Interview mit Richard Pound, ehemaliger IOC-Vizepräsident und ehemaliger Chef der Welt-Anti-Doping-Agentur WADA (in Spiegel 49/2008):
Spiegel: „Was haben Sie gedacht, als dann der Jamaikaner Usain Bolt bei den Olympischen Spielen in Peking Weltrekord über 100 und 200 Meter gelaufen ist?“
Pound: „Tja … was soll ich sagen? Es war eine außergewöhnliche Leistung.“
„Glauben Sie, dass Bolt sauber ist?“
„Diese Frage möchte ich nicht beantworten.“
„Es gibt auf Jamaikas keine unabhängigen Drogentests. Warum?“
„Wir haben eine regionale Anti-Doping-Agentur in der Karibik aufgebaut, aber Jamaika ist ihr nicht beigetreten.“
Da wusste Pound noch gar nichts vom formidablen Usain Bolt in London 2012!
Interview mit dem amerikanischen Sport-Drogenbeschaffer Angel Heredia (in Spiegel 32/11.8.2008):
Hereda zum 100-Meter-Finale von Peking: „Von acht Läufern … werden acht gedopt sein … Der Unterschied zwischen 10,0 und 9,7 Sekunden sind die Drogen … Zu den Verantwortlichen gehören auch die großen Schuhfirmen, Nike und Adidas. Ich kenne Athleten, die Rekorde gelaufen sind und ein Jahr später verletzt waren, und dann kam der Anruf: ‚Wir stufen dich um 50 Prozent herunter. Was, glauben Sie, tun diese Sportler?“
Spiegel: „Ihre Athleten haben 26 olympische Medaillen gewonnen. Wie viel Geld haben Sie verdient?“
„Sagen wir so: 16 bis 18 erfolgreiche Sportler pro Jahr und 15 000 bis 20 000 Dollar pro Sportler … Wenn du zu den Stars gehörst, verdienst du 50 000 Dollar im Monat, dazu kommen Antrittsgelder und Schuhverträge. Bist du oben, investierst du 100 000 Dollar, und ich baue dir eine unauffindbare Designerdroge … Saubere Leistungen sind ein Märchen, mein Freund.“
„Gibt es noch saubere Sportarten?“
„Leichtathletik, Schwimmen, Skilanglauf, Radsport sind nicht zu retten. Golf? Auch nicht sauber. Fußball? Fußballer kommen zu mir und sagen, sie müssen die Linie rauf- und runterrennen, ohne zu ermüden, und alle drei Tage spielen …“
Kleine, sehr unvollständige Auswahl männlicher gedopter Sprinter:
Ben Johnson, 1984 Bronze, 1998 Gold: Doping-überführt;
Linford Christie, Seoul 1988 Silber, Barcelona 1992 Gold: 1999 überführt;
Maurice Greene, Sydney 2000 zwei Goldmedaillen; Athen 2004: Bronze und Silber: Kunde von Angel Heredia, kaufte IGF-1, IGF-2, Epo und ATP;
Tim Montgomery: Weltrekord 2002; gestand 2008, bei Sydney 2000 gedopt zu haben;
Justin Gatlin, 2004 Gold: Doping-überführt, bis 2010 gesperrt;
Usain Bolt: Weltrekord mit offenem Schuhband und Gold 2008; bislang nicht überführt; siehe Pound-Interview (Wikipedia).
Anfang 2017 war von den zehn schnellsten männlichen Sprintern neun des Dopings überführt: Nur Usain Bolt konnte nichts nachgewiesen werden (Hahn 27.1.2017).
Vorbelastete, ehemals gesperrte Sportler bei der Leichtathletik-WM in Daegu, Südkorea, August 2011:
Marvin Anderson, Sprinter, Jamaika (Methylhexanamin), Yohan Blake, Sprinter, Jamaika (Methylhexanamin), Waleri Bortschin, Geher, Russland (Ephedrin), LaShawn, Merritt, Läufer, USA (Dehydroepiandrosteron), Wladimir Kanaikin, Geher, Russland (Epo), Sergej Morosow, Geher, Russland (Epo), Andrej Michnewitsch, Kugelstoßer, Russland, Tatjana Lyssenko, Hammerwerferin, Russland (Aromatase-Hemmer 6-Alpha-Methyl-Androstendion), Christine Ohuruogu, Läuferin, Großbrtannien, Dwain Chambers, Sprinter, Großbritannien (Designer-Stereoid THG), Justin Gatlin, Sprinter, USA (Testosteron), Shelly-Ann Fraser-Pryce, Sprinterin, Jamaika (Oxycodon) (Quelle: Hahn SZ 26.8.2011).
Exquisit auch die vielfältigen Ausreden und „Erklärungen“: Der US-Sprinter Mike Rodgers kam zu Methylhexanamin über einen Energiedrink; LaShawn Merrit nahm angeblich ein Mittel zur Penisvergrößerung, in dem ein Stereoidhormon enthalten war, siehe auch unten (Hahn 26.8.2011; SZ 31.8.2011).
Doper sind unfaire Betrüger
Die griechische Idee des sportlichen Wettkampfs ging von gleichen Bedingungen der Athleten aus. Die Industrie veränderte auch hier mit ihren Dopingmitteln die Sichtweise. Der Markt ist groß und wächst stetig. Zu Beginn der Achtzigerjahre wurde mit dem Blutdoping begonnen. Inzwischen kamen Narkotika hinzu und Anabolika, Wachstumshormone, Testosterone, Glykoprotein-Hormone, Kortikoide … Allein mit Epo-Präparaten ließen sich 2008 weltweit etwa 15 Milliarden Dollar umsetzen.
Natürlich wurden auch der Sport und seine Großveranstaltungen wie Olympische Spiele oder die Tour de France, Welt- und Europameisterschaften in dem Maß mit Doping überzogen, wie ihre wirtschaftliche Bedeutung wuchs: wenn nämlich lukrative Sponsorenverträge und Übertragungsrechte, Werbeeinahmen- und -träger anfallen.
Das Internationale Olympische Komitee (IOC) war schon in den Neunzigerjahren tief in die Dopingproblematik verstrickt, sodass sich 1999 die Gründung der World Anti-Doping Agency (WADA )nicht mehr vermeiden ließ, die allerdings im Jahr 2010 nur mehr eine Feigenblattfunktion besitzt.
Die Forschungsmittel der Dopingfahnder werden grundsätzlich kurz gehalten, während die Dopingindustrie aus dem Vollen schöpfen kann und nach dem Hase-Igel-System verfährt: Wenn die Dopingfahnder etwas nachweisen können, sind die Doper schon wieder weiter. Die Doping-Aufrüstungsspirale geht so: neues Dopingmittel – neuer Labortest – neues Dopingmittel usw. Können diese die dritte Generation von Epo (Cera) nachweisen, praktizieren jene schon die vierte. Marion Jones hatte zum Beispiel 160 negative Dopingtests: Ihre Mittel wurden nie nachgewiesen (sie gestand schließlich im Oktober 2007). Von sechs Männern, die die 100 Meter unter 9,8 Sekunden liefen, stehen drei unter Dopingverdacht. Der nächste Schritt ist Gendoping.
Pferde-Doping
Selbst vor dem Pferde-Doping schrecken deutsche Verantwortliche nicht zurück. Das Einreiben der Sprunggelenke mit der hypersensibilisierenden Salbe Capsaicin soll die Tiere zu höheren Sprungleistungen treiben; auch Psychopharmaka und Hormonpräparate wie Testosteron wurden eingesetzt.
– Der bekannteste deutsche Springreiter Ludger Beerbaum äußerte 2009:„Im Laufe der Jahre habe ich mich darin eingerichtet, auszuschöpfen, was geht … In der Vergangenheit hatte ich die Haltung, erlaubt ist, was nicht gefunden wird … Und ich will, dass offiziell anerkannt wird, dass unsere Pferde Hochleistungssportler sind und nicht im Streichelzoo leben“ (Pochhammer 30.5.2009; vergleiche auch Pochhammer 17.9.2011; vergleiche auch Pochhammer 24.5.2012).
