12.12.2016, aktualisiert 24.6.2017
Zum Thema Russlands Staatsdoping-System:
zum McLaren-Report 1: hier; Dopingnation Russland in Rio 2016: Ja oder Nein? (20.6.2016; aktualisiert 25.10.2016); System-Doping Russland (II): Laborchef von Sotschi 2014 packt aus (13.5.2016, aktualisiert 26.11.2016); IAAF-Doping, System-Doping Russland und Fortgang (13.11.2015, aktualisiert 7.12.2016)
– Vor der Pressekonferenz von Richard McLaren in London am 9.12.2016
Jens Weinreich in spiegelonline: „Der Rechtsprofessor McLaren ermittelt im Auftrag der Welt-Anti-Doping-Agentur Wada. Er gehörte bereits der ersten Wada-Kommission an, die vor einem Jahr einen spektakulären Bericht über das staatlich orchestrierte Doping in Russland veröffentlichte. McLaren recherchierte weiter, unterstützt von Kriminalisten, und legte im Juli 2016 den ersten sogenannten McLaren-Bericht vor, auf dessen Grundlage etwas mehr als ein Drittel des russischen Olympiateams für die Sommerspiele in Rio de Janeiro gesperrt wurde. Die Wada hatte die Suspendierung des russischen NOK und damit der gesamten Olympiamannschaft gefordert, doch das Internationale Olympische Komitee (IOC) unter seinem Präsidenten Thomas Bach solidarisierte sich mit den Russen. Das IOC co-finanzierte mit einer halben Million Dollar die weitere Arbeit der McLaren-Kommission“ (Weinreich, Jens, Jetzt wird es ernst für das IOC, in spiegelonline 9.12.2016). IOC-Präsident Bach hatte nach dem 1. McLaren-Report flugs eine dreiköpfige Kommission einberufen und mit zwei Adepten besetzt: Juan Antonio Samaranch junior (Spanien) und Ugur Erdener (Türkei). Sie ebneten den russischen Sportlern den Zugang zu Rio 2016. Beide wurden kurz darauf zu IOC-Vizepräsidenten ernannt.
Vor der Veröffentlichung des Mc-Laren-Reports II machten die Russen mobil. „Putins Sprecher Dmitri Peskow hat den betroffenen Sportlern die Unterstützung des Kreml zugesagt. Witali Tschurkin, Russlands Gesandter bei den Vereinten Nationen, fordert die UN auf, Maßnahmen gegen die angebliche Ungleichbehandlung von Sportlern zu ergreifen. Putin hat unlängst behauptet, Russland habe das effektivste Anti-Doping-Programm der Welt. Und Alt-Kader Witali Smirnow, ehemals IOC-Mitglied und Cheforganisator der Sommerspiele 1980 in Moskau, hat als Chef einer internen russischen Kommission dem IOC berichtet, es habe in Russland nie Staatsdoping gegeben“ (Ebenda). Wieder hat Bach das Mittel der Kommission gewählt, diesmal setzte er gleich zwei ein. Eine leitete der ehemalige Schweizer Bundesrat Samuel Schmid: Sie beschäftigte sich mit Fragen des Staatsdopings. „Das Schweizer IOC-Mitglied Denis Oswald agiert als Chef einer Disziplinarkommission zum Russland-Doping. Oswald hat vor Jahren auch eine IOC-Ermittlungsgruppe zum Telekom-Doping geleitet und routiniert einschlafen lassen. Welche politischen Fliehkräfte bereits wirken, lässt auch die Benennung von Schmid erahnen, denn der Franzose Guy Canivet trat gerade als Chef dieser Kommission zurück, angeblich aus privaten Gründen. In sportpolitischen Kreisen heißt es indes, dies könne mit der laufenden Olympiabewerbung von Paris für die Sommerspiele 2024 zusammenhängen. Mit den Russen will es sich niemand verscherzen“ (Ebenda; Hervorhebung WZ). Weinreich erwähnt, dass bei den Olympischen Spielen 2008 (Peking), 2012 (London) und 2014 (Sotschi) nicht die Wada, sondern das IOC selbst die Oberhoheit über das Dopingkontrollsystem ausübte. „Von den knapp 10.000 Proben aus Peking und London hat das IOC allerdings nur 1.525 ausgewählte Proben analysieren lassen. Das IOC kontrolliert sich in einem intransparenten Verfahren quasi selbst“ (Ebenda).
– Eine erste Reaktion Anfang Dezember 2016
„US-amerikanische Bob- und Skeleton-Fahrer erwägen einen Boykott der WM im Februar in Sotschi/Russland. Die Athleten sorgen sich um die Sicherheit bei den Doping-Tests. Der kanadische Ermittler Richard McLaren hatte in seinem ersten Bericht im Juli dem Riesenreich für die Jahre von 2011 bis 2015 Staatsdoping nachgewiesen.Die Athleten nannten in einer Korrespondenz, die der New York Times vorliegt, Gründe, warum sie nicht in Sotschi starten wollen. Dabei wurden Professionalität bei den Doping-Proben, die Integrität des Sicherheits-Personals sowie eine mangelhafte Geheimhaltung von internen Informationen kritisiert. ‚Die Tatsache, dass nach dem Sotschi-Skandal nichts passiert ist und der Fakt, dass wir trotzdem dahin fahren sollen, gibt uns nicht das Gefühl, dass die Situation ernst genommen wird‘, sagte die ehemalige Skeleton-Weltmeisterin Katie Uhlaender und kritisierte damit die zuständigen Verbände“ (SID, Nicht nach Sotschi, in SZ 6.12.2016).
– Der McLaren-Report II
„Der zweite Teil des McLaren-Reports stellt fest, dass über 1000 russische Athleten in 30 Sportarten von der staatlich gesteuerten und systematischen Dopingvertuschung profitiert haben sollen. Zudem habe es, initiiert vom russischen Sportministerium, eine ‚institutionelle Verschwörung‘ gegeben. Betroffen gewesen seien dabei unter anderem die Olympischen Sommerspiele in London 2012, die Leichtathletik-WM 2013 in Moskau sowie die Olympischen Winterspiele in Sotschi 2014. Es habe eine ‚Strategie zur Medaillenbeschaffung in Sommer- und Wintersportarten‘ gegeben, sagte der von der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) beauftragte Sonderermittler in London. Weiter sprach der Kanadier von Betrug in ‚beispiellosem Umfang‘. ‚Das russische Team hat die Spiele von London in einer Weise korrumpiert, die nie da gewesen ist. Das ganze Ausmaß dessen wird wohl nie bekannt werden‘, sagte McLaren. In dem Report wird Witali Mutko direkt beschuldigt. Der 57-jährige Politiker ist seit 2008 für Sport in Russland zuständig und wurde von Präsident Wladimir Putin im Oktober zum Vize-Ministerpräsidenten ernannt. Putin selbst wird in dem Bericht nicht erwähnt. McLaren nannte auch konkrete Zahlen zu Dopingenthüllungen in Sotschi. Es seien Beweise gefunden worden, dass Dopingproben von insgesamt zwölf Medaillengewinnern manipuliert worden seien. Dabei handele es sich in vier Fällen um Gewinner von Goldmedaillen. Namen wurden nicht genannt. Betroffen sind demnach außerdem fünfzehn russische Medaillengewinner der Spiele in London und vier Teilnehmer der Leichtathletik-WM in Moskau“ (Mehr als 1000 russische Athleten in Dopingaffäre verwickelt, in spiegelonline 9.12.2016).
Dazu Jens Weinreich: „Während der Spiele 2012 in London wurde offiziell kein Russe erwischt. McLaren belegt nun, dass mindestens 78 Proben manipuliert worden sind, darunter die Tests von 15 Medaillengewinnern. Bei den vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC) in diesem Jahr angeordneten Nachtests ausgewählter Dopingproben der Sommerspiele 2008 in Peking und 2012 in London sind bislang mehr als 30 russische Sportler als Doper enttarnt worden, darunter knapp 20 Medaillengewinner. Diese Zahl dürfte sich in Kürze erhöhen, daran ließ IOC-Medizindirektor Richard Budgett in dieser Woche kaum Zweifel. McLaren bestätigt dies und spricht von mindestens fünf weiteren russischen Medaillengewinnern der London-Spiele. Die Sportwelt konzentriert sich jetzt vor allem auf die Ergebnisse der Sotschi-Untersuchungen. Russland belegte bei den Winterspielen und den Paralympics jeweils Rang eins in der Nationenwertung. Bei den Winterspielen gewannen die Russen 13 Gold-, elf Silber- und neun Bronzemedaillen, bei den Paralympics 30 goldene, 28 silberne und 22 bronzene. (…) McLaren belegt in seinem Bericht ein Dutzend gedopte Medaillengewinner bei den Sotschi-Spielen im März 2014, die ein Prestigeprojekt des russischen Präsidenten Wladimir Putin waren und mehr als 50 Milliarden Dollar verschlangen. (…) Russland hatte in Sotschi fünf Sportler, die zwei Goldmedaillen gewannen: die Eiskunstläufer Tatjana Wolossoschar und Maxim Trankow (Paarlaufen und Team), der Snowboarder Vic Wild, Shorttracker Wiktor Ahn (gewann sogar drei Mal Gold) – sowie die Bobfahrer Alexander Subkow und Alexej Wojewoda (Zweier- und Viererbob). Bobfahrer Subkow zählt zu Putins Lieblingssportlern und saß bei der Schlussfeier der Sotschi-Spiele neben Putin und IOC-Präsident Thomas Bach in der ersten Reihe. Inzwischen ist Subkow Präsident des russischen Bob- und Skeletonverbandes. Die Beichten des Kronzeugen Grigori Rodschenkow und die ersten Ermittlungsberichte der Welt-Anti-Doping-Agentur Wada und von MacLaren hat er gern als ‚Schwachsinn‘ bezeichnet“ (Weinreich, Jens, Urinproben mit Kaffeepulver, in spiegelonline 9.12.2016).
