Zur Vereinheitlichung wird die englische Schreibweise „Ilham Aliyev“ verwendet.
Intro: European Games 2015 * I Die Aserbaidschan-Diktatur * II Eurovision Song Contest 2012 bei der Aliyev-Diktatur * III Vorsitz im Europarat * IV Der Aliyev-Clan bricht 2014 den Widerstand * V European Games 2015 (I): Das Milliardengeschäft * VI Internationaler Sport: Diktaturen im Kommen * VII European Games (II): Der „Sport“ * Quellen
Vergleiche auch: European Games 2019
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Intro: European Games 2015
Vom 12. bis 28.6.2015 beherbergte Diktator Ilhjam Aliyev dann das Sportereignis des European Olympic Committees (EOC) in Baku/Aserbaidschan.
Der Ire Patrick Hickey vergab die Europa-Spiele im Dezember 2012 nach Baku – am Ende des Jahres der Proteste gegen den Eurovision Song Contest dort und als schon offen lag, wie Aliyevs Familie sich an den Bauten für das Schlagerfest bereichert hatte. Hickey ist Vorsitzender des Europäischen Olympia-Komitees und sitzt auch im IOC-Vorstand von Thomas Bach“ (Hartmann 6.6.2014). – „Den Weltverbänden sind bisher die politischen Implikationen ihrer ‚Neutralität’, die erfahrungsgemäß dazu dient, umstrittenen Herrschern eine Bühne zur Selbstinszenierung zu geben, gleichgültig. Davon zeugt die wachsende Zahl von internationalen Turnieren in den Reichen diverser Auto- und Kleptokraten. Einer von ihnen darf (…) sogar eine Premiere veranstalten, die ersten ‚Europäischen Spiele’ in Baku. Aserbaidschans Präsident Ilham Aliyev wird regelmäßig in den Berichten von Menschenrechtsorganisationen getadelt. Im Ehrenamt steht Aliyev dem Nationalen Olympischen Komitee von Aserbaidschan vor (Hartmann 6.6.2014)
6000 Sportler reisten zu den European Games 2015 nach Baku: Ihre Reise und Unterkunft bezahlte die Aliyev-Diktatur. – „Ohne die Zusage aus Aserbaidschan, einen größeren Teil der Reisekosten zu übernehmen, wären die olympischen Komitees wohl kaum zu einer Teilnahme an diesen neuen Erdteilspielen bereit gewesen. Aserbaidschan habe sich die Europaspiele ‚gekauft‘, sagen nicht nur Menschenrechtler. Durch die Teilnahme an den Spielen in Baku beteiligten sich die Europäer an einem ‚Korruptionsprojekt‘, kritisierte Abbasov“ (Salzen 24.4.2015. Der Menschenrechtler Abbasov lebt inzwischen in Norwegen). – “ Während die British Olympic Association (BOA) erklärt hat, mit den Zuschüssen aus Baku seien die Entsendungskosten des Team GB vollständig gedeckt, zahlen die Deutschen drauf. Zusätzlich zu den Überweisungen aus Baku hat der DOSB für seine 267 Sportler (und eine dreistellige Zahl von Betreuern und Funktionären) ein Budget von 990.000 Euro erstellt. 500.000 Euro davon trägt das Bundesinnenministerium“ (Weinreich 28.4.2015).
Zum Vergleich: Die European Games sollen acht Milliarden Euro gekostet haben. Der gesamte Staatshaushalt von Aserbaidschan liegt 2015 bei 19 Milliarden Euro (Becker 19.6.2015).
I Die Aserbaidschan-Diktatur
Aliyev ist seit 1997 Präsident des NOK Aserbaidschans, seit 2003 Staatspräsident: Er hat das Amt von seinem Vater, dem Diktator Heydar Aliyev, „geerbt“. Die „Wahl“ am 15.10.2003 bescherte Ilham Aliyev über 80 Prozent. Wahlbeobachter der OSZE berichteten von Wahlfälschungen und Einschüchterungen (Wikipedia).
Zwei Beispiele aus der Aliyev-Diktatur: Die Journalistin Khadija Ismayilova recherchierte, dass die Aliyev-Familie 48 Milliarden Dollar auf Offshore-Konten transferiert hat; sie sitzt seit Dezember 2014 im Gefängnis und erwartet eine Haftstrafe von zwölf Jahren (siehe unten). Bei den Wahlen 2013 gewann Ilham Aliyev mit 72 Prozent: Interessanterweise publizierte die Wahlkommission dieses Ergebnis schon einen Tag vor der Abstimmung (Becker 19.6.2015). „Im vergangenen Oktober (2013; WZ) ließ sich Aliyev daheim erneut zum Präsidenten wählen. Erste Ergebnisse und die Wahlbeteiligung wurden von der aserbaidschanischen Wahlkommission schon einen Tag vor der Wahl veröffentlicht – angeblich ein technisches Versehen“ (Neukirch 23.6.2014). Auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen lag Aserbaidschan im Jahr 2014 auf Platz 160; in der Statistik von Transparency International lag Aserbaidschan 2010 auf Platz 134 von 178 (Ebenda).
„Die Aliyevs gelten als die ‚Corleones vom Kaspischen Meer‘, Staatsoberhaupt Ilham Aliyev wurde 2012 zum korruptesten Herrscher der Welt erkoren. An den Europa-Spielen verdienen die Aliyevs kräftig mit, viele Bauaufträge für Sportstätten und Infrastruktur gingen an Familienmitglieder und enge Vertraute. (…) Die Funktionäre um IOC-Präsident Thomas Bach werden in Baku die Ehrentribüne füllen“ (Hartmann, Kempe 1.6.2015. Film im WDR: 1.6.2015, 22.45 – 23.15; Hervorhebung WZ).
„Zusätzlich zu den vielen Milliarden, die in Baku für die Europaspiele in Beton investiert werden, hat Ilham Aliyev Hunderte Millionen Euro in gigantische Werbe-Kampagnen, Lobbyisten und PR-Agenturen investiert. ‚Azerbaijan – Land of Fire‘, hieß es beispielsweise auf den Trikots des letztjährigen Champions-League-Finalisten und spanischen Fußballmeisters Atletico Madrid. Ein seltener Vorgang, dass ein Land als Brustsponsor eines bekannten Profiteams auftritt. In dieser Saison trat Atletico mit Werbung für ‚Baku 2015‘ an“ (Weinreich 28.4.2015).
Die US-Botschaft in Aserbaidschan stellte bereits 2010 in einem Papier fest: „Die Familie soll direkt Kontrolle ausüben über das Ministerium für Kultur und Tourismus, das Ministerium für Jugend und Sport, das Gesundheitsministerium und das Erziehungsministerium – einfach deswegen, weil diese Bereiche traditionell zu den Interessen einer First Lady gehören“ (US embassy cables, 27.1.2010)
– OCCRP I: Aliyev-Clan kapert Bankensektor
. Die Organisation Organized Crime and Corruption Reporting Project (OCCRP) stellte am 11.6.2015 ihren Bericht “Azerbaijani First Family Big on Banking” vor. Mitglieder der Aliyev-Familie und enge Berater sind bedeutende Aktionäre bei mindestens acht großen Banken. Dies bedeutet ein riesiges Geschäftsvolumen, weil der Verbraucherkredit für die Kreditnehmer bei 18 Prozent liegt. Die Ata Holding gehört zu 75 Prozent Gesellschaften den Aliyev-Töchtern Leyla Aliyeva (29) und Arzu Aliyeva (26) und dem Aliyev-Sohn Heydar Aliyev (18). Aliyevs Schwiegervater Arif Pashayev kontrolliert die Pasha Holding, die sowohl im Bankenwesen als auch in der Bauwirtschaft, Versicherung, Tourismus und Investment tätig ist.
Die Untersuchung von elf Banken brachte folgendes Ergebnis:
Atabank: Die Ata Holding kontrolliert 76 Prozent der Aktien. 15.9 Prozent gehören dem stellvertretenden Finanzminister Kamil Ashrafov. Dieser hat für Aliyev-Tochter Arzu in der Tschechei eine Luxusimmobilie gekauft.
Bank VTB: Ata Holding kontrolliert 49 Prozent der Aktien. 51 Prozent hält die Bank VTB OJSC, deren Mehrheit dem russischen Staat gehört.
Pasha Bank: Pasha Holding kontrolliert 60 Prozent der Aktien. Aliyevs Schwiegervater kontrolliert zehn Prozent der Aktien. Aliyevs Töchter sind letztlich die Eigentümer und üben gemeinsam die Kontrolle aus (Statement der Pasha Bank vom 30.6.2014).
