3.2.2013, aktualisiert 3.3.2016
Vergleiche auch: Die Doping-Connection: Deutsche Sportarzte und der DSB/DOSB
Vor der Wiedervereinigung richteten sich die Zeigefinger der westdeutschen Sportärzte anklagend auf das DDR-Staatsdoping-System. Und damit lenkten Keul, Klümper & Co von ihren eigenen Doping-Tätigkeiten ab, oft als „Forschung“ deklariert. Dabei geht die deutsche Doping-Historie immer weiter – nach der Wiedervereinigung heftiger denn je.
1 Richter vom Bundesgerichtshof gegen DOSB und Jahn
Der Richter am Bundesgerichtshof, Dieter Maihold, legte für die Sitzung des Bundessportausschusses am 30.1.2013 eine 22-seitige Expertise vor, die diametral entgegengesetzt zur Linie von DOSB und Jahn ist. Maihold ist auch Richter am deutschen Sportschiedsgericht und war Beisitzer in der Disziplinarkommission des DLV.
“Maihold plädiert für eine Reihe von Gesetzesänderungen, wie sie Bundesregierung und DOSB eben erst vom Tisch fegten” (Hartmann 29.1.2013). Maihold fordert eine Kronzeugenregelung und die Strafbarkeit auch geringer Mengen an Dopingmitteln: “Er sieht sogar eine ‘systemwidrige Strafbarkeitslücke’ darin, dass nach dem Arzneimittel-Gesetz (AMG) nur der Besitz ‘nicht geringer Mengen’ strafbar ist – was in der Regel Dealer betrifft, aber nicht dopende Sportler” (Ebenda). Die Verbandsgerichtsbarkeit müsse auch bei Besitz von geringen Mengen aktiv werden, da laut Nada-Code im Sport jeglicher Besitz von Dopingsubstanzen verboten sei (Kempe 2.2.2013).
Der DOSB hatte auch oft die Warnung ausgesprochen, dass sportrechtlich als Doper überführte Athleten, die in staatlichen Ermittlungen freigesprochen würden, Nada oder Verbände mit Schadenersatzansprüchen überziehen könnten. Dagegen Maihold: „Beide Verfahren werden … mit einer nur für den jeweiligen Bereich maßgeblichen Entscheidung abgeschlossen. Ein spezielles Haftungsproblem entsteht daraus im Grundsatz nicht“ (Hartmann 29.1.2013). Auch könnten Erkenntnisse der Staatsanwaltschaft grundsätzlich von der Nada verwendet werden.
Noch bei der DOSB-Mitgliederversammlung am 8.12.2012 hatte Bach seine Allzweck-Waffe Jahn eingesetzt, der den Besitz von “geringen Mengen an Dopingmitteln” für gerechtfertigt hielt. Und nun wurde Jahn – vermutlich von Bach protegiert – auch zur Sitzung des Sportausschusses am 30.1.2013 eingeladen. „Maiholds schriftliche Ausführungen ließ man Jahn zur Vorbereitung gleich mitzukommen. Ein kurioser Vorgang“ (Kempe 2.2.2013).
Grit Hartmann: “Die rechtstheoretische Belehrung von einem Bundesrichter blamiert die Bundesregierung und den Juristen Bach bis auf die Knochen. Deshalb wohl sorgte die Koalition noch kurzfristig für die Einladung des Mannes, den der Sportausschuss gerade erst gehört hat – Matthias Jahn von der Uni Erlangen-Nürnberg. Der Rechtsprofessor evaluierte das AMG in seinem Bericht als ‚ausreichend‘. Ein Attribut, das sich jedenfalls im Licht der Expertise von BGH-Richter Dieter Maihold nun ganz und gar verbietet” (Hartmann 29.1.2013). Robert Kempe dazu: „Die Glaubwürdigkeit des deutschen Anti-Doping-Kampfes befindet sich weiter im Sinkflug“ (Kempe 2.2.2013).
Vergleiche: Der Dopingexperte des DOSB
2 Tygart/Usada vor dem Sportausschuss
Zu der Sitzung des oben angeführten Sportausschusses (ausnahmsweise öffentlich) am 30.1.2013 mit dem Thema „Strategien und Instrumente in Dopingverfahren in den USA und in Deutschland“ war auch der Chef der amerikanischen Anti-Doping-Agentur Usada, Travis Tygart, eingeladen. Bezeichnenderweise äußerte er anfangs: „Ich danke für das Interesse an dem Thema Doping in diesem Komitee“ (Herrmann 31.1.2013).