– Johannes Aumüller und Thomas Kistner in der SZ:
„Mitunter musste es schnell gehen mit dem Betrug. Um das spezifische Gewicht einer manipulierten Urinprobe in einen Bereich zu bringen, in dem die Schummelei nicht schon auf den ersten Blick aufflog, griffen die Konspirateure bisweilen zu ungewöhnlichen Mitteln: Sie schütteten Instant- Kaffee in die zuvor heimlich aufgehebelten Fläschchen. Manchmal aber reichte die Sorgfalt beim Verschleiern des Betrugs nicht einmal mehr so weit. In den Urinproben, die zwei russische Eishockeyspielerinnen 2014 bei den Olympischen Winterspielen in Sotschi abgaben, wurde nun – bei Nachtests – eindeutig männliche DNA gefunden. Weil das kaum sein kann, wenn alles mit rechten Dingen zugeht, liegt der Verdacht nah, dass die Proben nachträglich vertauscht wurden. (…) In den Jahren 2011 bis 2015 sollen demnach mehr als 1000 Athleten von dem Staatsdopingprogramm profitiert haben, das in Russland nach der Enttäuschung bei den Winterspielen 2010 in Vancouver initiiert worden war, referierte McLaren. Dies beträfe Sommer- und Wintersportler sowie auch paralympische Athleten. (…) McLaren ist sich sicher: Sechs russische Sportler, die bei den Paralympics in Sotschi zusammen 21 Medaillen gewannen, haben betrogen. Bei den Winterspielen am selben Ort wurden die Dopingproben von mindestens zwölf russischen Medaillengewinnern manipuliert, unter ihnen vier, die Gold gewannen. Bei der Leichtathletik-WM 2013 in Moskau spielten mindestens vier russische Sportler falsch, bei den Sommerspielen 2012 in London mindestens 15 Russen, die Medaillen gewannen. ‚Das russische Team hat die Spiele von London in einer nie da gewesenen Weise korrumpiert‘, behauptet McLaren. (…) Als die Welt-Anti-Doping-Agentur das Moskauer Labor im September 2012 aufforderte, 67 Proben zu Nachtests in das Labor nach Lausanne zu überstellen, sei Hektik ausgebrochen. Die Verantwortlichen des Betrugsprogrammes hätten realisiert, dass ihre Täuschungskette nicht lückenlos war: Anhand der B-Proben ließ sich der Betrug stets rekonstruieren. Um diese Lücke zu schließen, habe der Geheimdienst im Februar 2013 eine Methode entwickelt, wie die Fläschchen, in denen A- und B-Proben gesammelt wurden, aufzuhebeln sind. In Sotschi seien dann jede Nacht Proben russischer Sportler durch ein Loch in der Wand des Testlabors in eine Nebenkammer gereicht worden. Dort sei deren schmutziger Urin gegen garantiert unverdächtigen getauscht worden, den die Kadersportler lange im Voraus abgegeben hatten. Die Geschichte klingt wie eine Räuberpistole, aber McLaren hat erstaunliche Details parat, die seine Version stützen. So hat er die Anforderungen gefunden, die der Geheimdienst für die Werkzeuge formulierte, mit denen die Fläschchen geöffnet wurden. Am besten seien Metallstäbchen, hieß es da, flexibel genug, um sie unter die Deckel zu schieben, aber doch auch stabil genug, um Druck aufzubauen. An vielen Dopingproben, die in Sotschi von russischen Athleten gesammelt wurden und die noch vorhanden sind, fanden sich Kratzer, die nahelegen, dass derlei Stäbchen tatsächlich zum Einsatz kamen“ (Aumüller, Johannes, Kistner, Thomas, Mehr als 1000 Profiteure, in SZ 10.12.2016).
– McLaren-Report II teilweise erstaunlich harmlos
„An einigen Stellen wirkt McLarens zweiter Report vorsichtiger als sein erster. Das fällt vor allem an den Stellen auf, an denen es um das Nationale Olympische Komitee Russlands geht, das ROK. Für Bach war dieses Gremium im Sommer das entscheidende Argument, um Russland nicht komplett von den Spielen in Rio auszuschließen. Bachs Argumentation: Es gebe keine Beweise, dass das ROK in das Dopingsystem involviert gewesen sei. Deshalb sollten die internationalen Fachverbände entscheiden, welche russischen Sportler auszuschließen seien. Über diesen Weg fanden letztlich doch fast 300 Russen den Weg nach Rio. Das war aber eine mutige Zusammenfassung von Bach, weil der Report darlegte, wie zwei ROK-Mitglieder in das System verstrickt waren, unter anderem der stellvertretende Sportminister Juri Nagornych. (…) Bemerkenswert waren auch die Einlassungen McLarens zu Russlands mächtigstem Sportfunktionär Witali Mutko. Der war lange Jahre Sportminister, inzwischen ist er zum Vize-Premier aufgerückt. Außerdem sitzt er im Fußball-Weltverband Fifa und führt das Organisationskomitee für die Fußball-WM 2018, Russlands großes Prestigeprojekt. Noch in seinem ersten Report dokumentierte McLaren eine Mail, aus der sich der klare Verdacht ergab, dass Mutko selbst die Vertuschung einer Positivprobe in Auftrag gegeben habe. Dieses Dokument fehlt nun, stattdessen heißt es von McLaren, es gebe für eine Verstrickung von Mutko ‚keine direkten Beweise‘. Allerdings schreibt der Aufklärer an anderer Stelle, dass das Manipulationssystem mitsamt den vielen vertuschten Positivbefunden unter der Führung von Sportminister Mutko und seinem Stellvertreter Nagornych betrieben worden sei. (Ebenda). – „Gerade angesichts dieses überwältigenden Sittenbilds ist der Report schockierend schwach: Er rührt nicht an die Hauptverantwortlichen. Jedes Kind kann sie sehen, im Report bleiben sie Silhouetten. Schlimmer: Richard McLaren tat auf Nachfrage gar so, als glaube er selbst an einen Kulturwandel im russischen Sport. Klar, er will als objektiver Prüfer keine Angriffsfläche bieten. Wie Moskaus sportpolitische Maschine arbeitet, haben ja die letzten Monate gezeigt. Diese Funktionäre haben alle Weltverbände durchdrungen, ihre Seilschaft ist so stark wie die Freundschaft zwischen Bach und Putin“ (Kistner, Thomas, Kein Pardon für Eisberge! in SZ 10.12.2016). – „Das angeblich saubere ROK lieferte schon im Sommer, nach Vorlage des ersten McLaren-Reportes, die Begründung dafür, dass das IOC Russland den nahezu geschlossenen Start in Rio ermöglichte. Dieses Gremium selbst sei ja nicht involviert, argumentierte IOC-Präsident Thomas Bach, der Russland traditionell nahesteht. Das verblüffte, weil gemäß des damaligen Berichtes zwei ROK-Leute involviert waren. Einer davon war der (inzwischen entlassene) Vize-Sportminister Jurij Nagornych: Der entschied gemäß McLaren über Jahre, ob ein Positivtest korrekt oder falsch weitergegeben werden sollte“ (Aumüller, Johannes, Russland jubelt schon, in SZ 12.12.2016).
Dazu Thomas Kistner in einem Kommentar in der SZ:
„Lustig auch, was Thomas Bach erzählt. Der Boss des Internationalen Olympischen Komitees will alle lebenslang sperren, die in ein Betrugssystem eingebunden waren. Er ist zurück, der unbeugsame Null-Toleranz-Politiker! Der das Gros des Russenteams bei den Rio-Spielen starten und Whistleblowerin Stepanowa wegen ethischer Defizite sperren ließ. (…) Dass sich Bach und Co. weiter durchschlängeln dürfen, ist ein betrübliches Fazit des McLaren-Reports. Dieser präsentiert zum Russendoping die Art Mülltrennung, die bei sportinternen Ermittlungen stets droht. Zwar wird akribisch die staatliche Rolle aufgedeckt; der zynische Geist, Sünderzahlen, filmreife Tricks und Techniken – alles gipfelnd in der beispiellosen Betrugsdimension der Spiele in London und Sotschi. Klar muss aber sein: So war es vorher auch. Und so wäre es heute, wären nicht die Zeugen aufgestanden, die das IOC dafür aus Rio verbannte. (…) Hollywoods Spitzenkomiker könnten die Figuren ja gar nicht besser erfinden, die Russland nun in eine saubere Zukunft führen sollen. Kopf der Reformer ist Witali Smirnow, 81, ein Topkader aus der KPdSU-Ära, als Helden der Sowjetunion mit den DDR-Brüdern um die Wette dopten. Er betont: Es gab kein Staatsdoping! Auch die Hochsprung-Ikone Jelena Issinbajewa glaubt an Verschwörungen, dank Sonderregelung rückte sie in Bachs IOC-Athletenkomitee ein und beaufsichtigt zugleich Russlands Anti-Doping-Agentur. Dann ist da Witali Mutko. Sein Sportministerium hat den Betrug orchestriert. Aber ganz diskret, der Ärmste hatte keine Ahnung. Gehört er nicht schon deshalb raus? Nicht bei Putin. Nicht im Sport. Mutko sitzt auch im Vorstand des Fußball-Weltverbands Fifa und des WM-Organisationskomitees 2018. Satte Interessenskonflikte? Nicht im Sport“ (Kistner, Thomas, Kein Pardon für Eisberge! in SZ 10.12.2016).
