6.3.2014, aktualisiert 25.2.2015
– Die Ukraine-Krise und die Paralympics Sotschi 2014
Weniger als zwei Wochen nach der Abschlussfeier Sotschi 2014 drohte Putin mit dem Anschluss der Krim an Russland und dem Einmarsch in die Ukraine. Kurt Kister schrieb dazu in der SZ: „Er weiß, dass Russland der Ukraine militärisch riesenhaft überlegen ist, und er weiß auch, dass Moskau keine militärischen Gegenmaßnahmen von außerhalb befürchten muss. Er handelt so ungeniert, wie er es sich anhand seines ohnehin ruinierten Rufs leisten kann. Putin ist ein Autokrat des 21. Jahrhunderts, der als KGB-Offizier im 20. Jahrhundert politisch sozialisiert worden ist und der sich nun gegenüber der Ukraine der Mittel des imperialistischen 19. Jahrhunderts bedient. (…) Die Putin-Doktrin lautet: Wo genug Russen leben, habe ich, der Präsident aller Russen, das Recht zu handeln. Was ‚genug‘ Russen sind, wird durch Putins Definitionshoheit bestimmt. In diesem Sinne waren die Verhältnisse während der Zeit des Kalten Krieges zwar nicht gut, aber sie waren halbwegs rational. Allerdings war Vernunft nie eine Tugend der Nationalisten“ (Kister, Kurt, Putins Doktrin, in SZ 4.3.2014).
Und das IOC steht still und schweiget… Außerdem will man ja die Paralympics (7. – 16.3.2014) in sportlicher Ruhe feiern.
– Gebrochener Widerstand und Putin-Spiele
„Zwei Jahre nach den Massenprotesten gegen die Wahlfälschungen geht in Russland kaum noch jemand auf die Straße. In der vergangenen Woche verloren die Kreml-Gegner zudem ihren charismatischsten Kopf: Wegen seiner Teilnahme an einer Demonstration stellte ein Gericht den Korruptionsbekämpfer und Oppositionspolitiker Alexej Nawalny unter Hausarrest. Er darf nur noch mit seiner engsten Familie, seinen Anwälten und den Ermittlern sprechen. Der Zugang zum Internet ist ihm verboten. Doch damit hat Putin in der medialen Öffentlichkeit Russlands ebenso wenig zu tun wie mit dem Angriff auf die Ukraine. Die Nachrichten zeigen ihn stattdessen in Sotschi, wie er mit internationalen Sportfunktionären unter Palmen wandelt. Putin trägt einen leichten Blazer und keine Krawatte, der Himmel ist blau, in der Ferne glitzert das Meer, die Spiele, waren sie nicht großartig?“ (Hans, Julian, Such das Herrchen, in SZ 3.3.2014).
– Russische Großmachtpolitik im Schatten von Sotschi 2014
„2014 ist nicht 1938 oder 1968, und die Krim ist nicht das Sudetenland und Kiew nicht Prag. Aber Russlands Präsident Wladimir Putin hat nicht nur das Völkerrecht gebrochen, er hat klargemacht, dass sein Machtwille auf dem Gebiet der einstigen Sowjetunion kaum Grenzen kennt. (…) Für den Westen ist die Zeit gekommen, Abschied zu nehmen von der Illusion, dass das im Inneren von autoritärer Herrschaft, Willkür, Machtmissbrauch, Nationalismus und imperialem Phantomschmerz geprägte Russland im Äußeren ein zwar schwieriger, aber doch berechenbarer Partner sein kann, den mit der EU und den USA zentrale Interessen verbinden“ (Brössler, Daniel, Putins Grenzen, in SZ 3.3.2014).
– Ukraine droht mit Boykott der Paralympics. Sotschi liegt gerade einmal 475 Kilometer von der Krim-Region entfernt. „Das Team der Ukraine droht in der Krim-Krise mit einem Boykott der Paralympischen Spiele (7. bis 16. März) und stellt Russland ein Ultimatum. ‚Wir wollen eine friedliche Lösung. Das Gastgeberland soll seine Truppen von der Krim abziehen, bevor die Spiele beginnen‘, sagte Natalia Garach, Sprecherin des ukrainischen Paralympischen Komitees, der Nachrichtenagentur AFP: ‚Ansonsten werden wir die Spiele boykottieren'“ (Ukraine droht mit Paralympics-Boykott, in zeitonline 4.3.2014). Am 7.3.2014 änderte sich die Lage: „Nach langem Hin und Her ist jetzt klar: Die Ukraine tritt trotz der Krim-Krise bei den Paralympics in Sotschi an. Das gab die Mannschaftsleitung gerade auf einer Pressekonferenz bekannt“ (spiegelonline Liveticker, 7.3.2014).
