Wolfgang Zängl
12.8.2014, aktualisiert 2.12.2015
Der echte Fußballrasen
„Beim Fußballrasen handelt es sich nicht um den herkömmlichen Rasensamen, wie er in Baumärkten angeboten wird. Von den 350 in Deutschland zugelassenen Sorten ist nur die Hälfte den Belastungsproben auf dem Fußballplatz gewachsen. Hauptsächlich das deutsche Weidelgras ist in den exklusiven Mischungen vorhanden. Die Halme sind so gut, dass sie auch bei der Fußball-WM in Brasilien zum Einsatz kommen.
Die dunkelgrünen und hellgrünen Streifen dienen als Orientierung, wenn es beispielsweise um Abseitsentscheidungen geht. Die Streifen markieren oft den Strafraum und werden in ihrer Breite vom Weltfußballverband Fifa oder der UEFA vorgeschrieben. Hergestellt werden diese exakten Streifen von Walzen, die wechselnd gegen oder mit der Halmrichtung gezogen werden. Liegen die Halme mit der unteren Seite nach oben erscheinen sie dunkelgrün, umgekehrt hellgrün“ (mdr.de 26.6.2014).
Weidelgras wird auch auf den Tennisplätzen von Wimbledon eingesetzt (Neudecker 8.8.2014).
Kunstrasen
Kunstrasen wird aus chemisch hergestellten Materialien wie Polypropylen, Polyethylen oder Polyamid hergestellt (SZ 8.10.2014). – „Die Vorteile gegenüber dem natürlichen Grün sind klar: ganzjährige, witterungsunabhängige Bespielbarkeit, gleichmäßige Spieleigenschaften über das gesamte Feld und die kostengünstige Pflege. Eine Studie des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) zeigt außerdem: Ein Naturrasen kann 400 bis 800 Stunden im Jahr genutzt werden, ein Hartplatz kommt mit 1000 bis 1500 Stunden schon auf rund das Doppelte. Ein Kunstrasen ist sogar zwischen 2000 und 2500 Stunden pro Jahr bespielbar. (…) Aus wirtschaftlicher Sicht hat der Kunstrasen sein natürliches Pendant sowieso bereits überholt. Zwar ist ein Kunstrasenplatz in der Anschaffung mit rund 350.000 bis 500.000 Euro fast doppelt so teuer wie ein Naturrasenplatz. Doch laut einer DFB-Studie amortisieren sich diese Investitionen durch geringere Unterhaltskosten und die höhere Spieldauer in wenigen Jahren. So kostet die Pflege der Spielfläche bei Naturrasen rund 30.000 Euro pro Jahr, bei Kunststoffrasen hingegen nur 8000 bis 10.000 Euro“ (Schmidt 22.3.2010).
Angeblich bietet Kunstrasen Vorteile für kleinere Spieler: „Kleinere Akteure sind in der Regel antrittsschneller als ihre größeren Pendants. Sie können überraschend die Richtung wechseln. Diese Vorteile werden auf Kunstrasen verstärkt, da er dem Sportler besseren Halt bietet als der natürliche Untergrund“ (Theweleit 7.10.2009). Dagegen sprechen medizinische Gründe wie die damit verbundenen höheren Belastungen von Bändern und Gelenken, siehe unten.
2010 wurden in Europa schon rund 2500 Hektar Kunstrasen verlegt: Das entspricht 3570 Fußballfelder (Schmidt 22.3.2010). In Deutschland „regelt eine klare Vereinbarung zwischen der Deutschen Fußball-Liga (DFL) und dem DFB die Situation: Solange die DFL in der 1. und 2. Bundesliga Naturrasen vorschreibt, übernimmt der DFB dies auch für die 3. Liga und die Regionalliga“ (Schmidt 22.3.2014).
Das Fifa-Zertifikat
Ein- und Zwei-Stern-Rasen
„Seit 2001 kümmert sich der Weltfußballverband Fifa um die Qualitätssicherung von Kunstrasen“ (Fifa 1). Seitdem existiert auch das „Zertifikations- und Lizenzprogramm“ der Fifa für den „Football Turf“, wie das Kunstrasenfeld Fifa-intern genannt wird. „Ein Fifa-Recommended-Kunstrasenfeld hat für alle nur Vorteile“ (Fifa 1). Vor allem allerdings für die Fifa selbst: „Außerdem verdient die Fifa Geld mit dem Kunstrasen. Der Verband testet die Sorten der Hersteller, und wenn sie sich in ihren Eigenschaften dem Naturrasen ähneln, wird das Produkt mit einer Fifa-Lizenz veredelt und darf im Profifußball verwendet werden“ (Theweleit 7.10.2009; Hervorhebung WZ).
