© Text: Wolfgang Zängl, Sylvia Hamberger, Gesellschaft für ökologische Forschung
Zweiter Versuch: München 2022? Nein danke!
Die Beispiele früherer Bewerbungs- und Austragungsorte Olympischer Winterspiele zeigen: Grundsätzlich waren die Gesamtkosten für die Vorbereitung und Austragung der Spiele immer viel höher, als das Budget vorsah, und Folgekosten für die Instandhaltung der Sportstätten, die Infrastruktur und für die Umweltschäden waren nicht eingerechnet worden.
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Fazit einer Studie der Universität Oxford vom <a title="Juni
Juni 2012:
“In der Vergangenheit haben die Olympischen Spiele hohe Defizite eingefahren… Gemäss einer neuen Studie der britischen Universität Oxford ist den Olympischen Spielen eines gemeinsam: die Budgetüberschreitung. Gemäss der Studie konnten in den letzten 50 Jahren keine Sommer- und keine Winterspiele ihr ursprüngliches Budget einhalten. Im Durchschnitt sind die Endkosten 179 Prozent höher als ursprünglich angenommen. ‘Eine Olympiade ist für eine Stadt oder ein Land eines der finanziell riskantesten Projekte überhaupt” (“Olympia ist ein riskantes Projekt”, in Die Südostschweiz 14.2.2013; Hervorhebung WZ. In Englisch: “For a city and nation to decide to put on the Olympic Games is to decide to take on one of the most financially risky types of megaprojects that exist.”) – “… in den Endstadien der Vorbereitung kann der Fokus schnell von Kostenkontrolle auf Ausführung um jeden Preis wechseln, was sich in beträchtlichen zusätzlichen Kostenüberschreitungen auswirkt” (Ebenda; “… in the final stages of preparation the focus can quickly shift from cost control to delivery at any cost, resultung in significant additional overruns”.
Chronologie der Olympischen Winterspiele ab 1956:
Cortina d’Ampezzo, Italien – Austragungsort 1956
32 Nationen, 823 Teilnehmer, 24 Wettbewerbe, 11 Tage Dauer
Erstmals wurden die Spiele im Fernsehen übertragen. „Erst Jahrzehnte danach setzte sich im Städtchen mehrheitlich die Erkenntnis durch, dass die Olympischen Spiele samt Gefolge dem Ort Cortina d’Ampezzo mehr geschadet als genutzt haben“ (Münchner Merkur, 7.3.1992). – „Dem Verfall preisgegeben sind (.) die Bobbahn sowie die alte Sprungschanze“ (Luther, Helmut, Reich und schön, in SZ 6.2.2014).
Innsbruck, Österreich – Austragungsort 1964
36 Nationen, 1.091 Teilnehmer, 34 Wettbewerbe, 12 Tage
In Innsbruck herrschte akuter Schneemangel. Das Bundesheer musste 20.000 Eisblöcke zu Bob- und Rodelbahnen und 40.000 m3 Schnee zu den alpinen Skistrecken transportieren.
Grenoble, Frankreich – Austragungsort 1968
37 Nationen, 1.158 Teilnehmer, 35 Wettbewerbe, 13 Tage; 1.545 Pressevertreter
Für den Bau der neuen Skipisten wurden 300.000 m3 Fels weggesprengt. Die Pisten wurde von 10.000 Helfern, vornehmlich Soldaten, präpariert. Bei der Bobbahn wurden der Sonne ausgesetzte Kurven mit Ammoniak und Stickstoff vereist.
Nach den Winterspielen: Die neue 90-Meter-Großschanze wurde in Saint-Nizier-du-Moucherotte gebaut; nach den Olympischen Winterspielen wurde sie nur noch selten genutzt, seit 1990 gesperrt und verfällt seitdem. Der frühere französische Kultur-Attaché Jean Jacques Hadey sagte 1992 im Deutschlandfunk zu Olympia in Grenoble: „Alle Einrichtungen, die da gemacht wurden, wurden auf Kosten der Natur gemacht. Heute zerfällt alles, wird alles zur Ruine. Welcher Franzose interessiert sich überhaupt für Skispringen oder Bobrennen. Das interessiert die Leute nicht. Das wird gebaut. Da machen Leute Geschäfte damit, und dann ist aus. Und das ganze Bild der Gegend ist verstellt“ (Kreuzer, Heinz-Peter, Umweltzerstörung hat Tradition, in deutschlandfunk.de 20.1.2014).