– Die fünffache Dressur-Olympiasiegerin Isabell Werth fiel 2009 mit ihrem Pferd Whisper bei einem Turnier in Langen wegen Dopings mit einem Psychopharmakon auf: Sie erhielt eine sechsmonatige Sperre. „Bei ihrem Pferd El Santo wurde im Juni 2012 bei den rheinischen Meisterschaften in Langenfeld das verbotene Magenmittel Cimetidin gefunden“ (Pochhammer 9.2.2013). Angeblich war das Medikament von der Nachbarbox irgendwie über das Tränkesystem in El Santos Trinkwasser gelangt. Die Disziplinarkommission hielt dies für „äußerst unwahrscheinlich“ und sperrte Werth im November 2013 wegen verbotener Medikation für sechs Monate (SZ 6.11.2013).
– Magengeschwüre… „Berlin Berlin„, eine Galopperstute, wurde wegen eines Dopingverstoßes der Sieg im Hamburger Derby-Rennen am 30.6.2013 Idee-Hanse-Preis aberkannt: „Für die Rennleitung stand bei ihrer Entscheidung im Vordergrund, dass in der A- und B-Probe das unerlaubte Mittel Omeprazol-Sulfid vorhanden war“ (SZ 20.11.2013). Der Trainer hatte damals mitgeteilt, das Mittel sei aufgrund von Magengeschwüren verabreicht worden.
– Prinzessin Haya bint Al Hussein von Jordanien ist eine der Ehefrauen von Scheich Mohammed bin Rashid al Maktoum, Emir von Dubai und die Präsidentin der Internationalen Reiterlichen Vereinigung (FEI), seit 2007 IOC-Mitglied. Ihr Ehemann ist in den Distanzreiter-Skandal verwickelt. „33 Dopingverfahren in jüngerer Vergangenheit bei internationalen Distanzritten, fast alle bei Pferden aus arabischen Ländern, allein 20 von ihnen aus den Ställen der Maktoum-Familie, eine Häufung von Knochenfrakturen und Zusammenbrüchen sowie dreiste Regelverstöße haben seit dem Frühjahr das Langstreckenreiten in Misskredit gebracht. Jetzt hat der frühere Distanzreiter und belgische Nationaltrainer Pierre Arnould im Londoner Daily Telegraph davor gewarnt, dass das Distanzreiten in seiner Existenz bedroht sei, falls der Dachverband nicht endlich tätig wird. Arnould spricht von Dutzenden toten Pferden in der Saison 2011 bis 2012 in den Langstreckenrennen des mittleren Osten. (…) Scheich Mohammed, der wegen Dopings bereits 2009 sechs Monate gesperrt war, hat ausgerechnet seine Ehefrau beauftragt, die Vorkommnisse in seinen Ställen aufzuklären. Er will von den Machenschaften seines Personals nichts gewusst haben, auch nicht von den 124 Doping-Medikamenten (Schmerzmittel, Anabolika, Entzündungshemmer), die, verpackt in einer Kiste mit der Aufschrift „Horse Tack“ (Sattelzeug), im August in seiner Privatmaschine am Londoner Flughafen Stanstead von der britischen Polizei beschlagnahmt und vernichtet wurden“ (Pochhammer 21.10.2013). Arnould erwähnte auch die Bestechung von Offiziellen, worauf ihm der Generaldirektor der FEI, Ingmar de Vos, Illoyalität und Verstoß gegen die Verschwiegenheitspflicht vorwarf. Prinzessin Haya wird von Kritikern Befangenheit aufgrund ihrer familiären Beziehung vorgeworfen (Ebenda).
Vergleiche auch: Pferde-Sport
Dopende Radfahrer 1: Lance Armstrong
Seit 2001 steht der amerikanische Radrennfahrer und siebenmalige Gewinner der Tour de France, Lance Armstrong, unter Dopingverdacht. „Die französische Sporttageszeitung L’Équipe hatte im August 2005 berichtet, dass in sechs 1999 entnommenen Urinproben Epo gefunden wurde. Diese Proben konnten zweifelsfrei Armstrong zugeordnet werden, der 1999 zum ersten Mal die Tour de France gewann“ (SZ 20.7.2011). Nach dem Bericht in L’Équipe musste die Chefredaktion gehen: Den Eigentümern von L’Èquipe gehört schließlich auch die Tour de France (Burkert 11.5.2009).
Im Mai 2011 wurde bekannt, dass Armstrong inzwischen von vier ehemaligen Teamkollegen des Epo-Dopings vor einer amerikanischen Grand Jury bezichtigt wird. Eine positive Dopingprobe von ihm wurde bei der Tour de Suisse 2001 durch das vom IOC akkreditierte Lausanner Labor LAD (Laboratoire suisse d’analyse du dopage) festgestellt. Daraufhin trafen sich Vertreter des Radsportverbandes UCI mit Armstrong und seinem Teamkollegen Johan Bruyneel sowie angeblich sogar dem Laborchef. Danach spendete Armstrong 125.000 Dollar an den UCI. Pikanterweise sagte er dazu: „Ich tue es – um den Kampf gegen Doping zu fördern“ (Kistner 28.5.2010). Die Dopingprobe war nun kein Thema mehr: UCI legte dem Labor nahe, den Fall Armstrong nicht weiterzuverfolgen (Burkert, Kistner 24.5.2011; Kistner 24.5.2011; SZ 28.5.2011). Der Leiter des Lausanner IOC-Labors, Martin Saugy, räumte dann sogar im März 2011 ein, er habe sich mit Armstrong und dessem Teamchef Johan Bruyneel getroffen und ihnen „erklärt, wie der Epo-Test funktioniert“ (Burkert 16.6.2012).
Lance Armstrong zahlte dann im Juli 2006 die Summe von 100.000 Dollar an den Radweltverband UCI, der Armstrong gleichzeitig vom Verdacht des Dopings freisprach (Burkert, Kistner 7.8.2010; siehe auch unten). „Der UCI stand damals der zwielichtige Sportfunktionär Hein Verbruggen vor, ein Niederländer, der viele Jahre IOC-Mitglied gewesen ist und als UCI-Ehrenpräsident weiterhin als Strippenzieher auch des Radsports gilt“ (Burkert 21.5.2010) Gleichzeitig legte der Radrennfahrer Floyd Landis ein Dopinggeständnis ab und belastete Armstong schwer (Ebenda).Armstrongs früherer Radkollege Tyler Hamilton bezichtigte diesen im Mai 2011 des Epo-Dopings (SZ 21.5.2011). Hamilton gab im Mai 2011 seine Olympische Goldmedaille zurück (Burkert 23.5.2011).
Die Causa Armstrong zeigt die Farce, wie Doping verschleiert wird – bis hin zum Internationalen Radsportverein UCI. Der Armstrong-Kritiker und dreimalige Tour-Gewinner Greg LeMond sagte dazu im Juli 2010: „Wenn das keine Korruption ist, was sonst? Schweigen, zahlen -. es ist fast wie bei der Mafia“ (Burkert 17.7.2010). Und Richard Pound sagte hierzu: „Es ist an der Zeit, dass die Wada sagt: ‚Dieser Sport erfüllt nicht die Ansprüche unseres Kodex'“ (Winterfeldt 21.5.2011). Das Budget der Wada (World Anti-Doping Agency) kommt übrigens zur Hälfte aus Zuwendungen der Regierungen ihrer Mitgliedsländer: Das IOC trägt dann die selbe Summe bei (Hofmann 28.7.2012).
Der Radsport-Kollege Tyler Hamilton äußerte über Armstrong: „Er nahm, was wir alle nahmen, die Mehrheit des Peletons. Da war Epo, Testosteron, eine Bluttransfusion“ (Aumüller SZ 6.2.2012).
Im Februar 2012 stellte die Staatsanwaltschaft in Los Angeles ohne Angaben von Gründen die Ermittlungen gegen Amstrong ein. Doping im Sport ist in den USA nicht strafbar. So hatte die Staatsanwaltschaft wegen Betrug und Missbrauch von Steuergeldern gegen Armstrong ermittelt, da dessen Team als Hauptsponsor die amerikanische Post hatte, die zwischen 2001 und 2004 rund 32 Millionen Dollar investierte und sich vertraglich zusichern hatte lassen, dass die Radprofis sauberen Sport betreiben würden (Ebenda).
Der Bundesanwalt Andre Birotte beendete im Alleingang das Verfahren gegen Armstrong, obwohl die Staatsanwaltschaft Klageerhebung in mindestens vier Punkten empfahl: Birotte verweigerte jede Erklärung zu seiner umstrittenen Einstellung des Verfahrens. „Von 1999 bis 2001 praktizierte er in einer Kanzlei, die unter ihren Kunden den Sportkonzern Nike führt, der auch Armstrong ausrüstet“ (Kistner 18.2.2012). – „Als Amerika Armstrongs letzte Tour-Siege feierte, arbeitete Birotte als Rad-Fitnesscoach in einem Center in Hollywood“ (Kistner 31.12.2012).
