17.2.2013, aktualisiert 7.3.2013
IOC lässt durchfallen
Bei den Olympischen Sommerspielen 2012 in London waren 344 Ringer und Ringerinnen am Start. Im Freistil wurden elf Medaillen vergeben, im griechisch-römischen Stil sieben (spiegelonline 12.2.2013).
Am 12.2.2013 verkündete das IOC-Exekutivkomitee mit acht von 14 Stimmen (IOC-Präsident Jacques Rogge hatte nicht mitgestimmt), dass eine der ältesten olympischen Disziplinen, das Ringen, bei den Olympischen Sommerspielen aus dem Programm gestrichen werden soll. Die Abstimmung war geheim; der Ausschluss erfolgte laut IOC-Kommunikationsdirektor „mit Fachwissen und der kollektiven sportlichen Intelligenz“ (Weinreich 12.2.2013).
Grundlage war eine Analyse der 26 olympischen Sommersportarten mit 39 Kriterien wie z. B. TV-Quoten, Zuschauerzahlen, Ticketverkäufe, Verbreitung, Mitgliederzahlen und Attraktivität bei Jugendlichen: Dabei fiel der Weltringerverband Fila durch. Der Bericht dieser IOC-Kommission liegt nicht öffentlich vor (Weinreich 12.2.2013). Fast wären Kanu oder Hockey vom Ausschluss erwischt worden: Deren Vertreter äußerten sich verärgert über das IOC (SZ 15.2.2013; siehe unten).
Diese Mitteilung war eine punktgenau getimte Strategie: Denn die IOC-Mitteilung kam am 12.2.2013, und am 16.2.2013 tagte der Weltringerverband Fila im thailändischen Phuket. Das vom IOC gewünschte Ergebnis: Der Präsident Raphael Martinetti trat zurück.
Ersatzkandidaten sind Baseball/Softball, Klettern, Karate, Rollschuhsport, Squash, Wakeboarden, eine Mischform aus Wasserski und Wellenbreiten und Wushu, eine traditionelle chinesische Kampfkunst (spiegelonline 12.2.2013; SZ 14.2.2013). Endgültig soll das auf der IOC-Vollversammlung am 7. bis 10. September 2013 in Buenos Aires beschlossen werden.
Die Richtung ist ganz klar auf noch stärkere Kommerzialisierung gerichtet. Das zeigt auch die Aufnahme der reichen Sportart Golf und von Rugby bei den Olympischen Sommerspielen 2016 in Rio – zudem war IOC-Präsident Rogge ein ehemaliger Rugby-Spieler.
Proteste
Gegen den Ausschluss der Ringer protestierte umgehend eine einzigartige Allianz: „Die USA wollen mit dem Iran und Russland um die Zukunft des olympischen Ringens kämpfen“ (SZ 20.2.2013). Und dazu protestierten Wladimir Putin und der ehemalige amerikanische Verteidigugsminister Donald Rumsfeld, der selbst ehemaliger Ringer ist (SZ 18.2.2013).
Der Präsident des griechischen Ringer-Verbandes sagte: „Die Herren des IOC töten den Olympischen Geist”. Er erinnerte an den zweiten Vers der Olympischen Hymne: „Beim Laufen, Ringen und beim Weitwurf” und schlug vor, die Olympischen Spiele in Olympische „Business Games” umzubenennen (faz.net 13.3.2013; Hofmann 14.2.2013).
Die kommerziellen Gründe
– „Mehr als 60 Prozent der Fila-Einnahmen kommen vom IOC” (Weinreich 12.2.2013).
– „Als einer der Gründe für die Abkehr vom Ringen wurde seine zu große finanzielle Abhängigkeit vom IOC benannt. Ringen erwirtschaftet keine Gewinne, sondern kostet“ (Hönicke 14.2.2013).
– Die Ringer erhalten bislang einen zweistelligen Dollarmillionenbetrag pro Olympiade (Simeoni 13.2.2013): Dieser Betrag kann ab 2020 dann anderweitig verteilt werden.
– „Die Fila, 1912 gegründet, hat keine Lobby, ihren Präsidenten, den Schweizer Raphael Martinetti, kennt kaum jemand” (Ebenda).
– „Heute geht es bei den Beurteilungen mehr um das Kommerzielle als um sportliche Dinge. Dass Wakeboarding und Wushu überhaupt in die Diskussion für Olympische Spiele gekommen sind, ist für mich unbegreiflich” (Der deutsche Hockey-Präsident Stephan Abel, SZ 15.2.2013).
– Das olympische Ringen – in 177 Ländern zuhause – soll ersetzt werden “durch angeblich telegenere Neubewerber wie Rollschuhlaufen, Wandklettern oder Squash” (Simeoni 15.2.2013).