Kapital Bank: Pasha Holding hält 99,8 Prozent der Aktien; Leyla und Arzu Aliyeva sind die Eigentümer.
Xalq Bank: Aktionäre sind Ideal Biznes ko LLC (50 Prozent), Yevro Standart LLC (34 Prozent) und Avangard-1 LLC (16 Prozent). Als letztliche Kontrollbeteiligte ist L. Aliyeva eingetragen.
Silk Way Bank: Arzu Aliyeva kontrolliert 29 Prozent der Aktien. Präsidentensprecher Azer Gasimov bestätigte dies. Die Bank ist Teil der SW Holding, die der Diktatorenfamilie nahesteht und verschiedene Fluggesellschaften kontrolliert.
Expressbank: ADOR LLC kontrolliert 42 Prozent der Aktien und ist unter der Adresse Samad Vurgun 7 gemeldet. Unter dieser Adresse sind auch Mehriban Aliyeva und ihre Töchter gemeldet.
Azerbaijan Industrial Bank: Ebenfalls unter Samad Vurgun 7 ist Anadolu Investment Company registriert, der 94 Prozent der Azerbaijan Industrial Bank gehören.
Dem Aliyev-Clan und dessen engen Verbündeten gehören Anteile von weiteren Banken. AFB Bank: Gilan MMC hält 99 Prozent; der Mutterkonzern ist United Enterprises International Limited. Direktoren sind Tale und Nicat Heydarov, die Söhne des Ministers für den Katastrophenschutz. Bank of Azerbaijan: 81 Prozent hält Anar Mammadov, der Sohn des eng mit dem Aliyev-Clan verbundenen Verkehrsministers Ziya Mammadov. Bank BTB: 75 Prozent hält Mehdiyeva Nigar Ismayil, die Schwiegertochter von Aliyevs Chef der Präsidialverwaltung, Ramaz Mehdiyev.
– OCCRP II: Aliyev-Clan kapert Luxushotels. Ende Juni 2015 veröffentlichte ORCCP einen Report, dass sich der Aliyev-Clan die besten Luxushotels angeeignet hat (Ismayilova 28.6.2015). Die Steuerzahler bezahlen die Rechnung: Und zwei privilegierte Bürger haben sich massiv bereichert, nämlich die beiden Töchter des Diktators. Insgesamt gehören Leyla und Arzu Aliyev ganz oder teilweise sechs Fünf-Sterne-Hotels in Baku, dazu eines gerade im Bau befindliche, zwei weitere Luxushotels in den Bergen, und bei einem weiteren Hotel haben sie ebenfalls Anteile. Sie kontrollieren Four Seasons, Sheraton, JW Marriot Hotel Absheron Baku, Fairmont Baku Hotel, Sheraton Hotel am Baku International Airport, Intourist, Dinamo (wird gerade errichtet), Pik Palace Shadagh und Park Chalet Shadagh im Gebirge. Das Jumeirah Bilgah Beach Hotel gehört den Töchtern über verbundene Gesellschaften. Four Seasons und Marriot gehören zur oben erwähnten Pasha Holding. Fünf weitere gehören der Absheron Group, einem Ableger der Pascha Holding. Diese gehört den Aliyev-Töchtern, wie die im Dezember 2014 inhaftierte Journalistin Khadija Ismayilova herausfand (siehe unten).
Von den insgesamt 30 Fünf-Sterne-Hotels in Aserbaidschan gehören noch sechs Ashaf Kamilov, dem Vorsitzenden eines Konglomerates der Aliyev-Familie. Dem schon oben erwähnte Minister für den Katastrophenschutz, Heydarov, gehören ebenfalls sechs Hotels. Insgesamt hat der Aliyev-Clan 2.400 Suiten und Luxuszimmer unter ihrer Kontrolle. Ein lokaler Immobilienexperte taxiert den Wert auf rund zehn Milliarden US-Dollar.
II Eurovision Song Contest 2012 bei der Aliyev-Diktatur
Beim Eurovision Song Contest in Baku gab es noch deutliche und merkbare Proteste. So organisierte der Anwalt Rasul Dschafarow den Gegenwettbewerb „Sing for Democracy“. Im Vorfeld der European Games 2015 in Baku liquidierte Aliyev den Widerstand und brachte seine Kritiker und Gegner mit angeblichen Beweisen und Anschuldungen ins Gefängnis. – Aliyev-Gegner Emin Milli, der inzwischen in Berlin lebt und den kleinen kritischen „Maidan TV“ leitet, sprach von insgesamt 100 politischen Gefangenen: „Alle Leute, die während des Eurovision Song Contests kritische Interviews gegeben haben, sind entweder im Gefängnis oder im Ausland. Das wurde extra gemacht, damit es vor den Europaspielen wenige kritische Leute gibt, die sich gegenüber den internationalen Medien äußern können'“ (Aumüller 10.6.2015). – „Wenn im Juni die ersten European Games in Baku stattfinden, eine europäische Ausgabe der Olympischen Spiele, stehen die Chancen gut, dass sie nicht wie der Eurovision Song Contest (ESC) 2012 von Protesten aserbaidschanischer Bürgerrechtler überschattet werden. Denn die sind inzwischen fast alle im Gefängnis oder untergetaucht. Von den Aktivisten, die ich vor drei Jahren beim Grand Prix in Baku getroffen habe, ist keiner mehr frei“ (Niggemeier 27.4.2015). – „60 unabhängige Nichtregierungsorganisationen seien 2014 de facto geschlossen worden, sagt Emin Milli, ihre Bankkonten eingefroren. ‚Es gibt eine Null-Toleranz-Politik gegenüber jeder Art von Selbstorganisation.‘ So schlimm wie heute sei es noch nie gewesen“ (Niggemeier 27.4.2015).
III Vorsitz im Europarat
Zu allem Überfluss übernahm Aserbaidschan im Mai 2014 den Vorsitz im Europarat.
„Der ölreiche Staat am Kaspischen Meer führt seit Mai das 47 Staaten umfassende Gremium, aber er ist zugleich mit einer ganzen Reihe von Repressionen auffällig geworden. Gegen unabhängige Organisationen wie das Zentrum für nationale und internationale Studien in Baku wird ermittelt, Medien werden drangsaliert, Oppositionelle und Regierungskritiker wurden festgenommen“ (Nienhuysen 17.10.2014).
„Aber Aserbaidschan macht Europa nicht nur Kummer, es macht ihm auch große Hoffnungen. Es geht um Gas. (…) EU-Energiekommissar Maroš Šefčovič will jetzt vor allem den Bau des ‚Südkorridors‘ vorantreiben, über den Gas von Aserbaidschan durch Georgien, die Türkei, Griechenland bis Italien gepumpt werden soll – vorbei an Russland. Durch die Transanatolische Pipeline (Tanap), die Ende 2018 fertiggebaut sein soll, könnte in fünf Jahren erstes Gas nach Westen strömen. Quelle ist das aserbaidschanische Gasfeld Schah Denis-2, eines der größten der Welt, das von einem internationalen Konsortium ausgebeutet wird. Für die Europäer ist die Mixtur aus autoritärem Staat und viel Öl und Gas ein Dilemma. (…) Das Gasfeld Schah Denis hat nachgewiesene Reserven von 1,2 Trillionen Kubikmetern Gas. Umgekehrt ist Europa für Aserbaidschan eine Geldquelle. Der Vizepräsident des mächtigen staatlichen Energiekonzerns Socar, Elshad Nassirov, sagte der Süddeutschen Zeitung , ‚als Binnenland ist es für uns wichtig, eine Verbindung zum europäischen Markt zu haben. Und die Tanap-Pipeline ist der Weg dazu.‘ Nassirov versicherte, dass Aserbaidschan genügend Gas habe, um die Röhre mit eigenem Gas zu füllen. Aber reicht die Pipeline und ihre Kapazität von 16 Milliarden Kubikmetern für die Nachfrage in Europa? Darüber wird noch debattiert. Aserbaidschan könnte das ebenfalls mit reichlich Gas ausgestattete zentralasiatische Turkmenistan dazuholen. Aber wie auch immer, an Aserbaidschan kommt Europa nicht vorbei. Und so sprudelt in dem Land das Selbstbewusstsein wie die Energiequellen“ (Nienhuysen 12.12.2014). Europa steht nicht allein: „Aserbaidschan hat Gazprom den Zuschlag für 1,2 Billionen Kubikmeter seiner Gasreserven erteilt“ (Wikipedia).