Tygart war über die Doping-Situation in Deutschlannd mehr als erstaunt: „Ich war geschockt, zu erfahren, dass es hier noch Verbände gibt, die die Dopingfälle bearbeiten… Diese Arbeit ist zu schmutzig, um sie den Verbänden zu überlassen“ (Ahrens, Peter, Der Unbestechliche, in spiegelonline 30.1.2013). Laut Tygart „sei es Grundbedingung für alle Mitarbeiter der Usada, dass sie kein zusätzliches Amt, ob bezahlt oder unbezahlt, in irgendeinem Verband innehätten. Ob die Ausschussmitglieder, selbst in ihrer Mehrheit in Sportverbänden eingebunden, das als Seitenhieb verstanden haben?“ (Ebenda).
Im Bundessportausschuss wird die Mehrheit von den CDU/CSU-FDP-Mitgliedern gestellt, laut Boris Herrmann „Leute, die der Meinung sind, man müsse eigentlich nur konsequent weitertesten wie bisher, dann werde sich das mit diesem Doping schon regeln“ (Herrmann 31.1.2013).
Bezeichnenderweise sagte gleichzeitig der Dopingexperte Prof. Perikles Simon zu seinem Auftritt 2012 vor dem Sportausschuss: „Ich wurde als Experte eingeladen und hatte dann erlebt, dass ich eigentlich nur noch in eine Verteidigungsrolle reinkam… Ich war extrem schockiert, dass wirklich gar keiner glauben konnte, dass Doping im Hochleistungssport auch in Deutschland etwas verbreiteter ist“ (Wuttke 28.1.2013).
Die Abgeordneten „hörten einem Mann zu, der eben nicht jammerte, was der Anti-Doping-Kampf leider alles nicht kann“ (Ebenda). Tygart betonte, dass man eine enge Verzahnung mit dem Staat brauche, „was im deutschen Sport bekanntlich mit größtem Eifer bestritten wird“ (Ebenda).
MdB Viola von Cramon (Bündnis 90/Die Grünen) wies darauf hin, „dass die Nada es nicht geschafft habe, die Dopingärzte in Freiburg (…) in ähnlicher Weise in die Mangel zu nehmen und mit Sperren zu belegen“ (Ahrens 30.1.2013).
Der unvermeidliche CDU-Obmann des Ausschusses, Klaus Riegert (ab September 2013 nicht mehr dabei, da nicht mehr aufgestellt), ritt ein Ablenkungsmanöver: „Wie sehen Sie das in China, in Jamaika oder in Afrika, was da passiert?“
Und der schon oben erwähnte Dopingexperte des DOSB, Matthias Jahn, der sich vor dem Sportausschuss gerade für die Straffreiheit von „geringen Dopingmengen“ stark gemacht hat (siehe oben), äußerte: „Wir haben heute von unserem amerikanischen Gast gehört, dass die Usada Armstrong ohne jede staatliche Unterstützung überführt hat“ (Ebenda). Dazu Boris Herrmann: „Seltsam, es lag eigentlich für alle Zuhörer ein Kopfhörer mit der Simultanübersetzung bereit“ (Ebenda).
3 Auch Freiburg mauert
Seit Ende 2009 stand die belgische Kriminologie-Professorin Letizia Paoli der „Großen Kommission“ vor mit der Aufgabe, „die Freiburger Sportmedizin in ihren gesamten Aktivitäten während der vergangenen 50 Jahre auf den Prüfstand zu stellen“ (Hartmann 30.1.2013). Im Januar 2013 hatte der Freiburger Klinkchef Rüdiger Siewert Paoli gerügt, die noch keinen Abschussbericht vorgelegt habe. Ende Januar 2013 konterte Paoli und schrieb als Grund: „Weil man es uns so schwer macht, diesen Bericht fertigzustellen“ (Ebenda). Paoli weiter: „Es handelt sich dabei um alle noch vorhandenen Arbeitsunterlagen und Geschäftskorrespondenz von Prof. Keul“ (Kistner 30.1.2013a). Eine Justiziarin der Universität Freiburg hatte die fünf Kisten „in Verwahrung“. „Die Frau habe 2010 ihre Tätigkeit für die Kommission beendet. Aber warum verwahrte eine Juristin fünf Jahre lang wesentliche Akten, mit denen die Aufklärer hätten arbeiten sollen?“ (Ebenda).
