitglied Theo Zwanziger äußerte Hoeneß: “Unser Doktor Theo Zwanziger hat keine Chance, die haben ihn umgarnt, und er lässt sich beschmusen.” Zu Blatter meinte Hoeneß: “Aber ich hoffe, dass er nicht mit 78 oder 80 noch einmal antritt.” Und zu Blatters Avancen auf den Friedensnobelpreis: “Wenn der den Friedens-Nobelpreis bekommt, dann werde ich Generaldirektor der Metropolitan Opera in New York” (Krass SZ 2.6.2012). Hoeneß sprach auf dem Treffen des Netzwerk “Recherche”, das zuvor der Fifa die “Verschlossene Auster” verliehen hat für den “Informationsblockierer des Jahres”.
Fifa und die Sicherheit
Seit längerer Zeit sind diverse Kooperationen der Fifa mit diversen Sicherheitsorganen und ehemaligen Sicherheitskräften von FBI, Interpol und anderen internationalen Diensten und Institutionen zu beobachten: Interpol erhielt sogar eine Spende von 20 Millionen Dollar. Diese Aktivitäten werden auch eingesetzt, um interne Gegner Blatters wie Bin Hammam und Jack Warner zu beschuldigen und zu desavouieren (Vgl. Kistner 2012, S. 260ff).
Interpol geriet auch in Verruf, weil die Polizeiorganisation von der Pharmaindustrie 4,5 Millionen Euro (verteilt auf drei Jahre) annahm, dazu vom Tabakkonzern Philipp Morris 15 Millionen Euro (verteilt auf drei Jahre): angeblich zur Ahndung von Fälschungen und Schmuggelware. „Dass Interpol Geld von der Tabakindustrie nimmt, halten die Experten der Weltgesundheitsorganisation WHO für falsch“ (Schmidt, Martiniere 29.5.2013).
Schlussfolgerung: Angesichts der zahllosen Skandale im Jahr 2011 um Sepp Blatter, Mohamed bin Hammam (Katar), Jack Warner (Trinidad und Tobago), Joao Havelange und Ricardo Teixeira (Brasilien), Issa Hayatou (Kamerun), Julio Grondona (Argentinien) etc. etc. muss ich aus Arbeitsgründen von der weiteren Verfolgung dieses Fifa-Sumpfes leider weitgehend Abstand nehmen.
Wer sich für den aktuellen Stand der schmutzigen Geschäfte um Blatter und Fifa interessiert, dem sei das Buch von Thomas Kistner empfohlen: Fifa-Mafia, Die schmutzigen Geschäfte mit dem Weltfußball, München2012.
Wie die Fifa immer noch funktioniert
Einer der ehemals engsten Kumpels von Fifa-Präsident Blatter, der Kuwaiter Mohamed Bin Hammam, fiel in Ungnade, weil er versucht hatte, gegen den Fifa-Paten 2011 als Fifa-Präsident zu kandidieren. Nun sollte Bin Hammam am 19.12.2012 beim Europarat vor dem Ausschuss für Kultur und Sport zu den korrupten Geschäftspraktiken der Fifa aussagen. Diesen Termin musste Bin Hammam leider absagen. Und das am so:
In der Woche zuvor flog Blatter mal eben so zufällig zum Emir von Kuwait, Hamad bin Chalifa al-Thani nach Doha. Da einigte man sich augenscheinlich. Umgehend am 17.12.2012 gab die Fifa bekannt, dass ihre Ethikkommission Bin Hammam erneut lebenslang für jede Tätigkeit im Fußball gesperrt habe. Und am 17.12.2012 sagte Bin Hammam seinen Besuch beim Europarat ab. (Kistner 12.2012). “Nun versetzt sein jäher Rückzug, rechtzeitig vor der Europarat-Anhörung, die Fifa in die komfortable Lage, den Fall abzuhaken… Dass Bin Hammam dies urplötzlich nicht mehr tut, dürfte das Resultat der Blatter-Visite beim Emir sein” (Kistner 19.12.2012).
Der Vorsitzende der Europarats-Sitzung, Gvozden Flego, gab dann am 19.12.2012 an: „Am Montag teilten die Angestellten von Herrn Bin Hammam mit, er werde nicht da sein infolge restriktiver Maßnahmen durch die Fifa“ (Kistner 20.12.2012).