Fifa-Zertifizierung
Die Fifa stellt seit 2001 das 1-Stern-Zertifikat für Hobbyplätze und Anlagen der Städte und Gemeinden aus, seit der Saison 2005/2006 das 2-Stern-Zertifikat für Profiplätze. „Es muss eine Reihe von strengen Tests bestanden werden, bevor das hochbegehrte Fifa-Zertifikat ausgestellt wird“ (www.greenfields-kunstrasen.de). – „Das 2-Sterne-Zertifikat der Fifa für Kunstrasen wurde speziell entwickelt, um den Anforderungen des Profifußballs gerecht zu werden. Für Fifa-Endrunde und Uefa-Toppwettbewerbe ist das 2-Sterne-Zertifikat der Fifa im jeweiligen Wettbewerbsreglement vorgeschrieben“ (Ebenda).
„Rund 300.000 Euro kostet so ein Zertifikat, das nach drei Jahren erneuert werden muss. Angeblich hat die Fifa auf diese Weise schon einen zweistelligen Millionenbetrag verdient“ (Theweleit 7.10.2009; Hervorhebung WZ). – „Drei Jahre ist das Hersteller-Siegel gültig, für das die Fifa einen sechsstelligen Betrag verlangt“ (SZ 8.10.2009; Hervorhebung WZ). Das gilt nach Angaben der Fifa nicht für Zwei-Stern-Siegel: „Das Ein-Stern-Siegel gilt für drei Jahre und kann durch Wiederholung der Tests verlängert werden, während das Zwei-Sterne-Siegel jährlich überprüft und erneuert werden muss“ (Fifa 2).
Wartung
Als „Allgemeine Grundsätze“ für ihren Kunstrasen nennt die Fifa: Wartungsarbeiten nur nach Vorschrift der Installationsfirma; keine Chemikalien und keine Treibstoffe auf der Spielfläche. Zur Wartung muss die Spielfläche regelmäßig gebürstet werden, dazu gibt es Schleppbürsten für Traktoren. Die Bewässerung der Spielfläche ist ebenfalls nötig: „Die Reibung wird vermindert. – Die Spielfläche wird gekühlt. – Das Füllmaterial wird gebunden und verteilt sich dadurch weniger stark“ (Fifa 2). Esswaren und Kaugummis sind zu vermeiden, ebenfalls Rauchen, organisches Material etc.
Verunreinigungen
„Es gibt mehrere mögliche Quellen für Verunreinigungen: a) Spieler, b) Vegetation in der Nähe der Spielfläche, c) Wind, d) Tiere (Ebenda). „Vegetation in der Nähe des Spielfeld führt automatisch zu Verunreinigungen der Spielfläche, so zum Beispiel, wenn um das Feld herum ein Streifen Naturrasen führt und dieses Gras geschnitten wird. Versuchen Sie, eine Barriere zwischen der künstlichen Spielfläche und dem Naturrasen zu errichten. Dies kann eine Abschrankung im eigentlichen Sinn oder auch nur eine vegetationsfreie Fläche sein“ (Ebenda).
„Warum also drängt Blatter dennoch auf eine schnelle Verbreitung des Kunstrasens? ‚Da steckt einfach eine starke Lobby dahinter’, sagt Zirngast“ (Theweleit 7.10.2009; Hervorhebung WZ).
Blatters Kunstrasen
„Als Weltfußballverband haben wir die Pflicht, alle Bemühungen zur Verbesserung der Fußballausrüstung zu unterstützen“ (Blatter, Fifa 1)
Blatter äußerte schon 2009: „Die Zukunft des Fußballs, da bin ich mir ganz sicher, liegt in den meisten Ländern der Welt auf Kunstrasen“ (Theweleit 7.10.2009). – „Blatter wollte schon die WM 2010 in Südafrika auf dem pflegeleichten Grün austragen lassen. Dort spiele man ‘Fußball besser als auf einem Naturrasen’“ (Ebenda).
Zu den Fifa-Einnahmen durch Kunstrasen sagte Blatter: „Die Gebühren, die wir von den Kunstrasen-Herstellern bekommen, gehen in Entwicklungsprojekte. Wir machen das nicht, um Geld zu verdienen, sondern wir dienen dem Fußball“ (Theweleit 7.10.2009).