Nicht nebenbei: Im Juni 2012 verklagte die US-Anti-Doping-Agentur (Usada) Armstrong auf Doping: Sie stützte sich auf mehr als zehn nicht namentlich benannte Zeugenaussagen. Armstrong wurde sofort für alle Wettkämpfe gesperrt. „Ins Zwielicht gerät auch der Radsportweltverband UCI: Laut der Usada soll eine Urinprobe aus der Tour des Suisse 2001 Armstrong des Epo-Dopings überführt haben… Das Testergebnis sei aber vertuscht worden“ (spiegelonline 15.6.2012).
Mehr als 500 Dopingtests will Armstrong absolviert haben: Thomas Kistner kam auf 29 Kontrollen im Bereich der Usada und 63 Kontrollen bei der Tour de France: Das macht 92 Tests und keine 500. Und Armstrongs Behauptung der „negativen Tests“ stimmt auch nicht: Von der Tour de France 1999 sind sechs positive Epo-Proben vorhanden (Kistner 9.7.2012).
Anklage wurde auch erhoben gegen die Sport-„Ärzte“ Pedro Celaya, Luis del Moral, Michele Ferrari und den Coach Pepe Marti. Die Anklage der Usada könnte „das ohnehin stark poröse Sportler-Denkmal Armstrong endgültig zum Einsturz bringen, ihn nachträglich seine sieben Tour-Siege kosten und sicher auch viel Geld“ (Burkert, Kistner 15.6.2012). Dazu wurde Mitte Juni 2012 bekannt, dass Lance Armstrong noch im Jahr 2006 die Summe von 465.000 Dollar an den Dopingarzt Michele Ferrari überwiesen hat (Burkert 18.6.2012). Ferrari, del Moral und Marti wurden wegen Doping-Manipulationen lebenslänglich von Funktionen im Radsport ausgeschlossen (Drei Armstrong-Helfer lebenslang gesperrt, in spiegelonline 10.7.2012).
Del Moral betreute auch die Fußball-Spitzenclubs FC Barcelona (in der Saison 2003/4) und FC Valencia, und der mehrfach verurteilte Blutdoping-Arzt Eufemiano Fuentes betreute unter anderem Real Madrid und FC Barcelona (Kistner 12.7.2012). Die französische Zeitschrift Le Monde hatte darüber berichtet und die Medikationspläne von Fuentes publiziert: Sie wurde mit Gerichtsprozessen in Barcelona und Madrid überzogen (Ebenda). Thomas Kistner sieht deshalb Spaniens Spitzensport im Doping-Rampenlicht: Denn Spaniens Spitzensportler beherrschen seit einem knappem Jahrzehnt Fußball, Tennis, Leichtathletik und Radrennen.
Lance Armstrong gab im August 2012 auf: Ein Gericht in seiner Heimatstadt Austin erklärte die Ermittlungen der amerikanischen Anti-Doping-Agentur Usada für rechtens. Armstrong hat zwischen 1999 und 2005 siebenmal die Tour-de-France gewonnen und wird diese Titel wohl aberkannt bekommen. Ob der dreimalige Tour-Zweite, der deutsche Doper Jan Ullrich, damit die drei Titel erhält, ist noch unklar (spiegelonline 24.8.2012).
Neues von Lance Armstrong: September 2012
Der ehemalige Teamkollege von Armstrong, Tyler Hamilton, hat im Sommer 2012 das Enthüllungsbuch „The Secret Race“ veröffentlicht, in dem Hamilton auch die Rolle von Armstrong thematisiert: „Lance steuerte das System – Hölle, Lance war das System“ (Kistner 6.9.2012). Armstrong war beim Dopen „allen anderen zwei Jahre voraus“. Hamilton äußerte zu den unzähligen negativen Dopingtests bei sich, Armstrong und anderen: „Unsere Ärzte waren besser alls die Fahnder“ (Ebenda).
Die Zusammenarbeit mit dem „Dottore Epo“ Michele Ferrari belegte dessen Info an Armstrong: „Das Restaurant ist 167 Kilometer entfernt“ – im Klartext: „Triff mich im Zimmer 167 für deine nächste Bluttransfusion“ (Ebenda).
Auch der Radprofi Jan Ullrich hatte stets Verbindungen zu Fuentes bestritten. Er wurde vom Heidelberger Dopingexperten Werner Franke angezeigt, der über Belege von 20 Flügen Ullrichs nach Madrid verfügte: Dort wurde von Fuentes Blut abgezapft und reinfundiert. Die deutsche Nationale Anti-Doping-Agentur war laut Franke nie am Thema interessiert: „… die hat nichts gegen Ullrich unternommen“ (Ludwig 27.8.2012).
Thomas Kistner stellt in Zusammenhang mit der spanischen „generacíon de oro“ (Generation Gold) die Frage nach den Gründen für die erstaunlichen sportlichen Erfolge der Spanier in verschiedenen Disziplinen zu dieser Zeit: „Überhaupt, seit Jahren verweigert Spanien die Herausgabe brisanter Ermittlungspapiere zur Tätigkeit von Fuentes & Co bei Rad-, Fußball- und anderen Profisportarten an die Welt-Anti-Doping-Agentur Wada“ (Kistner 7.9.2012).
Armstrong hatte eine enge Verbindung zum damaligen Präsidenten des Weltradsportverbandes UCI, Hein Verbruggen, der Armstrong bis zuletzt deckte und, wie erwähnt, einen Epo-Nachweis gegen Zahlung einer „Spende“ von 125.000 Dollar an UCI entschärfte. Im übrigen wird Armstrong ein Problem mit seinen damaligen Sponsoren bekommen: „Nicht nur die US-Versicherungsagentur wird eine Millionenklage erheben“ (Kistner 15.9.2012).
Verbruggen war von 1991 bis 2005 Präsident der UCI und lancierte seinen Nachfolger, Pat McQuaid, „den er ins Amt boxte“ (Ebenda). Verbruggen ist heute Präsident von SportAccord (vorher GAIFS, General Association of international Sports Federation): der Vereinigung von 105 Internationalen Sportverbänden mit Sitz in Lausanne (Wikipedia). Diesen Vorsitz übernahm er 2004 vom Südkoreaner Un-Yong Kim, der durch seine Verurteilung wegen Korruption nicht mehr kandidieren konnte und auch das IOC verlassen musste. Verbruggen war von 1996 bis 2008 IOC-Mitglied und ist seither Ehrenmtglied; er war Vorsitzender der IOC-Koordinierungskommission für die Sommerspiele 2008 in Peking (focus.de 27.4.2007).
Verbruggen-Nachfolger beim UCI, Pat McQuaid ist ein ehemaliger irischer Radrennfahrer und seit 2010 IOC-Mitglied. McQuaid möchte eine Generalamnestie für geständige Doper, die Armstrong-Zeit ausblenden und zur “schwarzen Ära” erklären: aber bloß nichts aufarbeiten (Kistner 15.9.2012).
Endgültiges von Lance Armstrong
Am 10. Oktober 2012 stellte die amerikanische Anti-Dopingagentur USADA 202 Seiten ihres Berichtes zum Fall des Radrennfahrers Lance Armstrong in das Internet, dazu 800 Seiten Material. 26 Zeugen sagten unter Eid aus, davon 15 Radfahrer. Am deprimierendsten:
– Schon 1999, beim ersten seiner sieben Siege bei der Tour de France, war Armstrong gedopt.
– Armstrongs Teamkollegen wurden gezwungen, ebenfalls zu dopen. Besonders tragisch ist der Fall des damals 24 Jahre alten Radprofi David Zabriskie: “Sein Vater hatte sich mit Drogen bis zum Tod selbst zerstört; er wollte deshalb niemals dopen. Teamchef Johan Bruyneel habe ihm 2003 versichert: ‘Jeder tut es’” (Burkert 11.10.2012). Der frühere Teamkollege und Mit-Doper Armstrong, Matt White, schrieb in einer Mitteilung: „Es macht mich traurig zu bekennen, dass ich Teil einer Mannschaft war, in der Doping Bestandteil der Teamstrategie war“ (spiegelonline 13.10.2012). White entschuldigte sich am 12.10.2012 auch bei den früheren Gegnern, die bewusst auf Doping verzichtet haben.
