Der Pakistani Anwar Chowdhry (* 1923, † 2010) war Mitglied der legendären „sportpolitischen Gruppe“ von > Adidas und zuständig für den asiatischen Raum. Er stammte aus kleinen Verhältnissen, war durch Korruption hochgekommen und führte einen falschen Professorentitel. „Er reiste um die Welt, schwelgte im größten Luxus, plünderte hemmungslos sein Spesenkonto und heckte mit der Adidas-Familie Pläne aus, wie man weitere Wahlen in der olympischen Familie manipulieren könnte“ (Jennings 1996, S. 74).
> Horst Dassler initiierte über ihn 1981 die erfolgreiche Bewerbung von Seoul für die Sommerspiele 1988 und machte auf der Sitzung in Bangkok 1986 Chowdhry zum Präsidenten des Internationalen Amateurboxverbandes AIBA:
„Rund 200 000 Mark [umgerechnet etwa 102 000 Euro; W. Z.] – inklusive der ‚Kosten für Barbesuche und für Massageinstitute sowie Zuwendungen in Bargeld’ habe es sich Adidas kosten lassen, dass Chowdhry souverän mit 63:32 Stimmen zum AIBA-Chef avancierte“ (Kistner/Weinreich 2000, S. 243; eine Position, die er seither verteidigte und bis 2002 innehatte).
1987 versprach Chowdhry der damaligen DDR-Sportführung zwei Goldmedaillen im Boxen in Seoul 1988 – ein Jahr vor den Olympischen Spielen. Die DDR gewann tatsächlich zwei. Der Spiegel meldete 1993, dass mit Wissen von Chowdhry fünf mit jeweils 15 000 Dollar bestochene Kampfrichter olympische Boxkämpfe zugunsten von Südkoreanern verschoben hatten – und dass Adidas den Pakistaner pro Jahr mit 250 000 Dollar alimentiert hatte. Anwar Chowdhry hielt treffenderweise auf dem IOC-Kongress 1994 in Paris einen Vortrag über olympische Moral.
Bei der Präsidentenwahl der AIBA 1998 im türkischen Antalya 1998 gelangte der englische Sportjournalist Andrew Jennings für einige Biere an das komplette Wahlergebnis der erst am nächsten Tag stattfindenden geheimen Wahl. Chowdhry wurde bis 2002 gewählt, oder sollte man eher schreiben: im Amt bestätigt? Zwei Gegenkandidaten Chowdhrys wurden unter Druck gesetzt, bis sie verzichteten. Das Exekutivkomitee der AIBA war von Chowdhry selbst besetzt worden, sogar Ring- und Punktrichter konnte er benennen. Als Neuerung hieß die Amateur International Boxing Association (AIBA) nun Olympic International Boxing Association (OIBA).
Chowdhry wurde schließlich wegen Missmanaageent und Korruption angeklagt, musste 2006 vom Präsidentenamt bei der AIBA und 2008 als Verbandspräsident der Pakistan Boxing Federation zurücktreten. Er wurde 2007 für jede weitere Tätigkeit bei der AIBA gesperrt.
Allerdings scheint es auch ohne Chowdhry ähnlich weiterzulaufen. Im Herbst 2011 tauchte das Gerücht auf, dass die AIBA die World Series Boxing für neun Millionen Dollar nach Aserbaidschan vergeben habe – „und dafür dem aktuellen WM-Gastgeber zwei Goldmedaillen versprochen“ hätte (Hahn 26.9.2011). Außerdem will die AIBA ab 2016 zu Olympischen Spielen Boxprofis zulassen – ein weiterer Schlag gegen den Amateurstatus der Olympischen Sportler.
Quellen:
Beichtstuhl für Spitzel, in Spiegel 45/1993
Brinkbäumer, Klaus/Geyer, Matthias/Wulzinger, Michael, Olympia – Rutschbahn vom Himmel, in Spiegel 52/21.12.1998
Hahn, Thomas, Gegenschlag mit Getöse, in SZ 26.9.2011
Jennings, Andrew, Das Olympia-Kartell, Reinbek 1996
Kistner, Thomas/Weinreich, Jens, Der olympische Sumpf, München 2000
Weinreich, Jens
– Sein Wille geschehe, in Berliner Zeitung 30.10.2002
– Letzter Gong für den Box-Paten, in Berliner Zeitung 6.11.2006