Das wäre das erste Mal in der Geschichte der Fifa seit Amtsantritt ihrer Präsidenten Joao Havelange (1974 – 1998) und Sepp Blatter (seit 1998): dass es nicht um Geld geht!
Im August 2014 waren Blatters Erkenntnisse schon weiter: „Es gab Zeiten, in denen das Spielen auf künstlichem Untergrund ein Alptraum war. Kunstrasen war wie Teppich auf Beton. Doch die Qualität hat sich stark verbessert“ (SZ 8.8.2014)
Die Fifa konnte mit dem herkömmlichen Naturrasen keine Abgaben abschöpfen – im Gegensatz zum Fifa-zertifizierten Kunstrasen: auch ein Geschäftsmodell.
Medizinische Bedenken
„Unter Sportmedizinern ist der Kunststoffteppich umstritten, weil er meist stumpfer als Naturgras ist. Da die Schuhsohle fester verankert ist, wirken größere Drehkräfte auf Gelenke und Bänder“ (spiegelonline 7.8.2014; SID 7.8.2014). – „Der ehemalige Profi Gernot Zirngast kämpft im Namen der internationalen Spielergewerkschaft Fifpro gegen Profifußball auf Kunstrasen: ‚Es ist völlig unverständlich, warum man Spiele in der WM-Qualifikation und in der EM-Qualifikation darauf zulässt’“ (Theweleit 7.10.2009).
„Obwohl also die Liste der Pro-Kunstrasen-Argumente zumindest aus wirtschaftlicher Sicht lang ist, verweigern sich vor allem die Fußballprofis dem künstlichen Untergrund. Bislang gibt es der Spielervereinigung Fifpro zufolge zum Beispiel keine Langzeitstudien darüber, wie sich das Spiel auf Kunstrasen langfristig auf den Körper des Sportlers auswirkt. (…) Das Problem ist aber noch vielschichtiger. Wenn ein Club Kunstrasen verlegt, muss dieser damit rechnen, als Arbeitgeber für Top-Spieler unattraktiv zu werden. Also nicht nur sportliches, sondern durchaus auch ein wirtschaftliches Risiko“ (Schmidt 22.3.2010). – Die deutsche Fußballspielerin Pauline Bremer gehört zu den 40 gegen Kunstrase Klagenden. Sie äußerte im spiegelonline: „Über die gesundheitlichen Gefahren wurde schon viel gesprochen und geschrieben. Wenn man auf Kunstrasen stürzt, sind die Schürfwunden schmerzhafter, weil das Material so heiß wird. Man verletzt sich außerdem schneller im Knie oder im Sprunggelenk, weil man mit den Stollen im Kunstrasen leicht hängen bleiben kann. Das gesamte Spiel verändert sich. Es ist ein falsches Signal, wenn gleich eine ganze WM auf so einem schwierigen Belag gespielt werden soll. Es zeugt nicht gerade von Respekt gegenüber uns Athletinnen“ (Peschke, Sara, „Es zeugt nicht von Respekt gegenüber uns Athletinnen“, in spiegelonline 10.11.2014).
Zitate von Spielern
Frank Rost: „Das Spiel ist dann komplett anders. Es geht mehr auf die Bänder, die Halbwertzeit eines Fußballers wird auf Kunstrasen drastisch reduziert. 90% der Fußballer sagen sicher: echter Rasen – und die sollten entscheiden. Die Natur kann man nicht so einfach imitieren… Als Letzter hat es wohl Frankenstein versucht, und der ist kläglich gescheitert“ (Quelle: Stadionwelt Nr. 18).
David Beckham: „Als Fußballprofi kann man nicht auf so einem Feld (Kunstrasen) spielen. Man kann von keinem Athleten Höchstleistung darauf erwarten. Was der deinem Körper antut, du bist noch nach drei Tagen in Stücken“ (Quelle: www.synturf.org (17.9.2007).
Ze Roberto: „Ich bin gegen Kunstrasen. Ich bevorzuge richtigen Rasen. Bei Kunstrasen verletzt man sich einfach viel zu schnell“ (Stadionwelt Nr.12).
