Es ist also erst einmal begrüßenswert, dass der europäische Leichtathletik-Verband EAA sich der verseuchten Historie stellt und nun das plant, womit der deutsche Verband vor 17 Jahren gescheitert war: einen Rekord-Neustart, zum 1. Januar 2018. Dieser würde sämtliche alten Taten in eine historische Liste überführen, eine Quarantäne. 12.11.2015, aktualisiert 5.5.2017
Vergleiche auch: Doping Russland (1): IAAF etc.; Doping Russland (III): Laborleiter von Sotschi 2014 packt aus
Die Entwicklung im Internationalen Leichtathletik-Verband IAAF überschlug sich im November 2015, kurz vor und nachdem Richard Pound und seine Kollegen Richard McLaren und Günter Younger ihren im Auftrag der World Anti-Doping Agency (Wada) entstandenen Abschlussbericht zum russischen Staats-Dopingsystem mit 335 Seiten vorstellten, der aufgrund des WDR-Films von Hajo Seppelt und Kollegen entstanden ist. (Richard Pound war IOC-Mitglied und Präsident der Wada; Prof. Richard H. McLaren ist Mitglied des Internationalen Sportgerichtshofes Cas; Günter Younger ist Kriminaldirektor im bayerischen LKA. Zum Report mit 335 Seiten: hier)
Angeklagt: Lamine Diack
Der seit 1999 und bis August 2015 amtierende Präsident des Leichtathletik-Weltverbandes IAAF, Lamine Diack, ist von den französischen Justizbehörden angeklagt worden. (Der IAAF residiert in Monaco.) Die IAAF wurde unangemeldet am 9.11.2015 in Anwesenheit ihres Präsidenten Sebastian Coe von französischen Ermittlungsbehörden durchsucht und Unterlagen sichergestellt.
Diack wird Bestechlichkeit und Geldwäsche vorgeworfen. untersuchten am 9.11.2015 die Liegenschaften der IAAF. Das französische Ermittlungsverfahren betrifft “Korruption, Hehlerei, bandenmäßige Geldwäsche und Bildung einer kriminellen Vereinigung, welches zu der Durchsuchung und den Festnahmen am Dienstag führte” (Reinsch, Michael, Lichterlohe Flammen in der Leichtathletik, in faz.net 5.11.2015).
„Die Wada-Ermittler seien auf ein ‚Mafia-ähnliches Geflecht‘ gestoßen, aufgezogen von Diack und seinen Söhnen. Das Anti-Doping-Ressort der IAAF habe weniger der Aufklärung gedient, sondern als Geschäftsmodell, mit dem sich die Familie Diack bereichert haben soll, mit Dollé als Teilhaber.
Die Diack-Söhne Papa, jahrelanger Marketingberater der IAAF, und Khalid sowie der Anwalt Cissé wurden in einem Fall angeblich mit einer Liste gedopter russischer Athleten beim russischen Verband vorstellig, kurz vor den Olympischen Spielen 2012. Es begann ein Spiel aus Erpressungen und Deals. Manche Athleten kauften sich über den russischen Verband frei. (…) Diack senior soll ‚mehr als eine Million Euro‚ damit erlöst haben, positive Dopingproben zu vertuschen. Und auch Sohn Papa Diack sei wegen seiner ‚aktiven Rolle‘ zur Fahndung ausgeschrieben“ (Knuth, Johannes, Erpressung über die Söhne, in SZ 7.11.2015; Hervorhebung WZ). Diack wurde gegen Zahlung einer Kaution in Höhe von 500.000 Euro freigelassen; er musste seinen Pass abgeben und darf Frankreich nicht verlassen. Diacks Anwalt Habib Cissé wurde ebenfalls angeklagt: Beide wurden festgenommen und auf Kaution freigelassen. Auslöser war zunächst die Enthüllung des russischen Dopingsystems im Herbst 2014 durch WDR und Sunday Times. „Im August 2015 war die IAAF erneut in die Negativschlagzeilen geraten. Laut Medienberichten habe der Verband die Veröffentlichung einer vor der WM 2011 durchgeführten anonymen Athletenbefragung aktiv blockiert. In der Studie hatten knapp ein Drittel der Teilnehmer angegeben, in den zwölf Monaten vor der WM in Daegu gedopt zu haben“ (Diack wird wegen Korruption angeklagt, in spiegelonline 4.11.2015). – „ARD und die britische Zeitung Sunday Times hatten auch recherchiert, dass seit 2001 ein Drittel aller Medaillengewinner auf den Mittel- und Langstrecken verdächtige Blutproben abgeben hatten, ohne dass die IAAF reagiert hätte. Vor der Leichtathletik-WM in Peking im August 2015 wurden dann 28 Athleten rückwirkend gesperrt, weil nachträglich festgestellt wurde, dass in ihren bei den Titelkämpfen 2005 und 2007 abgegebenen Proben verbotene Mittel enthalten waren“ (Knuth, Johannes, Mölter, Jürgen, Diack unter Anklage, in SZ 5.11.2015). Der Nachfolger Diacks als IAAF-Präsident, der Brite Sebastian Coe, hatte sich über die ARD-Recherchen in Peking noch lustig gemacht.
Diack wird der Korruption und Geldwäsche beschuldigt: Er soll über eine Million Dollar vom russischen Leichtathletikverband angenommen haben, um mindestens sechs russischen Athleten einen Start bei den Olympischen Sommerspielen 2012 in London zu erlauben, die wegen Dopings gesperrt werden sollten. Diack wurde gegen Zahlung einer Kaution in Höhe von 500.000 Euro freigelassen; er musste seinen Pass abgeben und darf Frankreich nicht verlassen. Die IAAF wurde unangemeldet in Anwesenheit ihres Präsidenten Sebastian Coe durchsucht und Unterlagen sichergestellt. Und wer nicht bezahlte, flog auf: „So wie es laut französischen Medien der türkischen Läuferin Asli Cakir Alptekin, Olympiasiegerin über 1500 Meter von London, passiert sein soll. Diack und sein Sohn sollen von ihr im November 2012 500.000 Euro verlangt haben, schreibt die Zeitung ‚Lyon Capitale‘ Weil Alptekin sich weigerte, wurde ihr Dopingtest öffentlich gemacht. Die Türkin wurde für acht Jahre gesperrt“ (Ahrens, Peter, Ganz tief im Sumpf, in spiegelonline 9.11.2015).
Auslöser war zunächst die Enthüllung des russischen Dopingsystems im Herbst 2014 durch WDR und Sunday Times. “Im August 2015 war die IAAF erneut in die Negativschlagzeilen geraten. Laut Medienberichten habe der Verband die Veröffentlichung einer vor der WM 2011 durchgeführten anonymen Athletenbefragung aktiv blockiert. In der Studie hatten knapp ein Drittel der Teilnehmer angegeben, in den zwölf Monaten vor der WM in Daegu gedopt zu haben” (Diack wird wegen Korruption angeklagt, in spiegelonline 4.11.2015). – “ARD und die britische Zeitung Sunday Times hatten auch recherchiert, dass seit 2001 ein Drittel aller Medaillengewinner auf den Mittel- und Langstrecken verdächtige Blutproben abgeben hatten, ohne dass die IAAF reagiert hätte. Vor der Leichtathletik-WM in Peking im August 2015 wurden dann 28 Athleten rückwirkend gesperrt, weil nachträglich festgestellt wurde, dass in ihren bei den Titelkämpfen 2005 und 2007 abgegebenen Proben verbotene Mittel enthalten waren” (Knuth, Johannes, Mölter, Jürgen, Diack unter Anklage, in SZ 5.11.2015).