Das sollten sich einmal all jene Verirrte vor Augen halten, die für eine Freigabe der Dopingmittel plädieren: Dann wird und muss jeder an der Nadel (oder am Gentropf) hängen, der beim Profisport mithalten will.
– Die Hinweise auf noch so viele Dopingproben bei Sportveranstaltungen sind angesichts dieses Falles kaum den Strom wert, mit dem sie über das Internet verschickt werden. Im Bericht finden sich Angaben, wie die Fahrer die Tests umgingen: Die Fahrer gaben an, sie seien zu Vorsichtsmaßnahmen aufgefordert worden. In den ersten Jahren habe es zum Teil schon genügt, den Kontrolleuren einfach die Wohnungstür nicht zu öffnen. Später hätten die Teamchefs um Bruyneel stets im Voraus erfahren, wann ein Test anstand” (Hummel 11.10.2012).
– Die Dopingärzte Michele Ferrari, Luis García del Moral, Eufemiano Fuentes etc. sorgten durch ihre Dopingmethoden dafür, dass ein Nichtdopender keine Chance im Radsport hatte. Übrigens trennte sich im Oktober 2012 das Sky-Team des britischen Goldmedaillengewinners von London 2012, Bradley Wiggins, vom Teamarzt Geert Leinders: Ein früherer Radfahrer des Teams Rabobank hatte ausgesagt, dass Leinders ihn von 2002 bis 2004 beim Doping unterstützt hätte (Burkert 11.10.2012).
– Das US Postal Team von Armstrong verbrauchte Millionen Dollar aus Steuergeldern. Der Staatskonzern US Post ist inzwischen mit einer zweistelligen Milliardensumme verschuldet und stand mehrmals kurz vor der Insolvenz.
– Ein „Motoman“ brachte die Dopingmittel und Blutbeutel zu dem Postal-Team. Die Spritzen wurden in Cola-Dosen „entsorgt“. Armstrongs Teamchef Johan Bruyneel wusste stets, wann die Kontrolleure der UCI kamen (Burkert 13.10.2012).
– So aktiv die Usada war, so passiv verhielt sich die amerikanische Justiz.
– Der Internationale Radsport-Weltverband UCI deckte über Jahre Armstrongs Dopingsystem. Eine positive Probe aus dem Jahr 2001 wurde gegen Zahlung von 125.000 Dollar von der UCI vertuscht.
– Der Vorsitzende der Wada, Richard Pound, hält es für nicht glaubwürdig, dass die UCI-Funktionäre von Armstrongs Doping-System keine Kenntnis hatten. Pound hat dort über Jahre reklamiert, dass in den Stunden vor dem Rennen keine Doping-Kontrollen durchgeführt wurden, sodass maskierende Substanzen eingenommen werden konnten. „Ich hatte dies über Jahre bei der UCI reklamiert… Man fragt sich, ob das System nicht bewusst so angelegt wurde, dass es nicht erfolgreich sein konnte“ (spiegelonline 14.10.2012).
Zum Statement von Usada-CEO Travis Tygart: hier
Kleine Aufstellung der gedopten Tourgewinner 1999 bis 2005:
(Quelle: DAPD, Doper auf dem Podium, in SZ 23.10.2012)
1999: 1. Lance Armstrong (lebenslange Dopingsperre), 2. Alex Zülle (Dopingsperre Festina-Skandal), 3. Fernando Escartin (Kunde des Doping-Arztes Michele Ferrari)
2000: 1. Lance Armstrong, 2. Jan Ullrich (6 Monate Dopingsperre wegen Amphetamin-Missbrauch, 2 Jahre Dopingsperre als Kunde von Dopingarzt Eufemiano Fuentes), 3. Joseba Beloki (Kunde von Fuentes)
2001: 1. Lance Armstrong, 2. Jan Ullrich, 3. Joseba Beloki
2002: 1. Lance Armstrong, 2. Joseba Beloki, 3. Raimondas Rumsas (einjährige Sperre wegen Epo-Doping)
2003: 1. Lance Armstrong, 2. Jan Ullrich, 3. Alexander Winokurow (2 Jahre Dopingsperre wegen Fremdblutdoping; olympische Goldmedaille in London 2012!)
2004: 1. Lance Armstrong, 2. Andreas Klöden (Verwicklung in Telekom-Skandal), 3. Ivan Basso (2 Jahre Dopingsperre im Fuentes-Skandal)
2005: 1. Lance Armstrong, 2. Ivan Basso, 3. Jan Ullrich
Konsequenzen aus dem Fall Armstrong
– Die bayerische Justizministerin Beate Merk erneuerte ihre Bemühungen, eine Gesetzesänderung zu erreichen: „Der Fall zeigt deutlich: Die richtige Handhabe, um die Szene zu knacken, ist eine Kronzeugenregelung – kombiniert mit der Strafbarkeit des dopenden Sportlers selbst ab dem Besitz des ersten Milligramms“(SZ 13.10.2012).
– Die Gegner dieser Verschärfung sind bekannt: „Bisher wehren sich in Berlin allerdings CDU/CSU und FDP sowie der Deutsche Olympische Sportbund gegen ein schärferes Anti-Doping-Gesetz“ (Ebenda; Hervorhebung WZ).
– Der langjährige Teamchef von Armstrong, Johan Bruyneel, wurde vom Rennstall Radio-Shack entlassen: Er wurde 129 mal im Usada-Report erwähnt.
– Bruyneel wird von der Usada im November 2012 der Prozess gemacht: Die Usada will Armstrong unter Eid aussagen lassen (Kistner 13.10.2012).
– Der amerikanische Versicherungskonzern SCA will mehr als fünf Millionen US-Dollar von Armstrong zurück, die als Prämie für die Tour-Siege 2002 bis 2004 bezahlt wurden (Ebenda).
– „Nike teilte mit, man werde die Zusammenarbeit mit Lance Armstrong und dessen Krebs-Stiftung fortsetzen“ (Aumüller 12.10.2012). Nike beendete die Zusammenarbeit mit Armstrong dann eine Woche später (SZ 19.10.2012).
– Wegen Dopings seit 10.10.2012 gesperrt sind die geständigen Radrennfahrer Levi Leipheimer, George Hincapie, Christian Vandevelde, David Zabriskie, Tom Danielson, Michael Barry. Dopingeingeständnis und beendete Karriere: Tyler Hamilton, Floyd Landis, Frankie Andreu, John Vaughters, Stephen Swart (Die Schlüsselfiguren, in SZ 12.10.2012).
Nach dem Dopingskandal um den Radrennfahrer Lance Armstrong kommentierte Hajo Seppelt vom WDR in den Tagesthemen am 22.10.2012 selbstkritisch:
“Die Tour de France ist eines der größten Sportereignisse der Welt. Viele Jahre haben wir vom öffentlich-rechtlichen Fernsehen etliche Millionen Ihrer Gebührengelder in dieses dreiwöchige Spektakel investiert, die schier übermenschlichen Leistungen bewundert, die Fahrer oft mit naiver Freude verehrt. Viele andere Medien machten das kaum anders.
Aber was haben wir Ihnen da eigentlich geboten? Den größten Sportbetrug aller Zeiten, stundenlang und live. Das gibt jetzt der Weltradsportverband offen zu. Ihre Gebührengelder, auch wenn es natürlich keiner so beabsichtigt hatte, sind letztlich indirekt in ein kriminelles System von Doping und Korruption geflossen, denn die immensen TV-Gelder und die lange Sponsorenpräsenz auf dem Bildschirm sicherten der verlogenen Branche hohen Profit.
Jetzt aber wird mal wieder suggieriert, es sei nur der ruchlose Einzeltäter gewesen, also der Bösewicht Armstrong. Alles Quatsch. Doping ist ein Systemproblem des Spitzensports, beileibe nicht nur des Radsports…
Es ist die Lebenslüge des kommerzialisierten Sports, Ethos und Moral zu predigen und von einer Vorbildfunktion zu sprechen…”
Dopende Radfahrer 2: Alberto Contador
Der Radprofi und Gewinner der Tour de France 2007 und 2009 und des Giro d’Italia 2008 und 2011, Alberto Contador, wurde wegen Dopings mit Clenbuterol zwei Jahre gesperrt; die Titel wurden ihm aberkannt. Contador hatte behauptet, die Substanz sei in einem Kalbsfilet enthalten gewesen. “Der Radsportweltverband UCI und Contadors spanische Funktionärsfreunde haben “nicht mehr verhindern können, dass der 29 Jahre alte Radprofi von nun an unwiderruflich in jene Kategorie zu führen ist, in die er schon 2007 einzuordnen gewesen wäre: in die Liste der Betrüger. 566 Tage nach seiner positiven Dopingprobe auf Clenbuterol … sperrte ihn der Internationale Sportgerichtshof Cas in Lausanne … rückwirkend für zwei Jahre” (Burkert 7.2.2012).