Alle Zitate: http://www.fussballrasen.com/
Stadien mit Kunstrasen
Red Bull Salzburg: „Was Red-Bull-Salzburg-Sportdirektor Dietmar Beiersdorfer vor wenigen Wochen im österreichischen Fernsehen ankündigte, dürfte Friedemann Söll, Produktmanager beim Kunstrasenhersteller Polytan, nicht gefallen haben. Erst im Sommer 2009 hatte dessen Unternehmen in der Salzburger Fußball-Arena den alten Kunstrasen gegen ein modernes System ausgetauscht. Nun will Beiersdorfer als ‚Befürworter des Naturrasens’ das künstliche Grün vielleicht wieder abtragen lassen – und Polytan würde einen wichtigen Kunden verlieren. Wichtig wäre der österreichische Fußballmeister weiterhin als Werbeträger für Kunstrasen im Profifußball. Denn bisher verdienen die Hersteller ihr Geld vor allem im Breitensport. Dort installieren alle Mitgliedsunternehmen nach Angaben des Branchenverbandes Esto, der 90 Prozent der europäischen Kunstrasenhersteller vertritt, jährlich 2500 Hektar Kunstrasen. Geht man von einer normalen Spielfläche von rund 7000 Quadratmetern aus, wären das 3570 Fußballfelder. Zusammen mit den USA zählt Europa damit zu den Weltmarktführern“ (Schmidt 22.3.2010. Beiersdorfer war von 2009 bis 2011 für Red Bull tätig).
Red Bull Salzburg blieb dann doch beim Kunstrasen – wegen des „Alleinstellungsmerkmals“ Kunstrasen: „Der österreichische Meister weist seit vier Jahren die beste Heimbilanz der Liga auf“ (SZ 8.10.2009). – „Wie entscheidend der Vorteil eines eigenen Kunstrasenstadions sein kann, zeigt das Beispiel Salzburg. Der österreichische Meister ist seit vier Jahren stets die beste Heimmannschaft. Und so gilt Österreich mittlerweile als das Land, in dem sich der Widerstand am heftigsten regt“ (Theweleit 7.10.2009).
Luzhniki-Stadion Moskau: Im Oktober 2009 spielte die deutsche gegen die russische Nationalmannschaft im Moskauer Luzhniki-Stadion: Der Belag kam vom französisch-kanadischen Hersteller Fieldturf Tarkett (Schmidt 22.3.2014). – „Auch in Moskau ließe sich mit etwas Mühe und einer guten Rasenheizung problemlos auf Naturrasen spielen, erklärt Zirngast. Erst recht im Oktober, wenn die Temperaturen kaum unter den Gefrierpunkt sinken. Als im Sommer 2008 das Champions-League-Finale in der russischen Hauptstadt stattfand, wurde das Kunstgrün noch extra herausgerissen und ein Naturrasen verlegt. Der europäische Fußballverband Uefa fürchtete einen Imageschaden beim Treffen der Superstars zwischen Manchester United und dem FC Chelsea“ (Theweleit 7.10.2009). Wobei dies die absolute Ausnahme gewesen sein dürfte: Wo einmal Kunstrasen auf dem dafür nötigen Untergrund liegt, wird nie wieder Naturrasen sein.
Widerstand: Frauen-WM 2015 in Kanada:
Vorgeschichte, April 2013:
Bei der Frauen-Fußball-WM 2015 treten – aus durchsichtigen Profitgründen – erstmalig 24 statt 16 Nationen an. In den Stadien von Vancouver, Winnipeg, Edmonton, Ottawa und Montréal liegt schon Kunstrasen: Nur Moncton hat noch Naturrasen (Steinbichler 5.4.2013). Der deutsche Hersteller Polytan verschiffte allein für die Kunstrasen-Verlegung des Stadions in Vancouver 40 Tonnen Kunstrasen plus Einfüllmaterial (Eisenberger 27.6.2015).
Kurz nach Vergabe der WM an Kanada twitterte die US-Fußballerin Abby Wambach: „Ich denke, wir müssen eine Petition an die Fifa starten, damit sie nicht zulässt, dass die Weltmeisterschaft auf Kunstrasen gespielt wird. Wer macht mit?“ (Steinbichler 5.4.2013). Der Chef des WM-Organisationskomitees, Peter Montopoli, äußerte dazu: „Aber wir arbeiten eng mit der Fifa und waren in enger Abstimmung auf höchster Fifa-Ebene über die Angelegenheit“ (Ebenda. Die höchste Fifa-Ebene ist Blatter höchstpersönlich.). – „Ob Schwedens Topstürmerin Lotta Schelin, Frankreichs Spielmacherin Camille Abily, Englands Faye White oder die Australierin Samantha Kerr – sie alle rufen ihre Kolleginnen und Fans zum Widerstand auf“ (Steinbichler 5.4.2013). 30.000 unterstützten den Aufruf. Auch die Spanier Iker Casillas und Andrès Iniesta schlossen sich dem Protest an.