– Stimmen zum Mc-Laren-Report II (in spiegelonline)
Sport-Ekspress, Russland: „Der kanadische Professor stützt seine Schlussfolgerungen auf das, was er Beweise nennt. Doch es steht zu bezweifeln, dass irgendein Gericht, das etwas auf sich hält, sie akzeptieren würde. Die Beschuldigten wurden nicht befragt, der Tatort nicht untersucht, die Zeugenauswahl ist einseitig.“
The Guardian, Großbritannien: „Das Verhalten des Internationalen Olympischen Komitees zeichnet sich vor allem durch seine Unschlüssigkeit und seine Verschleppung der Sache aus.“
The Times, Großbritannien: „Die Arbeit McLarens legt die Frage nahe, ob der Kampf gegen das Doping überhaupt zu gewinnen ist. Der naheliegende Impuls ist, mehr Geld reinzustecken, in der Hoffnung, ein robusteres System zu schaffen. Aber Geld ist nicht das eigentliche Problem, eher der Mangel an Entschlossenheit.“
The Daily Telegraph, Großbritannien: „Solange der Fünf-Ringe-Zirkus keine ernsthaften Maßnahmen gegen das Doping unternimmt, sollten sich die großen Städte der Welt der ‚Größten Show der Welt‘ verweigern.“
Le Parisien, Frankreich: „Der Bericht stellt noch eine Steigerung dar. Er zeigt, dass die Betrügerei alle sportlichen Wettkämpfe betrifft, die zwischen 2011 und 2015 stattgefunden haben.“
(Alle Zitate: „Ein starkes Nachbeben“, in spiegelonline 10.12.2016).
Der ehemalige Wada-Generaldirektor David Howman: „Es ist die nächste Gelegenheit für sie (das IOC), ihrer Verpflichtung nachzukommen, nämlich alle Proben nachzutesten, die sie gelagert haben, bevor die Frist ausläuft. Auf jeden Fall die Proben von London, auf jeden Fall von Sotschi, und von den Spielen in Vancouver hat bisher noch gar keiner gesprochen“ (Aumüller, Johannes, Russland jubelt schon, in SZ 12.12.2016).
Dagmar Freitag, die Chefin des Bundestag-Sportausschusses. Russland dürfe „so lange nicht an Welt- und Europameisterschaften und Olympia teilnehmen, bis das Sportsystem überprüfbar einer glaubwürdigen Reform unterzogen worden“ (Kistner, Thomas, Alles unter Kontrolle, in SZ 13.12.2016).
– Kommentare aus Russland: leugnen, lügen, abstreiten
Michail Degtjarjow, Chef des Sportausschusses in der Duma: „Bis jetzt hat McLaren über Doping in Russland nichts Neues gesagt. Irgendwelche ,1000 Sportler‘, wo sind die Beweise und die Zeugen?“ (Aumüller, Johannes, Kistner, Thomas, Mehr als 1000 Profiteure, in SZ 10.12.2016).
Russlands Rodel-Chefin Natalia Gart: „Das ist nichts als Müll“ (Ebenda).
Die ehemalige Stabhochspringerin Jelena Issinbajewa, jetzt Aufsichtsratschefin der russischen Anti-Doping-Agentur: „Es ist immer sehr einfach, Schuldige und Unschuldige in einen Topf zu werfen. Ich bezweifle, dass uns konkrete Beweise für eine Schuld gezeigt werden können, wenn wir darum bitten“ (Ebenda). – „Ich bezweifle, dass uns konkrete Beweise für eine Schuld gezeigt werden können“ (Hofmann, René, „Wir sind bereit, diese Opfer zu bringen“, in SZ 17.12.2016). – „Wir werden beschuldigt für Dinge, die wir nicht gemacht haben. Ich sehe das als Diskriminierung unserer Nation, weil wir Russland sind“ (Brüngger, Christian, Die Vorturnerin, in SZ 22.12.2016). – „Wir tolerieren diese beweislosen Anschuldigungen, wir würden ein Staatsdoping betreiben, künftig nicht mehr“ (Ebenda).
Welche Beweise sollen denn noch geliefert werden – von der Entdeckung des „Mauselochs“ bis hin zu dem Beweis der geöffneten Urinproben-Gläsern – und nicht zuletzt der Aussagen des Laborchefs von Sotschi 2014?
Die bizarre und streng Putin-konforme Sichtweise offenbarte Issinbajewa auch bei dem Besuch des größten russischen Luftwaffenstützpunktes in Syrien nahe Lakatia im August 2016, wo die russischen Kampfbomber nach Aleppo starteten: „Jeder Start eines Jets war wie ein Wiegenlied für uns, auf das wir warteten, um einschlafen zu können“ (Ebenda).
Das könnte man als offen faschistisches Gedankengut bezeichnen.
Witalij Mutko, Ex-Sportminister und jetziger Vize-Premier: „Mir scheint, dass das IOC seinen Kurs schon eingeschlagen hat. Dass es in diesem Fall keine Kollektivstrafe geben soll“ (Aumüller, Johannes, Russland jubelt schon, in SZ 12.12.2016). Mutko bestritt am 10.12.2016 in der TASS, dass bei Sotschi 2014 heimlich Dopingproben ausgetauscht wurden: „In Sotschi wäre es unrealistisch gewesen, das zu tun, was man uns vorwirft“ (Hofmann, René, „Wir sind bereit, diese Opfer zu bringen“, in SZ 17.12.2016).
Dmitri Medwedew, russischer Ministerpräsident nannte am 15.12.2016 die Vorwürfe, dass es in Russland staatlich organisiertes Doping gegeben hätte, „völligen Blödsinn“: „Selbstverständlich hat es in Russland kein staatlich gestütztes Dopingsystem gegeben, gibt es nicht und kann es nicht geben… Die Anti-Doping-Kampagne hat sich in eine antirussische Kampagne verwandelt, das ist klar“ (Ebenda).
Staatspräsident Wladimir Putin bei seiner Jahres-Pressekonferenz am 23.12.2016: „In Russland hat es nie ein staatliches Dopingsystem oder Doping-Unterstützung gegeben, das ist einfach unmöglich“ (IOC ermittelt gegen 28 Atheten, in spiegelonline 23.12.2016).
Wer hat wohl das „Mauseloch“ im „Anti-Doping-Labor“ von Sotschi 2014 installiert?
– Skandal-Sportfunktionär Witalij Mutko
„Mutko war in all den schmutzigen Jahren der Sportminister, nun stieg er zum Vize-Premier auf. Er sitzt im Vorstand des Fußball-Weltverbands Fifa und – mehr Interessenskonflikt geht nicht –, er präsidiert auch dem Organisationskomitee für die WM 2018. Noch im Juni hatte McLaren, in seinem ersten Report für die Welt-Anti-Doping-Agentur Wada, Mutko als Mitwisser, womöglich Initiator einer Dopingvertuschung im Fußball dargestellt. Die Wada forderte die Fifa-Ethikkommission öffentlich auf, ‚die Vorwürfe zu untersuchen, die den Fußball betreffen, und auch die Rolle, die ein Exekutivmitglied, Minister Witalij Mutko, spielt‘. Sofort erbaten die Fifa-Ethiker alle Dokumente zu Mutko, weitere Gesuche folgten. Vergeblich. Sie bekam nie etwas. Nun weckt das neue Fußball-Material erneut ihr Interesse. Auch das werden die Ethiker anfordern, zumal nun 33 Doping-Verdachtsfälle aufgelistet sind. Nur Mutkos Rolle wird groteskerweise immer unschärfer – dabei hat er jenes Ministerium geleitet, das als Regiepult der Betrugsverschwörung gilt. (…) Der dänische Nada-Chef Michael Ask findet, Russland dürfe vorläufig keine Fußball-WM veranstalten. Damian Collins, Sportvorsitzender im britischen Parlament, fragt die Fifa, ob Mutko der richtige Vorstand sei und fordert sie auf, ’sehr ernsthaft zu prüfen, wie die WM veranstaltet wird. Wie kann Russland der Fifa und der Welt Vertrauen geben, dass es richtige Anti-Doping-Maßnahmen gibt?‘ (…) Fifa-Boss Gianni Infantino sprach Mutko schon das Vertrauen aus. (…) Die Wada ist bei der WM sogar ausgesperrt, hat ‚Beobachterstatus‘. Das Fifa-Testsystem regelt handverlesenes Personal. Zwar gehen die Proben an ein Wada-Labor, aber bis 2018 dürfte das in Moskau wieder akkreditiert sein. Beaufsichtigt wird es von Sportfiguren wie Jelena Issinbajewa, die das ganze Dopingtheater für eine Auslands-Verschwörung hält. Das größere Problem ist: Nicht mal das integerste Labor könnte etwas ausrichten. Selbst wenn es 100 WM-Sündenfälle ermitteln würde, könnte das folgenlos bleiben und die Öffentlichkeit niemals erreichen. Denn die Befunde gehen an die Fifa, zum Anti-Doping-Chef (der Job ist gerade vakant) sowie an Präsident und Generalsekretär. Die entscheiden, was passiert; nur die Fifa hat das Recht, Dopingfälle zu publizieren. Tut sie es nicht? Gibt es keinen Fall“ (Kistner, Thomas, Alles unter Kontrolle, in SZ 13.12.2016; Hervorhebung WZ).