Dopende Radfahrer 3: Jan Ullrich
Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) wiegelt zur Dopingproblematik nach wie vor ab. Dabei sind viele deutsche Radsporthelden von Sydney, Athen und Peking schon überführt.
Beim deutschen Radsportler Jan Ullrich, Tour-de-France-Sieger von 1997 und Goldmedaillengewinner der Olympischen Sommerspiele 2000 in Sydney, wurden 2002 Amphetamine festgestellt. Ullrich gab an, dass ihm jemand zwei Ecstasy-Tabletten zugesteckt hätte, die er dummerweise genommen habe (Aumüller 10.2.2012).
Ullrich hatte auch enge Verbindungen zum spanischen Dopingarzt Eufemiano Fuentes, der von Ullrich einen DNA-Abgleich mit eingelagertem Blut hatte (SZ 24.8.2011). Seit das Bundeskriminalamt herausfand, dass Ullrich mit dem spanischen Dopingarzt Fuentes viele Termine hatte, gibt Ullrich dieses auch zu. Am 30.6.2006 wurde er einen Tag vor Beginn der Tour de France gesperrt. 2007 gab Ullrich seinen Rücktritt bekannt und bestritt alle Dopingvorwürfe.
Am 9.2.2012 wurde Ullrich vom Cas rückwirkend vom 22.8.2011 an zwei Jahre gesperrt; seine Ergebnisse seit Mai 2005 wurden gestrichen (SZ 10.2.2012). Im Juli 2012 antwortete er auf die Frage, ob es Zeiten im Radsport gab, in denen man ohne Doping nicht vorne mitfahren konnte: „Ja, klar gab es diese Zeiten, ich habe sie ja selbst mitgemacht“ (Weiteres Zugeständnis, in SZ 9.7.2012).
Fazit: „Mittlerweile stehen in Deutschland Radprofis unter Generalverdacht“ (Ahrens 9.2.2012). – „Wann kommt endlich die Akte Lance Armstrong auf den Tisch?“ (Kistner 10.2.2012). Im Frühjahr 2012, siehe oben.
Dazu kommen die Luxemburger Andy Schleck (Kunde bei Dopingarzt Eufemiano Fuentes), Frank Schleck (dito, bei der Tour de France fluchtartig abgereist, als Xipamid zur starken Urinausscheidung nachgewiesen wurde) und unzählige andere (Burkert 19.7.2012).
Doping und Sportverbände
In Deutschland werden immer noch und wieder mit Billigung der höchsten Sportgremien Trainer eingesetzt, die bekanntermaßen schon in der ehemaligen DDR Dopingmittel an ihre Athleten und Athletinnen verabreicht haben, welche zum Teil schwerste körperliche Schäden davontrugen. So ist der „professionelle Doppelfunktionär“ Thomas Pfüller gleichzeitig Sportdirektor und Generalsekretär des deutschen Skiverbandes (DSV), behauptet aber wie so viele ehemalige Verbands-Trainer der DDR, nicht in die „Umsetzung des DDR-Staatsplans 14.25“ eingeweiht gewesen zu sein (Hahn 30.10.2010). Der Trainer S. war im DDR-Sportsystem für das Dopen seiner von ihm betreuten Sportler zuständig: Er ist heute ein hoher Sportfunktionär im Landessportbund Thüringen (Hahn 29.10.2011; Hacke, Ludwig 26.7.2010).
Der DDR-Rennrodler und Olympiasieger von 1964 und 1968, Thomas Köhler, veröffentlichte 2011 seine Autobiographie und erzählte darin neben der Glorifizierung des DDR-Sportsystems das „Märchen vom ’sachgerechten und medizinisch-kontrollierten‘ Vorzeige-Doping“ (Herrmann 16.9.2011). DOSB-Präsident Thomas Bach lag wie üblich bei solchen Themen daneben und lobte Köhlers Werk; es brächte „mehr Klarheit in die Aufarbeitung der Dopinggeschichte“ (Ebenda). Kurze Zeit später ruderte Bach zurück und verlangte eine Entschuldigung von Köhler.
In einem gedopten Körper wohnt ein gedopter Geist: gedopt mit Geld, Eitelkeit, Erfolgsgeilheit, Egomanie.
Dem Magazin Scinexx vom Herbst 2009 zufolge sind die Doping-Sportarten im Winter Biathlon, Langlauf, Nordische Kombination, Eisschnelllauf. Im Sommer kommen unter anderem Kurz- und Langstrecken, Radfahren und Turnen dazu; weitere sind nur noch nicht bekannt. Manche Sportarten wie Fußball wehren sich erfolgreich gegen Überprüfungen. Eine anonyme Befragung von Sportlern durch Mainzer und Tübinger Forscher ergab, dass die tatsächlichen Dopingzahlen achtmal so hoch sind wie bisher bekannt.
Und was ist mit Biathlon, Triathlon, Fußball, etc.? So schreibt Daniel Drepper, dass Doping im Fußball sehr wohl verbreitet ist, dass die Spieler inzwischen zwölf Kilometer pro Spiel zurücklegen – doppelt so viel als früher. Der spanische Doping-Arzt Eufemiano Fuentes „betreute“ nicht nur Radfahrer, sondern auch zahlreiche Fußballvereine, darunter Real Madrid. Der „dopingfreie“ Fußball ist eine Fiktion, weil die Kontrollen so selten sind, dass ein Spieler nur alle drei Jahre überprüft wird (Drepper 16.7.2011). Dopingfrei heißt eben oft auch nur, dass nicht getestet wird.
Besonders absurd gestaltete sich die Situation um das 100-Meter-Rennen der Frauen bei den Olympischen Sommerspielen 2004 in Sydney: Die Erstplatzierte Marion Jones gewann die Goldmedaille (dazu noch Gold über 200 Meter, in der 4×400-Meter-Staffel plus eine Bronzemedaille im Weitsprung und in der 4×100-Meter-Staffel. Nachdem sie im Oktober 2007 zugegeben hatte, das Dopingmittel Tetrahydrogestrinon (THG) genommen zu haben, aberkannte ihr das IOC die fünf Medaillen von Sydney. Im 100-Meter-Lauf wäre nun die damalige Silbermedaillengewinnerin Ekaterina Thanou in den Besitz der Goldmedaille gekommen, die aber ebenfalls der olympischen Bewegung „Schande“ bereitet hatte, da sie sich bei den olympischen Sommerspielen 2004 einem Dopingtest entzog. Somit gibt es 2000 keine Goldmedaillengewinnerin über 100 Meter bei den Frauen (Gernandt 21.1.2011; Wikipedia)
Doping und IOC
Der Sportarzt Heinz Liesen berichtete, dass bereits in den achtziger Jahren bei Doping-Nachkontrollen „aus Versehen“ die B-Probe im Glasfläschchen auf den Boden fiel und der Athlet nicht mehr gesperrt werden konnte. „Ich bekam als ehemaliges Mitglied der Medizinischen Kommission des IOC mit., wie man vor allem Proben der Amerikaner unter den Tisch kehrte, um nicht die Fernsehgelder von US-Sendern zu riskieren“ (Spiegel 44/2011).
Dem IOC wurden bei den Olympischen Sommerspielen 2008 in Peking vielfache Verstöße nachgewiesen: 102 NOKs sind ihrer Meldepflicht nicht nachgekommen; eine zwölfköpfige Beobachtergruppe, welche das olympische Dopinglabor kontrollieren sollte, wurde mit Hinweis auf die Eigentümer des Labors – das IOC und das Organisationskomitee – die Arbeit verwehrt; nur vier von 28 Weltverbänden haben im Vorfeld kontrolliert. Etwa 140 auffällige Proben wurden als „unauffällig“ deklariert etc. So wurde in Peking (Bolt! Phelps!) und später in Vancouver das Thema Doping entschärft: Wer nicht suchet, der nicht findet … Man kann Doping auch abschaffen durch eine Beendigung der Dopingtests.
„Chinas Medaillen-Armada war für aussagefähige Tests vor den Spielen nicht erreichbar und das Pekinger Labor zweitklassig“ (Kistner 10.10.2009).