Sapporo, Japan – Austragungsort 1972
35 Nationen, 1.006 Teilnehmer, 35 Wettbewerbe, 11 Tage
Nach den Winterspielen: Es gab Proteste, weil die Abfahrtspisten in Naturschutz-Gebiete am Eniwa-Vulkan geschlagen wurden. Obwohl die Anlagen nach den Spielen wieder abgebaut wurden, waren diese Rodungen und Zerstörungen noch jahrzehntelang zu sehen. Erst 2006 wurde die Natur offiziell wieder für intakt erklärt.
Die Wohnblocks des Olympischen Dorfes müssten heute saniert werden, wofür die Stadt kein Geld hat. Das Eisschnellauf-Stadion von Sapporo wich im Januar 2010 einer Schanze für Ski-Akrobatik des Toyota-Konzerns. Die Hotels sind im Winter so gut wie leer. (U. a: Neidhart, Christoph, Rosa Blümchen im Schnee, in: SZ 28.1.2010)
Calgary, Kanada – Austragungsort 1988
57 Nationen, 1.423 Teilnehmer, 46 Wettbewerbe, 16 Tage;
6.838 akkreditierte Journalisten; 77.028 Freikarten für die „Olympische Familie“.
Die Winterspiele kosteten 775 Millionen Dollar. Calgary bekam durch die Olympischen Winterspiele große finanzielle Probleme (u. a. durch eine 100prozentige Kostensteigerung bei den Olympiabauten) und hatte große Schwierigkeiten, bei der Regierung in Ottawa öffentliche Gelder für die Olympischen Winterspiele bewilligt zu bekommen.
Dazu kam der Widerstand von Umweltschützern wegen des Baus der alpinen Rennstrecken. Erstmals wurde Snomax in Schneekanonen eingesetzt, ein Mittel aus abgetöteten Bakterien, die als Kondensationskeime dienen sollten. Snomax wurde auch in Lillehammer, Albertville und Salt Lake City eingesetzt. „Gegen Schneemangel und Tauwetter bietet die Stadt (Calgary) ein Arsenal von Computern, Schneemaschinen und Vereisungsapparaten auf, das seinesgleichen sucht.“ (Meyer-Larsen, Werner, Es wird der sahnigste Monat des Jahrhunderts, in: Spiegel 11.1.1988) Gegen die Wärmeeinbrüche bei Föhn, der die Bobwettbewerbe bedrohte, wurden 80 Kilometer Gefrierleitungen verlegt.
Albertville/Frankreich – Austragungsort 1992
64 Nationen, 1.801 Teilnehmer, 57 Wettbewerbe, 16 Tage
Die Spiele erzeugten hier ein finanzielles und ökologisches Desaster. In Val d’Isère wurde die Abfahrtsstrecke der Herren in den Fels gesprengt; für die Sprungschanzen in Courchevel wurden 5.500 Bäume gefällt und mit tausenden Kubikmeter Beton Hänge stabilisiert.
Die Kosten betrugen umgerechnet rund 664 Mill. Euro, das Defizit 43 Millionen Euro. Die Arena für Eröffnungs- und Schlussfeier (9.200 m2 Fläche, 35.000 Plätze) wurde für die Spiele errichtet und danach wieder abgebrochen, ebenso die 400-Meter-Eisschnellaufbahn. Auch die Nachnutzung der olympischen Anlagen war schwach. Die unter großen Umweltschäden errichtete Abfahrtsstrecke der Herren wurde nach 1992 das nächste Mal 2009 genutzt und musste dafür äußerst aufwendig verändert werden.
Erstmals nahmen Profisportler teil; es gab Streitereien wegen auffälliger Werbung an Kleidung und Sportgeräten.