August 2014:
„Rund 40 Top-Spielerinnen, darunter die deutsche Weltfußballerin Nadine Angerer, drohen dem Weltverband Fifa mit einer Klage, weil die WM 2015 in Kanada auf Kunstrasen ausgetragen werden soll. In einem vierseitigen Protestschreiben bezeichnen die Spielerinnen das Geläuf als ‚zweitklassig’ sowie ‚diskriminierend und illegal’. Die Wahl fördere die Gefahr von Blessuren, heißt es in dem Schreiben weiter. (…) Die Verletzungsgefahr ist riesig.’ In Vancouver findet das Finale der WM 2015 (6. Juni bis 5. Juli) statt. (…) ‚Ich hoffe, dass die Fifa noch etwas macht, so ist das peinlich’ sagte Angerer. Laut Bundestrainerin Silvia Neid ist Kunstrasen bei einer Frauen-WM ein ‚No-Go’. ‚Wir werden als Versuchskaninchen verwendet’, ließ sich Neid in dem Protestbrief zitieren“ (spiegelonline 7.8.2014). Fußball auf Kunstrasen sei „ein vollkommen anderes Spiel“ (SID 7.8.2014).
Die renommierte amerikanische Anwaltskanzlei Boies, Schiller und Flexner hat im Auftrag der 40 Spielerinnen einen Brief an die Fifa und den kanadischen Fußballverband (CSA) geschrieben, in dem das Recht für die Spielerinnen auf Rasenplätze eingefordert wird. „Die Wahl verletze Menschenrechte und fördere zudem die Gefahr von Blessuren, heißt es in dem vierseitigen Protestschreiben weiter. ‚Der Platz in Vancouver beispielsweise ist eine Frechheit, das ist Beton. Die Verletzungsgefahr ist riesig’, sagte Angerer, die deutsche Nationaltorhüterin“ (SID 7.8.2014). Derzeit liegt noch kein Kommentar von Fifa oder CSA vor.
2003 wurde bei der Fifa U-17-WM in Finnland auf Kunstrasen gespielt, ebenso 2005 bei der Fifa U-17-WM in Peru und 2007 die Fifa U-20-WM in Kanada (Fifa 1). Im August 2014 findet die Weltmeisterschaft der U20-Juniorinnen in Kanada statt – auch auf Kunstrasen.
Die Frauen-WM im Sommer 2015 wäre die erste WM auf Kunstrasen. „Im frostigen Russland 2018 und vier Jahre später in der Gluthitze von Katar sollen die Männer jedenfalls noch auf Gras spielen“ (Eisenberger 27.6.2018).
Fazit
Mit Kunstrasen Geld verdienen: Das Geschäftsmodell der Fifa ist schlagend. Wie viele zehntausend professionelle Fußballstadien gibt es weltweit? Und wie viele Millionen kommunale Bolz- und Übungsplätze? Das bedeutet hunderttausende Hektar mit von der Fifa-zertifizierten Kunstrasenflächen – und entsprechende Fifa-Einnahmen. Kein Fußballplatz ohne Kunstrasen mehr… Dabei ist die Gesundheit der Sportler ist völlig uninteressant.
Und wie sieht eine Öko-Bilanz des Kunstrasens aus im Hinblick auf das Material, die Herstellung, den Energieverbrauch, die Entsorgung von hunderttausenden Tonnen Chemiemüll, etc.
Und die armen, aber fußballbegeisterten Länder, die bisher ihren Rasen vermutlich im Eigenanbau angepflanzt und gepflegt haben, müssen künftig den Fifa-zertifizierten Kunstrasen für teures Geld von den reichen Industrieländen beziehen: so ist die Planung.
Blatters Geld-Kunstrasen…
Nachtrag 1: Zieht die Leichtathletik nach?
Die Leichtathletik-Europameisterschaft 2014 fand in Zürich im Letzigrund-Stadion statt. Dort war ein neuer, beinharter Kunststoff-Boden verlegt. „Vertreter mancher Disziplinen blicken skeptisch auf den extra-harten Untergrund im Stadion. (…) Auf dem neuverlegten Kunststoffboden lief das Regenwasser nicht richtig ab, Wurfbewegungen, welche die Sportler außerhalb des Ringes abfangen mussten, drohten für sie zur Rutschpartie zu werden“ (Hahn, Thomas, Der Ärger der Athleten, in SZ 16.8.2014).