Blatter selbst ging natürlich nicht zum Europarat, schickte aber zwei Getreue: Seinen (bis Januar 2010 amtierenden) langjährigen Berater Jérôme Champagne und den Blatter-Obergetreuen Theo Zwanziger, Ex-DFB-Präsident. „Theo Zwanziger wusste nicht mal, dass Blatter in Katar war“ (Kistner 20.12.2012). Von drei Kritikern blieb nur Sylvia Schenk von Transparency International übrig. Bin Hammam wurde abgesagt, und der englische Ex-Bewerbungschef für die Fußball-WM, Lord David Triesman, wurde möglicherweise auch abgesagt (Ebenda).
Da mögen der Fifa-Chefermittler, Michael Garcia und der Chef der Fifa-Ethikkommission, Hans-Joachim Eckert, gestaunt haben, wie ihr Präsident die Dinge so regelt – und ganz ohne ihr Zutun! Wie es sich wohl anfühlt, vom 76jährigen Fußballpaten derart vorgeführt zu werden?!
Vermutlich hat Blatter zum Emir ein paar Andeutungen zur Vergabe der Fußball-WM 2022 an Katar gemacht: Und schon sprang der große Emir dem Fifa-Paten bei. Und Bin Hammam bekam lebenslänglich. Geht doch mit Blatter-Supermann!
Vergleiche auch im Kritischen Olympischen Lexikon: Katar-Sport
Vergleiche zum ISL/ISMM-Skandal unter „Aktuelles“: Sportfreunde Blatterund Business as usual
Die Fifa-Reform-Farce, März 2013
2011 wurde der Schweizer Rechtsprofessor Mark Pieth als Chefreformer der Fifa vom lebenslänglichen Fifa-Präsident Sepp Blatter persönlich bestallt. Blatter (*1936) ist 77 Jahre alt, war von 1981 bis 1998 Fifa-Generalsekretär, ist seit 1998 Fifa-Präsident und will 2015 nochmals antreten. Am 21.3.2013 sollten die Reformen bzw. Pieths sieben “unverzichtbare” Forderungen auf der Sitzung des Fifa-Exekutivkomitees abgesegnet werden: “ein kastriertes Programm” (Weinreich, Jens, Joseph Blatters kastriertes Programm, in berliner-zeitung.de 20.3.2013). Blatter über Pieth im März 2013: “Ich habe ihm nun gesagt, dass er sich nicht öffentlich äußern soll, wenn ich es ihm nicht ausdrücklich sage. Das hat er akzeptiert” (Weinreich, Jens, Stühlerücken auf der Titanic, in spiegelonline 20.3.2013).
Pieth hat für sein Institut von der Fifa viel Geld erhalten (wie viel, ist unbekannt): Das macht abhängig.
Zum Reförmchen-Prozess sagte Blatter: “Der Reformprozess neigt sich dem Ende zu” (Ashelm, Michael, Endlich weg damit, in faz.net 21.3.2013). Dem deutschen Fifa-Exekutivmitglied Theo Zwanziger (ehemals DFB-Präsident) blieb es dann überlassen, die Reformvorschläge der Pieth-Kommission zu begraben. Keine Altersbeschränkung, keine Überprüfung der Kandidaten für das Exekutivkomitee, keine Amtszeitbegrenzung, keine Transparenz beim Entlohnungssystem etc.: “Herr Pieth ist nicht die Fifa… Herr Pieth verfügt nicht über der Weisheit letzten Schluss” (Ebenda).
Alexandra Wrage ist die einzige Frau in der Fifa-Reformgruppe “Independent Governance Committee” (JGC). Sie sagte zum “Reformprozess”: “Die Sorge ist immer, dass so ein Projekt so endet, dass nur die Liegestühle auf der ‘Titanic’ umgruppiert werden” (Kistner, Thomas, “Die Sorge ist, dass …” in SZ 19.3.2013).
Andreas Rüttenauer fasste in der taz zusammen: “Eine Fifa-Reform wird nicht stattfinden.” – Es “haben die Totengräber einer Fifa-Reform in aller Ruhe eine tiefe Grube ausheben können. Chef dieser Beerdigungsorganisation in der Fifa ist Theo Zwanziger, ehemals DFB-Präsident und noch Mitglied im Exekutivkomitee der Fifa” (Alternde Oberwitzbolde des Fußballs, in taz.de 22.3.2013).