Der Fotograf Lois Hechenblaikner über Albertville: “Das Negativ-Beispiel schlechthin ist für mich Albertville. Ich habe mir das Jahre nach den Spielen 1992 angeschaut. Also so etwas von schrecklich und traurig, unfassbar! Stadien, die wie ein deplatziertes UFO vor sich hinrosten, ein Ortszentrum wie eine heruntergekommene Wildwest-Stadt, architektonisch vermurkst ohne Ende” (Mooser, Hubert, “Vom Desaster bis zum optimalen Gewinn ist alles drin”, in tagesanzeiger.ch 20.2.2013).
Allein die Sprungschanzen verursachen derzeit 200.000 bis 300.000 Euro Instandhaltungskosten. Der letzte geplante Weltcup 2004/5 auf den Skisprungschanzen in Courchevel musste wegen Schneemangels abgesagt werden. Die Bob- und Rodelbahn in La Plagne ist seit 2003 außer Betrieb und verursacht ein jährliches Defizit von 250.000 Euro. Die Olympiahalle in Albertville kostet jährlich 600.000 Euro Unterhalt und muss jetzt für sechs bis sieben Millionen Euro renoviert werden (Fiasko Olympia, www.cipra.org 22.2.2012).
Die in Albertville aggressiv betriebene Kommerzialisierung und die Umweltzerstörung wurden stark kritisiert. 20 Europaabgeordnete bezeichneten die Winterspiele in Albertville als „Ökologisches Negativbeispiel“. Der Generalsekretär des deutschen NOK und IOC-Mitglied Walther Tröger griff dann die protestierenden Abgeordneten an. (Tröger verteidigt Olympia-Macher, in Münchner Merkur 9.1.1992) Die Alpenschutz-Kommission CIPRA überschrieb einen Bericht der Schäden mit dem Titel: „Das olympische Maß ist voll“. IOC-Präsident Samaranch lobte dagegen die französischen Organisatoren und sagte: „Wir sind der Natur eng verbunden, unsere ganze Kultur wurzelt darin.“ Daraufhin forderte der Deutsche Naturschutzring seinen Rücktritt.
Lillehammer, Norwegen – Austragungsort 1994
67 Nationen, 1.739 Teilnehmer, 61 Wettbewerbe, 16 Tage
Nach den Winterspielen: Die tatsächliche ökonomische Entwicklung der Kommune blieb durch die Winterspiele um 55 – 85% unter den Prognosen. „Die überzogenen Erwartungen führten zu zahlreichen Konkursen (darunter 40 % der Hotels), zur Überversorgung an Infrastrukturen (verbunden mit hohen Kosten), zur kostenlosen Abgabe der zwei grössten Alpensporteinrichtungen an einen neuen Besitzer…“ (Stettler, Jürg, Ökonomische Auswirkungen von Sportgrossanlässen, ITW Luzern 2000, S. 14ff).
Die Bobbahn ist unrentabel, die Eishockeyhalle für 10.000 Zuschauer ist seit 1999 ohne Eis (Westhoff, Alex, Das Freudenfest der zankenden Eigenbrötler, in faznet 22.1.2010).
Der norwegische Wissenschaftler Jon Teigland schrieb zu Lillehammer: „Bis jetzt haben 40 Prozent der Hotels in Lillehammer bankrott erlitten. Zwei neue große Skianlagen wurden für weniger als einen Dollar verkauft, um einen Bankrott wegen unbezahlbarer Rechnungen zu vermeiden“ (Teigland, Jon, Mega-events and impacts on tourism: the predictions and realities of the Lillehammer Olympics, Dezember 1999; vgl. auch: Selbst die gefeierten Spiele 1994 hatten langfristige Schattenseiten, in Die Südostschweiz 30.1.2011).
Die Regierung stellte Lillehammer nach der Olympiade 1994 umgerechnet rund 12 Millionen Euro für den Unterhalt der Sportstätten zur Verfügung, die 2014 aufgebraucht sein werden: Pro Jahr wurden also über eine Million Euro verbraucht. Der Staat und die Provinz Oppland werden ab 2014 die weitere Last des Olympiaerbes übernehmen müssen – zwanzig Jahre später! (Hahn, Thomas, Große Ringe, kleine Stadt, in SZ 14.1.2010;
Nachtrag zu Lillehammer im Februar 2013: „Die Kosten explodierten, das Budget wurde von 1,5 auf 7,5 Milliarden Kronen (1,25 Milliarden Schweizerfranken) angehoben, und der Staat übernahm die Hälfte… Keine der Sportanlagen ist selbstttragend, bis heute nicht… Das jährliche Defizit beläuft sich noch auf 7 Millionen Kronen. Bis 2014 steht der Fonds dafür gerade. Woher das Geld danach kommt, wird diskutiert“
(Gertsch, Christof, Ein Märchen aus der Vergangenheit, in nzz.ch 17.2.2013).
