Zum Inhalt springen

Willi Daume

Der Sportfunktionär vor 1945
Von 1956 bis 1992, also mehr als 35 Jahre lang, war Willi Daume (*1913, † 1996) Mitglied des IOC, von 1972 bis 1976 IOC-Vizepräsident und dort federführend an der Änderung des Amateurparagraphen beteiligt.

Er nahm an den Olympischen Sommerspielen 1936 als Basketballer teil, kam aber nicht zum Einsatz. Am 20. Dezember 1937 trat Daume in die NSDAP ein. Im Herbst 1938 wurde Daume Leiter der Handballabteilung von Eintracht Dortmund und schrieb Artikel für die Vereinszeitung, wo er zum Beispiel zu Kriegsbeginn erklärte: „Gerade heute bringt euch der Sport Freude, Vergessen und Entspannung. Und wenn Ihr weiter denkt, nachher, wenn auch die Kameraden draußen wieder die Handgranate mit dem Handball vertauschen, und wenn wir dann wieder zur Meisterschaft antreten, dann sind wir gleich wieder da“ (September/Oktober 1939; Rode S. 37).

1938 übernahm er nach dem Tod des Vaters dessen Eisengießerei in Dortmund, in der später auch 65 Zwangsarbeiter beschäftigt wurden. Daume wurde zunächst eingezogen, aber im April 1940 von der Front beurlaubt, weil die Eisengießerei ein kriegswichtiger Betrieb gewesen sei: Sie stellte u. a. Panzerketten her (Haustein-Teßmer 9.1.2010).

Im Mai/Juni-Heft 1940 der Vereinszeitung schrieb Daume an die Jugend: „Die Aufgabe ist gestellt, unsere Idee ist rein und klar. Und für diese Idee wollen wir durchs Feuer gehen! Aber durchs Feuer geht man nicht bedächtig, weil man dann verbrennt: durchs Feuer muss man stürmen! Dazu werden von euch verlangt viel Begeisterung, viel Kraft und viel Treue“ (Rode S. 38).

Ab 1944 war er Gaufachwart für Handball. Ab 1943 schrieb er Berichte für den Sicherheitsdienst (SD) des Reichsführers SS, Heinrich Himmler. Er gab später an, damit einen Fronteinsatz in Stalingrad vermieden zu haben. Daumes Biograph Rode schrieb: „Daume hatte sich mit dem NS-Regime arrangiert und profitierte von diesem persönlich und ökonomisch“ (A.a.O., S. 266).

Der Sportfunktionär nach 1945
Nach dem Krieg verschwieg Daume die Mitgliedschaft in der NSDAP und die Tätigkeit für den SD und versuchte, „sich als Opfer des Nationalsozialismus zu stilisieren“ (Rode S. 44). Der Historiker Jan C. Rode hatte Daumes Mitgliedschaft aufgedeckt. Der > DOSB hatte darauf am 1. Dezember 2009 in einer Pressemitteilung behauptet, dass Daume „nie Mitglied der NSDAP gewesen“ sei. Der DOSB musste dies am 20.1.2010 zurücknehmen werden, nicht ohne den Verweis, dass Daume zwar 1948 als „Mitläufer“ eingestuft wurde, in der Berufungsverhandlung 1949 aber in die Kategorie „entlastet“ kam, da er „zumindest innerlich den Nationalsozialismus ablehnte“.
„Dank der Hilfe seines Mitarbeiters Riedesel gelang es Daume am 29. September 1949, als vollständig entlastet eingestuft zu werden und gar eine innere Ablehnung des Nationalsozialismus attestiert zu bekommen… Daume hatte im Verfahren seine Tätigkeit für den SD der SS verschwiegen und somit wie viele andere Deutsche auch die Behörden über seine NS-Vergangenheit belogen und getäuscht“ (A.a.O.,, S. 267).
Bezeichnenderweise urteilte Daume im Jahr 1989: „Und dann ging das nahtlos weiter mit dem Ende des Krieges, ich habe eigentlich von Entnazifizierungswelle nichts gespürt.“ (Rode S. 57)

Viele belastete Sportfunktionäre wurden so entlastet und in öffentliche Ämter der Bundesrepublik übernommen. Durch den Kalten Krieg konnten die NS-Sportfunktionäre rasch wieder hohe und höchste Positionen in der Sporthierarchie erobern. „Jedwede politische Diskussion wurde dabei als störend empfunden und galt als verpönt…“ (Rode S. 65).
Daume sagte noch 1989: „Hier gab es eine gewisse sportliche Kameradschaft, und auch die Sportführer des Dritten Reiches waren ja ganz sicher keine Kriegsverbrecher oder so. Sie haben sich meist auf den Sport beschränkt“ (Rode S. 47).
Der Historiker Rode bemerkt zurecht: „Die Vorstellung, Sportfunktionäre seien keine Kriegsverbrecher gewesen, wurde gleichgesetzt mit der Annahme, sie seien auch keine Mittäter gewesen“ (Rode S. 47).