Sepp Blatter von der FIFA wehrte strengere Kontrollen der WADA mit den Worten ab: „Wir kämpfen gegen Doping, aber dürfen nicht plötzlich eine Hexenjagd veranstalten“ (spiegelonline 25.3.2009). Die FIFA lehnte auch die zweijährige Sperre bei Dopingvergehen, die Präsenz der WADA bei der WM und die achtjährige Aufbewahrung von Dopingproben bei der WM ab. Kistner nannte die WADA die „Welt-Alibi-Agentur“ und schrieb: „Die WADA ist nur noch ein braves Büro, die letzten Reißzähne wurden ihr bei den Peking-Spielen 2008 gezogen, wo sie sogar ihren Beobachterstatus einbüßte. Die Chinesen wollten sich nicht in ihr mittelprächtiges Labor schauen lassen, das servile IOC trug diese Farce mit“ (Kistner 13.2.2010).
In der „Tagesschau benannte Michael Vesper in Vancouver zu Beginn der Olympischen Winterspiele 2010 die „Höchststrafe“ für (erwischte) Doper: Sie sollen umgehend nach Hause geschickt werden. Was für eine Strafe! Natürlich wurde kein Doper erwischt. Wie das IOC es international hält, so hält es offenbar auch der DOSB in Deutschland. Der ehemalige Vorsitzende des Sportausschusses, Peter Danckert, bezeichnete in seinem Buch „Kraftmaschine Parlament“ (2009) den DOSB-Präsidenten Thomas Bach und seinen Generaldirektor Michael Vesper in der Doping-Frage als „Abwiegler“ (Danckert, S. 200f; SZ 11.2.2009).
Nationale Anti-Doping-Agentur
Der Anti-Doping-Kampf wird weitgehend von der Öffentlichkeit bezahlt. Der DOSB entrichtet 1,6 Millionen Euro pro Jahr; von den großen Sportsponsoren kommen lediglich 405.000 Euro – bei geschätzten 1,5 Milliarden Euro, die von Sponsoren insgesamt jährlich in den Sport gesteckt werden (Ott 28.10.2011).
Die deutsche Nada (Nationale Anti-Doping-Agentur) verlor seit ihrer Gründung 2003 bis 2011 vier Geschäftsführer. Die letzte kommissarische Geschäftsführerin, Anja Berninger, „war beliebt, fachlich geschätzt, eloquent. Vor allem aber gab sie sich konfliktfreudig und unabhängig. Bislang hat niemand den Verdacht ausräumen können, dass sie genau deshalb zum Opfer einer Intrige wurde“ (Herrmann 18.3.2011). Der Nada-Präsidialausschuss, dem Dagmar Freitag (DLV-Vizepräsidentin und Vorsitzende des Bundestags-Sportausschusses), Michael Vesper (DOSB-Generalsekretär und Aufsichtsratsvorsitzender von München 2018), Gerhard Böhm (Bundesministerium des Innern) und Nada-Kuratoriumschef Hanns Michael Hölz angehören, hatte plötzlich entschieden, dass Berninger nicht den Chefposten im neuen Vorstand bekommen sollte, sondern dieser Posten per Headhunter gesucht würde (SZ 23.2.2011).
Die Datenschützer von Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein forderten im Juli 2011, „ein Gesetz zum Anti-Doping-System in Angriff zu nehmen, das die Privatsphäre der Sportler bei Dopingkontrollen sichert“ (Kistner 27.7.2011). Gerügt wird z.B. die Meldepflicht dritter Personen, bei denen sich der Athlet aufhalte, die entwürdigende kontrollierte Urinabgabe und fehlende Untersuchungen zur Wirksamkeit des gesamten Kontrollsystems. „Nebenbei enttarnten die Datenschützer mit einer derart einseitigen Dopingfahndung ein politisches System dahinter: Der Sport braucht Alibifunktionen, um für ein zunehmend argwöhnisches Publikum eine fundamentale Betrugsbekämpfung zu simulieren“, schrieb Thomas Kistner.
Im Herbst 2011 war die deutsche Nada erneut in finanziellen Schwierigkeiten. Der DOSB wollte nicht mehr als 1,7 Millionen Euro zum Budget von jährlich vier bis fünf Millionen Euro beisteuern. DOSB-Generaldirektor Vesper gab die Verhandlungslinie vor: Doping lasse sich „nur im Schulterschluss von Staat und Sport bekämpfen“ (Ott 15.11.2011).
Im Februar 2012 bettelte Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich im Rahmen eines „Runden Tisches“ bei Sportverbänden, Bundesländern und Wirtschaftskonzernen um mehr Geld für die Nada. Es fehlen im laufenden Jahr 1,35 Millionen Euro im Etat (Bosse 29.2.2012).
Der kommerzielle Sport profitiert finanziell und provoziert das Doping der Sportler; die Allgemeinheit soll auch noch für die Überwachung der dopenden Sportler bezahlen. Die beteiligten Sportkonzerne machen Milliardengewinne. Wieder einmal werden Gewinne privatisiert und Verluste sozialisiert.
Zur Rolle der Nada bei Erfurter UV-Blutdoping vergleiche hier.
Neuer Doppingfall am nächsten Olympia-Stützpunkt
Nach dem UV-Blutdopingskandal am Erfurter Olympiastützpunkt (OSP) geht es gleich weiter zum nächsten Olympiastützpunkt Rheinland-Pfalz/Saarland. Die Doping-Schwerpunktstaatsanwaltschaft München hatte 15 Dopinglabors ausheben lassen und Verbindungen zu einem Professor an der Sporthochschule Saarbrücken und in den Leistungssport gefunden. Pikant: Mit Dopingsubstanzen beliefert wurde auch die „Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement“ in Saarbrücken (br.de 25.6.2012; SZ 26.6.2012
Der Leitende Staatsanwalt Kai Gräber: „Die Spuren führen sowohl zu medizinischen Abteilungen und zu medizinischem Personal im Spitzensport als auch direkt zu Athleten“ (spiegelonline 24.6.2012; SZ 25.6.2012).
Am OSP Rheinland-Pfalz/Saarland werden 301 Athleten betreut, davon 29 aus dem A-Kader. Der Professor für Sportmedizin war seit 2009 für den Olympiastützpunkt tätig und wurde von einem Dealer aus Bayern beliefert. Der Olympiastützpunkt wies den Dopingverdacht als „völlig unbegründet“ zurück; es gäbe „keine Anhaltspunkte für irgendwelche Dopingvergehen“ (derwesten.,de 26.6.2012). OSP-Leiter Steffen Oberst: Der beschuldigte Mediziner hätte „in ausgewählten Sportarten Vortrage für Bundeskaderathleten und deren Trainer gehalten“ und Athleten in Ernährungsfragen beraten (spiegelonline 25.6.2012).
Was er wohl mit den Dopingmitteln gemacht hat? Selbst genommen?
Oberst versicherte, dass „sämtliche Regelungen der Antidopingbestimmungen im Bereich des Olympiastützpunktes eingehalten wurden“ (Ebenda). Obwohl laut Oberst der OSP völlig unschudig sei, wurde die Zusammenarbeit mit dem Mediziner am 12.6.2012 beendet: erst nach Bekanntwerden der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen!
Die Vorsitzende des Bundes-Sportausschusses, Dagmar Freitag, sprach von „mafiösen Strukturen“ im Spitzen- und Breitensport; die Konsumenten erlitten „schwerste körperliche Schädigungen“, im Spitzensport würde „betrogen“. Man müsse genau hinsehen, wer an den Olympiastützpunkten das Sagen habe“ (Ebenda).
Der DOSB natürlich.
DOSB-Generaldirektor Michael Vesper wiegelte dagegen ab: „Nach dem heutigen Stand ist nicht erkennbar, ob überhaupt ein Athlet etwas gemacht hat. Es ist viel zu früh, ein Urteil zu sprechen“ und sprach der Nada sein Vertrauen aus: „Es ist mal wieder ein Beweis dafür, dass das System funktioniert hat“ (Ebenda).
Weder Nada noch DOSB haben funktioniert; die wollen ihre Klienten zu London 2012 bringen. Funktioniert hat einzig und allein die Münchner Staatsanwaltschaft.