– Russland: Keine Probleme mit den Paralympics. Der für die Paralympics zuständige russische Vizeregierungschef Dmitri Kosak zu den Vorbereitungen : „Wir liegen im Plan, es gibt keine Probleme“ (Zwiespältige Gefühle, in SZ 4.3.2014). Die US-Regierung schickt keine Vertreter zu den Paralympics nach Sotschi, auch die niederländische Sportministerin und die königliche Familie sagten ab (Vates, Daniela, Grüne: Regierung sollte Paralympics boykottieren, in fr-online 5.3.2014). Der englische Premierminister David Cameron kündigte an, dass kein englischer Minister die Paralympics besuchen werde (Ebenda). Die Bundesregierung kündigte ebenfalls an, dass die komplette politische deutsche Delegation bis auf den Staatssekretär Ole Schröder und die Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, Verena Bentele, nicht fahren wird (Verwirrung um Boykott der Bundesregierung, in faz.net 6.3.2014; Bentele entschied dann ebenfalls, nicht zu fahren, siehe unten). Claudia Roth von Bündnis 90/Die Grünen forderte zum Boykott auf: „Mitglieder der Bundesregierung sollten den Paralympics in Sotschi fernbleiben und Putin keine Gelegenheit zur Inszenierung geben“ (Vates 5.3.2014). Roth weiter: „Es sei unverantwortlich, dass die Sportler von den Funktionären dazu gebracht würden, als Kulisse für Putins Machtdemonstration zu dienen“ (Ebenda). Staatssekretär Ole Schröder fuhr dann entgegen der ursprünglichen Planung ebenfalls nicht (Sotschi wird boykottiert, in faz.net 12.3.2014).
Das deutsche Paralympics-Team flog am 4.2.2014 nach Sotschi. Die Ski-Rennläuferein Anna Schaffelhuber: „Ich bin Sportlerin und freue mich riesig auf die Spiele“ (Ebenda).
– Kommentar von Christoph Becker in der FAZ: „Und doch ist ein Boykott richtig. (…) Wer wegbleibt, lässt sich nicht instrumentalisieren von Wladimir Putins großer Show. Das Internationale Paralympische Komitee sollte es besser machen als das Internationale Olympische Komitee, das durch die völkerrechtswidrige russische Aggression noch nachträglich desavouiert wurde. Als hätten ausgebeutete Arbeiter, missbrauchte Umwelt und Verhaftungen von Menschenrechtlern noch während der Spiele nicht gereicht, um zu beweisen, dass die Vergabe an Russland der größte sportpolitische Fehler der jüngeren Geschichte war“ (Becker, Christoph, Wegbleiben, nicht wegsehen! in faz.net 3.3.2014).
– Kommentar von Thomas Hahn in der SZ zu Paralympics plus Ukraine-Krise: „Die Unbefangenheit ist fort, und mancher Sportfreund mag sich hilflos fragen: Was können die Paralympics denn dafür, dass Russlands Präsident Wladimir Putin in der tausend Kilometer entfernten Ukraine Truppen aufmarschieren lässt? (…) Jetzt hat der Spiele-Gastgeber einen konkreten militärischen Akt unternommen, den die sieben führenden Industrieländer geschlossen als Völkerrechtsverletzung interpretieren. Hier hört der Spaß endgültig auf – da kann das Internationale Paralympische Komitee noch so hingebungsvoll auf die Idee vom olympischen Frieden verweisen. Selbst die Herren der Olympischen Ringe müssten in einer ähnlichen Situation erkennen, dass Sport eben doch nur Sport ist: eine Nebensache, über die sich ein paar hübsche Werte meistbietend vermarkten lassen und für die ein Putin auch mal 50 Milliarden Dollar zahlt“ (Hahn, Thomas, Ernste Lage, in SZ 4.3.2014).