Thomas Kistner schrieb in der SZ: “Am Donnerstag nun stellte die Fifa etwas vor, das die Arbeit von Pieths IGC auf Bonsai-Format eindampfte… über Alters- und Amtszeitbegrenzungen darf der Kongress befinden. Das ist das Organ, in dem Zwergstaaten und Palmeninseln den Willen ihrer Fifa-Granden vollstrecken. So wird aus Blatters Sicht alles gut im Weltfußball; die Seifenoper mit der Reform hat Druck von ihm abgeleitet” (Kistner, Thomas, Hauptsache, die Kasse stimmt, in SZ 23.3.2013).
Jens Weinreich schrieb dazu: “Der Reformprozess der Fifa dient nur einem Zweck: dem Machterhat ihres ewigen Präsidenten Joseph Blatter… Die Formulierung für die Bestellung von Mitgliedern der Fifa-Exekutive sind so gewählt, dass alle Klein- und Großganoven, die bereits in diesem Gremium sitzen, problemlos ihre Posten behalten können” (Weinreich, Jens, Weiße Wäsche vom Grabbeltisch, in berliner-zeitung.de 23.3.2013). Dazu erfolgte die Vorgabe von Blatter, dass bei der Präsidentenwahl 2015 der Kandidat vor der Wahl mindestens über zwei von fünf Jahren eine Verbandsfunktion ausgeübt haben muss: “Das ist eine Lex Blatter: Denn damit hält er sich seinen ehemaligen Berater Jérôme Champagne vom Leibe” (Ebenda).
Schummel-Vorwürfe
Am 6.12.2013 organisierte die Fifa die Auslosung für die Fußball-WM 2014. Wunschgemäß wurde Argentinien in die gewünschte Gruppe gelost. „Die Tatsache, dass während der Auslosung die Hände des Fifa-Generalsekretärs Jérôme Valcke beim Öffnen der Loskugeln häufiger hinter der Sichtblende des Pultes verschwanden, befeuerte die Spekulationen. Die Fifa betonte daher in ihrer Stellungnahme, dass „während der Auslosung mindestens sieben Kameras aus verschiedenen Perspektiven zu allen Zeiten auf den Generalsekretär gerichtet“ waren. Welche Einstellung für die TV-Zuschauer sichtbar war, entschied der Showdirektor im Übertragungswagen. Dass eine „Sichtblende“ am Pult dazu gedient haben soll, Valckes Hände zu verdecken, wies der Weltverband mit dem Hinweis zurück, dass es sich dabei lediglich um einen Monitor handele, der die Grafiken anzeige, ‚damit der Generalsekretär den vollen Überblick über den Stand der Gruppen hatte'“ (Fifa verwahrt sich gegen Schummel-Vorwürfe, in spiegelonline 10.12.2013)
Wer die Auslosung im Fernsehen verfolgt hat, kann die Schummel-Vorwürfe absolut nachvollziehen. Und die Fifa hat ja mit Schummeln einige Übung.
Blatter ist ein „Dieb, ein Korrupter, ein Hurensohn“
So nannte der frühere Weltfußballer, Weltmeister von 1994 und jetzige Abgeordnete Romario den Fifa-Präsidenten. Da Fifa-Generalsekretär Jerôme Valcke die Befürchtung geäußert hatte, dass die WM 2014 in Brasilien die schlechteste in der Fifa-Geschichte werden könnte, nannte ihn Romario „einen der größten Erpresser des Weltsports“ (Romario über Blatter: „Dieb, Korrupter, Hurensohn“, in merkur-online 13.3.2014). Romario: „Ich hoffe, dass andere Länder nicht die Auflagen und Unnachgiebigkeiten der Fifa akzeptieren, die Bundesgesetze und sogar die Kultur unseres Volkes überfahren will“ (Ebenda).