Für den Doping-Experten Prof. Werner Franke sind Olympiastützpunkte „Umschlagplätze für Doping“. Die involvierten Mediziner würden keine harten Strafen erwarten. Franke wies darauf hin, dass im Dopingfall Freiburg nach fünf Jahren immer noch keine Anklage erhoben wurde: „Das ist genauso schlimm wie früher in der DDR“ (derwesten.de 26.6.2012). Der Doping-Experte Prof. Fritz Sörgel zum neuen Dopingfall am Olympiastützpunkt: „Mich überrascht nichts mehr. Was dort vor sich geht ist unappetitlich“ (abendzeitung-nuernberg.de 27.6.2012).
Nachtrag: „Die Staatsanwalschaft ist unter anderem an dem Willen der Sportkameraden gescheitert, einander nicht zu verraten… Nun stellt sich wieder einmal heraus, dass man diesen Damen und Herren nur habhaft werden kann, wenn ihre sportlichen Klienten den Mund aufmachen. Besser wäre es, Politik und Sport würden sich endlich zu wirksamen Gesetzensänderungen durchringen, die Staatsanwälten die nötigen Instrumente an die Hand geben… Aber in die abgeschottete Spitzensportenklave dringt der Staat nicht ein. Denn sich selbst zu dopen und die dafür nötigen Substanzen bereit zu halten, ist nicht strafbar“ (Hecker 14.9.2012).
Razzia im Olymp
“Mehr als 200 Zollfahnder und Staatsanwälte haben vergangene Woche eine Razzia in mehreren Bundesleistungszentren durchgeführt. Es wurden auch Trainingseinrichtungen durchsucht, in denen sich deutsche Olympiateilnehmer vorbereitet haben sollen. Die Ermittler gingen dem Verdacht auf den Handel mit Anabolika, Epo und Wachstumshormon nach… Die Fahnder stellten leistungssteigernde Präparate und Festplatten sicher, außerdem Bargeld sowie Schusswaffen… ‘Wir sind noch lange nicht am Ende’, sagt ein Sprecher des Zolls” (Der Spiegel 32/6.8.2012).
Welche Konsequenzen wurden eigentlich vom DOSB aus den Vorgängen in Erfurt und Saarbrücken gezogen? Keine. Wie es aussieht, durften die 30 betroffenen Blutdoper ohne Probleme mit nach London.
Der Anti-Doping-Kampf
Diese Alibifunktion ist systembedingt und steht in engem Zusammenhang mit der Tatsache, dass nicht wirklich gegen Doping vorgegangen wird. „Vehement wehrt sich der deutsche Sport seit Jahren gegen ein effektiveres Anti-Doping-Gesetz“, stellt Kistner weiter fest. Die Nada untersteht dem DOSB und dem Bundesinnenministerium, wobei das Ministerium „meist den Wünschen des Sports folgt“ (Ebenda). Und das Bundesministerium des Inneren zahlt auch bis 2012 jährlich eine Million Euro an die Nada (SZ 31.7.2011).
Im September 2011 wurde zum wiederholten Mal Kritik an den Melde- und Testverfahren der Nada geübt, die „ohne datenschutzrechtliche Legitimation“ erfolge; überraschenderweise blieben Datenschutzbehörden untätig. Für Thomas Kistner war dies so überraschen nicht: „Sport und Datenschutz sind beim Bundesinnenministerum angesiedelt. Und dort findet der Sport seit jeher offene Ohren… Erfolgreich wehrt sich der Sport gegen effektive Anti-Doping-Gesetze, wie sie in zentralen Teilen Europas gegeben sind. Umso unbeugsamer gibt er sich dafür bei der Umsetzung jener Tests, deren Effektivität sich längst als äußerst mau erwiesen haben“ ( Kistner 21.9.2011).
Einen Grund nennt Thomas Hahn: „Das deutsche Anti-Doping-Gesetz verbietet den Besitz von Dopingmitteln ‚in nicht geringer Menge‘, es verbietet nicht, sich selbst zu dopen, um sich einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen“ (Hahn 21.6.2012). Die bayerische Justizinisterin Beate Merk wollte das Anti-Doping-Gesetz verschärfen: bis heute vergeblich. Für Hahn ist der DOSB sehr zufrieden mit diesem Zustand (Ebenda).
Und nun gelten auch die Zeitsperren für Dopingsportler nur noch bedingt: Eine französische Mittelstreckenläuferin, die im Januar 2007 des EPO-Dopings überführt wurde, klagte vor einem sportaffinen Gericht im Schweizer Kanton Vaud gegen ihre Sperre: Im Juni 2011 hob das Gericht wegen unzulässiger Beschränkung der Berufsausübung diese Sperre auf (Gernandt 13.7.2011).
Der Internationale IOC-Sportgerichtshof CAS erklärte im Oktober 2011 die Regel 45 der Olympischen Charta für ungültig, wonach ein Athlet mit einer Sperre von mehr als sechs Monaten wegen Dopingvergehens bei den nächsten Olympischen Spielen nicht teilnehmen darf. Das Nationale Olympische Komitee der USA hatte das Urteil für den 400-Meter-Weltmeister 2009 und Olympiasieger von 2008, La-Shawn Merritt, erstritten. Merritt war dreimal positiv auf das Prohormon Dehydroepiandrosteron getestet worden – und behauptete, dies sei in einem Mittel zur Penisvergrößerung gewesen (Osaka-Regel gekippt, in SZ 7.10.2011). Auf dieses Urteil berief sich wiederum umgehend Claudia Pechstein und beantragte ihre Rückkehr in die Sportfördergruppe der Bundespolizei (SZ 2.11.2011).
Auch nicht lustig: Der IOC-eigene Internationale Sportgerichtshof CAS sprach sich vor der Schwimm-WM in Shanghai im Juli 2011 gegen eine Sperre des brasilianischen Schwimm-Weltmeisters und Olympiasiegers Cesar Cielo aus, obwohl in seinen Koffein-Kapseln das Mittel Furosemid gefunden wurde. Cielos Apotheke bestätigte Verunreinigungen beim vorangegangen Herstellungsprozess eines Herzmittels. Cielo holte in Shanghai am 25.8.2011 Gold (SZ 31.7.2011).
London 2012 und Doping
Werner Franke beschrieb eine mögliche, kaum nachweisbare Doping-Methode: Die Athletinnen nehmen einen die Anabolika-Einnahme verschleiernden Blocker. Dadurch erscheinen die Stereoide als körpereigene Substanz. Nachweisbar ist diese Dopingmethode nur, wenn ein Test in weniger alls zwei Stunden nach dem Wettkampf durchgeführt wird – diese Zeitspanne lässt sich mühelos überschreiten (Deyhle 8.8.2012).Und nun soll das Putzpersonal bei den Olympischen Sommerspielen 2012 in London auf Spritzen, Kanülen und leere Plastikbeutel achten: Die wurden schon bei den Winterspielen 2002 in Salt Lake City und in Turin 2006 gefunden (spiegelonline 5.10.2011).
Oder die Substanz steht gar nicht auf der Verbotsliste der Wada – wie die experimentelle Substanz S 107, die ursprünglich für Patienten mit Herzrhythmus-Störungen entwickelt wurde (Hartmann, Grit, Weinreich, Jens, Bolts Fabelzeiten – und Erklärungsversuche, in berliner-zeitung.de 9.8.2012).
In Italien läuft gerade der Prozess gegen den österreichischen Langlauf-Spitzentrainer Walter Mayer, den Präsidenten des Österreichischen Skiverbandes, Peter Schröcksnadel und acht weitere Angeklagte. 2006 wurden bei den olympischen Winterspielen in Turin belastende Dopingsubstanzen gefunden. Für neun der zehn Angeklagten wurden mehrjährige Haftstrafen gefordert (SZ 21.5.2012).
Freiburger Tagung
Im Sommer 2011 fand an der Freiburger Universität – nicht von ungefähr – eine Tagung zum Thema Doping statt: Hier wirkten die Top-Sportmediziner Armin Klümper und Joseph Keul sowie die der Dopingbeihilfe überführten Sportärzte Lothar Heinrich und Andreas Schmid. „Bis zu 90 Prozent der deutschen Top-Athleten fuhren regelmäßig zu Untersuchungen in den Breisgau und wurden bei Olympischen Spielen und Meisterschaften von Freiburger Ärzten betreut… Keul, Klümper und Kolllegen saßen schwerste, auch schriftlich belegte und eidesstattlich versicherte Dopingvorwürfe systematisch aus“ (Strepenick, Andreas, Gefeiert und umstritten: die Freiburger Sportmedizin, in Badische Zeitung 12.09.2011).