Nachtrag zu Lillehammer im Januar 2014: „Bis vor kurzem hätte eine erneute Bewerbung der kaum mehr als 20.000 Einwohner zählenden Stadt nur Hohn und Spott geerntet. Ein ‚Dorf‘ als Gastgeber, das passt nicht mehr in den olympischen Gigantismus. Für das größte sommerliche Sportfest der Welt haben die Herren der Ringe schon die Vorgabe ausgegeben, dass nur Großstädte geeignet sind, das neue Motto ‚Größer! Teurer! Gigantischer!‘ zu stemmen. Zu den Tatsachen der ‚ursprünglichen‘ Spiele von 1994 gehört auch, dass sich die Norweger weigerten, eigens für die Mitglieder des Internationalen Olympischen Komitees ein Fünf-Sterne-Hotel in die Berge zu setzen“ (Ahäuser, Jürgen, Klein, aber fein, in faz.net 20.1.20).
Seit den Sommerspielen in Atlanta 1996 vergibt das IOC die Olympischen Spiele nur noch an Städte, welche die Verluste selbst tragen. (Hoffmann, Frank, Salt Lake City lässt die Muskeln spielen, in weltonline 2.1.1999)
Nagano, Japan – Austragungsort 1998
72 Nationen, 2.302 Teilnehmer, 68 Wettbewerbe, 16 Tage.
Über 13 Millionen Euro kostete allein die Bewerbung. Nagano hat umgerechnet fast 10 Millionen Euro für die „Spezial-Betreuung“ von Olympia-Funktionären des IOC (einschließlich Geishas) bezahlt. 90 dicke Ordner mit Unterlagen dazu wurden von einem Mitglied des Bewerbungskomitees verbrannt. (Korruptions-Skandal: Das erste IOC-Mitglied tritt zurück, in: weltonline 20.1.1999).
Den größten Nutzen der Olympischen Winterspiele zogen neben der Bauwirtschaft zwei Hotelbetreiber: Seibu und Tokyu. Der Mischkonzern Tokyu bekam für seine Hotel- und Freizeitanlagen im Wintersportort Hakuba eine verbesserte Verkehrsanbindung. Der reichste Mann Japans, Yoshiaki Tsutsumi war Präsident der Seibu-Gruppe, die in der Umgebung von Nagano an den Austragungsorten Shiga Kogen und Karuizawa viele Hotel, Ski- und Golfanlagen gebaut hat. Tsutsumi war außerdem: Präsident des Nationalen Olympischen Komitees, Präsident des nationalen Skiverbandes, des Eishockey-Verbandes und Vize-Chef des olympischen Organisationskomitees. (Nie mehr nach Japan, in: Spiegel 23.2.1998)
Bulldozer schlugen für 16 Tage Olympische Winterspiele breite Pisten für eine Gebirgsautobahn in die Berge. Obwohl Nagano mit dem Hochgeschwindigkeitszug Shinkansen angebunden wurde, fuhren Funktionäre und Sportler mit Autos und Bussen – angeblich auf Wunsch des IOC. Für die Bobbahn wurden 5000 Bäume gefällt. In Nagano wurde eine der größten und teuersten Eishallen der Welt gebaut – für umgerechnet 230 Millionen Euro. „Wer die Riesenbauten nach der Olympiade benutzen soll, ist noch ungeklärt. Fest steht nur: Den Unterhalt muss die Stadt Nagano bezahlen, die bereits verzweifelt nach Spendern sucht.“ Heerscharen von Beamten wurden abkommandiert, Schulklassen mussten zum Jubeln antreten. (Geplatzte Seifenblase, in Spiegel 10.2.1997)
Nach den Winterspielen:
Nagano ist so gut wie bankrott: Der Schuldenberg beträgt 14 Milliarden Euro. Der erhoffte Tourismusboom ist ausgeblieben. Die Baukosten für Infrastruktur (mit Schnellzuganbindung) und die Betriebskosten für die vielfach leer stehenden Anlagen belasten den Haushalt. Nagano und der japanische Staat werden 25 Jahre lang den Schuldenberg abzutragen haben – bis 2023. (Quelle: spiegelonline, 11.2.2002; Kuske, Tobias, Angst vor Milliardedefizit in Vancouver, in Sponsors 28.1.2010)