Gehalt weiterhin geheim. Die Vergütung der Fifa-Topkader stieg von rund 19 Millionen $ im Jahr 2007 auf rund 37 Millionen $ im Jahr 2013 (Burkhardt, Peter, Der halbherzige Reformer, in Schweiz am Sonntag 23.3.2014). Es bleibt unklar, wer außer Blatter noch alles zum „Topkader gehört. „Hingegen weigert sich die Fifa weiterhin, ihre Spitzengehälter offen zu legen und die Machtfülle ihres Präsidenten zu beschneiden, der gleichzeitig dem Exekutivkomitee, dem Kongress und der Direktion vorsteht. Aufgeschoben ist auch eine Amtszeitbeschränkung für den Präsidenten. (…) Mit aller Macht stemmt sich die Fifa zudem gegen eine Verschärfung des Korruptionsstrafrechts in der Schweiz… Sie ließ kein gutes Haar am Entwurf des Bundesrates, der Privatbestechung neu im Strafgesetzbuch regeln und sie zum Offizialdelikt machen will. Stattdessen will die Fifa, das Privatbestechung weiterhin nur auf Anzeige verfolgt wird“ (Ebenda).
Nachtrag Mai 2014: 209 Verbände
„Heute zählt die FIFA 209 Nationalverbände – jüngst wurden sogar der Südsudan oder Osttimor Mitglied, allein im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts sind 60 neue Verbände zum Weltreich Fußball hinzugekommen. (…) Mittlerweile beträgt das FIFA-Vermögen geschätzte 1,2 Milliarden Euro. Allein der neue Verbandssitz bei Zürich hat 180 Millionen gekostet. Die jährliche Lohnsumme für knapp 400 Mitarbeiter beläuft sich auf 100 Millionen. Der Jahresumsatz des ‚gemeinnützigen Vereins‘ liegt bei knapp einer Milliarde. Zugleich ist der Welt-Fußballverband aber bis über beide Ohren in Korruptionsaffären verwickelt, was den Schweizer Nationalrat Roland Büchel einst zu der Aussage verleitet hat, der Unterschied zwischen FIFA und Mafia sei nur, dass bei der FIFA nicht gemordet werde“ (Woller, Hans, 110 Jahre zwischen Machtkampf und Korruption, in deutschlandfunk.de 17.5.2014).
Das Fifa-Prinzip: „Ein Land, eine Stimme! Ob Anguilla oder Aruba, ob Tonga oder Vanuatu, jede Palmeninsel hat denselben Einfluss wie der Deutsche Fußball-Bund, der mit sieben Millionen Mitgliedern weltgrößte Fachverband“ (Hoeltzenbein, Klaus, Angriff auf Blatter, in SZ 30.1.2015).
Nachtrag Juni 2014: Sponsoren-Fußball
„Die Fifa dreht ein großes Rad, nahm im vergangenen Jahr alleine 400 Millionen Dollar von Sponsoren und Partnerfirmen ein, fast die Hälfte davon kommt von den sechs Hauptverbündeten, also von Sony, Adidas, Visa, Coca-Cola, Emirates und den beiden südkoreanischen Autobauern Kia und Hyundai“ (Busse, Caspar, Eingebrannt, in SZ 11.6.2014).
Vergleiche auch: Fifa, Blatter, der Confed-Cup, die Fußball–WM 2014 und die Proteste: hier – Brasilien 2013, Fifa-Sause und IOC-Party sowie Brasilianisches Tagebuch: Confed-Cup, WM 2014 und Rio 2016; Der Fifa-Geld-Kunstrasen
Nachtrag November 2014: Christian, Seifert, Geschäftsführer der Deutschen Fußball Liga (DFL), zur Fifa-Krise
„Man weiß nicht mehr, ob man sch wundern oder fremdschämen soll. (…) Als seriöse Organisation fühlt man sich von dieser Fifa nicht mehr vertreten, man fühlt sich da auch nicht mehr zugehörig. (…) Die Fifa hat 209 Mitgliedsverbände, und viele Funktionäre aus diesen Verbänden leben vom System Fifa hervorragend. Deshalb ist die Frage, ob die Fifa zur Selbstreinigung taugt, ein bisschen naiv. Die Antwort lautet tendenziell: nein“ (Kielbassa, Moritz, Kneer, Christoph, „Wundern oder fremdschämen“, in SZ 22.11.2014; siehe auch unter VI). Und zum Boykott künftiger Fußball-WMs: „75 Prozent der Spieler einer WM sind in Europa unter Vertrag, und wenn Europa ‚Wir spielen nicht mehr mit‘ sagt, dann ändert das alles. Die Fifa könnte dann zwar Deutschland, England, Italien und Spanien für die nächsten drei WM-Turniere sperren, aber das wäre dann auch schon egal. Denn dann gibt’s keine WM mehr“ (Ebenda).