– Bob- und Skeleton-WM 2017 in Sotschi abgesagt
„Der Bob- und Skeleton-Weltverband IBSF hat vor dem Hintergrund der jüngsten Dopingenthüllungen Sotschi die Weltmeisterschaft entzogen. Das gab der Verband auf seiner Website bekannt. Der zweite McLaren-Report hatte ein staatlich gestütztes Dopingsystem in Russland bestätigt. (…) ‚Das IBSF-Exekutivkomitee war der Auffassung, dass es in dieser schwierigen Zeit nicht ratsam ist, eine solche Veranstaltung in Russland zu organisieren‘, hieß es in einer Mitteilung. Moskau reagierte verärgert und sieht in den Vorwürfen eine Kampagne des Westens“ (Bob- und Skeleton-Verband entzieht Sotschi die WM, in spiegelonline 13.12.2016). – „Der zweite McLaren-Report hatte ein staatlich gestütztes Dopingsystem in Russland bestätigt. Mehr als 1000 Sportler sollen von Doping-Vertuschung profitiert haben, u.a. bei den Olympischen Winterspielen 2014 in Sotschi. Der Skeleton-Verband Lettlands hatte am Montag bereits angekündigt, eine WM in Sotschi boykottieren zu wollen. Mehrere andere Länder diskutierten denselben Schritt und erhöhten damit den Druck auf die IBSF“ (SID, SZ, WM-Entzug für Sotschi, in SZ 14.12.2016).
Zum Hintergrund: „Dass die Bob- und Skeleton-WM 2017 in Sotschi dem russischen Verband entzogen wird, war am Mittwochabend bekannt gegeben worden. Doch schon viel früher war klar, dass es nichts wird mit Sotschi. Denn beim Meeting während des Weltcups Anfang Dezember in Whistler hatten die Trainer ihren Ärger über die Zustände im russischen Sport offenbart, außerdem war die Buchungsfrist für die Hotels längst überschritten – und, so berichtet Thomas Schwab, der Sportdirektor des deutschen Verbandes: ‚Fast niemand hatte gebucht.‘ (…) Der Druck wurde also immens, und der Internationale Bob- und Skeletonverband (IBSF) konnte gar nicht mehr anders: Die WM in Sotschi, dem Olympiaort von 2014, wo laut Wada-Erkenntnissen im berüchtigten Anti-Doping-Labor russische Doping-Proben durch ein Loch in der Wand ausgetauscht und durch saubere ersetzt wurden, diese WM wird also abgesagt und an einen anderen Ort verlegt. Wahrscheinlich wird dies der deutsche Bob- und Rodelstandort Königssee sein. (…) Jenseits von Russland wird die Entscheidung dagegen überwiegend begrüßt, und zwar als Statement gegen Systemdoping. ‚Ich bin so froh, dass unsere Stimmen gehört wurden und unser Sport beim Kampf gegen Doping mitmacht‘, sagte die Skeleton-Olympiasiegerin Lizzy Yarnold aus Großbritannien. Dagmar Freitag (SPD), die Vorsitzende des Bundestags-Sportausschusses, bezeichnet den WM-Entzug als ’starkes Signal‘ an die Sportwelt. Die Entscheidung mache deutlich: ‚Konsequente Sanktionierung von Dopingvergehen funktioniert nicht durch sportpolitische Verbalnoten, hinter denen sich das IOC und sein Präsident Thomas Bach gerne verstecken‘. Tatsächlich kommt vom Internationalen Olympischen Komitee für Einzelverbände kaum konkrete Hilfe bei der Entscheidungsfindung. Zwar erklärte ein IOC-Sprecher am Mittwoch, die Organisation begrüße die IBSF-Maßnahme, eine klare Haltung zu Staatsdoping wird aber vermieden. Der deutsche Bob- und Rodel-Sportchef Thomas Schwab beklagt offen: ‚Was uns fehlt, ist die Unterstützung vom IOC’“ (Kreisl, Volker, Auf Entzug, in SZ 15.12.2016).
Dazu aus einem Kommentar von Volker Kreisl in der SZ: „Zunächst ist er ein durchaus empfindlicher Schlag gegen das russische Selbstverständnis, wonach sich am Ende doch immer das eigene undurchschaubare Erfolgssystem durchsetzt. Der Standort Sotschi, mit seiner Bob-Bahn, in den Wald geschnitten für einen heldenhaften Olympia-Auftritt 2014, ist mit Bedeutung aufgeladen. Dass die Welt, und wenn es auch nur die Bob-Welt ist, hier partout nicht zu Gast sein will, passt nicht ins Konzept. Genauer gesagt besteht diese sich verweigernde Bob-Welt aus den Bob-Athleten. Anders als beim Olympia-Bann der Leichtathleten und der paralympischen Mannschaft ging die Initiative hier nicht von Verbandsherren aus, sondern von den Sportlern, die einfach keine Lust hatten, in einem Land anzutreten, dessen Sportfunktionäre nur abstreiten und zur Aufklärung nichts beitragen. Durch die Front, die Letten, Briten, Amerikaner, Österreicher und manche andere gebildet haben, wurden die Bob-Gremien zum Handeln gezwungen. Auf einmal begrüßten auch Sponsoren die Entscheidung, und das übliche Verschieben der Verantwortung war nicht mehr möglich. Eine Lösung des russischen Problems wird die Bob-Entscheidung dennoch nicht bringen. Denn die Fachverbände erweisen sich meist als überfordert, nicht selten stehen sie unter russischem Einfluss. Und das IOC wird sich unter seinem Präsidenten Thomas Bach weiter vor harten Konsequenzen gegen russisches Staatsdoping drücken, dabei hätte es als einzige Institution wirksame Hebel gegen die Zersetzung seiner Glaubwürdigkeit “ (Kreisl, Volker, Absage von unten, in SZ 15.12.2016).
Nachtrag: „Die Bob- und Skeleton-Weltmeisterschaften finden im Februar 2017 am Königssee statt. Das entschied das Präsidium des Weltverbandes IBSF. Dem Olympia-Ort Sotschi waren die Titelkämpfe am 13. Dezember wegen der massiven Dopingvorwürfe gegen Russland entzogen worden“ (Königssee springt für Sotschi ein, in spiegelonline 19.12.2016).
– Deutsche Politiker kritisieren Bachs IOC
„Bundesinnenminister Thomas de Maizière hat IOC-Präsident Thomas Bach aufgefordert, nach den Dopingenthüllungen der Welt-Antidoping-Agentur Wada zu handeln. Der zweite Bericht des Wada-Sonderermittlers Richard McLaren zeige, dass das Ausmaß der Manipulationen von Dopingkontrollen in Russland noch deutlich größer und erschreckender sei als angenommen, sagte de Maizière dem SPIEGEL. ‚Nun sind klare und harte Konsequenzen erforderlich‘. Das IOC müsse endlich erklären, wie der Kampf gegen Doping verbessert werden könne. Die Vorsitzende des Sportausschusses im Bundestag, Dagmar Freitag, kritisierte, Bach sei bisher viel zu zögerlich vorgegangen. Die SPD-Politikerin schloss auch drastische Maßnahmen nicht aus: ‚Ich habe viel Verständnis für die Frage, ob Russland die Fußball-WM entzogen werden sollte.‘ Der CDU-Obmann im Ausschuss, Frank Steffel, forderte, das IOC müsse mit aller Härte gegen Moskau vorgehen, sonst werde die Organisation zum Totengräber des Sports“ (Neukirch, Ralf, Bundesregierung setzt Bach unter Druck, in spiegelonline 17.12.2016).