Ämterhäufung
Willi Daume wurde 1950 Präsident des Deutschen Handball-Bundes und war von 1950 bis 1970 Präsident des Deutschen Sportbundes, von 1961 bis 1992 Präsident des NOK. Er gilt als verantwortlich für die Bewerbung um die Olympischen Sommerspiele 1972 in München. „Es ging um Verdienste für die Nation, Ehre und Ruhm – für Daume eine Frage ‚der Pflicht und Treue zum Vaterland‘, notierte der Daume-Biograph Karl Adolf Scherer“ (Veszelits S. 349). Die Vereinigung der Präsidentenämter in NOK und DSB war quasi eine Vorwegnahme der späteren Zwangsvereinigung unter Thomas Bach zum DOSB. Der Präsident der Deutschen Olympischen Gesellschaft, Georg von Opel, trat aus Protest gegen Daumes Ämterhäufung von seinem Amt zurück (Der Spiegel 43/1969). Dieser Spiegel-Artikel beschreibt auch recht gut die Situation bzw. das Chaos im damaligen DSB.
„Gegen Ende der 1960er Jahre finanzierte der Bund knapp 90% des olympischen Spitzensports, ein Anstieg von 300.000 DM im Jahr 1950 auf über 11 Mio. DM 1969“ (Rode S. 131). Daume hatte „den Systemwettstreit mit der DDR als perfektes Druckmittel“ entdeckt (A.a.O., S. 141).
Er wollte schon 1961 eine „Stiftung für den Spitzensport“ errichten, musste jedoch durch einen Bericht im Spiegel seine Pläne verschieben. Offiziell trat er als Bewahrer des Amateursports auf; im Hintergrund initiierte er Entwicklungen im IOC zugunsten des Profisports. Die Amateurbestimmungen im Artikel 26 wurden gelockert, um Spitzensportler finanziell fördern zu können. „Urheber des Lockerungs-Beschlusses: Willi Daume“ (Spiegel 53/1961).

Olympische Spiele München 1972
Daume hielt an vielen Sportfunktionären des Dritten Reiches fest. So arbeitet er bei der Organisation der Olympischen Sommerspiele 1972 in München mit dem ehemaligen hohen nationalsozialistischen Sportfunktionär Guido von Mengden zusammen, ehemals Generalreferent des Reichssportführers und Hauptschriftleiters der Zeitschrift „NS-Sport“ (Laude, Bausch S. 150). „Wie 1936 betätigt er (Mengden; W.Z.) sich als Olympia-Propagandist…“ Er wirkte entscheidend bei fünf Jahrgängen von „sport 64“ bis „sport 68“ mit, einer mit Steuergeldern finanzierten Zeitschrift zur Unterstützung der Bewerbung München 1972. Den Gesamtplan der Organisationsarbeit mit dem Titel „Blueprint for Munich“ veröffentlichte Mengden unter seinem Pseudonym „Till van Rhyn“: „So bleibt es der Öffentlichkeit verborgen, dass es der ehemalige Stabschef des nationalsozialistischen Reichssportführers ist, der in München wieder am Reißbrett der Organisation steht…“ (Bernett, S. 51f).
Und Willi Daume hatte ihn bewusst in diese Funktion eingesetzt!
1980 kandidierte er bei der IOC-Session in Moskau gegen Juan Antonio Samaranch um das Amt des IOC-Präsidenten – und bekam gerade einmal sieben von 69 Stimmen. „Daume hatte, trotz verzweifeltem Widerstand gegen das Diktat der Politik nicht verhindern können, dass sich das bundesdeutsche Team dem Boykott der Olympischen Spiele 1980 anschließen musste“ (Gernandt 24.5.2013). Zudem hatte Horst Dassler (Adidas) auf Samaranch gesetzt, von dem er sich (zurecht) mehr Kommerzialisierung des Sports versprach (Fischer-Solms 24.5.2013; Gernandt 24.5.2013). 1981 musste Daume dann auf Anweisung von Samaranch die Amateurklausel aus der olympischen Charta streichen.
Siehe auch NS-Sportfunktionäre

Daume und Doping
München 1972 war noch aus einem weiteren Grund prekär: Die Dopingpraxis begann auch im Westen. DSB- und NOK-Chef Willi Daume wusste Bescheid: Er war von Keul über den Stand der Dinge informiert worden. Im Januar 1977, ein halbes Jahr nach den Olympischen Sommerspielen in Montreal, schrieb Keul in einem Brief an Willi Daume: „Ist Ihnen bekannt, dass unsere Sprinterinnen, die so erfolgreich im letzten Jahr waren, über mehrere Perioden anabole Hormone eingenommen haben?“ (Hausding, Drepper 6.11.2012). Joseph Keul und Armin Klümper in Freiburg und Wildor Hollmann in Köln erweiterten den Kenntnisstand und berieten Sportler. “Der organisierte Sport hat sich häufig mit Hinweis auf die dünne Aktenlage vor Konsequenzen drücken lönnen. Das ist nicht verwunderlich. Denn bis heute sitzen ‘Kinder’ der Anabolika-Generation in Sportverbänden” (Hecker 26.9.2011).
Der ehemalige DSB-Präsident Manfred von Richthofen berichtete von einem Gespräch mit Willi Daume über die Verbindungen des Freiburger Mediziners Joseph Keul zum Doping: „Wir hielten Keul für hochbelastet in Fragen des Dopings… Es gab den Auftrag der Kommission an mich, die damalige Sportführung zu überzeugen, dass Keul nicht mehr als Olympiaarzt nominiert werden könne“ (Hecker 2.2.2009). Manfred von Richthofen traf sich deshalb mit NOK-Präsident Willi Daume „Ich trug ihm den Wunsch der Kommission vor. Er sagte mir nur: ,Das Gespräch ist beendet.’ Dann haben wir uns noch eine Weile angeschwiegen“ (Ebenda).