– Phil Craven, His Master’s Voice. Craven ist Präsident des Internationalen Paralympischen Komitees (IPC). „Und IPC-Präsident Sir Phil Craven begrüßt in einer Pressemeldung, dass das russische Fernsehen eine Sendezeit von 1800 Stunden für die Paralympics vorgesehen habe“ (Hahn, Thomas, Eingezäunte Ruhe, in SZ 5.3.2014). Am 4.3.2014 äußerte Craven: „Wir sind uns dessen sehr bewusst, was anderswo passiert, und wir überlassen die Weltpolitik den Politikern“ (Ebenda).
Der Sport will unpolitisch sein und ist es doch so gar nicht!
– Kommentar von Ronny Blaschke in der Berliner Zeitung: „Wir sind uns bewusst, was sich woanders abspielt, aber wir überlassen die Weltpolitik den Politikern. Die Sicherheit der Athleten und Offiziellen hat oberste Priorität.“ Das Wort Ukraine wurde nicht ein Mal erwähnt. Die Verdienste des Engländers Philip Craven, der von der Königin 2005 zum Ritter geschlagen wurde, sind hoch, doch mit dieser Argumentation folgt er der beschämenden Haltung von Thomas Bach, dem deutschen Präsidenten des Internationalen Olympischen Komitees. Bach hatte vor und während der Olympischen Spiele in Sotschi kein kritisches Wort zu den Menschenrechtsverletzungen in Russland abgegeben, zu Enteignungen, Umweltschäden, der Ausgrenzung von Homosexuellen. (…) An der Spitze des internationalen Sports hat sich niemand mit klaren Worten zur Politik Putins geäußert. (…) Die Paralympics sind der zweite Teil von Putins Sportpropaganda. Und was hält Philip Craven davon? In einem Interview vor dem Ukraine-Konflikt sagte er Mitte Januar: ‚Die westlichen Medien sollten einsehen, dass sie die Welt nicht nur aus ihrer Perspektive bewerten können. Sie sollten sich auf die Kultur anderer Ländern einlassen. Auch wenn wir gegen politische Grundsätze sind: Wir müssen in diese Länder reisen und über heikle Themen sprechen’“ (Blaschke, Ronny, Eine Frage der Glaubwürdigkeit, in berliner-zeitung.de 4.3.2014).
Und dann: Reiste das IPC nach Sotschi – und schwieg genauso wie das IOC. Hugh Williamson, Europa-Direktor von Human Rights Watch: „Das IPC hat sich gesträubt, Druck auf die russischen Behörden auszuüben“ (Ebenda).
– Die Gazprom-Drohung. Der größte Energielieferant der Welt, Gazprom, teilte am 4.3.2014 mit, dass die Ukraine die Februarrechnung 2014 für Gas in Höhe von 1,5 Milliarden Dollar nicht bezahlen kann. Gazprom-Chef Alexej Miller kündigte an, dass deshalb der im November 2013 gewährte Preisnachlass entfallen muss. Dieser Preisnachlass war gewährt worden „als Lohn für ein Abrücken vom Assoziierungsabkommen mit der EU“ (Balser, Markus, Gammelin, Cerstin, Blick in die Röhre, in SZ 5.3.2014). Bezüglich der Abhängigkeit von Russland bzw. Gazprom steht Deutschland kaum besser da: „Die Ölimporte lagen 2013 bei über 31,4 Millionen Tonnen, rund 35 Prozent der gesamten Einfuhren. Bei Gasimporten sind es sogar fast 40 Prozent“ (Ebenda). „Die Europäische Union (EU) bezieht rund ein Viertel ihres Gasbedarfs aus Russland“ (Warnung vor Gas-Engpass, in SZ 10.3.2014).
Transportmittel für das russische Gas nach Deutschland ist die Pipeline Nord Stream (mit Gerhard Schröder als Aufsichtsrat). Gazprom hat sich auch mit dem Projekt South Stream gegen das von der EU geplante Projekt Nabucco durchgesetzt und beliefert europaweit. „Gazprom könnte so einen ganzen Kontinent in die Zange nehmen, heißt es in der Branche“ (Ebenda).