„Die hochfliegenden touristischen Erwartungen der Olympiainvestoren haben sich nicht erfüllt, im Gegenteil: Das Interesse der Japaner am Skilaufen ist geradezu eingebrochen… Fährt man jetzt durch Hakuba, sieht man Gebäude, die seit Jahren leerstehen… Während vor den Spielen drei Winter lang der Weltcup-Zirkus hier gastierte, ist seither kein großes Rennen mehr gelaufen. Olympia 1998 war ein flüchtiges Ereignis…“ (Mehnert, Volker, Das lange Glück des Wasserkäfers im Strudel, in faznet 8.1.2010)
Salt Lake City – Austragungsort 2002
77 Nationen, 2399 Teilnehmer, 78 Wettbewerbe, 17 Tage
Die Bewerbungsgesellschaft von Salt Lake City setzte vor der Vergabe der Spiele 1995 einen Spendenaufruf in die Zeitung, um Geld für die Bewirtung der IOC-Besucher zu sammeln: Der Besuch von 50 bis 60 IOC-Mitglieder sollte eine Million Dollar kosten. Der in Utah erscheinende Park Record schrieb dazu:
„Angenommen, alle sechzig Mitglieder kommen, und die Millionengrenze wird nicht überschritten, so belaufen sich die Kosten pro IOC-Mitglied auf 16.666 Dollar. Ziehen wir davon die Kosten für einen Flug erster Klasse in Höhe von 1.666 Dollar ab, so bleibt uns die schöne runde Summe von 15.000 Dollar. Ziehen wir davon wiederum hundert Dollar für Sweatshirts, Mützen und Sporttaschen mit der Aufschrift Salt Lake City 98 ab, ferner siebenhundert Dollar pro Woche für die Unterbringung in einem Spitzenhotel, so bleiben uns immer noch 14.200 Dollar. Das wirft zwei Fragen auf. Erstens: Was essen IOC-Mitglieder? Zweitens: Wie werde ich IOC-Mitglied?“ (Simson, Vyv, Jennings, Andrew, Geld, Moral und Doping – Das Ende der olympischen Idee, München 1992, S. 311f).
Im Winter 1998/99 wurde bekannt, dass bei der Wahl von Salt Lake City 1995 mindestens 24 IOC-Mitglieder vom Bewerbungskomitee bestochen wurden; gegen 13 IOC-Mitglieder wurde ermittelt. (Korruptions-Skandal: Das erste IOC-Mitglied tritt zurück, in weltonline 20.1.1999; Pfeiffer, Frieder, Olympische Spiele 2014 – Winterspiele unter Palmen? spiegelonline 3.7.2007; Wikipedia) Im Januar 1999 sagte der Chefredakteur der örtlichen City Weekly: „Heute würde mindestens die Hälfte aller Anwohner die Spiele am liebsten zurückgeben.“ Das ursprüngliche Budget lag bei 839 Millionen US-Dollar und hat sich fast verdoppelt. Nur die Hälfte des Haushalts von 1,45 Milliarden Dollar war zu diesem Zeitpunkt gesichert; der jährliche Haushalt von Salt Lake City lag bei knappen 400 Millionen Dollar. (Hoffmann, Frank, Salt Lake City lässt die Muskeln spielen, in weltonline 2.1.1999)
Turin, Italien – Austragungsort 2006
80 Nationen, 2633 Teilnehmer, 84 Wettbewerbe, 17 Tage; über 10.000 Journalisten
773 Millionen Euro kosteten die Olympischen Winterspiele Turin offiziell – wie bei der IOC-Rechnung üblich ohne Einrechnung der Infrastrukturbauten. Die Gesamtkosten von 3,4 Milliarden Euro mussten größtenteils von der öffentlichen Hand getragen werden; bei der Kandidatur wurden aber nur etwa 500 Millionen Euro als Belastung für die Öffentlichkeit budgetiert. Das offizielle Defizit betrug 31 Millionen €, das inoffizielle wie üblich wesentlich höher. Dazu kommen jährlich noch hohe Nachfolgekosten, verlorene Investitionen in olympische Sportstätten, die nach vier Jahren bereits Sportruinen sind.