Nachtrag März 2015: Blatter kauft Wohlwollen der Klubvereinigung ECA
Der europäischen Klubvereinigung ECA steht der Präsident des FC Bayern, Karl-Heinz Ruimmenigge vor. „Mit 209 Millionen Dollar erkauft sich der Internationale Fußballverband Fifa das Einverständnis der Klubs, das Finale der Weltmeisterschaft im Jahr 2022 am qatarischen Nationalfeiertag auszutragen – am vierten Advent, dem 18. Dezember. Damit hat das Stillschweigen der Vertreter der Europäischen Klubvereinigung ECA um ihren Vorsitzenden Karl-Heinz Rummenigge ein Preisschild. Der Betrag ist dreimal so hoch wie die Abfindungssumme, die Klubs für die Abstellung der Spieler für die WM im vergangenen Sommer in Brasilien erhalten haben – und sie wird auch schon im Sommer 2018 fällig, wenn die WM in Russland ansteht. Anders als im Falle Qatars steht beim nächsten Turnier noch nicht einmal fest, bei welchen Themen der FC Bayern, Real Madrid, Manchester United und Co. 2018 stillhalten werden. (…) Gut, ein paar Themen gibt es, bei denen sich die Vertreter der Klubs auch ohne 209-Millionen-Dollar-Schweigegeld schon schwer getan hatten – oder haben wir die Pressemitteilungen der ECA zur Diskriminierung der Homosexuellen in Putins Reich, zur Lage der Opposition, in den Straflagern und auf den WM-Baustellen etwa übersehen?“ (Becker, Christoph, Schweigegeld von der Fifa, in faz.net 20.3.2015). Christoph Becker wunderte sich in der FAZ auch über Blatters Coup: „… die Höhe des Schweigegeldes festzulegen, gelang so zügig und geräuschlos, dass sich die Frage stellt, ob der Deal nicht längst ausgehandelt war“ (Ebenda). – „Tatsächlich hat ja nun die von Karl-Heinz Rummenigge geführte ECA der Verlegung des WM-Turniers in die Adventszeit 2022 ganz ohne dissonante Begleitgeräusche zugestimmt und von ‚fairen Verhandlungen‘ gesprochen. (…) Zudem hat sich Blatter nun mit dem Coup, die äußerst geldbewusste ECA über riesige Zusatzerlöse in sein politisches Gesamtkonzept einzubinden, auch von den Kritikern in den Schlüsselverbänden und großen Ligen abgeschottet“ (Kistner, Thomas, „Einflussreicher als jede Religion“, in SZ 23.3.2015).
„Und die Klubvereinigung ECA, die den Deal zur Qatar-Kompensation mit der Fifa aushandelte und die vom Bayern-Vorstand Karl-Heinz Rummenigge angeführt wird, ist ebenfalls nicht dafür bekannt, dass sie Standards setzt, die über die schlichten Belange des eigenen Wohls hinausgehen. Auch hier herrscht noch das Fußball-Mittelalter, zählt nur Macht und Geld, was einen verantwortungsvollen Umgang mit brisanten Problemstellungen weiterhin ausschließt. Die nächsten peinlichen Verwerfungen sind programmiert“ (Ashelm, Michael, Fifa und Uefa wie im Mittelalter, in faz.net 22.3.2015).
Kafala-System, tote Nepalesen auf den Baustellen der WM 2022 und Menschenrechtsverletzungen in Katar, Kriegspolitik, Verfolgung Homosexueller und Menschenrechtsverletzungen in Putin-Russland – egal: Die ECA-Millionen werden 2018 auch schon für 2022 ausbezahlt: zwei mal 209 Millionen Dollar. Und den Wintertermin für Katar 2022 hat Blatter gleich mit eingekauft.
Nachtrag Juli 2016: Verliert die Fifa vor dem BGH gegen den SV Wilhelmshafen?