– DLV-Präsident Prokop greift Bach an
Der Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes, der Jurist Clemens Prokop, hat in einem Beitrag in der FAZ dem IOC-Präsidenten Thomas Bach Rechtsbruch vorgeworfen, weil Bach trotz des erwiesenen russischen Systemdopings russische Sportler bei Rio 2016 zugelassen habe. Prokop bezog sich dabei auf den Paragraphen 59 der Olympischen Charta, der die Suspendierung von Nationalen Olympischen Komitees regelt. Prokop: „Wenn die Werte des Internationalen Olympischen Komitees ernst genommen werden, müsste das NOK Russlands bis zur Lösung seines Doping-Problems vom IOC suspendiert werden, zum Schutz aller betroffenen Athleten und von Fair-Play im Wettkampf“ (DPA, Prokop: Russland müsste vom IOC suspendiert werden, in faz.net 20.12.2016). Prokop bezog sich dabei auch auf den Paragraphen 27, der die Dopingbekämpfung den NOKs überträgt. Dazu kommentierte Thomas Kistner in der SZ: „Dass ein Jurist einem Juristen öffentlich eine Art Rechtsbruch vorwirft, kommt im Sport nicht alle Tage vor. Fast unvorstellbar war bisher, dass so eine Attacke auf den Thronherrn dieser Sportwelt zielen könnte: auf Thomas Bach, den Boss des Internationalen Olympischen Komitees (IOC). (…) Prokop pocht überdies auf Regel 27, die den NOKs die Dopingbekämpfung überträgt: Gar keine Frage, Russlands ROK hat diese Kernaufgabe nicht erfüllt. Bach aber sieht es lieber so, dass letzte Beweise für die Dopingteilhabe des ROK so wenig vorlägen wie dafür, dass Sportminister Mutko gewusst habe, was sein Ministerium trieb. Das sei kaum vorstellbar, sagt Prokop und stellt die Vernunftsfrage: Wie realitätsfern müssen Funktionäre sein, die ‚eine institutionell strukturierte Dopingpraxis in diesem unglaublichen Ausmaß nicht wahrnehmen?‘ Die Russland-Affäre wird immer absurder. Dass Moskau dazu kräftig beiträgt, liegt in der Natur der Sache“ (Kistner, Thomas, Anklage vom Juristen, in SZ 21.12.2016).
– Nach Bob und Skeleton sagt auch Biathlon ab
Die Biathlon-Weltverband IBU erhielt von der Wada eine Liste mit 31 russischen Biathleten und -innen, die dopingverdächtig sind. Die IBU hatte sofort nach Veröffentlichung des zweiten McLaren-Berichts am 9.12.2016 eine Arbeitsgruppe am 12.12.2016 gegründet mit Experten im Bereich Dopingbekämpfung, Medizin, Recht und Ergebnismanagement. Die IBU-Vorstandssitzung am 22.12.2016 in München brachte u. a. als Ergebnis, dass eine formelle Untersuchung durch die IBU gegen die russische Biathlon-Union RBU und 29 im McLaren-Bericht genannten AthletInnen eingeleitet wird. Zwei AthletInnen, Teilnehmer von Sotschi 2014, wurden suspendiert. Die RBU hat die IBU informiert, dass sie die Jugend- und Junioren-WM 2017 (an Ostrov) und der BMW IBU-Weltcup 2017 (Tyumen) zurückgeben wird. IBU-Präsident Anders Besseberg: „Die Erkenntnisse des McLaren-Berichts zeigen schwerwiegende Probleme im russischen Sport und seinem Anti-Doping-Kontrollsystem auf. Die IBU nimmt alle diese Informationen sehr ernst; es ist nun an uns, im Einzelnen herauszufinden, welches Ausmaß dieses Problem im russischen Biathlon hat“ (IBU-Pressemitteilung: Außerordentliche Sitzung des IBU-Vorstandes, in de.biathlonworld.com 22.12.2016). Die Maßnahmen waren allerdings sehr milde: Gegen die RBU und 29 AthletInnen wurden formelle Verfahren und gegen zwei BiathletInnen Disziplinarmaßnahmen eingeleitet; diese wurden vorläufig suspendiert (Mölter, Joachim, Die nächsten Lawinen, in SZ 23.12.2016). – „Der erste Vizepräsident der IBU, der auch Mitglied des Vorstands der Russischen Biathlon-Union ist, hat sich nicht an den Entscheidungen beteiligt“ (Ebenda). Falls sich die IBU entscheide, Athleten zu sperren, soll dies vor der ersten Weltcup-Woche 2017 in Oberhof geschehen (Dopingverdacht gegen 31 russische Sportler, in spiegelonline 15.12.2016).
Die Rückgabe von Ostrov und Tyumen durch die RBU „dürfte allein taktisch motiviert sein, denn so wie sich die Dinge zuletzt entwickelten, wäre ohnehin kaum ein anderer Biathlet dort angetreten“ (Kreisl, Volker, Vergiftete Winterwelt, in SZ 25.12.2016). So sagte der fünfmalige Biathlon-Gesamtsieger Martin Fourcade aus Frankreich: „Ich hoffe, sie haben die Eier, sie zu sperren… Wenn nicht, müssen die Biathleten selbst aktiv werden“ (Hofmann, René, „Wir sind bereit, diese Opfer zu bringen“, in SZ 17.12.2016). Auch die tschechische Spitzenbiathletin Gabriela Koukalova und die gesamte norwegische Mannschaft hatten mit Boykott gedroht (Kreisl 24.12.2016). – „Das Internationale Olympische Komitee IOC hat Doping-Ermittlungen gegen 28 russische Athleten eingeleitet und wird darüber hinaus die Dopingproben aller Olympiateilnehmer von Sotschi 2014, London 2012 und Vancouver 2010 aus Russland erneut analysieren. Das teilte das IOC am Freitag (23.12.2016; WZ) mit“ (IOC ermittelt gegen 28 Athleten, in spiegelonline 23.12.2016).
Dazu Volker Kreisl in einem Beitrag in der SZ: „Die Vertreter des Ski-Zweikampfs stehen im Zentrum des Wintersports, und sie präsentieren sich besonders als harmonischer Clan. Doch nun herrscht Streit in der Familie. Im Biathlon ging es zuletzt nicht mehr um die Sieger eines Rennens, sondern um die Frage, wie man mit dem russischen Staatsdoping umgehen soll. Die Atmosphäre ist vergiftet, beherrscht von Unsicherheit, Misstrauen und Wut gegen die gerade wieder mal plötzlich erfolgreichen russischen Kontrahenten – und gegen den eigenen Weltverband IBU. (…) Wie die IBU, so lobte auch die Fis (Internationaler Skiverband; WZ) den neuen russischen Willen zur Kooperation, auch sie hofft, dass sich nun die Stimmung beruhigt – und auch sie täuscht sich wahrscheinlich. Denn für eine echte Kooperation, also die gemeinsame Aufklärung der Vergiftung der Winterwelt, wäre als Basis die Einsicht vonnöten, dass irgendetwas falsch gelaufen ist. Doch der aktuell beste Biathlet Anton Schipulin, Staffel-Olympiasieger von Sotschi, sagte nur, dass die Dopingvorwürfe politisch motiviert seien, ‚Beschuldigungen ohne jede Beweise‘. (…) Die Gemüter werden sich auch bei den Biathlon-Weltcups in Oberhof, Ruhpolding und wohl auch bei der WM in Hochfilzen/Österreich kaum beruhigen, denn besonders die jüngere russische Biathlon-Geschichte ist eine Geschichte des Dopings. Bei den Spielen in Turin wurde Olga Pylewa gesperrt, 2009, kurz vor der WM in Pyeongchang, war das Doping dann klar systematisch: Die drei aufgeflogenen Sportler nahmen alle den gleichen modifizierten Blutbeschleuniger. Dafür erhielt der Verband eine Strafe von 50 000 Euro, und im Jahr 2014, als abermals die RBU drei Dopingfälle hatte, eine Strafe von 100 000 Euro. Das russische Biathlon-Doping hat eine historische und eine politische Dimension durch die naheliegende Verwicklung in Vertuschung in Sotschi. Es ist nahezu unmöglich, nicht davon überzeugt zu sein, dass staatlich gelenktes Doping vorliegt“ (Kreisl, Volker, Vergiftete Winterwelt, in SZ 24.12.2016).
– Russische Langläufer werden gesperrt
„Der Internationale Ski-Verband FIS hat derweil vorläufig sechs russische Ski-Langläufer gesperrt. Die Namen der betroffenen Athleten, deren Sperre seit Donnerstag (22.12.2016; WZ) in Kraft ist, wurden nicht genannt. Man sei entschlossen, die nötigen Maßnahmen zur Bestrafung möglicher Verstöße zu ergreifen, sagte Fis-Präsident Gian Franco Kasper“ (Ebenda). – „Die russische Skilangläuferin Julia Iwanowa hat eine vorläufige Sperre wegen Doping-Verdachts bestätigt. (…) Der Welt-Skiverband Fis hat sechs russische Langläuferinnen und Langläufer gesperrt, weil sie durch Nachprüfungen unter Verdacht stehen, in Sotschi gedopt zu haben. (…) Der zweite Bericht des Sonderermittlers Richard McLaren für die Welt-Anti- Doping-Agentur Wada enthält die Namen von etwa 1000 russischen Sportlern. Sie sollen in Manipulationen von Dopingproben verwickelt sein“ (DPA, Iwanowa bestätigt Sperre, in SZ 27.12.2016).