Die Landwirtschaftsorganisation Coldiretti bemängelte im Vorfeld der Spiele, dass die Entschädigungen für Grundstücksenteignungen zu niedrig seien und von der Olympia-Agentur verspätet ausgezahlt werden. Die Umweltschäden wurden überhaupt nicht berücksichtigt. (Quelle: La Stampa 31.4.2004)
Nach den Winterspielen:
Die Turiner Winterspiele fanden eine schwache Publikumsresonanz, hervorgerufen durch hohe Eintrittspreise und weite Verkehrswege. Das Olympische Dorf in Turin sollte als Studentenwohnheim und Kaserne genutzt werden: Davon wurde nichts realisiert. Die Zahl der Hotelzimmer stieg durch die Winterspiele von 9000 auf 20.000; die Auslastung der Hotelzimmer fiel seitdem. (Abrissbirne schwebt über Turiner Olympia-Stätten, in Focusonline 30.11.2006)
In Pragelato, einer Gemeinde mit 740 Einwohnern 80 Kilometer von Turin entfernt, wurden für den Bau der Sprungschanzen ein Flusslauf umgeleitet und 14.000 Quadratmeter Boden versiegelt. Die Schanzen kosteten über 33 Millionen Euro. Dort fanden 2009 ganze drei Bewerbe statt. Die Erhaltungskosten betragen pro Jahr 1,15 Millionen Euro, die Einnahmen 115.000 Euro, ergibt ein jährliches Defizit von 1,6 Millionen Euro (Pastorelli). Das extra für die Spiele gebaute 120-Betten-Hotel ist geschlossen.
In Cesana, einer Gemeinde mit rund 1000 Einwohnern wurde der Eiskanal für Bob, Rodeln und Skeleton für 70 Millionen Euro errichtet. Dafür wurden 28 Hektar Lärchenwald gefällt. 2010 findet dort ein einziges Skeleton-Rennen statt. In der internationalen Planung wird Cesana (eröffnet 2006!) nicht mehr berücksichtigt: soviel zum Thema Olympische Nachhaltigkeit. Die Bobbahn verursacht ein Defizit von 1,7 Millionen Euro pro Jahr.
Aktuell: Es gibt Überlegungen, die Bobbahn abzureissen und eine Skihalle mit Europas längster Piste zu bauen. Die Schneesicherheit soll das ganze Jahr garantiert sein – allerdings hat Turin beste Skipisten in der Umgebung. Der Abbruch würde 220 Millionen Euro kosten (inklusive Entsorgung von 48 Tonnen Ammoniak) – plus der Bau der Skihalle. In Deutschland sind Skihallen subventionsbedürftig: Der Steuerzahler wäre hier wieder in der Pflicht (Torino 2006: Lehrgeld bezahlt und nichts gelernt, in cirpra.org 21.8.2012).
Die 25 Millionen Euro teuere Biathlon-Strecke liegt in einem vorher ruhigen Hochtal, in das ein drei Meter breites Sträßchen führte. Für die Spiele wurde es mit einer Schnellstraße erschlossen. Allein Schiessstand und Loipe kosteten 45 Millionen Euro. Im Februar 2010 war die Strecke nicht einmal gespurt. Vorher waren dort Wälder und Wiesen, jetzt steht hier eine Biathlon-Anlage, die niemand mehr braucht.
Die olympischen Austragungsorte liegen in zwei Tälern, die an Naturschutzgebiete grenzen; durch die olympischen Ausbauten wurde der Wildwechsel empfindlich gestört. Alle drei Wochen wird ein Wolf überfahren. (Nachhaltige Olympische Winterspiele in Turin? In alpMedia 9.2.2006; www.lasport.de , 30.11.2006; alpMedia 12.1.2010, nach La Republicca 5.1.2010; Hoppe, Gregor Was bleibt, sind Umweltschäden, in Deutschlandfunk, 11.2.2010; Pastorelli, Francesco, CIPRA Italien, Die Ruinen von Turin, Szene Alpen 94/2010; Stutzer, Räto, Olympia-Ruinen in Turin, Schweizer Fernsehen Videoportal 25.2.2010).