Aus einem Kommentar von Claudio Catuogno in der SZ: „Man kann zum Beispiel vieles gegen Sepp Blatter vorbringen, aber der Weltfußballpatriarch hat nach allem, was man weiß, nie seine Söhne losgeschickt, um von positiv getesteten Fußballern Geld abzupressen. Wie auch – wo es Doping im Fußball ja gar nicht gibt! Und wo Blatter ja auch gar keine Söhne hat! Da hatte es der Weltleichtathletikpatriarch Lamine Diack mit den russischen Spritzensportlern natürlich deutlich einfacher. In Diacks Welt – auch so ein Thema dieser Woche – galt über Jahre offenbar eine Art Anti-Doping-Gesetz, das in seiner mafiösen Schlichtheit auf einen Bierdeckel passt: Geld her, Positivtest weg“ (Catuogno, Claudio, Zwielicht-Gestalten, in SZ 14.11.2015).
Lamine Diack, Habib Cissé, Gabriel Dollé ohne Reisepässe
“Einer der größten Sportfachverbände der Welt taumelt seiner bislang wohl größten Krise entgegen. Ermittler einer unabhängigen Kommission der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) tauchten laut einem Bericht des britischen Guardian bereits im Juni in der IAAF-Zentrale auf. Was sie an Dokumenten hoben, war offenbar derart ergiebig, dass die Wada die Ermittler von Interpol informierte. (…) Diack soll demnach positive Dopingfälle versenkt und dafür 200 000 Euro kassiert haben, mindestens. Das meiste Geld floss offenbar aus Russland. Ein Fall soll die Marathonläuferin Lilija Schobuchowa betreffen, sie soll russischen Funktionären 450 000 Euro bezahlt haben, um Dopingtests verschwinden zu lassen. (…) Was wiederum jene ARD-Enthüllungen bestätigen würde, wonach Doping in der russischen Leichtathletik lange systematisch gefördert und gedeckt wurde, mit dem Weltverband als Komplizen” (Beweise in Ton und Bild, in SZ 6.11.2015). – “Zur Vertuschung positiver Doping-Proben sollen auch zwei spätere Olympia-Medaillengewinner von London Bestechungsgelder an die Führung des Leichtathletik-Weltverbands IAAF gezahlt haben” (Olympiasieger soll für Vertuschung gezahlt haben, in spiegelonline 8.11.2015). Acht russische Athleten sollen sich mit hohen Summen freigekauft haben und waren dann bei den Sommerspielen 2012 am Start: Ein “Sportler” wurde Olympiasieger, einer gewann Silber (Harris, Nick, Kelner, Martha, Draper, Rob, Corruption on a whol new scale: A social report into widespread doping and subsequent cover-ups in athletics, in mailonsunday.com 8.11.2015).- “Im Zentrum der Korruptionsaffäre steht der frühere IAAF-Präsident Lamine Diack. Die französische Justiz hat den Senegalesen wegen Bestechlichkeit und Geldwäsche angeklagt. Der 82-Jährige soll in seiner Amtszeit nach Angaben der französischen Staatsanwaltschaft mehr als eine Million Euro kassiert haben, um positive Dopingproben zu vertuschen. Auch sein Anwalt Habib Cisse wurde angeklagt. Zudem sind der einstige Leiter der Anti-Doping-Abteilung der IAAF, Gabriel Dolle, und Diacks Sohn Papa Massata ins Visier der Justiz gerückt. (…) Der IAAF-Skandal dürfte auch im Mittelpunkt der Veröffentlichung des Berichts einer unabhängigen Kommission der Welt-Anti-Doping-Agentur WADA am Montag in Genf stehen. Dort sollen Ergebnisse der Ermittlungen über angeblich flächendeckendes Doping in Russland vorgestellt werden. ‘Dieser Bericht wird den Sport verändern. Das ist ein völlig anderes Ausmaß der Korruption als der Fifa-Skandal’, sagte Richard McLaren, Mitglied der WADA-Kommission” (Olympiasieger soll für Vertuschung gezahlt haben, in spiegelonline 8.11.2015).
Sebastian Coe hatte “keine Ahnung”
IAAF-Präsident Sebastian Coe zum Doping-Skandal um Lamine Diack und wem auch immer in der Leichtathletik: “Das sind dunkle Tage für unseren Sport” (“Dunkle Tage”, in nzz.ch 8.11.2015). ”Die jüngsten Vorwürfe seien ‘widerlich’, sagte Coe. Von Erpressung habe er, der acht Jahre bei Diack als Vizepräsident in die Lehre gegangen war, ‘keine Kenntnis’” (Knuth, Johannes, “Widerlich”, in SZ 9.11.2015).
Coe, der Nachfolger Diacks als IAAF-Präsident, hatte sich über die ARD-Recherchen in Peking noch lustig gemacht: Angesichts der Doping-Enthüllungen von WDR und Sunday Times in der Leichtathletik im Vorfeld der Leichtathletik-WM 2015 schimpfte Coe über “selbsternannte Experten” und sprach von einer “Kriegserklärung an meinen Sport” (Knuth, Johannes, “Eine Kriegserklärung”, in SZ 6.8.2015).
Fragt sich, wer hier dem Sport den Krieg erklärt hat.
Und das IOC?
„Das IOC hält fest, dass die Gründe für diese Untersuchung sich auf Handlungen beziehen, die in der Vergangenheit liegen“ (Leicester, John, Former IAAF head investigated in Russia doping probe, in AP 4.11.2015).
Warum interessiert sich das IOC nicht für die Gegenwart – oder gar für die Zukunft?
– „Aufgrund seiner Null-Toleranz-Politik gegen Doping wird das IOC alle notwendigen Maßnahmen und Sanktionen einleiten…“ (IOC entzieht Diack die Ehrenmitgliedschaft, in spiegelonline 10.11.2015).
Hahaha. Doping ist – wie im aktuellen IAAF-Skandal – immer erst dann für das IOC ein Problem, wenn Doping offenkundig ist, bewiesen und an die Öffentlichkeit gelangt ist.
Das IOC-Ehrenmitglied Diack
Da improvisiert das außer Tritt geratene IOC in seiner Mitteilung: “Mit Bezug auf die polizeilichen Ermittlungen gegen den ehemaligen IAAF-Präsidenten Lamine Diack hat das IOC-Ethik-Komitee heute empfohlen, Diacks Ehrenmitgliedschaft provisorisch zu annullieren” (“Radsport abgelöst”, in SZ 10.11.2015; Hervorhebung WZ). Gleichzeitig wird nicht gegen Diack persönlich ermittelt: „Außerdem ermittle die IAAF-Ethikstelle gegen die Beschuldigten. Bis auf Diack senior. Coes geistiger Präsident steht unter Schutz, so lange wie möglich“ (Knuth, Johannes, „Widerlich“, in SZ 9.11.2015; Hervorhebung WZ).
Wada-Report fordert Ausschluss Russlands
Am 9.11.2015 veröffentlichte die Wada-Untersuchungskommission den Report von Richard Pound, Richard McLaren und Günter Younger zum WDR-Film über das Doping-System in Russland (zum Report mit 335 Seiten: hier). “Und jetzt berichtete Pound, das alles noch viel schlimmer sei, er erzählte von ‘Korruption und Schmiergeld-Praktiken auf höchster Ebene in der Welt-Leichtathletik. (…) Als Begründung zog Pound den Tatbestand des ‘staatlich gestützten Dopings’ heran. (…) Die Ermittler ordneten viele Akteure aus der ARD-Dokumentation der Betrugsseite zu, sie fügten sogar weitere Darsteller dazu, die zeigten, wie tief das Betrugssystem in Russland Wurzeln geschlagen hat. Im Verband habe eine ‘Kultur des Betrügens’ geherrscht, die teils bis heute andauere. Gregory Rodschenkow, Chef des von der Wada akkreditierten Anti-Doping-Labors in Moskau, soll insgesamt 1417 Dopingproben zerstört haben. Ein zweites, baugleiches Labor habe offenbar dazu gedient, Dopingproben vorzutesten; die Kontrolleure ließen positive Proben verschwinden, negative reichten sie an die offiziellen Testbehörden weiter” (Knuth, Johannes, Russlands Leichtathletik droht Ausschluss, in SZ 10.11.2015; Hervorhebung WZ).- “Pounds Kommission sollte ein paar Monate später feststellen, dass es neben dem Wada-akkreditierten Labor in Moskau noch ein zweites gibt, das über die gleichen Apparate und wissenschaftlichen Kenntnisse verfügt. Mutmaßlich wurden dort Urinproben von gedopten Athleten Vorkontrollen unterzogen. Waren sie sauber, gingen sie weiter an das offizielle Labor” (Geisser, Remo, Schweinestall Leichtathletik, in nzz.ch 9.11.2015). Richard Pound zur Involvierung des russischen Staates: “Ich glaube nicht, dass es irgendeine andere mögliche Schussfolgerung gibt. Sie können es nicht nicht gewusst haben” (Rilke, Lukas, Das große Ausmisten, in spiegelonline 10.11.2015; Hervorhebung WZ).
