Oder: Sie nennen es Demokratie – Einblicke in die Sportdemokratur
2.10.2013, aktualisiert 18.10.2013
Zur Vorgeschichte
Seit Frühjahr 2012 sitzen Münchner Politiker, Lobbyisten, Sportverbände, die Olympiapark GmbH und Mitarbeiter von Albert Speer & Partner an der Bewerbung München 2022.
Am 5.6.2013 wurde im Münchner Stadtrat beschlossen, den „Auftrag zur Optimierung des Bewerbungskonzeptes“ an AS&P/PROPROJEKT zu vergeben (Direktorium, Büro Oberbürgermeister, Sitzungsvorlage Nr. 08-14 / V 13086, S. 1; Albert Speer & Partner hatten auch schon München 2018 geplant).
Dazu entschied der Stadtrat, die „Bewerbungsgesellschaft München 2018 GmbH i.L.“ (in Liquidation) umzufirmieren in die „Bewerbungsgesellschaft München 2022 GmbH“ (Sitzungsvorlage 13086, S. 12). Eine Offenlegung der Bewerbungskosten 2018 von mindestens 33 Millionen Euro ist bis heute nicht erfolgt; die Behauptung, dass der Großteil dieser Millionen von privaten Wirtschaftsunternehmen kommen würde, war grundfalsch, da viele Unternehmen der Öffentlichen Hand angezapft wurden wie Lotto Bayern, Flughafen München, Messe München, Stadtwerke München, Olympiapark GmbH München etc.
Außerdem wurden in der Sitzung am 5.6.2013 für den Bürgerentscheid, der am 10.11.2013 durchgeführt werden soll, 975.000 Euro zur Verfügung gestellt: Diese Summe beinhaltete auch einen zweiseitigen Flyer, mit dem für München 2022 geworben wird und den jeder Wahlberechtigte erhält: „Die Kurzfassung wird als Teil der Begründung in Form des dieser Beschlussvorlage als Anlage 1 beigefügten Flyers den Bürgerinnen und Bürgern mit den Abstimmungsbenachrichtigungen zugestellt“ (Direktorium, Büro Oberbürgermeister, Sitzungsvorlage Nr. 08-14 / V 12900 vom 2.10.2013, S. 1).
DOSB hat immer die Mehrheit
Bei der Bewerbungsgesellschaft 2022 hat (wie bei 2018) der DOSB 51 Prozent Anteile und kann damit frei schalten und walten, ebenso wie im Aufsichtsrat, wo er 13 von 26 Sitzen hat sowie das Vorschlagsrecht für den Vorsitzenden, dessen Stimme bei Stimmengleichheit den Ausschlag gibt (Gesellschaftsvertrag der „Bewerbungsgesellschaft München 2022 GmbH“, S. 7).
Olympischer Propaganda-Flyer/Lyer
Der Flyer ist die Kurzform der Konzeptstudie von Albert Speer & Partner, die ihn auch praktischerweise erstellt haben. In diesem Flyer werden u. a. folgende falschen Behauptungen vertreten:
Verkehr: Öffentlicher Transport hat Vorfahrt. Umwelt: Ein nachhaltiges olympisches Erbe; Minimierung von Umweltauswirkungen; Schneesichere Wettkampfstätten. Finanzierung: Ausgeglichenes Veranstaltungsbudget; Nachhaltiges Investitionsbudget; Moderates Bewerbungsbudget.
Textproben: „Dadurch sind jetzt von den insgesamt 16 Sportstätten elf bereits vorhanden… Damit wäre München 2022 die nachhaltigste Bewerbung in der Geschichte Olympischer Winterspiele… Ein wesentlicher Anteil der Bewerbungskosten wird von Wirtschaftsunternehmen getragen werden…“
Es folgt die Aufforderung: „Darüber stimmen jetzt am 10. November 2013 die Bürgerinnen und Bürger ab. Bitte machen Sie jetzt von Ihrem Stimmrecht Gebrauch.“
Der Flyer suggeriert, dass die Bürgerinnen und Bürger natürlich mit JA abstimmen sollen.
Bei rund 1,34 Millionen Einwohnern in München, 26.000 in Garmisch-Partenkirchen, 170.000 im Landkreis Traunstein und 103.000 in Berchtesgaden wird dieser Propaganda-Flyer also in einer Auflage von mindestens einer Million an die Wahlberechtigten verteilt.