– USA lösen Russland ab. Durch die sehr in Verruf geratene „Fracking“-Technologie produzieren die USA derzeit jährlich 700 Milliarden Kubikmeter Erdgas und sind nun vor Russland der größte Gaslieferant der Welt. „Vielen Strategen in Washington ist schon länger klar, dass dieser neue Energiereichtum geopolitische Folgen haben wird. Die Krise in der Ukraine ist der erste große Test für diese These“ (Piper, Nikolaus, Weltmacht Erdgas, in SZ 7.3.2014). Der republikanische Sprecher im Repräsentantenhaus forderte Präsident Barack Obama bereits auf, Erdgasexporte für die Ukraine freizugeben. Allerdings muss man es für einen Transport nach Europa erst verflüssigen: Hierfür steht die technische Infrastruktur nicht bereit.
– Russischer Einmarsch offen. Pressekonferenz des russischen Präsidenten am 4.3.2014: „Der russische Präsident Wladimir Putin sieht ‚zum gegenwärtigen Zeitpunkt‘ keinen Anlass, in die Ukraine einzumarschieren, hält sich aber weiterhin alle Optionen offen“ (Hans, Julian, Putin will keine Eskalation – vorerst, in SZ 5.3.2014).
– Putins Bildergewitter – aus einem Kommentar von Thomas Hahn in der SZ: „Offenbar sind Putins Spiele nicht aufzuhalten, auch wenn die Weltgemeinschaft tobt wegen Russlands Aggression in der Ukraine. Die Paralympics stehen bevor, die Weltspiele des Behindertensports, und man darf wohl annehmen, dass ihre Eröffnungszeremonie an diesem Freitag im Olympiastadion von Sotschi wieder großartig wird: mit Tanz, Gesang und einem lächelnden Putin auf der Tribüne. (…) Gerade die Spiele von Sotschi haben gezeigt, wie erfolgreich ein moderner Autokrat den Sport missbrauchen kann, wenn er nur genügend Geld hat. (…) Die Sotschi-Spiele sind bisher ein perfekter Beitrag zur Putin-PR gewesen. Die Kritik westlicher Medien an ihrem 50-Milliarden-Dollar-Gigantismus konnte Putin locker ins Leere laufen lassen, denn am Ende redeten Athleten, Funktionäre und Sportjournalisten ja doch ständig davon, wie reibungslos es zuging in Putins Olympia-Oase. Jetzt ist die Krim-Krise da, das sportliche Bildergewitter soll weiterlaufen, und die meisten Teilnehmer wollen immer noch in Ruhe ihre Spiele spielen. Aber allmählich wird es selbst für den Sport Zeit zu verstehen, dass es neben den Spielen auch noch Ernsteres gibt“ (Hahn, Thomas, Das nächste Bildergewitter, in SZ 5.3.2014).
– Bach in Harmonie mit Putin. Aus einem Kommentar von Hajo Seppelt im Deutschlandfunk: „Der deutsche FDP-Mann und der ehemalige KGB-Mann gaben sich jetzt wieder – bei der Eröffnungsfeier der Paralympics am Freitag – betont harmonisch. (…) Dass er kaum, dass das olympische Feuer vor zwei Wochen erloschen war, seine Maske vom Gesicht riss und die Welt an den Rand eines Krieges führt, dazu sagt der IOC-Präsident jetzt öffentlich nichts. Vielmehr bereiten die Sportfunktionäre – auch jetzt bei den Paralympics – Putin wieder die weltweite Bühne, um sich als Freund der Athleten in Szene zu setzen. Gleichzeitig verbieten dieselben Funktionäre, dass Ukrainer einen Trauerflor tragen, wenn sie der Ermordeten in ihrer Heimat gedenken. (…) Und das IOC schaut zu. Es hat auf dem Basar politischen und ökonomischen Kalküls seine Seele schon lange verkauft. Und Thomas Bach, der deutsche IOC-Präsident, ist der personifizierte Ausdruck dieser Haltungslosigkeit“ (Seppelt, Hajo, Liebesgrüße aus Moskau, in deutschlandfunk.de 9.3.2014).