– Auch Langläufer wehren sich
Mehr als hundert aktive Skilangläufer, darunter 15 Aktive des DSV und auch vier Russinnen, schrieben an IOC-Präsident Thomas Bach und Fis-Präsident Gian Franco Kasper einen offenen Brief, in dem sie die unzureichenden Konsequenzen aus dem McLaren-Report kritisierten. „Wir finden, dass der Umgang mit dem Nachweis des staatlich geförderten systematischen Dopings im McLaren-Bericht und mit anderen Dopingverstößen rund um die Olympischen Sommerspiele 2016 über mehrere Sportarten hinweg beunruhigend nachsichtig gewesen ist… Dies hat die Glaubwürdigkeit dessen, was es bedeutet, ein olympischer Sportler zu sein, beschädigt. Wir glauben, dass diese Nachsicht nicht zu einer Organisation wie dem IOC passt, das daran arbeiten sollte, den Sport sauberer zu machen. Wir sind auch betroffen über Kommentare der Fis-Führung über Doping in unserem Sport… Wir glauben, dass ein nachsichtiger Ansatz gegenüber Doping es erlaubt, dass Betrug in unserem Sport weiter besteht. Wir fordern für einen sauberen Sport stärkere Führung durch die Fis und das IOC“ (SID, „Glaubwürdigkeit beschädigt“, in SZ 27.12.2016).
– „Athletenvertreterin“ Issinbajewa
„Was ist die Aufgabe exponierter Athletenvertreter in der heutigen Sportwelt? Ganz einfach: Sie sollten versuchen, ‚eine zuverlässige Brücke zwischen Russland und dem IOC zu sein‘. So sagte das vor ein paar Monaten Jelena Issinbajewa. Die war mal als Stabhochsprung-Olympiasiegerin berühmt. Inzwischen ist sie ein Vorzeigegesicht von Wladimir Putins neuem Sportsystem, Aufsichtsratschefin von Russlands Anti-Doping-Agentur Rusada – und Athletenvertreterin im Internationalen Olympischen Komitee mit oben genannter Arbeitsdefinition“ (Aumüller, Johannes, Die Kraft des Kerns, in SZ 28.12.2016).
Von daher sollte Issinbajewa besser als „Putinvertreterin“ deklariert werden.
„Ach, wie schön könnte das Leben als führender Sportpolitiker sein, wenn sich nur alle Sportler derart brav die passenden sportpolitischen Leitsätze zu eigen machen würden. Nur ist es so, dass die Zahl stromlinienförmiger Athletenvertreter à la Issinbajewa deutlich abnimmt. (…) Und in diesen Tagen sind es insbesondere Vertreter verschiedener Wintersportarten, die sich positionieren und so zeigen, welche Kraft sie bisweilen haben können. Zuerst zwang eine Boykott-Drohung lettischer und anderer Bob-Athleten den internationalen Fachverband, die WM aus Sotschi abzuziehen. (…) Russlands Verband kam anderen Konsequenzen zuvor, indem er freiwillig einen Weltcup zurückgab. Nun bitten 104 Langläufer aus zehn Nationen die eigene Weltverbandsführung zum Krisengespräch, weil der Umgang mit Russlands Dopingsumpf ‚über mehrere Sportarten hinweg beunruhigend nachsichtig‘ gewesen sei“ (Ebenda).
– Goldmedaille per Post
Thomas Kistner in der SZ: „Olympische Spiele wandern in den Privatsender Eurosport ab? Was dramatisch klingt, ist eigentlich kaum noch ein Problem. Denn die Spiele sind eh nur mehr Momentaufnahme, eine Illusion fürs Publikum: In Zeiten massivsten Dopings durch einzelne Athleten und ganze Staaten steht erst Jahre später fest, wer welche Medaille gewonnen hat. Gerade rückt die Hochsprung-Siebte von Peking 2008, Ariane Friedrich, auf Rang vier, bei Dopingnachtests flogen drei der Damen vor ihr als Betrügerinnen auf. Noch so ein Pröbchen, und Deutschland hat Bronze. Die Vierte im Gewichtheben von London 2012, Lidia Valentin, kriegt Gold nun per Post nach Spanien geschickt. All das schreckt die Leute ab. Es passt nicht zu den schönen Bildern“ (Kistner, Thomas, In der Nische, in SZ 29.12.2016).
– Kasper: Debatte über Fußball-WM 2018
FIS-Präsident Gian Franco Kasper debattiert anlässlich des russischen Staatsdoping auch über die Fußball-WM 2018 in Russland: „Kasper fragt in der Berliner Zeitung, ob jetzt nicht auch über die Fußball-WM 2018 debattiert werden müsse: ‚Die Diskussion müsste eigentlich noch in Gang kommen.‘ Es könne nicht sein, dass nur die kleineren, nachrangigen Sport-Verbände reagieren – vier internationale Veranstaltungen (Skilanglauf-Weltcupfinale, Eisschnelllauf-Weltcup-Finale, Biathlon-Weltcup, Bob-WM) wurden Russland in diesem Winter bereits entzogen. Zwar steht Russlands Fußball nicht im Zentrum des McLaren-Reports, mehr als 30 Doping-Erwähnungen betreffen jedoch auch die Königsdisziplin“ (Hoeltzenbein, Klaus, Die Drohkulisse, in SZ 29.12.2016).
– „Institutionelle Verschwörung“
„‚Es war eine institutionelle Verschwörung.‘ Diese Worte sind im Zusammenhang mit dem umfangreichen russischen Manipulationssystem schon des Öfteren gefallen. Bemerkenswert war, wer sie dieses Mal benutzte: Anna Anzeliowitsch, Chefin der nationalen Anti-Doping-Agentur Rusada. Am Mittwoch zitierte die New York Times die Funktionärin mit diesem Satz. Bisher hatten Russlands Vertreter ein solches Bekenntnis stets vermieden; nun klang es so, als würden sie endlich einen ohnehin längst dokumentierten Vorwurf eingestehen. Doch nur wenige Stunden nach Publikation des Textes versuchte Moskau, den Ausspruch wieder einzukassieren. (…) Und besonders spektakulär war die Einlassung ohnehin nicht. Denn dass es eine ‚institutionelle Verschwörung‘ gab, ist durch Aussagen des früheren Moskauer Labor-Chefs Grigorij Rodtschenkow sowie McLarens Arbeit ohnehin bekannt und belegt. Demnach waren das Sportministerium, der Geheimdienst FSB, das Kontrolllabor sowie die Rusada, für die Anzeliowitsch in der fraglichen Zeit als Abteilungsleiterin arbeitete, selbst beteiligt. Der Laborchef mixte für ausgewählte Sportler für die Winterspiele 2014 in Sotschi einen Doping-Cocktail. Während der Wettkämpfe tauschte der Geheimdienst Proben gegen saubere aus. Und unter Überwachung des Sportministeriums, insbesondere des Vize-Ministers Jurij Nagornych, wurden Positivtests über Jahre systematisch vertuscht“ (Aumüller, Johannes, Verwirrung um Doping-Geständnis, in SZ 29.12.2016). Anzeliowitsch ist seit Dezember 2015 Rusada-Chefin („Es war eine institutionelle Verschwörung“, in spiegelonline 28.12.2016).
– Russische Politik, russische Sportpolitik
Julian Hans in der SZ zu russischen Tarnmanövern: „Der Eiertanz um die Aussagen der Rusada-Vorsitzenden Anna Anzeliowitsch über die Staatsbeteiligung beim Doping sagt mehr über das Verhältnis des Kremls zum Betrug aus, als es ein klares Geständnis vermocht hätte. (…) Die Panama-Papers enthüllen, dass ein Cellist und Jugendfreund Putins Milliarden aus russischen Staatsunternehmen über Offshore-Konten bewegt? Alles nur eine Kampagne fremder Mächte gegen den russischen Präsidenten! Offshore-Konten sind doch nichts Außergewöhnliches! Stunden nach Vereinbarung einer Feuerpause wird vor Aleppo ein Hilfstransport der Vereinten Nationen beschossen? Wir waren es nicht! (…) Diesmal war es noch nicht mal sensationell, was die Chefin der Anti-Doping-Agentur laut New York Times über Doping in ihrer Heimat gesagt haben soll: ‚Es war eine institutionelle Verschwörung.‘ Das Zitat sei entstellt und aus dem Kontext gerissen, erklärte die Rusada. (…) Gab es also ein Doping-System? Irgendwie schon, aber dann auch wieder nicht, jedenfalls nicht staatlich, jedenfalls wusste der Präsident nichts davon. So hatte das ja auch Anna Anzeliowitsch gesagt. Das Prinzip ist bekannt: Männer in seltsamen Uniformen sind erst Selbstverteidigungskräfte der Krim, dann aber doch irgendwie ein bisschen russische Spezialeinheiten. Von den großen Sportverbänden muss Putin kaum Konsequenzen fürchten. In deren Gremien reden seit Langem Leute mit, die ihm in Dankbarkeit (und Erpressbarkeit?) ergeben sind. Von Fußball bis Fechten gibt es kaum einen Weltverband, in dessen Führung nicht ein Milliardär oder Politiker sitzt, dessen Gedeih und Verderb von seiner Loyalität zum Präsidenten abhängt“ (Hans, Julian, Tarnen, täuschen, dopen, in SZ 29.12.2016).