Die Krönungszeremonie
Am 30.9.2013 haben die DOSB-Mitgliedsorganisationen mit 81 Ja-Stimmen bei einer Enthaltung (DAV) die Unterstützung der Bewerbung von München 2022 gebilligt. Diese Zustimmung der Sportverbände erinnert an Beschlüsse des ZK der ehemaligen UDSSR. Das Ganze wurde ferngesteuert über Lausanne, wo der neue deutsche IOC-Präsident Bach ein Interesse an einem chancenlosen Zählkandidaten (nämlich München 2022) hat: Denn Oslo 2022 ist der wesentlich bessere Kandidat.
Die offiziellen 29 Millionen Euro der Bewerbung München 2022 bezahlen (wie die mindestens 33 Millionen Euro der Bewerbung München 2018) nicht die Sportverbände oder die Olympioniken: Die Rechnung bezahlen die Steuerzahler, die Natur, die gesamte Gesellschaft. Und am endgültigen Austragungsort haben die Steuerzahler zig Milliarden zu bezahlen und eine unbegrenzte Defizitgarantie zu leisten.
Die Notbremse
OB Ude war sich ja offiziell völlig sicher, dass die Zustimmung bei allen vier Bürgerentscheiden ungeheuer hoch ist. Inoffiziell baut Jurist Ude aber schon vor: Nun hat OB Ude folgendes mit dem DOSB ausgemauschelt, wie es im Münchner Merkur vom 1.10.2013 steht: „Auf Udes Initiative hin einigte sich der DOSB gestern darauf, das Erreichen des Quorums nicht als zwingende Bedingung festzulegen. Sollte es bei einem der Entscheide verfehlt werden, das Votum aber positiv ausfallen, wolle man an der Kandidatur festhalten“ (Schmidt, Thomas, „Das facht unser olympisches Feuer weiter an“, in Münchner Merkur 1.10.2013). – „Nur wenn zehn Prozent der Wähler – das entspricht derzeit etwa 105.000 Menschen – dem Begehren zustimmen, ist der Stadtrat rechtlich für ein Jahr an dieses Votum gebunden. Falls zu wenige Menschen über die Olympiabewerbung abstimmen, will der Stadtrat die Entscheidung alleine treffen“ (Lode, Slke, Die Bürger haben das Wort, in sueddeutsche.de 4.10.2013).
Und am 2.10.2013 stimmte der Stadtrat über die Sitzungsvorlagen 12900 und 13086 abstimmen, unter anderem über Punkt c): „Im unwahrscheinlichen Fall, dass die Bürgerinnen und Bürger mangels Interesse von ihrem Stimmrecht doch nicht ausreichend Gebrauch machen und das nötige Quorum somit nicht erfüllt wird, ist anzunehmen, dass die Münchnerinnen und Münchner die Entscheidung über eine Bewerbung dem Stadtrat überlassen wollen“ (Sitzungsvorlage 13086, S. 11; Hervorhebung WZ).
Wo die Olympia-Befürworter eine sichere Mehrheit haben.
Wo bleibt die Demokratie im Münchner Stadtrat?
Die Ja- oder Nein-Frage des Bürgerentscheids am 10.11.2013 zur Bewerbung München 2022 wird in den Unterlagen vom Stadtrat wie folgt behandelt: Es gibt eine AUSFÜHRLICHE Begründung der Pro-Seite. Es gibt KEINE Begründung der Contra-Seite. Die Grünen stellten im Stadtrat den Antrag, auch den Bewerbungsgegnern zu ermöglichen, ihre Sichtweise in den Unterlagen des Bürgerentscheids darzustellen: Dies wurde abgelehnt. Der Ältesterat des Münchner Stadtrates erledigte dies Ende September 2013 (Lode 4.10.2013).