Aus einer Pessemitteilung von Monika Lazar, Obfrau im Sportausschuss, und Özcan Mutlu, Sprecher für Sportpolitik (Bündnis 90/Die Grünen): „Für uns ist aus sportpolitischer Sicht die morgige Eröffnung der Paralympischen Winterspiele in Sotschi eine bittere Enttäuschung. Die Rede vom Olympischen Frieden wird angesichts der russischen Aggression gegen die Ukraine auf der Krim ad absurdum geführt. Weder Olympia noch die Paralympics haben es ganz offenbar geschafft, Putins Säbelrasseln einzudämmen. Unsere frühe Entscheidung, weder zu Olympia noch zu den Paralympics nach Sotschi zu reisen, war richtig“ (PM Paralympics in Sotschi: Bundesregierung hat endlich ein Einsehen, 6.3.2014).
– Friedhelm Julius Beucher, seit 2009 Präsident des Deutschen Behindertensportverbandes (DBS): „Wir vom DBS sind davon überzeugt, dass Boykottmaßnahmen nichts bewirken, außer dass ich den Sportlern die Chance raube, zu zeigen, was sie sich vier Jahre lang erarbeitet haben. Da würden Welten zusammenbrechen. Wir wollen uns auch nicht an einer Drohgebärden-Spirale beteiligen. Hier ist ein regionaler Konfliktherd Gegenstand internationaler Debatten. Da stehen wir noch sehr weit außen vor“ (Hahn, Thomas, „Leisten Sie einen Beitrag zum Frieden“, in SZ 6.3.2014).
Die alte Argumentation von Sportfunktionären: Wegen der sich abmühenden armen Sportler darf kein Boykott erfolgen. Damit kann man getrost in jede Diktatur fahren.
Beucher: „Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass das IOC zu einem Land sagt: Du brauchst dich nicht zu bewerben, weil du Nachhaltigkeit und demokratische Strukturen nicht wichtig genug nimmst. Und ich erwarte auch vom Internationalen Paralympischen Komitee (IPC), dass es sich jetzt positioniert“ (Ebenda).
Das sind lediglich fromme Wünsche bzw. Lippenbekenntnisse. Das IOC fährt dahin, wo es seinen Host City Contract erfüllt sieht, wo Milliarden fehlinvestiert werden und wo es seine Fünf-Sterne-Hotels hingestellt bekommt. Ob das in einer Demokratie oder einem totalitären Staat erfüllt wird, ist dem IOC völlig egal.
– Aus einem Kommentar von Evi Simeoni in der FAZ: „Das Gewicht der politischen Ereignisse lastet schwer auf den Paralympics in Sotschi. Es wird den Sportlern und ihren Delegationen unmöglich sein, die Tatsache zu überspielen, dass sie zu Gast beim Völkerrechts-Brecher Wladimir Putin sind. Dass sie laufen, springen und Schlitten fahren, während ein paar hundert Kilometer weiter die Lunte an einem Pulverfass brennt. Und dass derjenige, der sie entzündet hat, sie als Komparsen für seine persönliche Propaganda-Show eingekauft hat. Die Verantwortlichen für dieses Desaster, die Mitglieder des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), sollten sich selbstkritisch ansehen, was sie da angerichtet haben. (…) In Sotschi offenbart sich nicht zum ersten Mal das Versagen der Verantwortlichen in diesem Punkt: Dass unter dem Deckmantel der politischen Neutralität und der pädagogischen Wertevermittlung jeder Zahlende eine Bühne für seine Selbstdarstellung geliefert bekommt. Die Weltverbesserungs-Attitüde ist ad absurdum geführt“ (Simeoni, Evi, Olympische Havarie, in faz.net 7.3.2014).
– Zur Frage der Demokratie als Staatsform: Grundsätzlich kann man wohl feststellen, dass die Demokratie als Staatsform global auf dem Rückzug begriffen ist. Traditionelle Demokratien werden in vorautoritäre Regierungsformen transformiert, in der eine Oligarchie die wesentlichen Weichenstellungen vornimmt und in der die Geheimdienste anscheinend schrankenlose Handlungsbefugnisse gegenüber anderen Staaten, aber auch den eigenen Bürgern haben (wie in den USA und Großbritannien).