Das rigorose Vorgehen gegen die Bürgerrechtler im Land zeigt aber auch, dass die Regierung nicht mehr glaubt, auch nur einen Anschein wahren zu müssen. „Die Kampagne gegen die Opposition im vergangenen Jahr fiel in die Zeit, als Aserbaidschan den Vorsitz im Ministerkomitee des Europarates hatte. Der Europarat fühlt sich eigentlich ausdrücklich dem Einsatz für Menschenrechte, demokratische Grundsätze und rechtsstaatliche Prinzipien verpflichtet“ (Niggemeier 27.4.2015).
„Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International schreibt in einem Bericht, ‚mit Folter, Misshandlung und konstruierten Anklagen versuchen die Behörden des autoritären Landes, kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen‘ Auch der Europarat selber sieht die Lage in Aserbaidschan kritisch. Daniel Höltgen, Sprecher von Generalsekretär Thorbjörn Jagland, sagte der Süddeutschen Zeitung , ‚leider hat es unter Aserbaidschans Vorsitz bisher keine erkennbaren Fortschritte gegeben bei der Freilassung von politischen Gefangenen, bei der Medienfreiheit und dem Recht auf freie Meinungsäußerung‘. Der Generalsekretär forderte deshalb die Freilassung von Gefangenen, unter anderem die des Oppositionspolitikers Ilgar Mammadov, der vor seiner Verhaftung 2013 als Gegenkandidat von Präsident Ilcham Aliyev gehandelt worden war“ (Nienhuysen 17.10.2014).
IV Der Aliyev-Clan bricht den Widerstand
– Kein „Sports for Rights“. Ab Mitte 2014 wurden im Vorfeld der European Games systematisch Oppositionelle inhaftiert und weggesperrt. „Unter ihnen ist der Blogger und Anwalt Rasul Dschafarow, der beim gehypten Eurovision Song Contest in Baku vor zwei Jahren den stolzen Gastgeber ärgerte, als er den Gegenwettbewerb „Sing for Democracy“ ausrichtete und Flash-mobs organisierte. An seinem Handy meldet sich jetzt sein Bruder Sanam Dschafarow, der erzählt, dass sich in anderthalb Wochen entscheiden werde, wie es nun weitergeht mit Rasul Dschafarow, ob es eine Anklage wegen angeblicher Steuerhinterziehung und illegaler Geschäfte geben wird. Dschafarow selber weist dies zurück“ (Nienhuysen 17.10.2014). – „Für die Europaspiele in seiner Heimatstadt Baku hatte Rasul Jafarov große Pläne. Der aserbaidschanische Bürgerrechtler wollte die ersten quasiolympischen Spiele Europas dafür nutzen, mit der Kampagne ‚Sports for Rights‘ auf die desolate Menschenrechtslage in seinem Land hinzuweisen. Das berichtete er bei einem Besuch in Berlin im vergangenen Sommer. Den Eurovision Song Contest in Baku 2012 hatte Jafarov für eine ähnliche Aktion genutzt – zum Ärger der aserbaidschanischen Behörden. Seine Pläne für die Europaspiele kann er nun allerdings nicht mehr umsetzen: Der bekannte Gründer und Leiter des Menschenrechtsclubs in Baku sitzt seit August 2014 hinter Gittern. In der vergangenen Woche wurde der 30-Jährige wegen illegalen Unternehmertums und Steuervergehen zu sechseinhalb Jahren Haft verurteilt – nach einem Prozess, in dem selbst die Zeugen der Anklage zugunsten des Angeklagten aussagten“ (Salzen 24.4.2015; Hervorhebung WZ).
„Erst am Montag 20.4.2015; WZ) hatten die Internationale Menschenrechtsliga (FIDH) und Weltorganisation gegen Folter (OMCT) ihren neuesten Bericht zur Lage in Aserbaidschan veröffentlicht: ‚Die meisten prominenten Menschenrechtler sind verhaftet. Die Haftbedingungen, denen sie unterliegen, sind widerwärtig, der sich verschlechternde Gesundheitszustand einiger Häftlinge, etwa von Leyla Yunus und Intigam Aliyev, bereitet ernsthaft Sorge.‘ Die Historikerin Leyla Yunus, im Westen mehrfach ausgezeichnete Menschenrechtlerin, wurde vergangenes Jahr im Juli gemeinsam mit ihrem Mann verhaftet. Im Dezember wurde auch die prominente Journalistin Khadira Ismajilowa verhaftet – just einen Tag nachdem der Büroleiter des Präsidenten ein sechzig Seiten umfassendes Statement veröffentlicht hatte, in dem Frau Ismajilowa als ‚Paradebeispiel einer Journalistin, die gegen die Interessen der aserbaidschanischen Regierung arbeitet‘, bezeichnet wurde“ (Becker, Reinsch 24.4.2015).
Die Journalistin Khadija Ismailowa stellte in Bezug auf Opposition fest. „Die Vertreter der Zivilgesellschaft sind entweder im Gefängnis oder im Exil oder sie müssen sich verstecken. Es ist fast keiner mehr übrig.“ (Langer 14.10.2014). Im Dezember 2014 wurde auch Ismailowa verhaftet. „Am Freitag ist die Journalistin Khadija Ismajilowa, die hauptsächlich für Radio Free Europe arbeitet, verhaftet worden. Sie ist eine der wenigen, die über Korruption und Vetternwirtschaft im öl- und gasreichen Aserbaidschan berichtet. Im vergangenen Jahr recherchierte sie am Offshore-Leaks-Projekt des International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ) mit, an dem auch die Süddeutsche Zeitung teilnahm. In den Offshore-Leaks-Daten tauchen zum Beispiel die Töchter des Präsidenten Aliyev auf. Nun sitzt Ismajilowa für mindestens zwei Monate in Untersuchungshaft, ein Gericht in der Hauptstadt Baku hat das angeordnet. Der Vorwurf klingt abstrus: Weil sie verhindert haben soll, dass ein aserbaidschanischer Kollege bei Radio Free Europe angestellt wird, habe dieser einen Selbstmordversuch unternommen. Im schlimmsten Fall droht ihr eine siebenjährige Freiheitsstrafe. ‚Die aserbaidschanischen Behörden versuchen offensichtlich mit allen Mitteln, eine weitere führende Kritikerin ihres autoritären Regimes zum Schweigen zu bringen‘, sagt Christian Mihr, der Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen. ‚Dieser Fall reiht sich nahtlos in die derzeitige Repressionswelle ein und muss spürbare diplomatische Folgen haben. Wenn Aserbaidschans Justiz noch einen Hauch von Unabhängigkeit hat, muss sie die Vorwürfe gegen Khadija Ismajilowa umgehend fallen lassen’“ (SZ 9.12.2014).
„Khadija Ismailowa ist verhaftet. Stunden später geht eine Rundmail von Rasul Dschafarow ein, zum Tag der Internationalen Menschenrechte. Abgeschickt aber hat sie sein Bruder Sanan – denn Rasul Dschafarow ist im Gefängnis. Die jüngste Repressionswelle in Aserbaidschan gegen Kritiker der Regierung hat in Europa große Sorgen ausgelöst. Thorbjörn Jagland, Generalsekretär des Europarats, bezeichnete Ismailowas Verhaftung als ’nicht notwendig‘ und eine ’sehr negative Botschaft‘. Er forderte Baku auf, dass die Journalistin, die an Enthüllungsgeschichten rund um die Präsidentenfamilie Aliyev beteiligt war, und andere politische Gefangene sofort freigelassen werden“ (Nienhuysen 12.12.2014). „Andere prominente Regierungsgegner sind ins Ausland geflohen. Der Journalist Emin Huseynov suchte Zuflucht in der Schweizer Botschaft. Zuvor hatten die Behörden das Büro seiner Organisation in Baku geschlossen, die sich für Pressefreiheit einsetzt. Sein Mitstreiter und Kollege Idrak Abbasov verließ das Land und lebt heute in Norwegen“ (Salzen 24.4.2015).