Der Münchner Grünen-Vorstand Sebastian Weisenburger dazu: „Ein urdemokratisches Instrument wie ein Bürgerentscheid sollte nicht dadurch beschädigt werden, dass in den Unterlagen für den Entscheid einseitig argumentiert wird.“ Und die Vorsitzende Katharina Schulze: „Eine neutrale Frage mit einer einseitigen Pro-Begründung – dass passt nicht zusammen. Die Olympia-Befürworter haben wohl Angst vor einer Niederlage beim Bürgerentscheid. Anders ist es nicht zu erklären, warum sie eine ausgewogene Darstellung der Argumente für und gegen eine Bewerbung abgelehnt haben. Denn eins ist klar: Zu einer ergebnisoffenen Abstimmung gehören Pro- und Contra-Argumente“ (PM Grüne begrüßen Bürgerentscheid – und kritisieren einseitige Begründung, 2.10.2013).
Olympische Jubel-Politiker
Keiner traut sich, nein zu sagen. Keiner traut sich, Kritik zu üben. Die Bundeskanzlerin, der bayerische Ministerpräsident, die beteiligten Landräte, die Bürgermeisterriege von München, Garmisch-Partenkirchen, alle tanzen nach der Pfeife des DOSB und sind – natürlich – für München 2022. Sie waren schon für München 2018. Und sie sind gegebenenfalls für München 2026.
Die CSU steht wie ein Mann hinter der Bewerbung, die Freien Wähler ebenso, die FDP sowieso.
Auch die SPD übt keine Kritik, sondern unterstützte München 2018 und München 2022: Obwohl das IOC, seine intransparente Machtausübung, seine elitäre Auffassung von Sportgesellschaft den Idealen einer Sozialdemokratischen Partei völlig entgegenstehen. Der Hauptpropagandist der SPD ist der Münchner OB Ude, der Verlierer der Bayern-Wahl. Er schwingt nun wieder gewaltig das Wort für München 2022 – als wenn nichts gewesen wäre.
Bündnis 90/Die Grünen, ÖDP und Die Linke waren gegen die Bewerbung München 2018 und sind gegen München 2022.
Geld-Schlacht
Der Propagandafeldzug für München 2022 wird mit viel Geld geführt. 1,5 Millionen Euro kommen allein von der sogenannten „Tourismus Initiative München“, einem Zusammenschluss von Geschäftsleuten, Brauereien, BMW-Welt etc. 1,5 Millionen Euro kommen von der Stadt München, also vom Steuerzahler. Dazu kommen ungeheure nichtfinanzielle Mittel – die Unterstützung vom Staat, vom Bundesland Bayern, von den Landkreis- und Stadtverwaltungen
Bezahlen muss die Millionen-Rechnung für die Bewerbung zum Großteil sowieso zum größten Teil der Steuerzahler. Und die Millionenrechnung wird zur Milliardenrechnung, falls ein Zuschlag für 2022 käme.
Materialschlacht
Und ab 1.10. geht die Materialschlacht in die letzte Runde – bis zum 10.11.2013. Stadtverwaltungen, Landratsämter, der Staatsapparat werden mobilisieren und ungezählte Beamte eingesetzt werden.
Der Flyer wird mit dem Stimmzettel in hunderttausender Auflage verteilt. Die Printmedien und der Bayerische Rundfunk werden die Bewerbung München 2022 befeuern – wie dies auch schon bei München 2018 der Fall war.
Die Rolle des Sports
Sport und Spiele – zwischen Lotto und Bundesliga, zwischen Deutschland sucht den Superstar und Eurovision Song Contest, zwischen Dieter Bohlen und Stefan Raab: Hauptsache, nicht nachdenken.
Je offensichtlicher der Zusammenbruch der ökologische, ökonomischen und sozialen Systeme wird, umso stärker wird die Weltherrschaft des Spitzensports: Dazu gehören die Olympischen Spiele und die Dominanz der großen nationalen und internationalen Sportverbände – ungeachtet von Doping, Korruption, Schiebungen. Die (öffentlichen) Fernsehsender überweisen hunderte von Millionen für Sport-Übertragungsrechte… Brot und Spiele eben – wie schon im alten Rom.
Nationales
Und schließlich werden nationale Gefühle geweckt – die Gegner von München 2022 heißen Oslo 2022, Barcelona 2022, Almaty 2022, Östersund 2022, Krakau 2022. Da muss man doch einfach den deutschen Kandidaten unterstützen.
Fazit
Manche nennen das Demokratie. Dabei ist es die schiere Arroganz der Macht.
Vergleiche auch: David gegen Goliath I und OJa München 2022: klotzen und protzen