Aus dem Kritischen Olympischen Lexikon, Stichwort „Oligarchen-Sport„: Ursprünglich wurde der Begriff Oligarchie in den USA Ende des 19. Jahrhunderts für Reiche und Mächtige verwendet, die in westlichen Bundesstaaten auf ihrem Gebiet fast wie Feudalherren herrschten. Im 21. Jahrhundert sehen Sozialwissenschaftler aufgrund der Verteilung des Reichtums die USA wieder „bereits im Zeitalter der Oligarchie angekommen“ (Müller 12.10.2012). Seit dem Wahljahr 2012 ist „nicht nur allenthalben von ‚den Superreichen’ die Rede, sondern gleich von Oligarchie“ (Ebenda). Das „eherne Gesetz“ der Oligarchie zielt darauf ab, ihre Besitztümer zu verteidigen (Ebenda). Die amerikanischen Oligarchen nutzen ihren Reichtum zum Machterhalt und wandeln den Staat zur „formalen Demokratie” um. Selbst das von der Occupy-Bewegung attackierte „one percent“ verliert Einfluss – an noch kleinere und noch reichere Kreise. Die 400 reichsten Amerikaner – etwa 0,0001 Prozent der US-Bevölkerung – kämpfen mittels Lobbyisten, Anwälten und Steuerberatern, „dass der nominelle und der tatsächliche Steuersatz für die Oligarchen weit auseinanderklaffen“ (Ebenda).
In den Staaten des früheren Ostblocks fehlt großenteils eine demokratische Tradition und scheint sich auch nicht einzustellen. Auch die berühmten „BRIC“-Staaten – Brasilien, Russland, Indien und China – können nicht als Demokratien bezeichnet werden. In Brasilien zeichnet sich im Vorfeld von Fußball-WM 2014 und Olympische Sommerspiele 2016 in Rio ein Geflecht von Korruption, Polizeistaatstendenzen und gleichzeitig autoritärem Staatsversagen ab. Und Putins Russland hat mit Demokratie genauso wenig zu tun wie der totalitäre chinesische Staatskapitalismus.
– Putin droht: „Es wäre der Gipfel des Zynismus, die Paralympischen Spiele jetzt zu gefährden. (…) Wer das verhindern will, der zeigt nur eines: Dass ihm nichts heilig ist“ (Dornblüth, Gesine, Paralympics vor dem Hintergrund der Krim-Krise, in deutschlandradiokultur.de 7.3.2014).
– Bentele fährt nicht. Dessen ungeachtet hat die Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, Verena Bentele, angekündigt, dass sie nicht nach Sotschi reisen wird (Ebenda). Dieser Verzicht sei ein „klares Zeichen an Russland“, sagte Bentele im ZDF (Bentele verzichtet, in SZ 7.3.2014). Wieder tat sich IPC-Präsident Philip Craven unrühmlich hervor: „Ich hätte mir gewünscht, dass sie sich zunächst daran erinnert hätte, dass sie eine Athletin ist“ (Ebenda).
IPC-Präsident Craven und IOC-Präsident Bach: Putins Voice…
– Ukrainische Delegation demonstriert für Frieden. Das Team der Ukraine zog nach ihrem Einzug durch das Paralympische Dorf und rief: „Frieden für die Ukraine. Frieden für die Ukraine. Frieden für die Ukraine“ (Hahn, Thomas, Aus vollem Hals, in SZ 7.3.2014). Thomas Hahn schrieb in der SZ: „Ihr Friedensmarsch durchs Paralympische Dorf war ein beeindruckender kleiner Beitrag zum Thema Zivilcourage auf den Bühnen des weltsportlichen Leichtsinns“ (Ebenda). Und wie reagierte das Internationale Paralympische Komitee (IPC) darauf? „Es untersucht gerade, ob die Ukrainer mit ihrem ‚Frieden-für-die-Ukraine‘-Rufen bei der Willkommenszeremonie im Athleten-Dorf am Donnerstag gegen die IPC-Regeln verstoßen haben. Sprecher Craig Spence sagt: ‚Wenn es ein politischer Protest war, wären wir sehr enttäuscht. Wir haben die ganze Woche gesagt, dass es hier um Sport geht, nicht um Politik'“ (Zeichen für Frieden, in SZ 8.3.2014).
Vom IOC-Sprecher Mark-Adams zum IPC-Sprecher Craig Spence… kein Unterschied.