Richard McLaren hatte wohlweislich zurückhaltend auf das Doping-Geständnis von Anzeliowitsch reagiert: „Das ist Schadensbegrenzung“ (Ermittler McLaren bleibt misstrauisch, in spiegelonline 28.12.2016). – „Gleichzeitig vermutete McLaren, dass mit dem Eingeständnis womöglich weitere Untersuchungen verhindert werden sollen“ (Ebenda).
– US-Dopingfahnder Travis Tygart zum russischen Staatsdoping
Travis Tygart ist Chef der US-Anti-Doping.Agentur Usada und überführte 2012 den Radrennfahrer Lance Armstrong. Im Spiegel-Interview sagte er zum russischen Dopingsystem, er hätte sich nicht dessen Niveau und dessen Zeitraum vorstellen können: „Die Russen waren in der Lage, versiegelte Urinproben aufzubrechen, ohne dass es jemand merkt, unsaubere gegen saubere auszutauschen oder ganz verschwinden zu lassen. Unglaublich.“ – Zur „Nulltoleranzpolitik“ von IOC-Präsident Thomas Bach: „Aus Nulltoleranz wurde Toleranz für Staatsdoping, aus der Drohung harter Konsequenzen sind gar keine Konsequenzen geworden.“ Tygart plädierte dafür, die russischen Sportler von internationalen Wettbewerben auszuschließen „und zwar so lange, bis sich das Land wieder an die Regeln des Anti-Doping-Codes hält“. – Das russische Staatsdoping funktionierte von oben nach unten: „Es gab Befehle: Ihr nehmt diese und jene Mittel, sonst werdet ihr aus dem Kader geschmissen.“ Zur Sperre der Whistleblowerin Julia Stepanowa für Rio 2016 durch das Bach-IOC: „Wäre sie dabei gewesen, wäre das ein Signal an alle Sportler in der Welt gewesen: Steht auf! Sagt, was ihr wisst! Es war eine verpasste Chance.“ (Alle Zitate: Eberle, Lukas, Hacke, Detlef, „Steht auf! Sagt, was ihr wisst!“ in Der Spiegel 52/23.12.2016).
Genau deshalb drückte ja Bach die Starterlaubnis für die russischen Sportler und die Sperre für Stepanowa durch: um den Athleten weltweit zu zeigen, dass Staatsdoping durchgeht und Whistleblower keine Chance haben im verrotteten IOC-Sport.
– McLaren-Report zwiespältig
Für Johannes Aumüller und Thomas Kistner hat der McLaren-Report zwei Seiten: „Verdienstvoll ist die Kärrnerarbeit, die einen mit staatlicher Akribie kompilierten Pharmabetrug offenlegt und endlose Belege für Doping und Dopingvertuschung im russischen Sport präsentiert. Mehr als 1000 Athleten profitierten demnach davon. Die ersten Wintersportler sind schon suspendiert, mehr Athleten werden folgen, Ergebnislisten von Olympischen Spielen müssen umgeschrieben werden. Die Enthüllungen sind so ungeheuerlich, dass weltweit erstmals sogar die Athleten – bisher das schwächste und faktisch willenlose Glied in der Verwertungskette des Kommerzsports – heftig protestieren. Daneben gibt es eine andere Seite. Sie geht, ob all der Aufgeregtheit, bisher eher unter: Der Report kreiert diskret ein Raster, mit dessen Hilfe die Sportmacht Russland und seine traditionellen Verbündeten im Internationalen Olympischen Komitee (IOC) recht kommod durch die nächsten Monaten steuern können. Trotz der klaren Belege, der vernichtenden Detailfülle. Womöglich ist das der Grund, warum der IOC-Chef Thomas Bach McLaren nach der Präsentation so lobte. (…) Das betrifft als Erstes die Kernfrage nach der Rolle des Staates. Interessanterweise sprach McLaren im ersten Report von einer staatlichen Steuerung. Im zweiten, der noch viel mehr Pharma-Unrat transportiert, rudert der Chefermittler plötzlich zurück. Es konstatiert ausdrücklich nur noch eine ‚institutionelle Verschwörung‘, an der, Achtung, Sportministerium, der Geheimdienst FSB, Kontrolllabor und Anti-Doping-Agentur beteiligt waren. ‚Ich habe die Terminologie gewechselt. Ich benutze jetzt nicht mehr das Wort staatlich‘, erklärte er jüngst“ (Aumüller, Johannes, Kistner, Thomas, Dunkle Seiten, in SZ 30.12.2016). Als weitere Besonderheit benennen Aumüller und Kistner den Eiertanz um das Nationale Olympische Komitee Russlands: „Die angebliche Reinheit dieses Gremiums im Zentrum allen Sports diente dem IOC dazu, das russische Team unter russischer Flagge in Rio starten zu lassen; zum Entsetzen der internationalen Sportwelt und der Anti-Doping-Kämpfer. Der Dreh: Das ROK sei nicht am Dopingkonstrukt beteiligt gewesen. Das war eine höchst eigenwillige Bewertung von McLarens erstem Report, zumal Vize-Minister Nagornych Teil des NOK war. Bericht zwei fiel auch diesbezüglich zurückhaltender aus, es gebe ‚keine Beweise‘, dass das Gremium involviert war. Dem IOC steht die Argumentationskette also weiter zur Verfügung – etwa, wenn es um die Winterspiele 2018 in Korea geht“ (Ebenda).
– Die „Ziege“ Alexander Legkow
„Wer schon immer einmal in die Tiefen des russischen Dopingmorastes eintauchen wollte, dem sei die Internetseite www.ipevidencedisclosurepackage.net empfohlen (Russischkenntnisse sind von Vorteil). Der Kanadier Richard McLaren breitet dort 1166 Dokumente aus, E-mails, forensische Gutachten, mehr als 1000 Athleten, die vom jahrelangen Systemdoping profitierten. Allerdings sind die scharfen Konturen des Betrugs selten ausgemalt, viele Namen sind verschlüsselt. Nur an wenigen Stellen sind Fährten gelegt, warum auch immer. Eine der Fährten führt zum Skilangläufer Alexander Legkow. ‚Sie haben die dumme Ziege Legkow gerettet,‘ schreibt Grigorij Rodschenkow in einer der Mails; jener ehemalige Laborleiter, der im Epizentrum des Systemdopings agierte und es im vergangenen Sommer in der New York Times freilegte. (…) In diesem Zusammenhang ist von einer Positivprobe die Rede, sie wurde am 28. März 2014 genommen, bei den russischen Meisterschaften. In der Probe wurde Budesonid gefunden, es ist oft in Asthmamitteln enthalten. Der betroffene Athlet wird in der E-mmail als A0467 geführt. Diese Kennung taucht mehrmals in McLarens Datenbanken auf, unter anderem in einem ‚State Program‘ für Sotschi. Athlet A0467 wurde dort mehrmals auf Blut und Urin getestet, auch am Tag des Massenstarts über 50 Kilometer. Laut einer weiteren Liste gewann dieser Athlet dabei Gold. Der Sieger damals hieß: Legkow“ (Knuth, Johannes, Cocktails für die Ziege, in SZ 2.1.2017).
– IAAF und russische Sportler
Der Leichtathletik-Weltverband IAAF will russischen Sportlern 2017 ein internationales Startrecht ermöglichen: „Damit sie unter neutraler Flagge an Wettkämpfen teilnehmen dürfen, müssen die Sportler einen umfangreichen Fragenkatalog beantworten, um nachzuweisen, dass sie von dem laut McLaren-Report staatlich verordneten Doping in ihrer Heimat nicht betroffen waren“ (SID, Fragenkatalog für die Russen, in SZ 4.1.2017). Die IAAF hat von den Ermittlern um Richard McLaren die Namen von 200 russischen Athleten erhalten, die Teil der Doping-Maschinerie ihres Landes gewesen sein sollen. „Die IAAF unter dem Vorsitz ihres Präsidenten Sebastian Coe hat mittlerweile 50 russische Athleten in ihren sogenannten IRT-Pool aufgenommen. Diese Sportler sind bereits in den vergangenen Monaten unter Aufsicht des Weltverbandes mehrfach getestet worden, ihre Proben wurden außerhalb von Russland untersucht. (…) Derweil hält die IAAF weiter an der Sperre für den russischen Verband fest, da die Fortschritte im Anti-Doping-Kampf nicht groß genug seien“ (Ebenda).