„Am 27. September verkündet der Bundesgerichtshof (BGH) sein Urteil – darüber, ob der Zwangsabstieg des SVW zum Saisonende 2014 rechtens war. (…) Die bizarre Geschichte vom Abstieg des SVW stammt aus der Welt der Spielertransfers, einer Welt, die von den Regeln des Fußball-Weltverbands Fifa beherrscht wird. Anfang 2007 hatte der Verein Sergio Sagarzazu verpflichtet, einen 19-Jährigen mit italienischem Pass, der zuvor bei Atlético River Plate und Atlético Excursionistas in Argentinien gespielt hatte. Weil der junge Mann in Wilhelmshaven erstmals als Profi registriert wurde, sollte der SVW laut Fifa-Reglement an die zwei Klubs eine Ausbildungsentschädigung von 157 500 Euro zahlen. Der SVW weigerte sich, auch dann, als die Fifa eine Strafe und einen Punkteabzug verhängt hatte. Schließlich griff die Fifa-Disziplinarkommission zur letzten Sanktion – dem Zwangsabstieg. Zum Saisonende 2014 musste der SVW die Regionalliga verlassen. Juristisch kann das unter zwei Aspekten heikel sein, wie in der BGH-Verhandlung deutlich wurde. Die Ausbildungsentschädigung könnte mit der EU-Freizügigkeit in Konflikt geraten, weil sie für den Fußballer – der ja zugleich Arbeitnehmer ist – gleichsam als Bremse beim Wechsel des Arbeitgebers wirkt. Vor allem aber ließen die Richter durchblicken, dass es womöglich gar keine rechtliche Basis für den harschen Abstiegsentscheid gebe: Ohne ‚Ermächtigungsgrundlage‘ dürfe ein Verein nicht mit einer Quasi-Strafe überzogen werden, die ihn fast in den Ruin schicke. Zwar sind die Sanktionen für Transferverstöße im Fifa-Reglement niedergeschrieben – aber der SV Wilhelmshaven ist nicht Mitglied der Fifa, sondern des Norddeutschen Fußballverbandes. Dessen Satzung verweist zwar auf die Satzung des Deutschen Fußball-Bunds (DFB), die wiederum auf die Fifa-Regularien verweist. Doch nach der Rechtsprechung des BGH sind solche ‚Kettenverweisungen‘ zu intransparent und deshalb normalerweise nichtig, vor allem dann, wenn das Regelwerk am Ende der Kette ständiger Veränderung unterworfen ist. …) Sollte der BGH in diesem Sinne entscheiden, dann hätte dies weitreichende Folgen. Denn die Verbindungslinie zwischen dem Liga-Betrieb und der Fifa wäre gekappt, der Fußball-Weltverband könnte seine Sanktionen nicht mehr nach unten durchreichen lassen – zumindest vorerst, bis die Satzungen entsprechend den BGH-Vorgaben repariert wären“ (Janisch, Wolfgang, Fifa-Strafe auf der Kippe, in SZ 6.7.2016).
Nachtrag Dezember 2016: Fifa-Funktionär bestochen
„Die argentinische Sportmarketingfirma Torneos y Competencias S.A. hat einer Geldstrafe in Höhe von 112,8 Millionen Dollar (umgerechnet rund 105 Millionen Euro) im Zuge des Korruptionsskandals im Fußball-Weltverband Fifa zugestimmt. Durch die Einigung mit der US-Staatsanwaltschaft kann das Unternehmen eine Anklage verhindern, sofern es in den nächsten vier Jahren zu keinen weiteren Sanktionen kommt. Torneos soll über 15 Jahre mehrere Millionen Dollar für die Bestechung eines hochrangigen Fifa-Offiziellen ausgegeben haben, um sich dessen Unterstützung für die TV-Rechte der Weltmeisterschaften 2018, 2022, 2026 und 2030 zu sichern“ (SID, Marketingfirma zahlt Millionenstrafe, in spiegelonline 14.12.2016).