Das russische Staats-Doping
„Sergej Portugalow, einst Chefarzt der Leichtathleten, sicherte den Nachschub an Dopingmitteln, manche Athleten behandelte er persönlich. Dirigiert wurde das System von Gregory Rodschenkow, dem Leiter des Moskauer Kontroll-Labors. Rodschenkow soll sich einmal wöchentlich mit Agenten des Geheimdienstes FSB getroffen haben, um über die ‚Laune der Wada‘ Bericht zu erstatten. Er soll auch mehr als 1400 Proben vernichtet und Athleten erpresst haben, um Dopingtests verschwinden zu lassen“ (Knuth, Johannes, Der Patient wehrt sich, in SZ 11.12.2015; Rodschenkow trat am 11.11.2015 zurück).
Witali Mutko diffamiert Pound
Der russische Sportminister Mutko spielte die Bedeutung der französischen Untersuchung herunter und sagte der Tass, dass das alte Management ausgetauscht wurde. Mutko: “Bei uns gibt es Doping-Probleme wie im Rest der Welt auch” (“Dunkle Tage”, in nzz.ch 8.11.2015).
Bezahlte der Rest der Welt wirklich auch an Diack & Co und die IAAF, um ertappte Dopingsünder freizukaufen?‘
„Mutko ging schnell zum Gegenangriff über. Pounds Aussagen seien durch den Bericht nicht gedeckt. ‚Pound hat seine Kompetenzen überschritten und seine persönlichen Schlüsse gezogen‘, sagte Mutko. Auf die Arbeit der Dopingkontroll-Labore im Land habe er keinen Einfluss, zudem sei es ‚unmöglich, irgendetwas zu verstecken. Alle Daten werden von der Wada überwacht.‘ Die Welt-Anti-Doping-Agentur sieht das gänzlich anders, am Dienstag entzog sie dem Dopingkontroll-Labor in Moskau vorläufig die Akkreditierung, dort dürfen nun weder Urin- noch Blutproben analysiert werden. Es hätte diesen Beweis nicht gebraucht, um klar zu machen, dass die Wada nichts auf Mutkos Wort gibt. Sie hat ihre Gründe. Seit 2008 ist der 56-Jährige Sportminister des Landes, seit 2009 auch Mitglied der Fifa-Exekutive, was ja in diesen Tagen auch nicht unbedingt ein Siegel für uneingeschränktes Vertrauen ist“ (Rilke, Lukas, Das große Ausmisten, in spiegelonline 10.11.2015). – „In Bedrängnis bringt der Bericht auch Witali Mutko, Russlands Sportminister. (…) Damit ist der Fall auch bei der Fifa angekommen. Mutko ist Vize-Präsident und OK-Chef der WM 2018. Die Ethikkommission der Fifa prüft bereits. Bei der internen Fifa-Untersuchung waren die Russen mit der billigen Ausrede davongekommen, dass ihre Computer nicht mehr vorhanden seien. Die neuen Forderungen der Wada-Kommission wies Russland übrigens als politisch motiviert zurück“ (Fritsch, Oliver, Spiller, Christian, Leichtathletik: Dagegen ist der Fifa-Skandal ein Witz, in zeit.de 10.11.2015). – „Mutko nannte den (Pound-)Bericht einen politischen Anschlag und behauptete, wenn bei den Olympischen Spielen 2012 in London gedopte Russen am Start gewesen sein sollten, sei dies zuerst das Versagen der britischen Doping-Kontrollen“ (Reinsch, Michael, Eine Botschaft an Russland, in faz.net 14.11.2015).
Putins Sport-Minister
„Die Wada solle sich gefälligst an Fakten halten, wetterte Witalij Mutko in einer ersten Erklärung, die sein Ministerium verbreiten ließ. Es gebe einen großen Unterschied zwischen Informationen, die die Medien verbreiteten, und bewiesenen Tatsachen. Auslöser für die Ermittlungen war ein Film gewesen, den die ARD im vergangenen Dezember ausstrahlte und in dem Sportler von systematischem Doping in Russland berichteten. (…) Der Sportminister Witalij Mutko vereint so viele Funktionen auf sich, dass er fast ganz allein einen Klüngel bilden kann. Er ist Chef des russischen Fußballverbandes, Chef des russischen Organisationskomitees für die Fußball-WM 2018 und Mitglied in den Exekutivkomitees von Uefa (europäischer Fußballverband) und Fifa (Fußball-Weltverband). (…) Er ist einer der letzten, die noch zu Sepp Blatter halten“ (Hans, Julian, zu gut, in SZ 12.11.2015). Mutko begann als Matrose, war später mit dem St. Petersburger Bürgermeister Anatolij Sobtschak befreundet. „Zu Sobtschaks Mannschaft gehörte auch Wladimir Putin, der Mutko mit nach Moskau nahm, wo er ihn beim Präsidentschaftswahlkampf 2000 unterstützte“ (Ebenda). Nur scheinbar ruderte Mutko später zurück und erklärte: „Wenn es Fragen oder Vorschlage der Wada, der IAAF oder des IOC in dieser Hinsicht gibt, dann sind wir bereit, unser Labor wieder akkreditieren zu lassen, es zu reformieren oder auch einer neue Anti-Doping-Agentur zu schaffen“ (Sportminister will neues Anti-Doping-System aufbauen, in spiegelonline 13.11.2015).
Welches Labor will Mutko wohl akkreditieren lassen? Das Vorprüf-Labor Nr. 1) vom Geheimdienst, das harmlose Nr. 2 mit den Persilscheinen, oder vielleicht ein ganz Neues, Nr. 3 – mit ganz neuen Tricks?
Der russische Patient
Kommissionsleiter Richard Pound hatte vorgeschlagen, den russischen Leichtathletikverband für die Olympischen Sommerspiele 2016 in Rio zu sperren. „Pound hatte die Verbannung mit einer Operation verglichen, der sich der schwerkranke Patient Russland unterziehen müsse, gefolgt von einer langen Reha. Die russischen Funktionäre sahen aber gar nicht ein, sich überhaupt eine Krankheit einzugestehen. Wadim Zelischenok, Chef des russischen Leichtathletik-Verbandes, sprach von einer ‚Verschwörung‘, Rusada-Vorstand Nikita Kamaew von ‚Nonsens‘. Sportminister Witalij Mutko, der die Zerstörung von Dopingproben angeordnet haben soll, hatte kürzlich zur SZ gesagt: ‚Wir haben alle denkbaren Maßnahmen ergriffen, um unsere Anti-Doping-Politik zu verschärfen, wir arbeiten da eng mit der Wada und dem IOC zusammen.‘ IAAF-Präsident Sebastian Coe teilte sanft mit, er werde das Council dazu drängen, einen Ausschluss zu ‚erwägen‘. Coe hat das Council, die Regierung der Leichtathletik, für Freitag einberufen, aber ob er dort eine Mehrheit für einen Bannspruch zusammenkratzen kann, gilt als unsicher“ (Knuth, Johannes, Patient wehrt sich, in SZ 11.11.2015). – „Walentin Balachnitschew, offiziell zurückgetretener Präsident des russischen Leichtathletik-Verbandes Araf, kündigte an, vor den internationalen Sportgerichtshof Cas zu ziehen“ (Chef vom russischen Anti-Doping-Labor tritt zurück, in spiegelonline 11.11.2015).