Unter den Verhafteten ist auch der Blogger und Anwalt Rasul Dschafarow, der beim gehypten Eurovision Song Contest in Baku vor zwei Jahren den stolzen Gastgeber ärgerte, als er den Gegenwettbewerb ‚Sing for Democracy‘ ausrichtete und Flash-mobs organisierte. An seinem Handy meldet sich jetzt sein Bruder Sanam Dschafarow, der erzählt, dass sich in anderthalb Wochen entscheiden werde, wie es nun weitergeht mit Rasul Dschafarow, ob es eine Anklage wegen angeblicher Steuerhinterziehung und illegaler Geschäfte geben wird. Dschafarow selber weist dies zurück“ (Nienhuysen 17.10.2014). – „Der ölreiche Staat am Kaspischen Meer führt seit Mai das 47 Staaten umfassende Gremium, aber er ist zugleich mit einer ganzen Reihe von Repressionen auffällig geworden. Gegen unabhängige Organisationen wie das Zentrum für nationale und internationale Studien in Baku wird ermittelt, Medien werden drangsaliert, Oppositionelle und Regierungskritiker wurden festgenommen“ (Nienhuysen 17.10.2014).
„Am vergangenen Freitag hatte Lucie Morillon, Direktorin der Organisation ‚Reporter ohne Grenzen‘ auf die totalitäre Unterdrückung der Presse und Meinungsfreiheit in Aserbaidschan hingewiesen: „Nachdem jedweder Pluralismus in den aserbaidschanischen Medien ausgeschaltet wurde, unterdrückt die aserbaidschanische Obrigkeit nun systematisch die letzten Quellen der Kritik. Im Vorfeld der Europa-Spiele haben die politischen Oberhäupter Europas eine besondere Pflicht, die beispiellosen Verfolgungen zu verurteilen, die von Baku orchestriert werden“ (Becker 26.4.2015).
Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Christoph Strässer, schrieb in einer Stellungnahme: „Die unverhältnismäßig harten Urteile gegen Rasul Jafarov und Intigam Aliyev schockieren mich. Beide kenne ich persönlich als äußerst engagierte und zuverlässige Ansprechpartner der aserbaidschanischen Zivilgesellschaft. Leider sind diese Urteile nur der jüngste Versuch der aserbaidschanischen Regierung, jene Stimmen systematisch zum Schweigen zu bringen, die sich für mehr Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Aserbaidschan aussprechen“ (Becker 26.4.2015).
V European Games 2015 (I): Das Milliardengeschäft
– Diktatoren-Geschäfte mit den European Games. Die European Games mit Kosten von bis zu zehn Milliarden Dollar sind ein riesiges Geschäft für den Diktatorenclan: „Korruption und Vetternwirtschaft gehören in Aserbaidschan zum Alltag; auch von den Europaspielen profitieren die Präsidentenfamilie und ihre Günstlinge. Eine Firma aus dem Konglomerat von First Lady Mehriban baute mit. Ein anderes Unternehmen namens DDLar zog Athletendorf, Schwimmstadion oder den Park mit Anlagen für Beachvolleyball und Strandfußball hoch. Wem gehört es? Anfragen beantwortet das Unternehmen nicht. Als CEO agiert jedoch ein Mittdreißiger namens Arif Rahimov. Der Sohn von Sportminister Azad Rahimov – Aliyevs erstem Propagandisten für die Spiele“ (Ebenda).
Weder ist bekannt, was das European Olympic Committees von Aliyev bekommt, noch gibt es eine EOC-Jahresbilanz. Auf Anfrage teilte das EOC mit: „Es ist nicht unsere Politik, unseren Kontostand mit den Medien zu diskutieren“ (Ebenda).
Soviel zur neuen Transparenz der IOC-Agenda 2020.
Aber auch die üblichen Sportplaner verdienen kräftig mit. „So verstieg sich der britische Sportmanager Simon Clegg zu der Behauptung, Aserbaidschan sei ‚eine unglaublich freie Gesellschaft‘, Präsident Aliyev jemand, ‚der versteht, was Sport für ein Land tun kann‘. Wenig überraschend: Clegg ist maßgeblich an der Organisation der Spiele 2015 beteiligt. Hunderte britischer Firmen haben ihm zufolge bereits Verträge in Millionenhöhe mit der Regierung in Baku abgeschlossen“ (Langer 14.10.2014).
– Patrick Hickey, Unschuldsengel. Hickey ist Präsident der European Olympic Committees (EOC) und Mitglied im IOC-Exekutivkomitee. Auf die Frage, wie denn die European Games in Baku landen konnten, antwortete Hickey der New York Times: „Ich denke, das ist alles einfach passiert“ (zeit.de 10.6.2015). Dabei war es kein Zufall, sondern der gezielte finanzielle Anreiz: Pekunia non olet. „Und das nicht nur, weil Hickeys Faible für die stramme Sorte Sportskameraden bekannt ist, seit er dem weißrussischen Diktator Alexander Lukaschenko einen Orden verlieh. Ilham Aliyev, auch Präsident des Nationalen Olympischen Komitees in Aserbaidschan, brachte das nötige Kleingeld mit. Er versprach schon bei Geschäftsanbahnung Ende 2012, allen Teilnehmenden Reise und Unterkunft zu spendieren. Ein Funktionär aus Skandinavien sagt, das habe ‚eindeutig den Ausschlag gegeben’. Namentlich lässt er sich nicht zitieren, formuliert aber, was er von den Europaspielen im vollgepackten Sportkalender hält: ‚Ziemlich überflüssig’“ (Ebenda).
„Die Organisatoren versuchen gar nicht erst zu verheimlichen, dass es die Europaspiele ohne das Angebot Aserbaidschans nicht gäbe. Sportminister Rahimov heckte den Plan zusammen mit dem Chef des Europäischen Olympischen Komitees (EOC), Patrick Hickey, aus – und erntete als Dank vor allem zwei Dinge: Häme und Unverständnis. Die Verbände der Länder sprachen sich gegen die Idee aus. Zu voll sei der Wettkampfkalender der einzelnen Sportarten, zu teuer die Austragung, hieß es auch aus Deutschland. Als man dann aber hörte, dass Aserbaidschan alle Kosten übernimmt, samt Anreise und Bekleidung für die Sportler, ließ man sich schnell umstimmen. (…) ‚Wir geben die Antwort während der Spiele. Wenn die Menschen erst einmal hier sind und das alles erleben, wird die Kritik vergessen‘, sagt EOC-Chef Hickey. Man müsse sich nur anschauen, was bis jetzt schon geleistet worden sei. Was für eine großartige Stadt Baku doch sei! (…) ‚Die Athleten, die erst hier im olympischen Dorf übernachten und ein Jahr später nach Rio fahren, werden dort nicht sehr glücklich sein’“, sagt Patrick Hickey“ (Schulze 21.7.2014).
Das Thema Menschenrechte oder die hundert politischen Gefangenen in Aserbaidschan sind im Sport nur offiziell ein Thema, nicht in der Wirklichkeit. Gerald Knaus von der NGO European Stability Initiative stellt dazu fest: „Aliyev beutet den Reichtum des Landes aus, um sich Freundschaften zu kaufen und seinem Regime Legitimität zu verleihen. (…) Wenn es gelingt, bekannte Menschenrechtler und Journalisten ins Gefängnis zu werfen und trotzdem die Sportwelt zu Gast zu haben, wenn es keine Reaktionen gibt, dann wird auch anderen Oppositionellen die Hoffnung genommen“ (zeit.de 10.6.2015).
– Die Geschäfte von Sebastian Coe. Jens Weinreich beschrieb in spiegelonline, wie Sebastian Coe, Cheforganisator von London 2012, Präsident der British Olympic Association und Aspirant als Präsident des Internationalen Leichtathletikverbandes IAAF, die European Games Richtung Aserbaidschan drehte. „Zunächst war die Rede davon, die Europaspiele in London auszutragen, drei Jahre nach den Olympischen Sommerspielen 2012 wäre das nachhaltig gewesen. Doch die Idee zerschlug sich auch deshalb, weil Londons Cheforganisator Sebastian Coe während der heißen Vorbereitungsphase auf die Spiele 2012 bereits andere Pläne hatte. Mit Aserbaidschan. Coes Firma CSM Strategic war im Frühjahr 2012 in Baku unter Vertrag und kümmerte sich dort um die Bewerbung für die Olympischen Sommerspiele 2020. (…) Aliyev, Rahimow und Hickey wurden sich auf Vermittlung von CSM schließlich handelseinig: Statt Olympia 2020 sollten in Baku die European Games 2015 stattfinden. Parallel dazu bereitete Minister Rahimow mit deutschen Planern (AS&P, Proprojekt) die Bewerbung für die Sommer-Universiade 2019 vor, die Weltspiele des Studentensports, die man später wegen stockender Vorbereitungen der European Games aber zurückziehen sollte. Stattdessen akquirierte er vier Spiele der paneuropäischen Fußball-EM 2020 – ebenfalls mithilfe der CSM des ehrenwerten Lord Coe“ (Weinreich 13.6.2015. AS&P ist Albert Speer & Partner, ein auf Sportbauten und -Großereignisse spezialisiertes Frankfurter Architekturbüro. Vergleiche Sportpalast-Architekten).