– Nados fordern Ausschluss von Russland
„Die Replik aus Moskau ließ nicht lange auf sich warten. Die Anti-Doping-Agenturen sollen bitteschön in ihren Ländern den Urin einsammeln und sich ansonsten aus der Politik raushalten. So hat das Witalij Mutko formuliert, Russlands mächtiger und inzwischen zum Vize-Premier aufgerückter Sportfunktionär. Derartige Unflätigkeiten des Apparatschiks sind keine Seltenheit, in diesem Fall liegen sie in zwei Forderungen begründet, die 19 nationale Anti-Doping-Agenturen (Nados) aus vorwiegend westlichen Ländern nach einem Treffen schriftlich festhielten. Erstens: alle russischen Verbände unbefristet von den sportlichen Wettbewerben auszuschließen und höchstens einzelne Athleten unter neutraler Flagge starten zu lassen. Zweitens: Russland alle bereits zugeschlagenen Großereignisse zu entziehen, auch die Fußball-WM 2018. Bis sich im Land wirklich etwas geändert hat im Bewusstsein und im Kampf gegen Doping. (…) Aber der klassische sportpolitische Kern um das Internationale Olympische Komitee (IOC) und zahlreiche Spitzenverbände geht einen anderen Weg. Ja, ein paar Veranstaltungen wie die Bob-WM sind Russland entzogen worden, aber ihr Prinzip lautet: Das russische Sportsystem und der russische Staat werden weitgehend verschont und das Dopingproblem auf die einzelnen von McLaren identifizierten Athleten heruntergebrochen. Circa drei Dutzend Langläufer, Biathleten, Skeletonis wurden so bereits suspendiert“ (Aumüller, Johannes, Kratzspuren im System, in SZ 12.1.2017).
– „Lernprozess“ in Russland: Bewerbung um 2028
„Trotz des massiven Dopingskandals schließt Russland eine Bewerbung um die Olympischen Sommerspiele 2028 nicht aus. ‚Warum nicht? Ich denke, es ist auf jeden Fall möglich, es zu versuchen‘, sagte der Chef des Nationalen Olympischen Komitees (NOC), Alexander Schukow, der Agentur Ria Nowosti in Moskau. Mögliche Bewerber könnten die Millionenstädte St. Petersburg oder Kasan sowie der Schwarzmeer-Kurort Sotschi sein, sagte er. Wegen Vorwürfen staatlich gelenkten Dopings steht Russland in der Kritik. Bei den Sommerspielen in Rio de Janeiro 2016 waren die russischen Leichtathleten deswegen gesperrt“ (Russland erwägt Olympia-Bewerbung für 2028, in spiegelonline 13.1.2017).
Und IOC-Präsident Thomas Bach – in Treue fest zu Wladimir Putin -, wird dafür sorgen, dass es mit 2028 klappt. Entscheiden wird das IOC 2021: Da ist Bach gerade seine erste Periode im Amt. Die zweite dauert vier Jahre – bis 2015. Falls ihm nicht noch ein Trick einfällt. Bachs Freund Putin, der 2018 mit Sicherheit noch einmal als russischer Staatspräsident antreten (und es natürlich auch werden) wird, ist bis 2024 im Amt. Falls ihm nicht noch eine Wahl ermöglicht wird. weil er unabkömmlich ist. Oder den islamischen Terror bekämpfen muss. Oder ein Land bombardiert werden muss…
– Dokumentationsfilm „Icarus“ mit Grigori Rodschenkow
Am 20.1.2017 wird beim Sundance-Filmfestival die Dokumentation des US-Filmemachers Bryan Fogel gezeigt, der drei Jahre lang die Hintergründe des russischen Dopingsystems verfolgte. Von 2006 bis 2015 leitete Rodschenkow Moskaus Anti-Doping-Labor. „Als die Welt-Anti-Doping-Agentur Wada Ende 2015 Russland vorwarf, mehr als 1400 Proben vernichtet zu haben, musste er seinen Platz als Laborleiter räumen“ (DPA, Nervosität im Kreml, in SZ 16.1.2017). Im Januar 2016 setzte er sich in die in die USA ab. Rodschenkow wird in Fogels Film Aussagen zum russischen Staatsdoping machen (DPA, Nervosität im Kreml, in SZ 16.1.2017). – „In der Dokumentation Icarus, die am Freitag beim Sundance-Filmfestival in Utah Premiere feierte, gab der frühere Chef des Moskauer Dopinglabors, Grigori Rodschenkow, zu, 30 russische Medaillengewinner bei Olympia in Peking 2008 sowie mindestens die Hälfte der 72 Medaillengewinner 2012 in London gedopt zu haben. Auch deutete der in die USA geflohene einstige Chefalchimist des Russen-Sports an, er sei 2011 nur dank Putin im Amt geblieben. Auf dessen Anweisung hin sei damals eine Ermittlung wegen des Handels mit Dopingstoffen gegen ihn abgeblasen worden. Rodschenkow blieb Laborchef, er behauptet: ‚Putin hat mich angefragt.'“ (Kistner, Thomas, Hörmann für Sperre bei Olympia, in SZ 23.1.2017). Dazu berichtete die ARD am 22.1.2017 von einem neuen russischen Whistleblower: er „widerlegt mit Bildbeweisen die Mär vom russischen Reformwillen; zumindest im ohnehin suspendierten Leichtathletik-Verband RUSAF. Mittelstreckenläufer Andrej Dmitrijew filmte heimlich den weltweit gesperrten Coach Wladimir Kasarin dabei, wie er russische Top-Athleten betreut. (…) Falls das Video tatsächlich Kasarin zeige, habe RUSAF die Kriterien für die Wiederzulassung verletzt, sagt IAAF-Generaldirektor Olivier Gers. (…) Dabei halten die großen Bruderverbände, IOC und Fußball-Weltverband Fifa, weiter in Treue fest zu Russland. Dass ihre Kameradschaftsphilosophie des Aussitzens und Zerredens auch bei nachrangigen Verbänden treu gepflegt wird, liegt auf der Hand. Soeben stellte der Biathlon-Weltverband IBU 22 der 29 Dopingverfahren gegen russische Sportler ein; gesperrt wurden nur zwei Athletinnen. Am Wochenende machten jetzt die enttäuschten Sportler selbst Druck – und die IBU einen Salto rückwärts. Noch vor der WM in Hochfilzen Mitte Februar soll es einen Sonderkongress geben. Bis dahin dürften die Funktionäre einen neuen Dreh finden, um dem höchsten Gerechtigkeitsideal von Bach, Putin und – die Wette sei offeriert – bald auch Donald Trump Geltung zu verschaffen“ (Ebenda; Hervorhebung WZ).
– Aberkannte Olympische Medaillen bei Olympischen Sommerspielen: Russland liegt vorn
(Autoritäre Staaten fett)
Athen 2004: 8 x Gold, 2 x Silber, 5 x Bronze (Russland 3, Ungarn 3, Weißrussland 2, Ukraine 2, USA 2, Deutschland, Irland, Griechenland je 1)
Peking 2008: 7 x Gold, 17 x Silber, 17 x Bronze (Russland 11, Weißrussland 6, Kasachstan 5, Ukraine 4, China 3, Nordkorea 2, Schweden, Italien, Norwegen, Bahrain, Türkei, Armenien, Kuba, Usbekistan, Griechenland, Aserbaidschan je 1)
London 2012: 7 x Gold, 7 x Silber, 7 x Bronze (Russland 6, Kasachstan 4, Weißrussland 3, Ukraine 2, Moldawien 2, Türkei, USA, Usbekistan, Armenien je 1; Nachtests dauern noch an)
Rio 2016: bis jetzt 2 x Bronze (Kirgisistan, Moldawien; Nachtests dauern noch an)
Quelle: Wie gewonnen, so zerronnen, in Der Spiegel 3/14.1.2017
Nachtrag: „Ebenfalls bei Nachtests von Peling überführt wrde die Weit- und Dreispringerin Tatjana Lebedewa. Die Russin gewann 2008 in beiden Disziplinen jeweils Silber – und muss nun beide Medaillen abgeben“ (SID, Bolt verliert das Triple-Triple, in SZ 26.1.2017).
– Deutsche Biathletin übt sportpolitische Kritik
Die deutsche Biathletin Laura Dahlmeier forderte angesichts des russischen Dopingskandals forderte in Antholz Maßnahmen des Biathlon-Weltverbands IBU vor der Weltmeisterschaft im Februar 2017. „‚Auch um einfach der Welt zu zeigen, wir Biathleten sind für einen sauberen Sport – und auch die IBU steht voll hinter uns‘, sagte die 23-Jährige am Donnerstag dem ZDF. ‚Wir möchten jetzt konsequente Handlungen, am besten noch vor der WM.’Am Samstag trifft sich am Rande des Biathlon-Weltcups in Antholz der IBU-Vorstand, danach soll es eine Pressekonferenz geben. (…) Nachdem im zweiten McLaren-Report im Auftrag der Welt-Anti-Doping-Agentur Wada zu Staatsdoping in Russland 31 russische Skijäger genannt worden waren, rumort es in der Biathlon-Szene. Bisher sind die zurückgetretene Olga Wiluchina und Jana Romanowa von der IBU vorläufig gesperrt worden. Gegen 29 namentlich nicht bekannte Russen und den Verband laufen Untersuchungen“ (DPA, SZ; SID, Dahlmeier siegt und kritisiert, in SZ 20.1.2017). – „Bislang hat sich die IBU in Sachen Anti-Doping-Kampf nicht unbedingt mit Ruhm bekleckert, er hat trotz der Erkenntnisse des McLaren-Reports über gezieltes russisches Doping im Biathlon erst zwei Athleten gesperrt, obwohl in dem Report 31 Sportler belastet werden. Die Verfahren gegen 22 Sportler sind bereits wegen Mangels an Beweisen eingestellt worden. (…) Frankrei