Nachtrag 2: Blatters Fifa bleibt hart
Die Vertreterin der Fifa, Tatjana Haenni, stellte bei einem Besuch der sechs kanadischen Spielstätten Anfang Oktober 2014 klar: „Wir spielen auf Kunstrasen, es gibt keinen Plan B“ (Fifa beharrt auf Kunstrasen, in SZ 2.10.2014). – „Inzwischen verweist die Funktionärin bei Anfragen auf die Medienabteilung ihres Verbands, die ihrerseits schweigt. Genau das empört die Spielerinnen“ (Steinbichler, Karin, Blatter in Erklärungsnot, in SZ 8.10.2014). – „Am 1. Oktober um 13.27 Uhr Ortszeit erreichte den Gerichtshof für Menschenrechte im kanadischen Toronto/Ontario eine 16-seitige Anklageschrift, die die Fifa seitdem in einige Unruhe versetzt. In dem Schriftstück legt eine Rechtsanwaltsgruppe – zusammengestellt aus Mitarbeitern der angesehenen Kanzleien Boies, Schiller & Flexner LLP (USA) sowie Ryder Wright Blair & Holmes LLP (Kanada) – ausführlich dar, warum die geplante Durchführung der Frauenfußball-Weltmeisterschaft 2015 geltendes kanadisches Gesetz bricht“ (Ebenda). Auch das höhere Verletzungsrisiko auf Kunstrasen (22 Prozent mehr Knie- und Knöchelverletzungen) wird darin erwähnt. „Nur einen Tag nach Einreichung der Klage forderte der Gerichtshof den kanadischen Verband und die Fifa auf, sich bis diesen Donnerstag (9.10.2014; WZ) zu erklären“ (Ebenda).
Nachtrag 3: Fifa frauenfeindlich. In der oben erwähnten Anklageschrift wird auch die ablehnende Meinung der Männer in der nordamerikanischen Major League Soccer (MLS) erwähnt: Die Fifa schreibt den Frauen den Kunstrasen vor, lehnt aber bei den Männern wegen deren ablehnenden Haltung den Kunstrasen ab. Der Generalsekretär des kanadischen Fußballverbandes, Peter Montopoli, äußerte im Januar 2012: „Wenn man auf Seiten der Männer über WM-Qualifikationsspiele spricht, muss man auf die Oberfläche achten, auf der gespielt wird. (…) Es muss Gras sein. (…) Die Trainer und Spieler bevorzugen Gras“ (Ebenda). – „Da hatte die Fifa die Frauen-WM 2015 bereits an den kanadischen Verband und sein dafür vorgesehenes Kunstrasenkonzept vergeben, das erst später veröffentlicht wurde. Dass allerdings auch die Frauen lieber auf Rasen spielen, ist der Fifa offiziell bekannt. Sie hatte angesichts des zunehmenden Unmuts über die Kunstrasen-WM extra danach gefragt: Bei einer Erhebung unter 190 Nationalspielerinnen im Rahmen des Algarve-Cups 2013 gaben 77 Prozent an, dass größere Wettbewerbe auf Rasen zu spielen seien; denn ‚bei einem Turnier, in dem du alle drei Tage spielen musst‘, erläutert Spaniens Boquete, ‚ist die Erholung nach einem Spiel auf Kunstrasen anders als bei einem Spiel auf Gras’“ (Ebenda).
Nachtrag 4: Die Fifa-Demokratur. Die Anwaltskanzlei Ryder Wright Blair & Holmes der gegen die Fifa klagenden Fußballspielerinnen erweiterten am 27.10.2014 ihre Klage: „Darin erläutern die Anwälte, dass die Nationalspielerinnen Teresa Noyola aus Mexiko und Camille Abily sowie Elise Bussaglia aus Frankreich von Vertretern ihrer nationalen Verbände angehalten worden seien, ihre Beteiligung an der Klage gegen die Fifa zurückzuziehen. Andernfalls, so sei den Spielerinnen bedeutet worden, habe das Folgen für ihre Karriere. (…) Den Französinnen Abily und Bussaglia sei bedeutet worden, dass ihre Beteiligung an der Klage Folgen haben könnte für die französische Bewerbung um die Ausrichtung der WM 2019. (…) Bei allen drei genannten Spielerinnen hat die Kanzlei nun bei Gericht gebeten, sie von der Liste der Klägerinnen zu nehmen, um ihnen Nachteile zu ersparen“ (Steinbichler, Karin, Deutliche Drohung, in SZ 29.10.2014). Inzwischen klagen 61 Fußballerinnen gegen den Kunstrasen, davon 18 deutsche Nationalspielerinnen (Ebenda).