„In anderen asiatischen Republiken wie Turkmenistan werden ebenfalls große Pläne geschmiedet: Dort steht mit dem Diktator Gurbanguly Berdimuhamedow der nächste Gernegroß bereit, hat bereits fünf Milliarden Dollar in Sportanlagen und Propaganda investiert und richtet im Herbst die Vollversammlung der asiatischen Olympia-Föderation aus. Präsident des NOK von Turkmenistan ist Berdimuhamedow natürlich auch. Er wird von denselben olympischen Lobbyisten und Spindoktoren betreut, meist aus England, die für Baku 2015 Werbung machen, die für Hickey arbeiten, für viele IOC-Mitglieder und zahlreiche Weltverbände. Es bleibt alles in der Familie. (…)
Die CSM des ehrenwerten Lord Coe, der in diesem Jahr Präsident des Weltverbandes der Leichtathleten (IAAF) werden und als solcher auch ins IOC einziehen will, ist inzwischen von Aserbaidschan nach Turkmenistan weiter gezogen und kassiert dort die Millionen. Coe ist nur ein Beispiel für die vielfältigen Interessenkonflikte und die Absahnermentalität in dieser Branche – offiziell reden wir ja von Ehrenamtlichen“ (Ebenda).
VI: Internationaler Sport: Diktaturen im Kommen
Der Rückhalt in der Bevölkerung für Sport-Großereignisse schwindet in westlichen Demokratien. „Anders in autoritären Ländern. Schwer vorstellbar ist in Katar oder Kasachstan, in Usbekistan oder Aserbaidschan (plus Russland, China etc; WZ) eine aufflammende öffentliche Debatte, ob das Geld nicht besser in ein neues Netz von Kindertagesstätten, in Bildung oder Wasserleitungen investiert wird als in Rennpisten und überdimensionierte Sportpaläste. Hier treffen sich die Interessen mächtiger Sportverbände mit denen mächtiger Präsidenten, die offenen Diskurs und schmerzliche Kompromisse scheuen“ (Nienhuysen 10.6.2015).
Anno Hecker schrieb in der FAZ: „Manipulation, Korruption, Verschiebung? Die Öffentlichkeit will nichts hören von schmutzigen Spielen. Sie lebt gern mit der Illusion vom sauberen Sport und dessen Beteuerung, ausreichend Selbstreinigungskräfte zu besitzen, wenn Flecken auftauchen. (…) Baku führt die Aushöhlung des Sports vor. Als Teil einer perfiden Propaganda alle wesentlichen, über jeden noch so packenden Wettkampf hinausreichenden Werte zu verlieren: Fairness, Respekt, Menschlichkeit. Die Aushöhlung letztlich auf Kosten der Sportler wird in diesen Tagen bei den eher überflüssigen Europa-Spielen in Baku vorgeführt. Der Sport verkauft sich für ein prunkvolles Fest und tut so, als müsse er nicht teuer dafür bezahlen. Es ist ein Trauerspiel“ (Hecker 14.6.2015).
Sara Peschke schrieb in spiegelonline: „Einer Regierung wie der Aserbaidschans kommt das gerade recht, sie nutzt die sportliche Großveranstaltung als propagandistische Eigenwerbung, als Beweis dafür, dass sie auch anders kann, freundlich und kompetent. Zwar behaupten die Verantwortlichen von EOC und DOSB, dass man mit der Vergabe auch die Probleme in einem solchen Land öffentlich macht. Doch den vom Regime Inhaftierten und Verfolgten bringt das wenig, vor allem wenn Protestorganisationen wie Amnesty International oder kritische Journalisten gar nicht erst ins Land dürfen; die OSZE wurde kürzlich gebeten, ihre Niederlassung in Baku zu räumen“ (Peschke 12.6.2015).
– Groß-Sportereignisse in der Aserbaidschan-Diktatur: 2005 WM Rhythmische Sportgymnastik; 2009 Bewerbung von Aserbaidschan um Olympische Sommerspiele 2016 (erfolglos); 2011 Box-WM in Aserbaidschan; 2013 Bewerbung um Olympische Sommerspiele 2020 (erfolglos); 2015 Europa-Spiele; 2016 Schacholympiade; 2016 Formel-1-Grand Prix; 2020 Fußball-EM (drei Vorrundenspiele und ein Viertelfinale)…
– Sport-Journalisten ehren Alyew. „Vor exakt einem Jahr tanzte sogar der AIPS-Weltkongress auf Kosten Aliyevs in Baku. AIPS-Präsident Gianni Merlo (Italien) überreichte Aliyev einen Orden. Die Granden des Sportjournalismus waren mehrheitlich begeistert von exquisiter Verpflegung, noblen Herbergen und Aliyevs Versprechen, während der European Games freies WLAN zu offerieren. (…) Großganoven wie Aliyev bleiben die idealen Partner für internationale Sportverbände, in deren Schlepptau zahlreiche Berater, PR-Firmen und Eventplaner glänzende Geschäfte machen. Es läuft alles wie geschmiert“ (Weinreich 28.4.2015).
– Amnesty International durfte nicht nach Aserbaidschan. Amnesty International (AI) musste seinen Besuch in Aserbaidschan anlässlich der European Games absagen: Die Regierung wollte den Besuchstermin nach den European Games verschieben. „Auch die Londoner Organisation Platform teilte mit, dass ihre Menschenrechtlerin Emma Hughes am Dienstagnachmittag am Flughafen von Baku an der Einreise gehindert, vorübergehend festgenommen und des Landes verwiesen worden sei. Sie habe eine Presse-Akkreditierung gehabt, hieß es in der Mitteilung“ (Amnesty International 1.6.2015).
Denis Krivosheev von AI verwies auf die systematische Ausschaltung kritischer Stimmen und die Schaffung einer kritikfreien Zone rund um die European Games. Unabhängige Medien existieren nicht mehr, Zeitungen und TV-Stationen sind in Regierungshand. „Weit entfernt von den Zielen der Pressefreiheit und Menschenwürde, die in der Olympischen Charta verehrt werden, wird das Erbe dieser Spiele eine weitere Ermutigung der repressiven Kräfte der Welt sein, internationale Sportereignisse durchzuführen als Eintrittskarte zu internationalem Prestige und Anerkennung. Die näheren Details zeigen, wie im letzten Jahr in Aserbaidschan durchgegriffen wurde und Journalisten, Menschenrechtler, Oppositionelle und junge Demokratieverteidiger schikaniert, festgenommen, eingesperrt und gefoltert wurden, je näher die European Games heranrückten. Die systematische Zerstörung der Zivilgesellschaft vor Beginn der European Games hat ernsthaft jede Hoffnung für ein positives Erbe dieses Events zerstört“ (Amnesty International barred from Baku ahead of European Games, PM amnesty.org 9.6.2015; Hervorhebung WZ).
– Diktatur-Bilanz: Rasul Jafarov, Gründer des Human Right Clubs: eingesperrt im August 2014, im April 2015 zu sechseinhalb Jahren verurteilt. Leyla Yunus, Menschenrechtsaktivistin, festgenommen im Juli 2014, Vorbeugehaft bis nach den Spielen. Arif Yunus, inhaftiert Juli 2014, mit seiner Frau angeklagt wegen Landesverrat, illegaler Geschäfte, Steuerhinterziehung, Betrug und Urkundenfälschung. Intigam Aliyev, Menschenrechts-Anwalt, inhaftiert im Juli 2014, im April 2015 zu siebeneinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Institut for Reporter’s Freedom and Safety: im Juli 2014 Überfall auf das Büro, Beschlagnahmung von Dokumenten, Festnahme von Mitarbeitern einschließlich des Direktors Emin Huseynov. Radio Free Europe/Radio Liberty: Dezember 2014 Überfall auf das Büro, Beschlagnahme von Dokumenten, Festnahme von zwölf Mitarbeitern. Khadija Ismayilova, Radio Free Europe-Journalistin, berichtete über lukrative Geschäfte der Aliyev-Familie, die 48 Milliarden Dollar auf Offshore-Konten transferiert hat (siehe oben), Verhaftung im Dezember 2014, erwartet zwölf Jahre Gefängnis. NIDA, pro-demokratische Jugendorganisation: Turgut Gambar von Nida berichtete von sechs politischen Gefangenen (Aufschrei in Baku, in Der Spiegel 23/30.5.2015). Ihnen wurde u. a. Sprengstoff untergeschoben. Shahin Novruzlu, NIDA-Mitglied, 17, verlor beim Verhör vier Vorderzähne (Ebenda).