– Russische Sport-Gelder
Die IAAF und der russische Leichtathletik-Verband wollen 2016 in Kasan die Junioren-WM ausrichten. Ein Sponsor der IAAF ist die russische, staatsnahe VTB-Bank; sie wird „zu 60,9 Prozent vom russischen Staat gelenkt wird. Und damit wohl auch von Putin“ (Ebenda). Am 12.11.2015 war es soweit: Die VTB-Bank „teilte mit, dass sie den Weltverband IAAF demnächst nicht mehr unterstützen werde. Das habe aber nichts mit den Doping-Enthüllungen zu tun. Der Vertrag laufe demnächst halt aus“ (Knuth, Johannes, Zahmes Biest, in SZ 13.11.2015).
Dazu kommt als Sponsor der Fußball-WM 2018 (und des deutschen Bundesligisten FC Schalke 04) der Staatskonzern Gazprom. „IOC-Präsident Thomas Bach lässt sich gerne mit Putin blicken, bei den Winterspielen in Sotschi prosteten sie sich mit Champagner zu, kurz darauf überfielen russische Soldaten die Krim. Kaum überraschend, dass die Reaktion des IOC am Montag den Keim der Verharmlosung in sich trug. Sie sprach von ‚Athleten und ihrem Gefolge‘, nicht von staatsimmanentem Betrug, und vor allem müsse man die sauberen Athleten schützen“ (Ebenda).
– Putin lässt sprechen
„Dimitri Peskow, Sprecher von Staatschef Wladimir Putin, richtete am Dienstag aus, die unabhängige Kommission der Welt-Anti-Doping-Agentur Wada habe leider vergessen, ihren Aufsatz über systemisches Doping in der russischen Leichtathletik mit Beweisen anzureichern. Deshalb sei die Geschichte für den Kreml ‚eher gegenstandslos‘. Es gibt Hinweise darauf, dass Peskow seine Ausführungen tatsächlich ernst meinte; zumindest war es der vorerst einzige Versuch der russischen Regierung, den 335 Seiten prallen Bericht vom Montag zu kommentieren. Jenen Bericht also, der an Fakten und Details über systemischen Betrug überquillt. Und den Richard Pound, Chef der Untersuchungskommission, am Montag als ’staatlich gesponsertes Doping‘ klassifizierte“ (Knuth, Johannes, Patient wehrt sich, in SZ 11.11.2015).
Sport-Staat Putin-Russland
Zu dieser kriminellen Energie kommt der Druck vom Staat: “Der Bericht spricht zudem von ‘direkter Beeinflussung des russischen Staates bei den Moskauer Laborprozessen’. Agenten des russischen Geheimdiensts FSB sollen die Labore in Moskau und während der Winterspiele 2014 in Sotschi überwacht und ein ‘Klima der Einschüchterung’ verbreitet haben. Staatliche Eingriffe waren derart verbreitet, so Pound, dass Witali Mutko, der russische Sportminister, unmöglich nichts von all dem habe wissen können; Mutko soll sogar angeordnet haben, Proben zu vernichten” (Ebenda). – “Wie das Beispiel Russland zeigt. Trainer setzen Sportler unter Druck und fungieren als Drogendealer. Die Cheftrainer, Mediziner und Verbandsbosse fördern dieses System. Die vermeintlichen Dopingbekämpfer schützen es. In Russland war der Chefmediziner des Verbandes, Sergei Portugalow, ein Dopingdealer, der auch für die Athleten Pläne zur effizienten Einnahme von Medikamenten erstellte und sogar selbst die Spritzen setzte. Außerdem war er eine zentrale Figur, wenn es darum ging, die Sportler unter dem Radar der internationalen Kontrollsysteme zu halten. Wer bezahlte, blieb sauber. Dafür sorgte Portugalow zusammen mit dem Direktor des Moskauer Labors, Gregori Rodschenko. Dieser ersetzte den Urin von Dopern durch saubere Wässerchen oder liess Tests fehlerhaft durchführen. Seine Unverfrorenheit zeigte sich im Dezember 2014, als die Wada eine Kontrolle das Labors ankündigte. Rodschenko räumte nach eigenen Worten ein wenig auf – und zerstörte 1417 Dopingproben” (Geisser 9.11.2015).
Zur Erinnerung: Wladimir Putin forderte im Oktober 2015 von der UN eine Resolution zur “Ent-Politisierung” des Sports (Back in Russia, Bach speaks out against political boycotts, in usatoday.com 21.10.2015).
“Entpolitisierung des Sports”: Das ist doch super! Putin müsste z. B. seinen Sportminister von direkten Eingriffen in die Dopingpolitik abziehen und seine FSB-Geheimdienstmannen sofort aus den Labors zurückziehen!
Einige Ergebnisse über die Verhältnisse im russischen Leistungssport: “Die Untersuchung zeigt, dass die Akzeptanz von Betrug auf allen Ebenen und seit Längerem verbreitet ist” (SID, Die wichtigsten Ergebnisse der Wada-Untersuchung, in SZ 10.11.2015). Unethisches Verhalten wurde zur Norm; Medaillen werden finanziell ausgebeutet. Athleten, die nicht am Staatsdoping teilnehmen wollten, wurden nicht nominiert. Es hat systematischen Dopingbetrug bei den russischen Sportlern gegeben. Russische Ärzte und Laborpersonal ermöglichten in Kooperation mit den Trainern systematischen Dopingbetrug. Es gab Korruption und Bestechung bis hinauf in höchste Ebenen. Deshalb empfiehlt die Kommission: 1. Ausschluss des russischen Leichtathletik-Verbandes aus dem Weltverband. 2. Entzug der Akkreditierung für das Moskauer Anti-Doping-Labor. 3. Ausschluss russischer Leichtathleten durch das IOC, bis der Verband regelkonform mit dem Wada-Code ist. 4. Lebenslanger Ausschluss der betrügerischen russischen Funktionäre (Ebenda).
Wird Russland ausgeschlossen?
Joachim Mölter in der SZ: “Die Wada hat ja bloß die Möglichkeit, die Empfehlung ihrer Kommission an die IAAF und das Internationale Olympische Komitee (IOC) weiterzuleiten; nur die können Sanktionen um- und durchsetzen. (…) Wird sich die IAAF, wird sich das IOC trauen, einen Verband aus einem so großen und mächtigen Reich einfach rauszuwerfen? (…) Bach ist ja nicht von einer breiten Öffentlichkeit gewählt worden, sondern von einer kleinen Kaste ähnlich gesinnter Funktionärsveteranen. Und wie das Beispiel des ehemaligen IAAF-Chefs und aktuellem IOC-Ehrenmitglieds Lamine Diack zeigt, scheint ein Großteil dieser Veteranen eher persönliche Interessen zu verfolgen als moralische Werte und Standpunkte zu verteidigen” (Mölter, Joachim, Papier und Praxis, in SZ 10.11.2015). Mölter befürchtet, dass – wie bei US-Banken, Russland too big to fail sein wird.
Wetten dass … das IOC und die IAAF gar nicht daran denken, Russland rauszuwerfen?
Russland-Doping 2015: Zwischenbilanz
Rücktritte russischer Leichtathletik-Sportfunktionäre: Präsident Leichtathletikverband, Valentin Balachnitschew; Cheftrainer Valentin Maslakow; Geher-Trainer Viktor Tschjogin; Leiter des Wada-Labor Moskau, Gregori Rodschenkow;
Gesperrte Leichtathletik-Sportler im November 2015: Marathonläuferin Maria Konowalowa, Hammerwerferin Maria Bespalowa, Geher Jewgeni Nuschtajew, Läufer Wlas Bredichin, Läufer Jaroslaw Cholopow (Fünf russische Leichtathleten gesperrt, in spiegelonline 5.11.2015; Hans, Julian, Zu gut, in SZ 12.11.2015).