Nachtrag Januar 2017: Fußball-Gierhälse
Holger Gertz erwähnt in einem Artikel über die Fifa-Millionen in der SZ Diego Maradona, der seinerzeit den SSC Neapel umgerechnet zwölf Millionen Euro gekostet hatte. „Auch 30 Jahre später ist der Profifußball immer noch und mehr denn je: die Begegnung zwischen zahlreichen Unterprivilegierten im Publikum und wenigen Auserwählten auf dem Rasen. Diejenigen, die ihre Helden feiern, feiern eine Elite, denn gehaltstechnisch und auch vom Habitus her sind Profifußballer elitärste Elite. Wie elitär, haben gerade die ‚Football Leaks‘-Recherchen gezeigt. Eine Clique von Gierhälsen ist im Profifußball versammelt, die ihren Reichtum auch mit schmutzigen Tricks mehrt. Wenn man dieser Tage die inzwischen aufgerufenen Ablösesummen und Gehälter nachliest, kommt einem Maradona wie ein Schnäppchen vor. Geld vom Fernsehen, von Investoren und Zockern ist im Markt, die Preise sind nicht mehr fassbar. Für 105 Millionen Euro wechselte Paul Pogba, ein Kicker, der nichts Nennenswertes gewonnen hat, vor der Saison nach England. (…) An seiner Spitze, im Profibereich, ist der Fußball verdorben. Kalkulierter Menschenhandel, zur Schau gestellter Reichtum; das Business frisst Mittel aus Sozialetats. 2017 wird die Qualifikation für die WM in Russland gespielt, eine von Korruptionsgerüchten umwehte Veranstaltung, die in Stadien ausgetragen wird, deren Baukosten nicht in Millionen, sondern längst in Milliarden berechnet werden. Die Fußballbosse und Strippenzieher und Profiteure verlassen sich darauf, dass das, was der Fußball den Leuten emotional gibt, nach wie vor schwerer wiegt als alles, was man rational gegen ihn vorbringen kann. Aber nüchtern betrachtet – und mit den Maßstäben gemessen, die die Gesellschaft an andere Lebensbereiche anlegt –, müsste eigentlich schon am Anfang des Jahres 2017 ein Wort des Jahres feststehen: Fußballverdrossenheit“ (Gertz, Holger, Das Millionen-Spiel, in SZ 2.1.2017).
Nachtrag Juli 2017: Ende einer Fifa-Dienstfahrt
„Ángel María Villar in der Realität zu sehen, fühlte sich im Frühjahr 2017 so an, als treffe man auf einen Dinosaurier. Die alte Garde des Weltfußballs ist eigentlich abgetreten. Sepp Blatter oder Michel Platini – beide weg. Und Villar? Auch nach 29 Jahren als Präsident des spanischen Nationalverbands RFEF und 19 Jahren in der Führung der Fifa war Villar immer noch da. Nun, am Dienstagmorgen, wurde Villar bei einer Razzia der Guardia Civil festgenommen. Ihm wird unter anderem Korruption, Veruntreuung von öffentlichen Geldern und Urkundenfälschung vorgeworfen. Nach Angaben der spanischen Tageszeitung ‚El País‘ wurden weitere Personen festgenommen. Darunter auch Villars Sohn. Dieser ist Generaldirektor des südamerikanischen Kontinentalverbands Conmebol. Vater und Sohn, beide Juristen, stehen unter anderem im Verdacht, selbst an den Erlösen aus Freundschaftsspielen der spanischen Nationalmannschaft verdient zu haben. Außerdem sollen Gelder, die für Entwicklungsprojekte im Ausland gedacht waren, nicht dort gelandet sein. (…) Als US-amerikanische und Schweizer Staatsanwälte im Mai 2015 ihre Jagd auf korrupte Funktionäre begannen, Offizielle verhaftet und gesperrt wurden, schien für die Alteingesessenen die Zeit abzulaufen. Und Männer wie Blatter und Platini wurden von der Ethikkommission der Fifa tatsächlich auf Jahre gesperrt, dazu mehr als ein Dutzend weiterer Personen. Und Villar? Blieb in seinen Ämtern – und stieg sogar weiter auf. Nach Platinis Verbannung Ende 2015 übernahm er interimsweise die Uefa-Präsidentschaft, ehe Aleksander Ceferin im September 2016 die Führung des Verbands antrat. Villar wurde Senior-Vize-Präsident der Fifa“ (Röhn, Tim, Das Ende des Dinosauriers, in spiegelonline 18.7.2017).
Nachtrag November 2017: Prozess gegen Fifa-Funktonäre beginnt in New York (I)
„In New York hat der erste Prozess zum großen Korruptionsskandal rund um den Fußball-Weltverband (Fifa) begonnen. Die Staatsanwaltschaft wirft den ehemaligen Funktionären Jose Maria Marin, Juan Angel Napout und Manuel Burga aus Südamerika vor, an einem gigantischen Bestechungs- und Betrugsnetzwerk beteiligt gewesen zu sein. (…) Insgesamt richtet sich die US-Anklageschrift gegen 42 frühere Offizielle und Manager. Es geht um Betrug, Bestechung und Geldwäsche rund um die Vergabe von Medien-, Vermarktungs- und Sponsoring