Der Regimekritiker Emin Milli lebt nach zwei Gefängnisaufenthalten inzwischen in Berlin. Er berichtete über die Welle der Repression, nachdem Aserbaidschan die European Games erhalten hat. „2014 seien die letzten Nichtregierungsorganisationen praktisch geschlossen worden. Reporter ohne Grenzen spricht von einer Verschärfung der Lage. Die Journalistin Khadija Ismajlowa (…) oder der Menschenrechtler Rasul Jafarow, der Wahlbeobachter Anar Mammadli oder das Aktivisten-Ehepaar Junus – sie alle sitzen im Gefängnis oder warten auf ihre Strafen“ (Aumüller 10.6.2015). Im November 2015 wurde Arif Junus wegen gesundheitlicher Gründe freigelassen, darf aber Baku nicht verlassen. Seine Frau Leila, deren Gesundheitszustand „zehnmal schlechter ist“ (Junus), bleibt weiter im Gefängnis (AFP, Baku lässt Arif Junus frei, in SZ 14.11.2015).
– DOSB-Vorstandsvorsitzender will mit Opposition sprechen. Originalton Michael Vesper: „Wir werden die Themen selbstverständlich bei unseren Gesprächen vor Ort und mit Vertretern des Gastgeberlandes ansprechen“ (dosb.de 28.1.2015). – „Zudem werde man versuchen, sich – wie schon bei den Olympischen Winterspielen in Sotschi so auch in Baku – mit NGOs und Aktivisten zu Hintergrundgesprächen zu treffen“ (Ebenda).
Vesper wird keine Opposition mehr vorfinden, mit der er reden könnte – falls er das jemals vorgehabt hätte. Also, Sportfunktionäre: klatschen, feiern, dem Diktator die Hand schütteln und den Mund halten. Genau wie bei Sotschi 2014.
Vesper übte sich dann in Zynismus vor den European Games: „Ich habe den Eindruck, viele, die früher nicht wussten, wo Aserbaidschan liegt, sind jetzt Experten in Menschenrechtsfragen“ (Becker, Christoph 10.6.2015). Und am zweiten Tag der European Games sagte Vesper in Baku: „Ich war lange selbst Politiker, aus meiner Sicht sollte der Sport nicht für politische Zwecke benutzt werden.“ Damit meinte Vesper die Kritiker von Diktator Aliyev – siehe Artikel von Grit Hartmann unten.
Ein weiteres Beispiel aus dem Kapitel Sport-Demokratur. Man darf an dieser Stelle an Vespers Aussage zu Peking 2008 erinnern:
„Bei uns sind es rechtsradikale Seiten, die gesperrt werden. Und es ist natürlich auch in China so, dass einzelne Seiten gesperrt werden“ (SZ 6.8.2008; Kistner 7.8.2008). Gesperrt wurden von Peking unter anderem die Seiten von Amnesty International und anderen Menschenrechtsorganisationen, der BBC und der Deutschen Welle. Mit seinen Äußerungen löste Vesper eine breite Welle der Empörung bei Politikern von SPD und Grünen aus. Die Reporter ohne Grenzen nannten den Vergleich ‚unsäglich’. Der erste Parlamentarische Geschäftsführer von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag, Volker Beck, nannte die Äußerungen „absurd und irritierend“. Auch der Vorsitzende des Bundestags-Sportausschusses Peter Danckert (SPD) protestierte: „Wir sprechen über Amnesty International“ (SZ 6.8.2008).
– Bundestag verdrängt European Games plus Diktator (I). „Am Tag der Eröffnungsfeier wird sich der Deutsche Bundestag mit dem Thema Menschenrechte in Aserbaidschan beschäftigen. Eine Kleine Anfrage der Grünen an die Bundesregierung ist seit 27. April anhängig. Der sportpolitische Sprecher der Fraktion, Özcan Mutlu, 47, sagt: ‚Die Bundesregierung versucht die Beantwortung der kleinen Anfrage auf einen Zeitpunkt nach den European Games zu verschieben. Anscheinend darf kein Schatten auf die European Games fallen'“ (Hungermann 7.6.2015; Hervorhebung WZ).
– Bundestag verdrängt European Games plus Diktator (II). „Die Bundestagsabgeordneten Karin Strenz (CDU), Katrin Kunert (Linke), Tabea Rößner (Grüne), Tankred Schipanski (CDU) und Johannes Kahrs (SPD) waren Mitte Mai in Baku zu Gast, auch bei Ilham Aliyev. Die Abgeordneten, Mitglieder der deutsch-südkaukasischen Parlamentariergruppe, wurden am 14. Mai von Aliyev empfangen. Eine Gelegenheit, die Repressalien anzusprechen, zumal auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bei einem Treffen mit Aliyev im Januar die Verletzung der Menschenrechte kritisiert und von ‚Meinungsverschiedenheiten‘ gesprochen hatte? ‚Beim Treffen mit dem Präsidenten konnten kritische Themen nicht angesprochen werden. Das hat mich unheimlich geärgert‘, sagt die Grüne Tabea Rößner. ‚Es wurde uns zuvor gesagt, das Treffen würde kurz, die Themen seien schwierig und Aliyev würde ungehalten, wenn diese Kritik angesprochen würde’“ (Becker 10.6.2015).
CDU-MdB Karin Strenz „pflegt engen Umgang mit von Baku finanzierten Lobbyisten, die auch im Windschatten des Bundestages operieren. Eine davon ist die „European Azerbaijani Society“ (TEAS), „die zahlungskräftigste Lobbyagentur Aliyevs in Europa. Für TEAS eröffnete sie auch schon eine Veranstaltung in Berlin“ (Ebenda). Strenz fuhr natürlich auch zu den European Games nach Baku. Einer der Gründe für die Zurückhaltung der deutschen Politik: „Baku steht auf Rang Sieben der Rohöllieferanten für Deutschland. Ab 2019 soll die Trans-Adria-Pipeline Gas nach Westeuropa leiten – eine Alternative zum russischen Gas“ (Hartmann 26.6.2015; Hervorhebung WZ).
– Grüne fordern im Bundestag Menschenrechte ein. Am 10.6.2015 stellte die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen den Antrag: „Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte in Aserbaidschan auch bei den Europaspielen 2015 einfordern“ (Drucksache 18/5097 neu). Inhalt u. a.: Der Kurs des Regimes von Aliyev gegenüber Nichtregierungsorganisationen, Menschenrechtlern und Rechtsanwälten hat sich verschärft. Die Staatsführung soll deutlich entschiedener aufgefordert werden, Menschenrechte zu respektieren, politische Gefangene freizulassen, einen Politikrahmen für Sport und Menschenrechte für künftige Sportgroßveranstaltungen zu initiieren etc.
VII Die European Games 2015 (II): Der „Sport“
– European Games: Fackellauf mit Diktatorenfamilie. „Eine olympische Staffel der besonders zweifelhaften Art hat sich da zusammengefunden. Einen Part des Fackellaufes übernimmt Ilham Aliyev, der Vater des Clans und autoritäre Präsident Aserbaidschans. Einen anderen sein Sohn Heydar. Einen dritten Mehriban, die Ehefrau, und einen weiteren Leyla, die Tochter. Jeder aus der Herrscherfamilie darf mal ran, und somit illustriert diese Fackelstafette durch die Straßen Bakus trefflich, was die Sportwelt von Freitag an erwartet, wenn in der Hauptstadt des öl- und gasreichen Landes die ersten Europaspiele starten: ein großes Fest als Propagandabühne für einen Autokraten und seine Familie – und der internationale Sport hofiert mal wieder nach Kräften mit“ (Aumüller 10.6.2015; Hervorhebung WZ).
– Sportler freuen sich auf Baku. Der deutsche Fahnenträger, Turner Fabian Hambüchen, darf die Fahne der deutschen Mannschaft tragen und sagte: „Ich bin sprachlos, das ist eine große Ehre“ (Kreisl, Volker, Sinnsuche in Baku, in SZ 12.6.2015). Der Hamburger Schwimmertrainer Tobias Heinrich „kenne keinen Sportler, der sich nicht auf die Spiele in Baku freue, ‚das wird etwas ganz Besonderes‘. Und was ist mit den Menschenrechtsverletzungen in der früheren Sowjetrepublik? Mit den politischen Gefangenen? ‚Für uns steht das Sportliche im Vordergrund‘, sagt Heinrich, ‚die politische Lage kann und möchte ich nicht einschätzen'“ (Peschke 12.6.2015).