Stimmen zum russischen Doping- und IAAF-Skandal
– Aus einem Kommentar von Claus Dieterle in faz.net: “„Das hat es noch nie gegeben: Dass eine Ermittlungskommission der Welt-Antidoping-Agentur (Wada) den Ausschluss eines ganzen Verbandes fordert. Wenn es nach der Empfehlung der Wada vom Montag ginge, würde Russland aufgrund schwerer Verfehlungen seine Mitgliedschaft im internationalen Leichtathletik-Verband (IAAF) verlieren, das Kontrolllabor in Moskau müsste dicht gemacht, dessen Direktor abgelöst, der russische Leichtathletik-Verband von Grund auf erneuert werden – genau wie die russische Anti-Doping-Agentur (Rusada). Dagegen nimmt sich die lebenslange Sperre von fünf Athleten sowie fünf Trainern auf Lebenszeit noch harmlos aus. Und im Grunde wirft die Kommission den Russen sogar Staatsdoping vor, mit dem russischen Sportminister Witali Mutko als Chef-Manipulateur an der Spitze.” (Dieterle, Claus, Jetzt sind Bach und Coe gefragt, in faz.net 9.11.2015).
– Aus einem Kommentar von Joachim Mölter in der SZ: “Legt man die jüngsten Erkenntnisse aus der Leichtathletik zugrunde, dämmert das Bild eines furchterregenden Systemzwangs herauf, in den Athleten heutzutage geraten: Um als Profis Geld zu verdienen, sind sie fast genötigt, mit unerlaubten Mitteln nachzuhelfen, für die sie bei skrupellosen Ärzten, Trainern und sonstigen Hintermännern bezahlen müssen. Und wenn sie dann mal erwischt werden, zahlen sie an nicht minder korrupte Funktionäre dafür, dass man sie laufen lässt, indem Beweise unter Verschluss gehalten werden. Es ist das Übel des modernen Sportbetriebs, dass immer mehr Geld ins Spiel kommt, durch Sponsoren, durchs Fernsehen. Wo aber viel Geld ist, sind auch viele Geier, und wo viele Geier kreisen, muss für gewöhnlich etwas sterben. In diesem Fall ist es der Sport” (Mölter, Joachim, Zeitalter der Aufklärung, in SZ 9.11.2015).
– Aus einem Beitrag von Oliver Fritsch und Christian Spiller in zeit.de: „Doch was die Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) da am Montag in einem dicken Bericht veröffentlicht hat, hat eine neue Dimension. Spitzenfunktionäre des Weltleichtathletikverbands IAAF haben sich in Kooperation mit dem russischen Staat von Dopingbetrügern dafür bezahlen lassen, dass Testergebnisse vertuscht werden. Mehr als 1.400 Proben sollen zerstört worden sein. In Moskau gab es ein Schattendopinglabor, das zwecks Vertuschung vorsortierte. (…) Und Olympia ist betroffen. Leichtathletik ist die Kernsportart der Sommerspiele. Viele Ergebnisse von London 2012 sind entwertet. Gleiches gilt für Sotschi 2014, die Spiele Putins. Er ist einer der mächtigsten Männer im Weltsport. Und wie Diack und Coe ein Verbündeter des IOC-Präsidenten Thomas Bach. Die IAAF und das IOC können nun sehen, wohin es führt, wenn man sich solchen Leute an den Hals wirft“ (Fritsch, Oliver, Spiller, Christian, Leichtathletik: Dagegen ist der Fifa-Skandal ein Witz, in zeit.de 10.11.2015). Und Fritsch und Spiller stellen sich eine sehr naheliegende Frage zum Supersportler der Leichtathletik: „Was würde ein kriselnder Sport alles tun, um eine positive Dopingprobe ihres Superstars Usain Bolt unter Verschluss zu halten?“ (Ebenda).
Robin Schembera, deutscher 800-Meter-Läufer, beschrieb über Facebook den Zustand der Leichtathletik: „Tief verwurzelte Betrugskultur, Ausbeutung von Athleten, Betrug durch Athleten, Beteiligung von Ärzten, Trainern und Laborpersonal an Dopingbetrug, Korruption und Bestechung innerhalb der IAAF“ (zitiert nach: Dreis, Achim, „Es geschieht…: Nichts“, in faz.net 10.11.2015). Schemberas Schlussfolgerung: „Ich wage einen Blick in meine private Glaskugel und sage voraus: Es geschieht… Achtung, Trommelwirbel: NICHTS!“ (Ebenda).
Ralf Wiegand in sueddeutsche.de: „Nein, die große Vertrauens- und Glaubwürdigkeitskrise des Sports scheint auf in den Vorgängen um den Leichtathletik-Weltverband und das russische Doping-System, das die Welt-Anti-Doping-Agentur gerade beschrieben hat. Dieser Skandal ergießt sich wie ein zäher Brei aus Korruption, Staatsdoping, Erpressung und Kontrollversagen in den Sport. (…) Man könnte sagen: Na und? Es gibt ein Leben ohne Sepp Blatter, es wird eines ohne Wolfgang Niersbach geben, es gab eines ohne Tour de France im Fernsehen, nachdem sich der Radsport mit seinem System-Doper Lance Armstrong zerlegt hatte. Es wird eines ohne russische Leichtathleten geben, falls sie für alle Wettbewerbe gesperrt werden. (…)
Akzeptiert der Verband das Ausmaß des Skandals, muss er Russland bannen und sich von einem großen Markt verabschieden. Tut er es nicht, muss sich etwa eine Stadt wie Hamburg fragen, ob sie wirklich Olympische Spiele veranstalten will, deren Kernsport diese Leichtathletik ist“ (Wiegand, Ralf, Wie verkommen der Spitzensport ist, in sueddeutsche.de 11.11.2015; Hervorhebung WZ).
Fritz Sörgel, deutscher Anti-Doping-Experte: “Die Leichtathletik ist im Moment sicher die Sportart, die es am schwersten haben dürfte, wieder Vertrauen herzustellen. Insofern haben sie die Radfahrer da abgelöst” (Hans, Julian, zu gut, in SZ 12.11.2015).
– Der merkwürdige Mr. Reedie
Hauptberuflich ist Craig Reedie eigentlich Chef der Welt-Anti-Doping-Agentur Wada. „Der hatte vor einem Jahr zwar Pounds Kommission auf die russische Leichtathletik angesetzt, dem Vernehmen opponierte er intern aber gegen eine derartige Mission. Die Daily Mail hatte zudem enthüllt, dass Reedie im Sommer sanfte E-Mails an Witalij Mutko schickte, den russischen Sportminister: Man werde schon nichts ausgraben, was die Partnerschaft zu Russland beeinträchtigt, beteuerte Reedie. Die Wada-Kommission stellte in ihrem Bericht nun pikiert fest: ‚Derartige Zusicherungen wurden gegeben, bevor die Vorwürfe gegen Russland überhaupt untersucht werden konnten.‘ Was Reedie jetzt, in einem Interview mit der New York Times, gar nicht leugnet. Er bedauert vor allem, dass die E-Mail in die Öffentlichkeit gezerrt wurde. Was die Frage aufdrängt: Welche Rolle spielt der Chef der Welt-Anti-Doping-Agentur lieber: Kontrolleur oder Beschützer des Sports? (…) Die Wada, schrieb der Guardian zuletzt, habe sich „in ein zahmes Biest verwandelt, gefesselt von ihrer Verfassung und ihrem Budget“. Zuletzt nahm die Agentur 26 Millionen Dollar jährlich ein, ein kümmerlicher Betrag, um ein weltumspannendes Netz gegen Dopingtäter zu knüpfen. Andererseits hängt sie an den Gremien des Sports; Reedie, seit 2013 Präsident, ist auch Vizepräsident im Internationalen Olympischen Komitee und Vertrauter Thomas Bachs (Knuth, Johannes, Zahmes Biest, in SZ 13.11.2015; Hervorhebung WZ). – „Wenn die beiden russischen Whistleblower, Top-Läuferin Julia Stepanowa und Witali Stepanov, Mitarbeiter der russischen Anti-Doping-Agentur, den Umweg über das deutsche Fernsehen – ‚Geheimsache Doping: Wie Russland seine Sieger macht‘ – gehen müssen, weil sie offenbar auf kein großes aufklärerisches Interesse beim Wada-Präsidenten und Mutkin-Freund (Mutko/Putin? WZ) Craig Reedie stießen, dann zeigt es, dass auch in dieser Organisation nicht alles zum Besten steht“ (Dieterle, Claus, Jetzt sind Bach und Coe gefragt, in faz.net 9.11.2015).