Kommentar von Karin Steinbichler in der SZ: „Denn die Fifa, die ist offenbar so ein Chef, der nicht diskutiert, sondern lieber seine Gewalt ausübt. Im Sport, der sich gern mit Fairplay-Attitüden schmückt, ist das eine Ungeheuerlichkeit“ (Steinbichler, Karin, Rückgrat vor der Weltmacht, in SZ 29.10.2014).
Nachtrag 5: Knickt die Fifa vor dem Frauenprotest ein? – Knickt die Fifa vor dem Frauenprotest ein? Anfang Dezember 2014 deuteten sich Änderungen an. „Fifa-Generalsekretär Jérôme Valcke bemühte sich bei Hintergrundtreffen in Ottawa, die um die Klage entstandene Unruhe bei den Delegationen zu beruhigen. Die WM 2019, um die sich Frankreich und Südkorea bewerben, werde ‚auf alle Fälle auf Rasen gespielt‘, sagte Valcke“ (Steinbichler, Katrin, Warmspielen in Ottawa, in SZ 8.2.2014).
Nachtrag 6: Fifa knickt nicht ein. Die Fußball-WM der Frauen wird trotz der Gerichtsprozesse wie geplant vom 6. Juni bis 5. Juli 2015 in Kanada stattfinden. „Der Unmut unter den Spielerinnen über die in Kanada zu bespielenden Kunstrasenplätze ist mittlerweile so groß, dass er das Sportliche dieses fußballerischen Großereignisses komplett überlagert. Der Streit beschäftigt inzwischen die Gerichte. Eine Klage von 61 Spielerinnen gegen den Kunstrasen ist anhängig. Die Fifa ist allerdings bislang in keiner Weise bereit, von ihrem Konzept abzurücken. (…) Bei den Männern ist bislang niemand auf die Idee gekommen, die großen Turniere auf künstlichem Geläuf auszuspielen. (…) ‚Das zeugt von fehlendem Respekt gegenüber uns Athletinnen‘, sagte Nationalspielerin Pauline Bremer SPIEGEL ONLINE. Fifa-Chef Joseph Blatter hält Kunstrasen dagegen für die Zukunft des Fußballs. Die mal eben an den Frauen ausgetestet werden soll“ (Ahrens, Peter, Das Gras? Kannst du in der Pfeife rauchen, in spiegelonline 25.12.2014).
Nachtrag 7: Mediation unerwünscht. Vom 6. Juni bis 5. Juli 2015 findet in Kanada die Frauen-Fußball-WM statt. Die Fifa beharrt auf Kunstrasen, der von den Spielerinnen wege der höheren Verletzungsgefahr abgelehnt wird. Einen von Experten erarbeiteten Kompromissvorschlag mit flexiblem Rollrasen lehnte die Fifa Mitte Januar 2015 umgehend ab. „Geklärt ist nur, dass die Fifa auf den Aufruf des Gerichts in Toronto, an einer Mediation teilzunehmen, nicht eingegangen ist, da die Fifa nach eigener Aussage die Zuständigkeit des Gerichts gar nicht erst anerkennt“ (Steinbichler, Karin, Untergrund-Bewegung, in S 14.1.2015).
Vermutlich erkennt die Fifa nur den – sportabhängigen – Internationalen Sportgerichtshof Cas in Lausanne an: Dessen Kompetenz hat das Münchner Oberlandesgericht im Fall Claudia Pechstein gerade eingedämmt.
Nachtrag 8: Spielerinnen unter Druck. Am 21.1.2015 zogen die verbliebenen rund 50 Spielerinnen ihre Klage zurück. Die Fifa hatte sich geweigert, das kanadische Gericht überhaupt anzuerkennen. Nach dem Rückzug erzählte Fifa-Generalsekretär Jérôme Valcke, dass man sich nun ganz auf das Turnier konzentrieren könne und „ein großartiges Fußball-Spektakel“ genießen werde“ (Steinbichler, Katrin, Frauen unter Druck, in SZ 23.1.2015). „Hampton Dellinger, der Anwalt der Spielerinnen von der Kanzlei Boies, Schiller & Flexner LLP in Washington/USA, deutet dagegen an, dass die Spielerinnen bei ihrer Entscheidung von der Fifa unter Druck gesetzt wurden“ (Ebenda). Die Fifa habe mit Suspendierungen, einer Absage des Turniers und einer Gegenklage der Fifa gedroht. Einziges Zugeständnis: Der veraltete Belag im WM-Finalstadion von Vancouver wird durch einen neuen Kunstrasen ersetzt (Ebenda). Die nächste Frauenfußball-WM 2019, für die sich Frankreich und Südkorea bewerben, soll auf Naturrasen stattfinden.