Sportfunktionäre – und viele Sportler – schämen sich offenbar nicht, die Diktatur in Aserbaidschan aufzuwerten. Sie werden freudestrahlend dem Diktator die Hand schütteln und den Mund halten.
Die IOC-Agenda 2020 und ihre pseudodemokratischen Floskeln helfen da nicht weiter.
Dagegen sagte Imke Duplitzer, Fechterin, zu den European Games in der Diktatur Aserbaidschan: “Für beide Seiten ist es eine Win-win-Situation. Die Verbände veranstalten ein Sportfest und müssen sich nicht mit demokratischen Strukturen oder lästigen Bürgerbefragungen herumschlagen; die Despoten profitieren, weil der Sport stets latent ein Wir-sind-ja-die-Guten-Gefühl transportiert” (Becker 10.6.2015).
– Baku: Die Diktatur feiert sich. „Die European Games sind mit der erwartet pompösen Eröffnungsfeier gestartet, der Beginn ergab allerdings auch Negativschlagzeilen. Die Kosten für die Feier waren zweieinhalb Mal so hoch wie die Ausgaben für die Zeremonie bei Olympia 2012 in London. Man habe umgerechnet 84,8 Millionen Euro ausgegeben, sagte Sportminister Azad Rahimov. (…) Athleten des verhassten Nachbarn Armenien werden teils kategorisch niedergebuht“ (SZ 15.6.2015; Hervorhebung WZ). Überraschungsgast Lady Gaga wurde tagelang im Hotelzimmer versteckt: Die Vorkämpferin für die Rechte Homosexueller wurde vermutlich mit hohen Summen finanziell beruhigt. Auf der Ehrenloge saßen neben Aserbaidschans Diktator Ilham Aliyev und seiner Frau Mehriban auch Wladimir Putin und Recep Tayyip Erdogan – nebst IOC-Präsident Thomas Bach und anderen hohen Sportfunktionären (85 Millionen für Lady Gaga und Co., in tagesschau.de 13.6.2015). – 70 IOC-Mitglieder wurden zur Eröffnung der Europan Games mit dem Aliyev-Clan auf der Ehrentribüne erwartet (zeit.de 10.6.2015). – „IOC-Präsident Thomas Bach war da, sein Wahlhelfer und potenzieller Fifa-Präsident Scheich Ahmad Al-Fahad Al-Sabah ebenfalls. Und auch Patrick Hickey aus Irland, Verbündeter von Bach und Al-Sabah sowie Präsident der Vereinigung European Olympic Committees (EOC). Sie machten bei der Eröffnung der ersten Europaspiele in Baku Aserbaischans Alleinherrscher Ilham Aliyev ihre Aufwartung. Die Top-Sportführer der Welt haben im nagelneuen Olympiastadion nicht entschieden gegen Menschenrechtsverletzungen oder die Beugung der Pressefreiheit opponiert; sie saßen auf der Tribüne neben Aliyev und applaudierten. Aliyev ist eben einer der ihren, denn schließlich fungiert der Kleptokrat auch als Präsident des Nationalen Olympischen Komitees von Aserbaidschan. Und als großzügiger Finanzier“ (Weinreich 13.6.2015).
– Sport statt Menschenrechte (1). Ausgerechnet der frühere Manager von Werder Bremen und jetzige Sonderberater für Sport im Dienst von Frieden und Entwicklung der United Nations, Willi Lemke, sagte: „Es ist über das Thema Menschenrechte alles gesagt worden, jetzt muss der Sport als völkerverbindendes Element im Vordergrund stehen, auch wenn wir uns weiter darum bemühen, die drängenden Probleme zu lösen“ (abendblatt.de 15.6.2015).
– Sport statt Menschenrechte (2). IOC-Präsident Thomas Bach lobte in seinem Grußwort, „dass nur der Sport es schafft, dass Athleten aus der Ukraine und Russland, aus Armenien und Aserbaidschan oder aus Serbien und dem Kosovo zu friedlichen Wettkämpfen zusammenkommen“ (Ebenda).
– Sport statt Menschenrechte (3). „Im Garten der auf einer Anhöhe über der Altstadt Bakus gelegenen Residenz nutzten die Gäste das Beisammensein, um Kontakte zu knüpfen. Allen voran Hamburgs Sportstaatsrat Christoph Holstein und Nikolas Hill, Chef der Olympiabewerbungs GmbH, die seit Donnerstag in Baku sind und an diesem Montag zurückfliegen. Als Delegation des deutschen Kandidaten für die Ausrichtung der Sommerspiele 2024/2028 wollen die beiden zuhören und schauen, wie Aserbaidschan die ersten Europaspiele zu einem Erfolg machen will. ‚Wir werben nicht offensiv für Hamburg, weil wir mit unserem Ansatz, Zurückhaltung zu zeigen, bislang gut gefahren sind‘, sagte Holstein“ (Ebenda).
– Keine politischen Gefangenen in Aserbaidschan?! Der nationale Berater von Diktator Aliyev, Ali Hasanow, wurde auf der Pressekonferenz am 18.6. nach politischen Gefangenen gefragt. „Gebe es in Aserbaidschan nicht, sagt er. Die Menschenrechtsverteidiger, die Journalistin Chadidscha Ismajilowa, Dinara Yunus, ihr Mann Arif, Rasul Jafarow, Intigam Aliyev, all die anderen? Rechtmäßig verurteilt beziehungsweise begründet in Untersuchungshaft, sagt Hasanow. ‚Aserbaidschan ist ein Rechtsstaat, die Behörden bestätigen das’“ (Becker 21.6.2015).
– Aus einem Kommentar von Valentin Oetterli in der NZZ: „Hinter Russland liegt Aserbaidschan im Medaillenspiegel derzeit an zweiter Stelle. Dass eine stattliche Anzahl der ausgezeichneten Gastgeber nicht gebürtige Aserbaidschaner sind, tut dem Jubel keinen Abbruch – Hauptsache, die aserbaidschanische Nationalflagge wird aufgezogen. Kein Zufall auch, dass der Staatspräsident und seine Ehefrau Mehriban Aliyeva, zugleich die OK-Vorsitzende der Europa-Spiele, an diesen Siegerehrungen oft die Medaillen überreichen. (…) Es ist anzunehmen, dass das europäische olympische Komitee bei der Suche nach einem neuen Veranstalter wieder bei einem autokratischen Regime in Osteuropa fündig wird“ (Oetterli 22.6.2015).
– Journalisten-Repression. Christoph Becker hatte im Artikel „Mitten im schmutzigen Nichts“ in der FAZ vom 19.6. die dunklen und schmutzigen Seiten der Öl-Diktatur unweit der Sportstätten beschrieben. Die Reaktion blieb nicht lange aus. „Auf dem Weg nach Baku hatte mich eine Pressemitteilung der aserbaidschanischen Botschaft in Berlin erreicht, in der es über unter anderem über ‚die Berichte von Christoph Becker von Frankfurter Allgemeine Zeitung‘ heißt, sie ‚gelten nicht mehr als kritische Berichterstattung‘, sondern ‚geben den Eindruck, eher Bestandteil einer Schmutzkampagne gegen Aserbaidschan zu sein. Wir laden alle kritischen Journalisten ein, sich ein objektives Bild von Aserbaidschan (…) zu verschaffen und dem deutschen Publikum zu vermitteln’“ (Becker 21.6.2015). Der Sportjournalist Owen Gibson vom Guardian bekam erst gar kein Visum für die European Games (Ebenda). Michael Lennartz sieht in der Frankfurter Neuen Presse im IOC keine positiven Tendenzen: „Und in Thomas Bach sollte man da auch keine allzu großen Hoffnungen setzen. Der deutsche IOC-Präsident, der bei seinem Baku-Besuch gut gelaunt mit Vladimir Putin zu sehen war, hat ja auch schon verkündet, dass totalitäre Regierungen kein Ausschlusskriterium für sportliche Großereignisse seien. Bach verspricht sich vom Gedanken des Sportsgeistes eher eine Initialzündung für ein politisches Umdenken in solch kritisierten Gastgeberländern. Man sieht, es liegt nicht nur in der Fifa einiges im Argen“ (Lennartz 22.6.2015).