„In Freiburg flüstert man hinter vorgehaltener Hand, dass der langjährige einstige Rektor Wolfgang Jäger ‚da gedreht hat’… Als einige Forscher sich für Doping-Guru Armin Klümper interessierten, gab es Widerstand… Bis vor kurzem wurden Akten, die ins Herz der Universitäts-Sportmedzin führen, vor der Kommission regelrecht versteckt – zu Joseph Keul, Gründer und bis zu seinem Tod im Jahr 2000 Leiter der Abteilung, Betreuer Hunderter Topathleten… Demnach verstaubte das Aktenkonvolut – zweieinhalb Regalmeter – fünf Jahre in Kisten. Wer sie zurückhielt, sagte Paoli nicht“ (Ebenda; Hervorhebungen WZ).
Keul war ab 1960 Olympiaarzt, ab 1980 Chef-Olympiaarzt und seit den 70er Jahren mit seinem Kollegen Armin Klümper verdächtig, die Folgen des Dopings zu verharmlosen.
Klümper spritzte hunderte Sportler mit unbekannten Substanzen und 1984 den Radrennfahrer Gerhard Strittmatter mit Anabolika, der dann bei den Olympischen Spielen 1984 in Los Angeles wegen Dopingverdacht nicht starten durfte (Der Spiegel 37/7.9.1987). Keul war Präsident des Sportärztebundes und offiziell auf der Seite der Manipulationsbekämpfer (Der Doping-Fall Freiburg, in SZ 30.1.2013).
Keuls Schüler waren im Übrigen die Telekom-Dopingärzte Andreas Schmid und Lothar Heinrich sowie Georg Huber, siehe unten.
Nachtrag: Freiburger Ex-Rektor behinderte. Die Arbeitsgruppe zur Aufklärung der Dopinghistorie an der Freiburger Universität unter Vorsitz der belgischen Professorin Letizia Paoli erhob gegen den Altrektor Wolfgang Jäger schwere Vorwürfe. Er “soll die Recherchen systematisch behindert und manipuliert haben. Auch sein Nachfolger habe eine Aufarbeitung verhindert” (Weinreich 6.2.2013). Der Arbeitsauftrag sei manipuliert worden. Jäger habe eine lückenlose Aufarbeitung des Dopingsystems um die Dopingprofessoren Joseph Keul und Armin Klümper sowie der Ärzte des Teams Telekom, Lothar Heinrich und Andreas Schmidt versprochen, dies aber nie umsetzen lassen. So waren fünf Kisten mit Arbeitsunterlagen und Korrespondenz von Keul bei einer Justiziarin der Universität fünf Jahre “in Verwahrung”, siehe oben.
Der Nachfolger Jägers, Rektor Hans-Jochen Schiewer, “sei schon Mitte 2012 in mehreren Schreiben ausführlich über die angebliche Manipulation unterrichtet worden. Er habe sich aber geweigert, eine Untersuchung einzuleiten” (Strepenick 6.2.2013). Die Universität Freiburg hat „eine Doppelstrategie betrieben: Während nach außen brutalstmögliche Aufarbeitung propagiert wurdem, bekamen intern die Aufklärer von Anfang an ein Potemkinsches Dorf hingestellt“ (Kistner 7.2.2013a).
Der Freiburger Oberstaatsanwalt Christoph Frank beendete im Herbst 2012 das Dopingverfahren gegen die Telekom-Ärzte Lothar Heinrich und Andreas Schmid, ohne dass ein Prozess erfolgte. Frank äußerte: „Ich erlebe hier, dass die Dopingszene exzellent organisiert ist, dass es gelingt, das Schweigen perfekt zu organisieren“ (Hartmann 7.2.2013). – „Es scheint, als hätten gewisse Kräfte in Freiburg kein großes Interesse, der Geschichte des westdeutschen Dopings auf die Spur zu kommen“ (Hecker 7.2.2013).
An dieser Stelle darf daran erinnert werden, dass der Bach-Vesper-DOSB für die Straffreiheit geringer Mengen an Dopingmitteln eintritt.
4 Olympiaarzt erhält Strafbefehl
„Der langjährige Arzt der deutschen Olympiamannschaft, Georg Huber, hat einen Strafbefehl wegen einer falschen Eidesstattlichen Versicherung in Zusammenhang mit der Vergabe von Dopingmitteln an Sportler erhalten“ (faz.net 23.1.2013). Huber war Schüler von Joseph Keul und 2007 von der Universität Freiburg suspendiert worden, weil er zwei Patienten aus „therapetischen Gründen“ gedopt hatte. In einem Rechtsstreit mit Dopingexperten Prof. Werner Franke hatte Huber eidesstattlich versichert, niemand sonst gedopt zu haben. Dann meldete sich der ehemalige Radsportler Robert Lechner und erklärte, „von Huber auch in Vorbereitung auf die Olympischen Spiele 1988 in Seoul systematisch gedopt worden zu sein“ (Ebenda). Lechner hatte u. a. das Anabolikum Stromba bekommen (Strepenick 25.1.2013). Der ehemalige Radsportler Jörg Müller gab an: „Uns war klar, dass die im Osten gedopt haben – also mussten wir auch was nehmen. Das Ganze lief in enger Abstimmung mit Professor Huber von der Uni Freiburg“ (Burkert, Kistner 26.5.2007). Huber war zu allem Überfluss auch noch bei der Nationalen Anti-Doping-Agentur engagiert (spiegelonline 26.5.2007).