Nachtrag 9: Kunstrasen-Heizung bei der WM 2015 in Kanada
Die US-Stürmerin Abby Wambach nannte es einen „Albtraum“, auf Kunstrasen zu spielen. Die Verletzungsgefahr ist deutlich höher. Der US-Teamarzt Bojan Zoríc: „Auf Kunstrasen ermüden die Spielerinnen deutlich schneller als auf Gras. Sie brauchen auch länger, um sich wieder zu erholen“ (Ein heißes Feld, in Der Spiegel 25/13.6.2015). Die deutsche Stürmerin Alexandra Popp äußerte zum Kunstrasen: „Die Spiele hier sind für jeden schwer, vor allem angesichts der Hitze auf den Plätzen“ (Steinbichler, Karin, Heißes Pflaster, in SZ 13.62015). – „Womit diese Frauenfußball-WM bei ihrem eigentlichen Thema angelangt ist. Denn die undurchsichtige Entscheidung der Fifa, erstmals ein Turnier auf Kunstrasen auszutragen, wird auch in Kanada als fragwürdig angesehen. Schürfverletzungen hat es zwar bislang noch keine gegeben, dazu ist der verwendete Belag zu neu und zu gut. Dass die Fläche sich durch das schwarze Granulat, auf dem der Ball besser laufen soll, extrem aufheizt, war allerdings abzusehen. Schon beim Eröffnungsspiel in Edmonton, einem im Vergleich noch kühlen Spielort, wurden bei 23 Grad Lufttemperatur 49 Grad Celsius auf dem Kunstrasen gemessen. ‚Unter solchen Bedingungen 90 Minuten Vollgas und dazu ein ganzes Turnier zu spielen, ist Wahnsinn‘, meinte Wambach, ‚ich weiß nicht, was da mit uns ausprobiert werden soll’“ (Ebenda).
Ein Grund für die Erwärmung ist das Einfüllmaterial, meist ein schwarzes Gummigranulat aus alten, geschredderten Autoreifen, das sich bei Sonneneinstrahlung schnell aufheizt. „Damit ein Kunstrasen nicht stumpf wird, muss er ausreichend gewässert werden, doch in der kanadischen Sommerhitze verdampft das Wasser schnell“ (Peschke, Sara, Die Kunst mit dem Rasen, in spiegelonline 17.6.2015).
Nachtrag 10: Kunstrasen auf Hawai – Länderspiel abgesagt
Die Frauenfußball-Nationalelf der USA ist amtierender Weltmeister. Am 6.12.2015 wurde nun das Länderspiel USA gegen Trinidad & Tobago wegen des schlechten Zustandes des Kunstrasens im Stadion von Honolulu/Hawai abgesagt. Stürmerin Alex Morgan: „Stadion und Trainingsplätze sind der reine Horrror“ (Fußballweltmeisterinnen haben keine Lust auf Kunstrasen, in spiegelonline 7.12.2015). Morgan weiter: „Ich weiß nicht, warum acht oder neun unserer zehn Victory-Tour-Spiele auf Kunstrasen stattfinden müssen, während die Männer in diesem Jahr kein einziges Spiel auf Kunstrasen gespielt haben“ (Kunstrasen-Streit, in SZ 7.12.2015).
Quellen:
„Diskriminierend“, in SZ 8.8.2014b
Eisenberger, Korbinian, Grünes Garn und schwarze Kugeln, in SZ 27.6.2015
Fifa 1: Fifa-Qualitätskonzept für Kunstrasen
Fifa 2: Fifa-Qualitätskonzept für Kunstrasen
GreenFields als bevorzugter Fifa-Hersteller, www.greenfields-kunstrasen.de /fifa-standards/
Kunstrasen, in SZ 8.10.2009
Neudecker, Michael, Polyethylen, pfui! in SZ 8.8.2014a
Schmidt, Kathrin, Bahn frei für denn Plastikplatz? in spiegelonline 22.3.2010
SID, Angerer über Fifa-Plan – „Illegal, diskriminierend“, in welt.de 7.8.2014
Star-Spielerinnen drohen mit Klage, in spiegelonline 7.8.2014
Steinbichler, Karin, „Es ist eine Schande“, in SZ 5.4.2013
Theweleit, Daniel, Pöbeln gegen den Plastikplatz, in spiegelonline 7.10.200
Warum hat der Fußballrasen bei der WM dunkelgrüne und hellgrüne Streifen? mdr.de 26.6.2014
www.fussballrasen.com