– Lord Wiesel. Joachim Mölter schrieb in der SZ:, dass IAAF-Präsident Sebastian Coe 2000 in den Adelsstand erhoben wurde – nebst Sitz im Oberhaus. „Auf dessen gepolsterten Sesseln macht es sich der 59-Jährige sicher lieber bequem, als auf harten Stühlen herumzurutschen wie dem, auf dem er am Montagabend Fragen des Journalisten Jon Snow vom Fernsehsender Channel 4 beantworten sollte. Vor allem eine: ‚Haben Sie während Ihrer Arbeit gepennt, oder sind Sie korrupt?‘ Das klingt unverschämt, zumal einem Lord gegenüber. Doch diese Respektlosigkeit hat sich Coe verdient als Vizepräsident des Leichtathletik-Weltverbandes IAAF von 2007 bis 2015 und neuerdings als dessen Präsident“ (Mölter, Joachim, Der kleine Lord Wiesel, in SZ 11.12.2015).) Die britische Zeitung Independent bezeichnete Coes Auftritt als „weasel words“ (Ebenda). „Doch weder von Diacks erpresserischen Machenschaften, noch von Russlands organisiertem Doping will Sebastian Coe jemals etwas mitbekommen haben. (…) Außer der IAAF steht Coe seit 2012 auch dem britischen Olympia-Komitee vor. Er sitzt im Internationalen Olympischen Komitee (IOC), wo er die Nähe zu Präsident Thomas Bach pflegt. (…) Sebastian Coe ist nicht qualifiziert für die Aufgabe, die olympische Kernsportart Nummer eins aus dem Sumpf zu ziehen, in dem sie gerade zu versinken droht“ (Ebenda; Hervorhebung WZ).
– Deutsche Sportler gegen IAAF-Skandal. „Am Mittwoch begrüßte die Athletenkommission des Dachverbands DOSB die Wada-Empfehlung, Russlands Leichtathleten auszuschließen. Und zuvor hatte eine andere Bayer-Athletin, die zweimalige Olympiasiegerin im Hochsprung, Ulrike Nasse-Meyfarth, 59, den Weltverband vor vollendete Tatsachen gestellt. Sie verzichtete auf die ihr angetragene Aufnahme in die Hall of Fame (HoF) der IAAF. (…) Nasse-Meyfarth begründete den Verzicht mit den kriminellen Machenschaften des früheren IAAF-Chefs Diack und in der russischen Leichtathletik. ‚Da kann man doch nicht mitgehen (in die Hall), das ist unterste Schublade‘, sagte sie der SZ (Gernandt, Michael, Verschmähte Ruhmeshalle, in SZ 12.11.2015). Diack hat 2012 die Hall of Fame der IAAF eröffnet, in der auch durchaus dopingverdächtige Sportler wie der US-Amerikaner Carl Lewis, die Deutsche Marita Koch und die Chinesin Wang Junxia Platz fanden (Ebenda).
– IAAF suspendiert Russland – vorerst. Sportminister Mutko will dies bis zu dem Olympischen Spielen 2016 bereinigt wissen. Hochsprungtrainer Jewgeni Saagorulko gab sich uneinsichtig: „Hier wird mit Kanonen auf Spatzen geschossen“ (Russlands Sportminister beschwichtigt, in spiegelonline 14.11.2015).
Hinter den Kulissen läuft mit Sicherheit zwischen IAAF und Putin-Sport-Russland längst das Zulassungsprocedere der russischen Leichtathleten für Rio 2016!
– Bach: Russland auf “gutem Weg”! IOC-Präsident Thomas Bach besuchte das Treffen der europäischen Olympischen Komitees in Prag und berichtete, “er habe ein gutes Gespräch mit Alexander Schukow, dem Chef des russischen Olympischen Komitees, geführt” (SID, Schnelle Strafen, in SZ 21.11.2015). Laut Schukow sollen alle am Doping Beteiligen zur Verantwortung gezogen werden.
Da würde es leer werden in der Aschenbahn! Interessant: Niemand spricht mehr von unrichtigen Anschuldigungen gegenüber Russland – da war wohl die Beweislage zu erdrückend.
“Gedopte Athleten würden nach den Standards internationaler Anti- Doping-Regeln bestraft. Zudem würden sich die russische nationale Anti-Doping-Agentur, das Anti-Doping-Labor in Moskau sowie der nationale Leichtathletik Verband dem Wada-Code unterwerfen. ‘Wir haben das mit großer Zufriedenheit registriert’, sagte Bach” (Ebenda).
Das russische Doping-White-Washing ist im vollem Gang.
Dazu passt, dass der Präsident des European Olympic Comittee (EOC), der einschlägig bekannte Patrick Hickey, Russland schon die Generalabsolution erteilte – dabei ist der Wada-Bericht über das systematische russische Dopingsystem gerade einmal zwei Wochen bekannt. “Er wolle russische Athleten bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro sehen, sagte Hickey laut der russischen Nachrichtenagentur Tass in Prag… Es sei an der Zeit für das EOC, das Nationale Olympische Komitee Russlands zu unterstützen” (Becker, Christoph, Europa-Spiele 2019 finden in Russland statt, in fazt.net 20.11.2015). Hickey zum russischen System-Doping: “Ich glaube, dass Russland zukünftig in einer Führungsrolle vorangehen kann” (Trotz Dopingskandal: Russland soll Europaspiele 2019 ausrichten, in zeit.de 21.11.2015).
Dazu aus einem Kommentar von Thomas Kistner in sueddeutsche.de: “Die klarste Reaktion aber steuert Leichtathletik-Chef Wadim Selitschenok bei, der die böse Welt-Anti-Doping-Agentur Wada gern zurückstutzen würde: ‘Niemand bestreitet, dass sie sehr wichtig ist. Aber mir scheint, dass sie zu viele Vollmachten bekommen hat.’ (…) Wer einen IOC-Vize wie den Doping-Verharmloser Craig Reedie an der Wada-Spitze und einen weiteren Abkömmling der alten Funktionärsschule, Sebastian Coe, an der Spitze der globalen Leichtathletik weiß, braucht nicht zu befürchten, dass die Milliardenindustrie mit der (naturgemäß weithin manipulierten) Körperleistung auf Dauer Schaden nimmt durch die Russen-Affäre. Zur Sicherheit hat Bach erklärt, dass sein IOC nicht die Autorität hätte, Russland von den Spielen auszusperren. Warum auch? Das IOC ist nur Besitzer der Spiele. Es wird also noch allerlei Theater fürs Publikum aufgeführt, bevor, kurz vor Beginn der Rio-Spiele 2016, die Entwarnung vom IOC kommt: Russlands Sport hat sich selbst gereinigt – wir heißen Putins porentief saubere Athleten willkommen!” (Kistner, Thomas, Wie viel Ulm mit Moskau gemein hat, in sueddeutsche.de 20.11.2015).