5 Deutsches Doping-Fazit von Thomas Kistner
„Alles hängt eben mit allem zusammen, und so zeigt inmitten globaler Armstrong-Debatten und Fuentes-Prozesse nun auch die deutsche Sportmedizin mal wieder ihr wahres Gesicht. Bloß schön alles unterm Deckel halten – das passt in ein Land, das Sportmedizin und -forschung bis heute mit hohem Einsatz betreibt, und das zugleich mit juristischen und politischen Steigbügelhaltern gegen ein effektives Anti-Doping-Gesetz kämpft. Österreich, Italien, Spanien: Alle diese Länder hatten ihre großen Sündenfälle. Und haben mit Gesetzesverschärfungen reagiert. Nur hierzulande wird das Dopingproblem sicherheitshalber weiter von Sportpolitikern und ihnen traditionell zugeneigten Ministeriellen gelöst…
In Freiburg wurde verzögert und vertuscht – der Vorwurf von Chefaufklärerin Letizia Paoli wiegt schwer; die Beweise wirken erdrückend. Der Arbeitsauftrag an die Aufklärungs-Kommission war lange so abgemildert, wie es Funktionärs- und Ärztekreisen zupass kam: Hände weg von heiklen Figuren, von Armin Klümper und anderen Gurus! Und was die rätselhaft verschwundene Korrespondenz des Ärzte-Doyens Joseph Keul angeht, fühlt sich nicht nur die Mafia-Expertin Paoli an ihr berufliches Kerngebiet erinnert. Doch Freiburg ist mehr denn je in der Pflicht, endlich volle Transparenz zu gewährleisten. Denn Freiburg ist das deutsche Beispiel“ (Kistner 30.1.2013b; Hervorhebung WZ) .
Vergleiche auch:
Zum Thema Erfurter UV-Blutdoping: Das legalisierte Blutdoping und Erfurter Blutdoping und Gleiss Lutz
Unter Aktuelles: Hein Verbruggen, Pat McQuaid und die UCI und DOSB–Doping-Desinformation
Eine ausführliche Dokumentation findet man hier zum Problembereich Doping.
Vergleiche auch: Die Reihen fast geschlossen und Der Dopingexperte des DOSB
Quellen:
Ahrens, Peter, Der Unbestechliche, in spiegelonline 30.1.2013
Burkert, Andreas, Kistner, Thomas, Schon viel früher, in SZ 26.5.2007
Der Doping-Fall Freiburg, in SZ 30.1.2013
„Er ist einer von uns“, in Der Spiegel 37/7.9.1987
Hartmann, Grit
– Ohrfeige für Sportbund und Regierung, in berliner-zeitung.de 29.1.2013
– Versteckte Aktenberge, in berliner-zeitung.de 30.1.2013
– Die Doping-Uni vertuscht ihre Doping-Vergangenheit, in zeitonline 7.2.2013
Hecker, Anno, Anti-Aufklärer, in faz.net 7.2.2013
Herrmann, Boris, Amerikanische Nachhilfestunde, in SZ 31.1.2013
Kempe, Robert, BGH-Richter contra DOSB, in dradio.de 2.2.2013
Kistner, Thomas
– Fünf verschollene Kisten, in SZ 30.1.2013a
– Das deutsche Beispiel, in SZ 30.1.2013b
– Ein Fall für den Minister, in SZ 7.2.2013a
– „Getäuscht und hintergangen“, in SZ 7.2.2013b
Olympia-Arzt Huber gesteht Doping, in spiegelonline 26.5.2007
Strafbefehl für früheren Olympiaarzt, in faz.net 23.1.2013
Strepenick, Andreas
– Lahmt die Untersuchungskommission zum Doping in Freiburg? in badische-zeitung.de 25.1.2013
– Altrektor Jäger soll Doping-Kommission manipuliert haben, in badische-zeitung.de 6.2.2013
Weinreich, Jens, Schwere Vorwürfe gegen ehemaligen Rektor der Universität Freiburg, in spiegelonline 6.2.2013
Wuttke, Gabi, Doping-System von „ganz, ganz weit oben geschützt“, in dradio.de 28.1.2013