– Russische Staatsparalympier bekommen viel Geld. „Das Sportministerium leistet sich Staatsparalympier, die wie Profis trainieren und zahlt üppige Medaillenprämien. Vier Millionen Rubel (80.000 Euro) bringt Paralympics-Golds, 25 Millionen Silber, 1,7 Millionen Bronze. Dazu können Autos, Wohnungen und weiteres Preisgeld von Sponsoren kommen“ (Hahn, Thomas, Barrierefrei zum Gold, in SZ 11.3.2014).
– Beucher nicht zu Putin. Der russische Präsident lud am 11.3.2014 die 45 Präsidenten der teilnehmenden Paralympischen Komitees zum Mittagessen am 121.3.2014 ein. Julius Beucher verweigerte dieses Mittagessen: „Als demokratischer Bürger und Verbandspräsident werde ich nicht als Staffage für Fotos auf PR-Terminen dienen“ (Kögel, Annette, Deutsche boykottieren Essen mit Präsident Putin, in tagesspiegel.de 13.3.2013).
– Gastgeberland überfällt Gast. Der ukrainische IPC-Präsident Waleri Suskowitsch kritisierte am Ende der Paralympics Putin-Russland: „Niemals zuvor in der Geschichte der paralympischen Bewegung hat eine Gastgeber-Nation zur gleichen Zeit eine Aggression oder eine Intervention ausgeübt gegen ein anderes Land, das an den Paralympics teilnimmt“ (Russlands Behinderte hoffen auf Wandel, in ard.br.de 16.3.2014).
– Milliarden-Investitionen für Putin. Kreml-Kritiker Alexej Nawalny: „Ausländische Kritik hin oder her: Die Wettkämpfe waren milliardenteure Propaganda und haben Putin geholfen“ (Ebenda).
– Paralympics-Abschluss
Während Russland am selben Tag – Sonntag, 16.3.2014 – die Krim annektierte, fand die Abschlussfeier in Sotschi statt. „Russlands Präsident Wladimir Putin beobachtete das Spektakel mit bunten Feuerwerken, Lichtershow und aufwendigen Inszenierungen wie Regierungschef Dmitri Medwedew von Ehrenplätzen auf der Tribüne“ (11. Winter-Paralympics sind offiziell beendet, in spiegelonline 16.3.2014). IPC-Präsident Philip Craven bedankte sich dann noch bei Putin, „dass Sie den Willen für Wandel gezeigt haben“ (Hahn, Thomas, Sir Philip für Putin, in SZ 18.3.2014). Und Putin bedankte sich bei Craven und dem IPC, „dass die Paralympischen Spiele draußen geblieben sind aus der Politik“ (Ebenda).
Aus einem Beitrag von Thomas Hahn in der SZ: „Und dabei hat man noch mal sehen können, wie wunderbar sich der Sport und die Politik verstehen, wenn sie etwas voneinander wollen: der Sport teure Arenen für seine Wettkämpfe und die Politik eine Bühne für ihre Stärke. Die Paralympischen Spiele von Sotschi waren wunderbar. Und gerade weil sie so wunderbar waren, waren sie so erschreckend. Denn sie haben reibungslos funktioniert als PR-Maschine für einen modernen Autokraten, der nicht nur eine fragwürdige Menschenrechts- und Umweltpolitik verantwortet, sondern derzeit auch die Krim-Krise, die ungute Erinnerungen an den Kalten Krieg weckt. (…) Durch die Haltung, die Sir Philip Craven mit Ausdauer vertritt, wird der Sport zum attraktiven Spielzeug für Machtmenschen. Es soll nur um Sport gehen bei den Spielen? Niemals ging es nur um Sport bei den Spielen von Sotschi. Sie waren angelegt als Showveranstaltung für das neue Putin-Russland. Die Paralympics waren für Putin das perfekte Instrument, um sich als Gutmensch zu inszenieren. Die Schwärmereien des britischen IPC-Chefs sind die Geigenmusik zur täglichen Russland-Show der Staatsmedien“ (Ebenda).
Craven sprach dann noch von den „besten Paralympischen Spielen, die jemals stattgefunden“ hätten (spiegelonline 16.3.2014).