– „Kurzweiligkeit ist gefragt im Kampf um Fernseh- und Sponsorengelder, dem kann sich auch das IOC nicht entziehen. Der Trend zum Spektakel ist nicht zu übersehen. Das IOC lässt sich von Actionssport-Ereignissen wie den X-Games des US-Senders ESPN inspirieren” (Hahn 13.2.2013).
– „Seit sich die Jugend der Welt alternativen, immer extremeren Sportarten zuwendet, blickt das IOC sorgenvoll in die Zukunft seiner Spiele. 2010 fanden gar die ersten Olympischen Jugendspiele statt. Action, Spannung, Rasanz sind die modernen K.-o-Kriterien, Bildschirm-kompatibel muss das Ganze sein” (Kistner 13.2.2013).
Nicht zuletzt könnte die dominante Beteiligung von politisch fragwürdigen Nationen wie Russland, Aserbaidschan, Georgien, Kasachstan und dem Iran für die Entscheidung gesorgt haben. „Ringen ist nicht sexy, in keiner Weise cool, die Weltbesten kommen aus Aserbaidschan, Georgien oder Iran, also so ungefähr aus den am allerwenigsten hippen Ländern weltweit“ (Ahrens 13.2.2013).
Das IOC-Exekutivkomitee
Zwölf Männer und drei Frauen sind hier vertreten, darunter IOC-Präsident Rogge, der Sohn des ehemaligen IOC-Präsidenten Juan Antonio Samaranch und zwei Deutsche: der DOSB-Präsident und ehemalige Fechter Bach (Tauberbischofsheim) und die ehemalige Fechterin Claudia Bokel (Tauberbischofsheim). Bach säuselte: „Eine olympische Sportart muss Tradition und Fortschritt verbinden“ (Hofmann 14.2.2013) und lenkte damit von den tatsächlichen Machtspielen ab.
In der Exekutive konzentriert sich die IOC-Macht, die künftig noch stärker dominieren wird. Denn der mögliche Ausschluss einer Sportart führt zur Disziplinierung der übrigen Sportverbände, die es im Prinzip genauso treffen kann. Der Ringer-Rauswurf dient nicht zuletzt dem Ziel, Angst und Schrecken in der „Olympischen Familie“ zu verbreiten.
Ziel ist die immer weiter gehende Kommerzialisierung des Sports: damit das IOC immer mehr Geld generieren kann. Dabei fließt dieses schon jetzt im Überfluss: „Mit Einnahmen von mehr als acht Milliarden Dollar rechnet das IOC für den Abrechnungszeitraum 2009 bis 2012“ (Hönicke 14.2.2013).
Anscheinend reicht dies immer noch nicht.
Und an dieser Stelle nicht vergessen: die Phantom-Diskussion über Defizitgarantien bei Olympischen Spielen, die gerade bei Graubünden 2022 und anderswo geführt wird!
Gewollt: Die Disziplinierung
Am 16.2.2013 trat wie schon oben erwähnt der bisherige Präsident der Fila, Raphael Martinetti, zurück. Die Fila bildete eine Krisengruppe: „Diese soll mit Hilfe von Marketingagenturen eine Strategie erarbeiten, wie Ringen als Sportart weiter entwickelt werden kann. Eine Pressekonferenz des Exekutivkomitees stand am Samstag noch bevor“ (spiegelonline 16.2.2013).
Darin liegen die eigentlichen Effekte bei der Verbannung von Sportarten aus dem olympischen IOC-Gral wie im Fall der Ringer: Es geht um Disziplinierung und immer noch weitere Kommerzialisierung. Es war ein Zeichen der IOC-Exekutive, dass es grundsätzlich fast jede Sportart treffen kann, die sich nicht kommerziell genug aufstellt.
Das Exekutivkomitee hat die Aufgabe gewählt, entsprechende Ängste auszulösen. Es hat exekutiert
– „Der drohende Ausschuss des Ringens ist ein Warnschuss für andere Sportverbände, in Sachen Vermarktungsaktivitäten nicht stehen zu bleiben“ (Hönicke 14.2.2013).
– Die IOC-Exekutivkommission mit ihren 15 Mitgliedern kann über Wohl und Wehe – und über Geldzu- und abflüsse – entscheiden, da die Verbände mit einer olympischen Sportart mehr Geld über TV-Gebühren, Sponsorengelder und IOC-Zuschüsse generieren können.
– Und die Sponsoren und Fernsehsender bestimmen das Geschehen: „Auf alle relevanten Punkte der Spiele können die Geldgeber Einfluss nehmen, ob Wettkampfzeiten, Austragungsort oder Auswahl der Sportarten“ (Hönicke 14.2.2013).