– Russland auf noch besserem Weg! Zur Belohnung für das raffinierte Dopingsystem mit doppeltem Anti-Doping-Labor von Putin-Russland soll der Doping-Staat die European Games 2019 bekommen – mit den Austragungsorten Sotschi und Kasan. Nachdem Diktator Ilham Alijev aus Aserbaidschan im Jahr 2015 die Erstauflage der European Games austragen durfte, ist nun Putin-Russland 2019 dran. Patrick Hickey: “Russland ist weiterhin der bevorzugte Partner des EOC für die European Games 2019″ (Trotz Dopingskandal: Russland soll Europaspiele 2019 ausrichten, in zeit.de 21.11.2015).
Vorschlag für die European Dictator Games 2023: Kasachstan, Turkmenistan, Usbekistan…
Im Ernst: Es ist schon so unglaublich wie vorhersagbar, mit welcher Chuzpe das IOC und Internationale Sportverbände über den Wada-Bericht zum russischen System-Doping hinweggehen und die Szene wie IOC-Präsident Thomas Bach gesundbeten nach dem Motto: Null Toleranz (gegenüber den Kritkern des IOC-Dopingssystems).
– Doping-Nation Russland. Zum Thema des gezielten russischen Doping-Systems äußerte der Dopingexperte des WDR, Hajo Seppelt: “Es ist ein Ereignis von sporthistorischem Ausmaß. Es wurde ein System offengelegt, das sich über Jahrzehnte aufrechterhalten hat, und bis in die Zeit der Sowjetunion zurückgeht. (…) In der Leichtathletik geht es hingegen um einen klaren Eingriff in die Integrität des sportlichen Wettbewerbs. Korruption erreicht die Laufbahn. Nehmen wir die Olympischen Spiele in London 2012: Dort waren gedopte Sportler am Start, die sich ihren Platz durch die Unterstützung der IAAF gesichert hatten. Die IAAF hat Startplätze an Doper verkauft. Sportler haben gewonnen, die nie hätten antreten dürfen. Der sportliche Wettbewerb wurde verfälscht, gebilligt vom Weltverband. So lautet der Vorwurf. Das ist gravierender als jeder Fifa-Skandal. (…) Für Russland hingegen liegen die Dinge viel schwerer. Da ist nachweislich gegen fast alles bei der Dopingbekämpfung verstoßen worden, was man sich vorstellen kann. Zum Beispiel gab es neben dem offiziellen Labor noch ein zweites Untergrundlabor, was parallel dazu Proben vorgeprüft oder manipuliert haben dürfte. Athleten haben Kontrolleure bestochen oder wurden gar nicht erst getestet. Eine der erfolgreichsten Sportnationen der Welt hat die Öffentlichkeit jahrelang getäuscht. (…) Ideal wäre jetzt ein eindeutiges Signal an Russland und die gesamte Sportwelt. Wer wie Russlands Leichtathleten die Regeln in diesem Ausmaß verletzt, darf nicht an Olympia teilnehmen. Ich sehe aber bereits jetzt so viele Hintertürchen aufgehen, durch die Russland zu gerne spazieren würde. (…) Olympia ohne Russland will der deutsche IOC-Chef Thomas Bach nicht, das will der IAAF-Chef Sebastian Coe nicht, und das will Wladimir Putin nicht” (Scheler, Fabian, Hajo Seppelt: “Die IAAF hat Startplätze an Doper verkauft”, in zeit.de 22.11.2015).
– Wada-Bericht keine zwei Wochen her: schon wird Russland rehabilitiert. „Das IOC verfügt leider über ‚keine Autorität‘ (Bach), den russischen Verband zu sperren oder von seinen schönen Olympischen Spielen fernzuhalten. Na dann. Die Frage, die die Dopingaffäre in Russland in diesen Tagen aufwirft, ist ja schon eine spannende: Sollte man einen Verband, der systematisch betrügt, nicht auch systematisch, sprich: jahrelang sperren, wie einen Dopingtäter? Oder gibt unser Wertesystem eine derartige Kollektivstrafe nicht her? (…) Russlands Sportminister Witalij Mutko hat die Kronzeugen Witali und Julia Stepanow, die das verrottete System entblößten, am Sonntag als ‚Denunzianten‘ tituliert. Das fasst den Reformwillen des russischen Sports ganz gut zusammen. Sollten sie dafür mit einem Olympia-Startrecht belohnt werden, Kollektivstrafe hin- oder her, verschütten die Macher des Weltsports die letzten Tropfen an Glaubwürdigkeit“ (Knuth, Johannes, Schrecklich nette Familie, in SZ 16.11.2015).
Die Glaubwürdigkeit von IOC, IAAF etc. ist längst dahin.
– Aus einem Kommentar von Michael Reinsch in faz.net: „Wenn das kein Blitzstart ist: Kaum sind die Vorwürfe gegen die russischen Leichtathleten und ihre Komplizen bestätigt, scheint das russische Team schon auf dem Weg zu den Olympischen Spielen in Rio zu sein – trotz Ausschlusses aus dem Welt-Verband. Vor fast einem Jahr noch hatte der offizielle Teil der Leichtathletik-Welt das Offensichtliche bestritten: Videoaufnahmen von russischen Sportlerinnen, die über Doping-Substanzen sprechen, russische Trainer, die Medikamente zum Kauf ausbreiten, Überweisungen von Bestechungsgeld, auf denen bekannte Namen zu lesen sind. Die Bilder sendete im Dezember 2014 die ARD. Der Bericht einer Untersuchungskommission bestätigt nun die Vorwürfe. Keine Woche später, nach der fast zwangsläufigen Suspendierung der Russen, scheinen Aufräumen, Neubeginn und die freudige Rückkehr der russischen Athleten nur mehr Formsache zu sein. (…) Der russische Verbandspräsident Valentin Balachnitschew, der von seinen Ämtern zurücktreten musste, als seine Korruption bekanntwurde, gab anlässlich der WM in Peking nicht nur den Finanzbericht, als wäre er immer noch Schatzmeister des Weltverbandes. Er nahm sogar Siegerehrungen vor. Bis heute ist Balachnitschew führendes Mitglied des Russischen Olympischen Komitees. Sein Komplize Lamine Diack, der von Dopern Hunderttausende Dollar kassierte, um sie zu decken, ist bis heute Ehrenpräsident des Verbandes“ (Reinsch, Michael, Fehlstart, in faz.net 16.11.2015).
– Was Günter Younger berichtet. Das Mitglied in der Pound-Kommission zum russischen System-Doping und langjähriger Leiter des Drogendezernats von Interpol äußerte im SZ-Interview u. a.: „Die Athleten und Trainer, die in der ARD-Dokumentation genannt worden sind, haben gewusst, dass wir auf sie zukommen werden, die konnten sämtliche Beweise vernichten. (…) Für mich als Polizist war es überraschend, wie arrogant dann teilweise mit uns umgegangen worden ist. Nach dem Motto: Es wird schon nichts passieren. (…) Vereinzelt wurde sogar weiter gedopt, während wir dort waren. Bei der Gruppe von Viktor Tschegin (ehemaliger Trainer der Geher) wurde Equipment für Bluttransfusionen gefunden, das steht auch im Bericht. (…) Die Betrugskultur zu entwurzeln, wird Jahrzehnte dauern. (…) wenn ich lese, dass die Wada mit 26 Millionen Dollar pro Jahr auskommen muss, während das IOC Milliarden einstreicht – da hoffe ich, dass die Agentur aufgerüstet wird. Und dann müssen sie als Erstes nach Kenia laufen, ganz schnell. (…) Uns war wichtig, dass Personen wie Diack von der Justiz belangt und nicht nur von irgendeiner Ethikkommission für 80 Tage gesperrt werden. Die eine Nacht, die der im Gefängnis verbracht hat, wird Eindruck hinterlassen haben. Was ich schlimm finde, ist, dass der Betrug bis zu den Athleten in den Wettkampf hineinreichte, dass Doper sich freikaufen konnten. Da habe ich kein Verständnis mehr“ (Alle Zitate: Knuth, Johannes, „Man kann viele Skandale einfach aussitzen“, in SZ 25.11.2015).