Das IOC stellt in seinen Verträgen u. A. die Bedingungen, dass die Sportstätten zur „Förderung des Sports“ weiter bestehen bleiben. So belasten auch hier ungenutzte Sportanlagen, die immerhin hunderte Millionen Euro gekostet haben, die Gemeindehaushalte der strukturschwachen Region: White Elephants werden die olympische Bauten „Außer Betrieb“ genannt, von denen es inzwischen eine ganze Menge gibt.
Vancouver, Kanada – Austragungsort 2010
82 Nationen, 2629 Teilnehmer, 86 Wettbewerbe, 17 Tage
Der aktuellste Fall einer durch Olympische Winterspiele ruinierten Stadt ist Vancouver. (Vancouver) Das ursprüngliche Budget der insgesamt dritten Olympischen Spiele in Kanada sollte bei zwei Milliarden kanadischer Dollar liegen, wobei wie IOC-üblich die Infrastrukturmaßnahmen herausgerechnet wurden. Nach offiziellen Angaben liegen die Gesamtkosten bei sieben bis acht Milliarden kanadische Dollar. Das Defizit stieg von geschätzten 600 auf 925 Mill. kanadischer Dollar (rund 713 Mill. Euro). Allein die Kosten für Sicherheit stiegen von ursprünglich 117 Millionen Dollar auf eine Milliarde Dollar.
Vancouver hat wegen der Spiele Schulden von einer Milliarde kanadischer Dollar und muss künftig sparen und streichen – wegen 17 Tage Olympischer Winterspiele. Allein die Subventionen für Kulturausgaben sollen um 90 Prozent gekürzt werden.
Dem Wintersportgebiet in Whistler, wo die Alpin-Ski-Wettbewerbe stattfanden, droht die Zwangsversteigerung. Die Baufirma des Olympischen Dorfes in Vancouver geriet in finanzielle Schwierigkeiten, sodass Vancouver hohe Schulden übernehmen musste. Dazu wurden Obdachlose aus der Stadt vertrieben, billiger Wohnraum für Arme vernichtet und durch Luxusimmobilien ersetzt. Aber die „grünsten Spiele, die es je gab“, hinterlassen nicht nur ein ökonomisches, sondern ein ökologisches und soziales Desaster. Die vierspurige Autobahn zwischen Vancouver und Whistler zerstörte einen wertvollen Urwald und verletzte die Rechte der indigenen Stämme. Sie wird heute kaum noch befahren. Für olympische Anlagen wurden 100.000 Bäume gefällt und Schwarzbären-Populationen vertrieben.
Sotschi, Russland – Austragungsort 2014
Allein das Organisationsbudget von Sotschi für die Bewerbung 2014 betrug 1,5 Mrd. $. Zunächst waren Gesamtkosten von 8,6 Mrd. US-$ angesetzt. 2010 liegen die Kalkulationen bereits bei 30 Mrd. US-$. Heute – 2013 – geht man bereits von 50 Milliarden US-Dollar aus.
Der russische Präsident Putin setzte sich persönlich für seinen Urlaubsort Sotschi am Schwarzen Meer ein. Es werden erstmals Olympischen Winterspiele in einer subtropischen Stadt – unter Palmen – stattfinden. Die Höchsttemperatur im Januar 2010 betrug 19 Grad plus.
Betroffen ist wie bei allen Olympischen Spielen die ortsansässige Bevölkerung in Sotschi: durch steigenden Immobilienpreise, Absiedlung und Vertreibung und durch Manipulationen bei der Bürgermeisterwahl, Repressalien bei Widerstand, diktatorische Verhältnisse etc. und dadurch bedingte Finanznot. Allein die Stromversorgung für die Olympischen Winterspiele soll zwei Milliarden Dollar kosten.