Damit erinnert er an den früheren IOC-Präsidenten und Altfaschisten Juan Antonio Samaranch: „best games forever“…
– Putins Oligarchen-Freunde
Nach der gewaltsamen Einverleibung der Krim-Halbinsel Mitte März nach den Paralympics in Sotschi 2014 beschlossen EU und die USA eine “Schwarze Liste”, auf der sich viele Freunde Putins finden: – (1) Die Bank Rossija, 1990 von Jurij Kowaltschuk in St. Petersburg gegründet. Putin erklärte, er werde bei der ihm angeblich unbekannten Bank ein Konto eröffnen: “Sie gilt als persönliche Bank des Präsidenten und hoher Beamter” (Hans, Julian, Wenn Panzer Wachstum stoppen, in SZ 24.3.2014). – “Sie ist mehrheitlich im Besitz von Personen, die zum Umfeld des russischen Präsidenten gehören” (Hans, Julian, Schwarze Liste als Auszeichnung, in SZ 22.3.2014) – und Kowaltschuk hatte mit Putin die berüchtigte Datschen-Kooperative “Osero” gegründet und gilt als Putins Vermögensverwalter: “Die Rede ist dabei nicht von dem Vermögen, das aus dem Gehalt Putins aus seiner Tätigkeit als Präsident oder Regierungschef angefallen ist, sondern von großen Geldströmen, die aus Staatsaufträgen wie etwa dem überteuerten Olympia-Projekt in Sotschi abgezweigt wurden” (Ebenda; siehe auch unten). – (2) Dmitrij Kisseljow, “der als schärfster Propagandist der Kreml-Medien unlängst gewarnt hatte, Russland sei in der Lage, die USA in ‘radioaktive Asche’ zu verwandeln” (Ebenda). – (3) Wladimir Jakunin, Chef der Russischen Eisenbahn, die Milliarden in die olympische Verkehrs-Infrastruktur gesteckt hat und sich 2014 Geld aus dem Russischen Staatshaushalt leihen musste, mit großem Anwesen im Moskauer Umland: “Auf einem komplexen Schaubild, das eine ganze Großleinwand füllt, hat der Anti-Korruptions-Blogger Alexej Nawalny dargestellt, wie Jakunin Geld aus russischen Staatsaufträgen über ein Gewirr von Off-Shore-Firmen ins Ausland transferieren soll” (Ebenda; Jakunins Sohn hat in London eine 15-Millionen-Dollar-Villa). – (4) Arkadij Rotenberg, Putins Judopartner aus St. Petersburger Zeiten, Sotschi-Gewinnler, inzwischen Eigentümer von Baufirmen und Pipeline-Firmen. – (5) Die Bank SMP, im Besitz von Arkadji Rotenberg und Bruder Boris Rotenberg. “Am Sonntag erklärten Visa und Mastercard, wieder mit der SMP-Bank zusammenarbeiten zu wollen. Das Geldhaus habe die beiden davon überzeugen können, weil die Sanktionen gegen die Aktionäre und nicht gegen die Bank verhängt wurden” (Hans, Julian, Wenn Panzer Wachstum stoppen, in SZ 24.3.2014). –
“Die Multimillionärs-Brüder Rotenberg gelten als enge Bekannte von Staatschef Wladimir Putin. Für die Winterspiele in Sotschi sollen sie Verträge erhalten haben, die ihnen rund sieben Milliarden US-Dollar in die Tasche spielten” (Dynamo-Chef sanktioniert, in SZ 22.3.2014). – (6) Genadij Timtschenko, Putin-Vertrauter, sechstreicher Russe auf der Forbes-Liste, verkaufte noch blitzschnell am 19.3.2014 seine Aktien am Ölhandelsunternehmen Gunvor (Ebenda), bevor er am 20.3.2014 auf die US-Sanktionsliste gesetzt wurde. Usw.
– Putins wirklicher Reichtum
“Als 2004 der Präsidentschaftskandidat Iwan Rybkin erklärte, Putin sei in Wahrheit der reichste Mann des Landes, und Kowaltschulk kümmere sich um seine Finanzen, verschwand er auf ungeklärte Weise von der Bildfläche und tauchte erst Tage später wieder auf” (Hans, Julian, Schwarze Liste als Auszeichnung, in SZ 22.3.2014).
Aufgrund der Annektierung der Krim durch Putin, dem Abschuss des malaysischen Verkehrsflugzeuges über der Ostukraine und des dortigen Krieges mit massiver Unterstützung Russlands kann dieses Kapitel nicht dezidiert weitergeführt werden.