– Orden vom Diktator für Hickey. In der Eröffnungsrede der European Games äußerte Patrick Hickey: „Die aserbaidschanische Nation befinde sich ‚auf einer aufregenden Reise. Es war eine Ehre, mit dabei zu sein“ (Becker 21.6.2015). – „Am Mittwoch bekommt Patrick Hickey einen Orden. Ilham Aliyev verleiht ihm den ‚Shafar‘-Orden, den das EOC in seiner Pressemitteilung zur höchsten Auszeichnung der Republik Aserbaidschan macht, dabei aber den ranghöheren ‚Haydar-Aliyev-Orden‘ vergisst. ‚Das größte Geschenk, das ich von Aserbaidschan erhalten konnte, ist diese großartige Bühne für die besten Athleten Europas‘, wird Hickey zitiert“ (Ebenda).
– Nationalfeiertag mit Tissot und European Games. „Am vergangenen Montag war Feiertag in Aserbaidschan, der ‚Tag der nationalen Rettung‘. Damit wird die Machtübernahme von Haydar Aliyev, des Vaters des jetzigen Präsidenten, im Jahr 1993 begangen“ (Becker 21.6.2015). Dazu wurde im Fernsehen ein Propagandafilm gezeigt. „Während des gesamten Films ziert eine aserbaidschanische Flagge, in die Haydar Aliyevs Porträt geschnitten ist, die rechte obere Bildecke. Am unteren Bildrand sind mittig ständig zwei Logos eingeblendet: das des Uhrenherstellers Tissot, eines Sponsors der Europa-Spiele, und das Logo der Europa-Spiele selbst“ (Ebenda).
Der Sport ist eben politisch.
– Aserbaidschan ist Zweiter. Russland holte 164 Medaillen, Aserbaidschan wurde mit 56 Medaillen Zweiter. Und Diktator Ilham Aliyev hängte seiner Frau Mehriban, der Leiterin des Organisationskomitees der European Games 2015, am 29.6.2015 den höchsten Orden des Landes um, den Hejdar-Aliyev-Orden. Ilhams Vater Hejdar war KGB-Chef in Aserbaidschan und von 1993 bis zum Tod 2003 Präsident. Dann kam Ilham Aliyev an die Macht (Hans 1.7.2015).
Der Plan: Nach ihm wird sein Sohn Hejdar Präsident.Eine richtige Erb-Diktatur…
Pressestimmen:
– Alles so schön hier! (Nur nicht die Sache mit den Menschenrechten). Das ist der Titel eines Kommentars von Peter Ahrens in spiegelonline, 27.6.2015: „Die Europaspiele in Aserbaidschan sind ein Fest, zumindest für Alleinherrscher Aliyev – und für Sport1. Der deutsche TV-Sender hält sich mit Kritik sehr zurück. Olympiafunktionäre schwärmen gar von der tollen Atmosphäre in Baku.“
Für den dauerübertragenden TV-Sender Sport1 sind die gravierende Verletzungen der Menschenrechte in Aserbaidschan kein Thema: „Man werde das Thema Menschenrechte aber auch nicht aktiv journalistisch besetzen“ (Ebenda). Alexander Wölffling, Sportleiter bei Sport 1: „Man begrüße zudem, dass „der Deutsche Olympische Sportbund die Themen bei seinen Gesprächen vor Ort anspricht“ (Ebenda).
Das ist umso unwahrscheinlicher: Der DOSB-Chef de Mission, Dirk Schimmelpfennig, schwärmte von einem „riesigen Meilenstein, der für viele andere schwierig zu erreichen sein wird“ (Ebenda).
Weiß eigentlich irgend jemand, ob ein Vertreter der DOSB-Delegation auch nur im entferntesten das Thema Menschenrechte angesprochen hat? Oder sind – was viel wahrscheinlicher ist – die Sportfunktionäre dem Diktator und seinen Adepten vor lauter Dankbarkeit um den Hals gefallen?
– Grit Hartmann schrieb zum DOSB-Vorstandsvorsitzenden Michael Vesper und den European Games in Cicero: “Am flottesten legte Michael Vesper, der Vorstandsvorsitzende des Deutschen Olympischen Sportbundes, den Rückwärtsgang ein: ‘Ich war lange selbst Politiker’, gab er in Baku zu Protokoll, ‘aus meiner Sicht sollte der Sport nicht für politische Zwecke benutzt werden.’ Da waren die ersten Europaspiele gerade einen Tag alt, und die regierungsnahe aserbaidschanische Nachrichtenagentur APA widmete dem Appell des Deutschen für politische Enthaltsamkeit im Nu eine Meldung. Denn der Grüne Vesper, ehemals Minister in NRW, zielte damit nicht auf den Gastgeber Ilham Aliyev, der aus dem Sportfest eine möglichst ungestörte PR-Aktion für seine Petrokratie am Kaspischen Meer machen wollte. Er meinte Aliyevs Kritiker. (…) Rund 100 Bürgerrechtler, Journalisten und deren Anwälte sitzen in Aserbaidschan hinter Gittern. Aliyev sorgt fürs kritikfreie Binnenklima bei den Europaspielen” (Hartmann 26.6.2015; Hervorhebung WZ). Dementsprechend fiel dann die Eröffnungsfeier aus – Sportfreunde unter sich: Bach neben Putin neben Erdogan neben Aliyev. „‚Schulter an Schulter mit Aliyev‘ habe Bach auf der Ehrentribüne gestanden, kommentierte Amnesty International, und ’nicht ein Wort gehaucht‘ zum Kontext dieser Spiele – ‚a sorry saga‘. Das Bild vom runderneuerten IOC und seinem Oberreformer verflüchtigte sich wie ein Spuk“ (Ebenda).
Die IOC-Agenda 2020 erweist sich einmal mehr als Papiertiger.
– Aus einem Resumée von Volker Kreisl in der SZ: „Michael Vesper, der Vorstandschef des Deutschen Olympischen Sportbunds DOSB, sagte: ‚Das war eine gelungene Premiere.‘ So top organisiert war alles, so zufrieden waren die Athleten, dass in Baku keine Sportler-Stimme zu hören war, die auf die Missachtung von Grundrechten und den Missbrauch des Sports für die Propaganda hinwies. Zum Thema wurde das eher am Rande, etwa durch die wenigen eigenen Pannen der Top-Organisatoren, als beispielsweise herauskam, dass jener im aserbaidschanischen Fernsehen die Spiele über den Klee lobende englische Tourist in Wahrheit Aserbaidschaner war. (…) Einen Tag vor der Schlussfeier 2015 in Baku hatten noch mal Worte des aserbaidschanischen Sportministers Azad Rahimow für Aufregung gesorgt. Die Organisation Reporter ohne Grenzen (ROG) äußerte sich besorgt über dessen Warnung an den Regimekritiker Emin Milli, der von Berlin aus Meydan TV betreibt, jenen Sender, der den gefälschten englischen Touristen entlarvt hatte. Rahimow habe Milli über Dritte die Botschaft zukommen lassen, dass er nicht mehr sicher sei, erklärte ROG. Der Minister habe wissen lassen, der Staat werde ihm nicht verzeihen und man werde ihn kriegen, in Deutschland oder woanders“ (Kreisl 29.6.2015; Hervorhebung WZ).
– Aus einem Kommentar von Oliver Fritsch in der Zeit: „Der Sport hätte ein Zeichen setzen können, ließ sich stattdessen benutzen. Wieder einmal. (…) Sie (die European Games 2015; WZ) enden am Wochenende und sie sind Aliyevs Herzenssache. Sie sind das Projekt eines Mannes, unter dem Aserbaidschan zu einem der undemokratischsten Länder der Erde verkommen ist. (…) Die verräterische Rhetorik der Sportmächtigen ist die übliche. Sie behaupten, Kritisches in Hinterzimmern anzusprechen. Doch selbst wenn das stimmte, wäre es zu wenig. Sie führen Scheindebatten und sagen: Boykotte bringen nichts. Dabei fordert niemand Boykotte. Sie argumentieren, dass sportliche Groß-Events von selbst etwas verbessern. Dabei ist das längst widerlegt. ‚Der Sport ist nicht in der Lage, politische Systeme zu verändern – und er kann auch politische Gefangene nicht befreien‘, schreibt Vesper in der aktuellen ZEIT. Aber woher will er das wissen? Es hat ja noch keiner versucht. Tut uns leid, dass wir Ihnen nichts Neues erzählen. Aber die Sportfürsten schieben die Verantwortung gerne weg. Ihnen sin