– „Putins schmutzige Sportarmee“ (1): „Wir sehen nur die Spitze des Eisbergs. Aber sie ist riesig. Der Chefmediziner des russischen Leichtathletikverbandes hat für ungezählte Sportler Pläne für effizientes Doping erstellt, er war als Dealer von verbotenen Substanzen tätig, und er setzte gern auch mal selbst eine Spritze. Die Trainer arbeiteten mit ihm Hand in Hand und entschieden darüber, wer mit Doping an die Spitze vorstossen durfte. Korrupte Dopingkontrolleure halfen bei der Vertuschung, und notfalls wurde im Antidoping-Labor Urin ausgetauscht, manipuliert oder einfach weggeschüttet. Und es gab ein zweites, klandestines Labor, in dem vor grossen Wettkämpfen Sportler darauf überprüft wurden, ob von ihnen verwendete Substanzen auch wirklich nicht mehr nachweisbar waren. Wenn all das nur die Spitze des Eisbergs bildet – wie gross muss dann der Eisberg sein? Unvorstellbar“ (Geisser, Remo, Gertsch, Christof, Donath, Klaus-Helge, Putins schmutzige Sportarmee, in nzz.ch 16.11.2015).
– „Putins schmutzige Sportarmee“ (2): Der Sportminister Witali Mutko soll selbst die Vertuschung von Dopingfällen angeordnet haben, die vom Staat finanzierte Antidoping-Behörde Rusada half kräftig mit. (…) Dass dem russischen Regime zur Erreichung seiner Ziele alle Mittel recht sind, gilt nicht nur für den Sport. Aber auch für den Sport. Denn der Sport ist als propagandistisches Mittel Teil einer Kriegsführung. Jeder Spitzensportler ist zurzeit ein Putin-Soldat. Er verteidigt Russlands Interessen gegen einen eingebildeten Feind an einer imaginierten Front. (…). Sportminister Witali Mutko, der im Zusammenhang mit der Untersuchung zum Doping in der Leichtathletik beschuldigt wird, selbst die Vertuschung von Fällen angeordnet zu haben, sitzt in den Exekutiven der beiden Fussballverbände Fifa und Uefa, er war OK-Präsident der Leichtathletik-WM 2013 in Moskau, und er leitet nun die Organisation der Fussball-WM 2018. Von Interessenkonflikten redet niemand mehr, seit Putin wieder alle Macht in seinen Händen hat“ (Geisser, Remo, Gertsch, Christof, Donath, Klaus-Helge, Putins schmutzige Sportarmee, in nzz.ch 16.11.2015).
– Bachs „Plan A“: „Thomas Bach, der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), empfing am Samstag (14.11.2015; WZ) in Lausanne den Chef-Aufräumer des russischen Sports, Alexander Schukow, Präsident des Nationalen Olympischen Komitees. Beide gaben sich optimistisch, dass bis August 2016, bis zu den Sommerspielen an der Copacabana, die Vorwürfe, welche die russische Leichtathletik und damit auch die Olympischen Spiele belasten, ausgeräumt sein und der Verband rehabilitiert sein sollte. (…) Weniger als 24 Stunden vor dem Treffen von Bach und Schukow war der russische Verband am Freitagabend von der IAAF vorläufig ausgeschlossen worden; er darf keine Athleten mehr zu internationalen Veranstaltungen melden. Nie zuvor ist ein Leichtathletikverband so schwer bestraft worden“ (Reinsch, Michael, Bis Rio rehabilitiert, in faz.net 16.11.2015).
– Mutkos „Plan B“: „Gleichzeitig stellte der russische Sportminister Witalij Mutko Plan B vor. Saubere russische Athleten könnten demnach, wenn sich das Großreinemachen als zeitraubender als erwartet erweisen sollte, statt unter der russischen unter der Fahne Olympias in Rio antreten“ (Reinsch, Michael, Bis Rio rehabilitiert, in faz.net 16.11.2015).
– Verharmloser Reedie. Thomas Kistner in der SZ: „Die klarste Reaktion aber steuert Leichtathletik-Chef Wadim Selitschenok bei, der die böse Welt-Anti-Doping-Agentur Wada gern zurückstutzen würde: ‚Niemand bestreitet, dass sie sehr wichtig ist. Aber mir scheint, dass sie zu viele Vollmachten bekommen hat.‘ Das sind die Leute, die für Russlands Neuanfang stehen. (…) Wer einen IOC-Vize wie den Doping-Verharmloser Craig Reedie an der Wada-Spitze und einen weiteren Abkömmling der alten Funktionärsschule, Sebastian Coe, an der Spitze der globalen Leichtathletik weiß, braucht nicht zu befürchten, dass die Milliardenindustrie mit der (naturgemäß weithin manipulierten) Körperleistung auf Dauer Schaden nimmt durch die Russen-Affäre. Zur Sicherheit hat Bach erklärt, dass sein IOC nicht die Autorität hätte, Russland von den Spielen auszusperren. Warum auch? Das IOC ist nur Besitzer der Spiele“ (Kistner, Thomas, Immer weiter so! in SZ 20.11.2015).
– Der kanadische Anwalt Richard H. McLaren, Mitglied der Pound-Untersuchungskommission, im Interview zum russischen Staats-Doping: „Ich dachte also, dass ich die dunkle Seite des Sports kenne und mich nichts mehr schockieren würde. Das kann ich seit der Untersuchung gegen die russischen Sportverbände nicht mehr sagen. Der Umfang des Betruges ist gigantisch, viel schlimmer, als wir erwartet haben. Weil alle mitgemacht haben. Trainer, Sportler, Funktionäre und sogar Mediziner, die einen Eid geschworen haben, zu heilen. (…) So setzten zum Beispiel Mitglieder des russischen Geheimdienstes Mitarbeiter eines Labors unter Druck, damit die positive Dopingtests von Topathleten vertuschten. Ein Labor zerstörte absichtlich über 1400 Dopingproben. Aber am schlimmsten war die Korruption“ (Kraft, Alexandra, „Die Olympischen Spiele 2012 waren komplett verseucht“, in stern.de 27.11.2015). . (…) Und auf die Frage nach dem Ausmaß des Doping-Betruges in London sagte McLaren: „Die Spiele waren komplett vergiftet. Betrügerische Athleten konnten starten und haben Medaillen gewonnen. Andere die fair und hart trainiert hatten, bekamen nichts. Für mich ist dieses Vorgehen ein schmerzhafter Angriff auf den Kern des Sports. Doping zerstört jeden Wettkampf. (…) Die Show der Russen war perfekt. Vieles passiert ja im Land selbst. Sie behaupteten, so viele Tests wie sonst niemand auf der Welt zu machen. Im Hintergrund investierten sie viel Geld in Vortests oder Bestechung und Manipulation in Labors. Aus der Ferne, konnte man glauben, Russland verhalte sich vorbildlich. Als wir nun die Chance bekamen, genauer hinzuschauen, sagen wir, dass alles ein gigantischer Betrug ist“ (Ebenda).
– Gesamte Rusada-Führung abgetreten. „Nach dem aufsehenerregenden Skandal in der russischen Leichtathletik ist die Spitze der russischen Anti-Doping-Agentur Rusada geschlossen zurückgetreten. ‚Alle vier Top-Funktionäre, inklusive des geschäftsführenden Direktors Nikita Kamajew, haben ihre Ämter aufgegeben‘, sagte eine Rusada-Sprecherin der französischen Nachrichtenagentur AFP. Dazu gehört auch der Generaldirekto