Alle olympischen Wettkampfstätten mussten neu errichtet werden. Über 80 Prozent wurden im Nationalpark Sotschi gebaut, der auch ein Weltnaturerbe ist. Das kaukasische Biosphärenreservat ist von den Bauarbeiten bedroht.
Die Riesenbaustellen sind ein ökologischer Alptraum, sodass selbst der russische Umweltminister nach der Besichtigung sagte: „Unsere Baustellen sehen furchtbar aus.“ (alpMedia 19.7.2007; Pfeiffer, Frieder, Winterspiele unter Palmen? in spiegelonline 3.7.2007: IOC – der „mächtigste Mauschelclub“; Zekri, Sonja, Dunkle Wolken über den Ringen – Bürgermeisterwahl bereitet Olympiastadt Sotschi neue Probleme, in SZ 19.3.2009)
Als „grünes Erbe“ des IOC bzw. der Olympischen Winterspiele 2014 bleiben laut Umwelthilfe Kaukasus 20.000 gerodeter Hektar Wald, die Zerstörung einer wertvollen Quellenlandschaft, die Vertreibung von Bären und Steinböcken. Die Baustellen im Sumpfgebiet der Imereti-Bucht waren vorher das Brutgebiet für viele vom Aussterben bedrohte Zugvögel-Arten. Das Flussbett der Mzymta wurde nun zur Trasse für Bahn und Autobahn.
Die offizielle Leseart des IOC lautet natürlich anders. Präsident Jacques Rogge lobte, dass Russland mit Sotschi bald „einen Wintersportort von Weltniveau“ besitzen wird, „ohne das einzigartige Ökosystem der Region“ anzutasten. Und IOC-Mitglied Jean-Claude Killy bemerkte: „Der russische Diamant funkelt mit jedem Tag stärker.“ (Becker, Thomas, Putinsche Dörfer, in SZ 11.2.2010)
München – kein Austragungsort 2018 und „München 2022“ scheitert hoffentlich mit dem Bürgerentscheid am 10.11.2013.
Fazit:
In allen Austragungsorten machten und machen die Orte selbst ein kräftiges Defizit. Über Athen 2004 äußerte der Athener Architekt Vasilis Komninos: „Für Griechenland war es ein Desaster. Baufirmen verdienten zwar ein Riesengeld, in fünf Jahren sollte eine komplett neue Infrastruktur aus dem Boden gestampft werden. Aber das war zu teuer für unser armes Land“ („Zur Not werden wir Bauern“, in SZ 24.6.2011). Den Profit machen wie immer bei Olympischen Spielen in- und ausländische Großkonzerne, Immobilienfirmen und Banken, Sponsoren – und natürlich das IOC selbst, zum Beispiel Peking 2008:
„Das Unternehmen Olympia erzielte bereits vor der Eröffnung in China Rekorde. Die Vermarktungseinnahmen betragen – zusammen mit den Winterspielen 2006 in Turin – mehr als fünf Milliarden Dollar. Das Internationale Olympische Komitee (IOC) konnte die Einnahmen um 25 bis 30 Prozent auf umgerechnet 3,2 Milliarden Euro steigern. Bei den Spielen in Salt Lake City (2002) und Athen (2004) waren 4,19 Milliarden Dollar erlöst worden … Die mehr als fünf Milliarden Dollar sind jedoch nur ein kleiner Teilbereich jener riesigen Summen, die Olympia in Bewegung setzt. Gastgeber China investiert bis zu 40 Milliarden Dollar in die Spiele…“ (FocusMoneyonline, 5.8.2008)
Eigentlich ist es nach den Erfahrungen der bisherigen Austragungsorte überhaupt nicht mehr verständlich, dass sich noch ein Bürgermeister oder Politiker findet, der seinen Finger hebt und das IOC um die Vergabe der Olympischen Winterspiele ersucht. Eigentlich müsste es der Amtseid verbieten, diesen Prozess der Selbst-Ruinierung einzuleiten. Eientlich dürfte kein politisch Verantwortlicher auf die immer gleichen normierten und falschen Versprechungen des IOC und der nationalen Sportverbände mehr hereinfallen. Eigentlich müssten die Bürger dagegen Sturm laufen
Eigentlich…
Vergleiche zu den jüngsten Schweizer Bewerbungen auch:
http://www.olympia-nein.ch/