Der führende Analyist des Gen-Dopings, Prof. Perikles Simon, informierte über eine Umfrage unter Spitzensportlern, wo die Frage gestellt wurde: „Wenn Sie eine Wunderpille erhalten, die Sie unschlagbar macht – würden Sie dann in Kauf nehmen, dass Sie in den nächsten fünf Jahren sterben?“ 50 Prozent der Leistungssportler beantworteten die Frage mit „Ja“ (Gulde 14.9.2011).
Simon berichtete auch, dass er von einer Gruppe deutscher Sportpolitiker eingeladen worden war, denen er die Notwendigkeiten für einen effektiven Anti-Doping-Kampf erläuterte: Er wurde von den Sportpolitikern ausgelacht und zog den Schluss: „Glauben Sie, da gehe ich noch einmal hin?“ (Mebus 15.9.2011).
Simon stellte auf der Tagung noch fest: „Doping ist nicht nur eine Krankheit, es ist eine Epidemie“. Bei einer anonymisierten Umfrage gaben 14 Prozent der Spitzensportler an, bereits Blutdoping praktiziert zu haben (Gulde 14.9.3011).
Auch München 1972 geriet in das Blickfeld: Fast verzweifelt flehte 1971 der damalige Bundesinnenminister Hans-Dietrich Genscher um Medaillen. Joseph Keul und Armin Klümper in Freiburg und Wildor Hollmann in Köln erweiterten den Kenntnisstand und berieten Sportler. „Der organisierte Sport hat sich häufig mit Hinweis auf die dünne Aktenlage vor Konsequenzen drücken lönnen. Das ist nicht verwunderlich. Denn bis heute sitzen ‚Kinder‘ der anabolika-Generation in Sportverbänden“ (Hecker 26.9.2011).
Vergleiche auch: Chronologie September 2011
In London wurden nunmehr 5.500 Dopingtests gemacht werden – eine einzige Doperin, eine weißrussische Goldmedaillengewinnerin, wurde gefunden. Die Dopingtests „vernebeln dem Publikum die Sicht auf das, was hinter der Hochglanzkulisse abgeht. Die Labore hinken weit hinter den Betrügern her…“ (Kistner 27.7.2012). Richard Pound forderte von der Wada im Vorfeld von London 2012 „eine interne Arbeitsgruppe, die klärt, woran es liegt, dass wir nichts finden“ (Ebenda).
Bei einer Nachuntersuchung von Proben der Olympischen Sommerspiele in Athen 2004 waren fünf von hundert „verdächtig“. „Das sind fünf Prozent – und das wären, auf London umgerechnet, etwa 270 Fälle“ (Ebenda).
Außerdem wächst das Angebot: „Wer sich während der Spiele für die kurzfristige, pharmakologische Steigerung seiner Ausdauer entscheidet, hat die Qual der Wahl. Von dem Medikament Erythropoietin, seit gut zwanzig Jahren beliebt unter Manipulateuren, gibt es seit Ablauf des Patentes etwa 160 Varianten“ (Hecker 24.7.2012). 80 sind zur Zeit nachweisbar, 80 nicht. „Wer nicht genau weiß, wonach er suchen muss, wird auch nichts finden“ (Ebenda).
Eine 16jährige chinesische Schwimmerin lieferte Weltrekord über 400 Meter Lagen und war auf der letzten Bahn schneller als der Sieger des 400 Meter Lagen-Rennens bei den Männern. Eine 15jährige Schwimmerin aus Litauen schwamm über 100 Meter Brust (1:05,47) zwei Sekunden schneller als im Frühjahr.
Der Jamaikaner Usain Bolt bekam drei Goldmedaillen; die vier jamaikanischen 100-Meter-Sprinter waren schneller als die USA. (Die USA haben 314 Millionen Einwohner; Jamaika hat 2,8 Millionen Einwohner und keine Dopingkontrolle.) “Der Sieg des zwielichtigen Radprofis Alexander Winokurow im Straßenrennen, die Muskelpakete von Gewichthebern aus entlegenen Staaten, der fulminante Endspurt des Deutschland-Achters – kaum etwas blieb verschont von der Frage, was dahintersteckt” (Hacke 32/6.8.2012).
Die Sportindustrie hat den Industriesport hervorgebracht – mit allen seinen leistungssteigernden Chemikalien und Mitteln. Ehrliche Leistungen haben oft keine faire Chance mehr. Und weder Nada noch Wada sind Lösungen des Dopingproblems. Über die Wada schrieb Thomas Kistner: „Sie ist nur noch ein Alibi-Konstrukt, verlängerter Arm der Sportverbände, die sie regieren“ (Kistner 1.10.2011). Die Politik darf sie höchstens noch finanzieren.
Interview mit dem früheren Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes, Helmut Digel
Digel sagte im Interview in der FAZ folgende bemerkenswerte Sätze zum Dopen in Westdeutschland:
„1976 war ich geschockt von dem, was in manchen Sportarten üblich war. Gravierend war es im Gewichtheben, im Schwimmen, in der Leichtathletik und im Radsport. Für die Leichtathletik fanden wir immer mehr Zeugen, die von Doping bis in Leistungsklassen berichteten, in denen man nicht einmal an deutschen Meisterschaften teilnahm…”
“Der Athlet steckt in der Doping-Falle. Alle sind an der Konstruktion dieser Falle beteiligt: Verbände, Politik, Wirtschaft und Medien. Aber der Athlet steht allein mit seinem Dilemma: Wenn er sauber bleibt, hat er keine Chance. Er muss also mitmachen oder mit dem Spitzensport aufhören…”
“Der Direktor des Bundesausschusses Leistungssport, Helmut Meyer, hielt uns für Idealisten, die nicht verstanden hatten, wie die Probleme des Hochleistungssports zu lösen seien. Er hatte sein Personal nach seiner Haltung rekrutiert. Der DDR-Sport war für diese Leute das Vorbild. Wer das nicht so sah, hatte keine Ahnung vom Hochleistungssport…”
“Sehr schnell musste ich erkennen, dass Doping ein stabiles, systemimmanentes Dauermerkmal des Leistungssports geworden ist…”
“Der Bundesausschuss Leistungssport hat nicht gesagt: ,Dopt!’ Aber es gab eine latente Zustimmung. Das war ein Doping von unten, nicht von oben…”
“Werner Göhner war Schatzmeister des Nationalen Olympischen Komitees und bespielte nach außen hin diese Bühne. Intern hatte sich seine Sportart, der Radsport, längst darauf geeinigt, dass er eine Medikamenten-Sportart war. Er hatte mit der Tour de France ein unlösbares Problem. Man muss sich vorstellen: Rudi Altig wurde damals Bundestrainer!”
FAZ: “Altig wurde die radelnde Apotheke genannt.”
“Das war bekannt. Altig sagte in der Anhörung, er verstehe die Diskussion überhaupt nicht. Bei der Tour habe er immer mit diesen Substanzen gearbeitet; bei ihm habe das keinen Schaden hervorgerufen…”
Zur Haltung von Willi Daume:
“Er war kein Mann der Sportpraxis. Ich glaube, dass er von seinem Menschenbild her Doping zutiefst verachtete und ebenso die Menschen, die dopten. Aber: Er hat sich den Verhältnissen angepasst. Er hat nicht die Verantwortung dafür übernommen. Das war sein Fehler. Das muss man ihm vorwerfen…”
Zur Protektion von Joseph Keul durch Daume:
“Keul und sein Kollege, der Mediziner Armin Klümper, waren in der Familie des Sports anerkannte Partner. Klümper hat viele Funktionäre, Politiker und Manager behandelt. Die Kliniken in Freiburg waren Wallfahrtsorte. Die Konkurrenz zwischen Freiburg und Köln führte zwangsläufig zur Frage der Leistungssteigerung. Köln war begünstigt durch das Knowhow aus der DDR; das brachte bei seiner Flucht Alois Mader mit, und es hatte den ehemaligen Radprofi (und Biochemiker) Manfred Donike…”
Zum Vorbild DDR:
“Zeugen sagen: Es wurden ausgerechnet jene übernommen, die belastet waren, und es wurden nicht jene gefördert, die sich in der DDR gegen die Manipulation gestellt hatten. Man wollte die Sportwissenschaft aus der DDR für das vereinte Deutschland retten, und dabei lief man Gefahr, Knowhow einzukaufen, das in die falsche Richtung geht…”
Zum Ausmaß des heutigen Dopings:
“Der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes, Thomas Bach, sagt: Wir haben das Problem im Griff, die wenigen positiven Fälle belegen das. Meine Sicht ist: Die <a title="Doping