„Die Olympia-Athletin und Doping-Gegnerin Brigitte Berendonk nannte den NOK-Chef einen ‚Häuptling und Hohepriester der Doppelzüngigkeit‘ (Fischer-Solms 24.5.2013) .Das Berliner Historikergremium, das mit der Aufarbeitung des westdeutschen Dopings zwischen 1970 und 1990 im Spitzensport befasst war, urteilte über Daume: „Das Fehlen eines Gegensteuerns von Seiten Daumes werten wir als billigende Mitwisserschaft“ (Gernandt 24.5.2013).
Vergleiche auch: Doping und Die Doping-Connection: Deutsche Sportärzte und der DOSB

Daume vereinsamt und verarmt
Daumes Sportengagement trieb schließlich die Eisengießerei „Wilhelm Daume GmbH & Co KG“ in den Konkurs, wiewohl Daume vom Krupp-Generalbevollmächtigten Berthold Beitz intensive Hilfe erhielt (Fischer-Solms 24.5.2013). Daume hatte Beitz in das IOC geholt, wo dieser von 1972 bis 1988 Mitglied und von 1984 bis 1988 Vizepräsident war (Wikipedia).
„Die Familie hatte er (Daume; WZ) da längst verlassen… Daume (…) hatte sich in den letzten Jahren in eine kleine Hinterhaus-Wohnung im Olympischen Dorf von München zurückgezogen. Total verarmt. ‚Er lebte von uns‘, sagte Walter Tröger, langjähriger Generalsekretär des Nationalen Olympischen Komitees für Deutschland und danach Amtsnachfolger von Daume als NOK-Präsdent: ‚Wir vom NOK haben alles bezahlt, das Haus, die Miete, den Fahrer, eine Sekretärin'“ (Fischer-Solms 24.5.2013).
„Daume hinterlässt eine verlorene Generation deutscher Sportfunktionäre. Er hat die meisten ausgesessen, auch die, denen er wortreich die Nachfolge an der Spitze des Nationalen Olympischen Komitees für Deutschland und andere Ämter versprochen hatte“ (Ebenda).
Daume bekam 1959 das Große Verdienstkreuz (Halskreuz), 1973 das Große Verdienstkreuz mit Stern und 1986 das Große Verdienstkreuz mit Stern und Schulterband, jeweils vom amtierenden Bundespräsidenten (Rode S. 280).

Quellen:
Bernett, Hajo, Guido von Mengden, „Generalstabschef“ des deutschen Sports, Berlin 1976
Filzmaier, Peter, Die Nazi-Olympiade 1936, orf.at/science 8/2004
Fischer-Solms, Herbert, Visionär der Leichtigkeit, in faz.net 24.5.2013
Gernandt, Michael, Ambivalenter Manager des Olympia-Traums, in SZ 24.5.2013
Hausding, Mathias, Drepper, Daniel, Deutsche Sportfunktionäre wussten über Doping Bescheid, in www.derwesten.de 6.11.2012)
Haustein-Teßmer, Oliver, Sportfunktionär Daume arbeitete als Nazi-Spitzel, in www.welt.de 9.1.2010
Hecker, Anno
– Doper, vereint Euch, in faz.net 2.2.2009
– Doping kennt keine Grenzen, in faz.net 26.9.2011
Laude, Achim/Bausch, Wolfgang, Der Sport-Führer, Göttingen 2000
Mäzene zur Kasse, in Der Spiegel 53/1961
Nazi-Verdacht gegen Daume, in Spiegel 2/11.1.2010
Rode, Jan C., Willi Daume und die Entwicklung des Sports in der Bundesrepublik Deutschland zwischen 1945 und 1970, Göttingen 2010
Veszelits, Thomas, Die Neckermanns, Frankfurt/Main 2005
Wer führt uns, in Der Spiegel 43/1969
Wikipedia
Willi Daume unter Nazi-Verdacht, sid/sport.ard.de 9.1.2010)
Willi Daume unter Nazi-Verdacht, in weltonline 11.1.2010
Willi Daume und die NS-Vergangenzeit, DOSB-Presse, dosb.de 20.1.2010