– Umgekehrt wird der Geldhahn zugedreht, wenn eine Sportart nicht mehr olympisch ist. Der Deutsche Ringerbund hatte 2011 über eine Million Euro vom Bundesministerium des Innern erhalten; er „müsste als nichtolympische Sportart mit wenigen zehntausend Euro auskommen, wenn überhaupt“ (Weinreich 12.2.2013).
– Und nicht zuletzt müssen die olympischen Sportarten ihre Bemühungen in Richtung Kommerzialisierung und verstärken, um dem obersten Prinzip des IOC Rechnung zu tragen: dem der Geldmaschine.
– Das IOC fordert von den Fachverbänden die Bereitschaft ein, „sich zu modernisieren und fürs Fernsehen attraktiv zu machen. Weil das Fernsehen schließlich dem olympischen Sport das Auskommen sichert“ (Simeoni 13.2.2013).
Vergleiche: Die Sport-Sender
– Mit dem Ausschluss von Sportarten hat die IOC-Exekutive ein mächtiges Instrument in der Hand, aufmüpfige Chefs von Internationalen Sportverbänden zu disziplinieren. Theoretisch kann es jeden als nächsten treffen.
– Damit wird Anpassung und Duckmäusertum im IOC gefördert – und die Macht der Exekutive.
Ein Beispiel: Moderner Fünfkampf
IOC-Gründer Pierre de Coubertin hatte den Modernen Fünfkampf als „Inbegriff des Olympismus“ bezeichnet (spiegelonline 12.2.2013). „IOC-Präsident Jacques Rogge hatte bereits zweimal vergeblich versucht, sein Premium-Produkt Olympia auch auf Kosten des Modernen Fünfkampfs zu modernisieren“ (Ebenda).
Der Deutsche Klaus Schormann ist der Präsident des Weltverbandes Moderner Fünfkampf. Für ihn stand der Moderne Fünfkampf „immer auf der Kippe, solange ich Präsident bin“ (Hahn 13.2.2013). Also pflegte er Seilschaften, unter anderem mit dem Sohn des früheren IOC-Präsidenten Samaranch, Juan Antonio Samaranch junior, der Vizepräsident des Weltverbandes für Modernen Fünfkampf ist. Sein Vater war verantwortlich für die Durchsetzung des totalen Profisports, für die Kommerzialisierung des Sports und seine Unterwerfung unter die Regeln der TV-Sender und der Sponsoren – und damit für deren negative Begleiterscheinungen wie Korruption und Doping.
Vergleiche im Kritischen Olympischen Lexikon: Samaranch, Juan Antonio
Unter Schormann wurde der Moderne Fünfkampf „auf modern frisiert mit Biathlon-ähnlichen Abläufen, Laserpistolen am Schießstand und radikalen Maßnahmen für kompaktere Wettbewerbe“ (Ebenda).
Und so werden aus kommerziellen Gründen die Sportarten noch weiter dem Kommerz unterworfen, auch um die Anpassungsnormen gegenüber der IOC-Spitze zu erfüllen.
Hockey-Präsident Abel forderte eine Grundsatzdiskussion: „Was bedeutet uns Olympia?“ und: „Ist Olympia noch zeitgemäß?“ (SZ 15.2.2013).
Die Frage kommt (zu) spät.
Quellen:
Ahrens, Peter, Ringen um Fassung, in spiegelonline 13.2.2013
„Das ist unbegreiflich”, in SZ 15.2.2013
„Die Herren des IOC töten den Olympischen Geist”, in faz.net 13.3.2013
Hahn, Thomas, Ringen vor Olympia-Aus, in SZ 13.2.2013
Hönicke, Christian, Kernsportart Geldverdienen, in tagesspiegel.de 14.2.2013
Hofmann, René
– „Trainiert weiter!” in SZ 14.2.2013
– Ringen ums Ringen, in SZ 16.2.2013
IOC verbannt Ringen aus dem Olympia-Programm, in spiegelonline 12.2.2013
Kistner, Thomas, Zu klassisch für Olympia, in SZ 13.2.2013
Möglicher IOC-Bann: Präsident des Welt-Ringerverbandes tritt zurück, in spiegelonline 16.2.2013
NOK-Vereinigung will Ringern helfen, in spiegelonline 5.3.2013
Putin und Rumsfeld gegen Rogge, in SZ 18.2.2013
Sieben Ersatzkandidaten, in SZ 14.2.2013
Simeoni, Evi
– Lausanner Selbstentweihung, in faz.net 13.2.2013
– Olympia oder Zirkus, in faz.net 15.2.2013
USA kämpft mit Iran, in SZ 20.2.2013
Weinreich, Jens, Ohne Lobby keine Spiele, in spiegelonline 12.2.2013