22.1.2013, aktualisiert 26.1.2013
Da alle Medien voll mit dem Strategie-Auftritt von Lance Armstrong bei Oprah Winfrey waren, hier nur einige Ungereimtheiten.
Vorgeplänkel
– Der Weltradsportverband UCI ist „noch nicht einmal den 2005 veröffentlichten, wissenschaftlich belastbaren Positivtests von Armstrong auf Epo aus Nachkontrollen der Tour 1999 nachgegangen“ (Burkert 10.1.2013).
– „2004, das berichtet nun Tygart (Usada-Chef) im Sender CBS, habe ein Vertreter Armstrongs der Usada eine Spende über 250.000 Dollar angeboten“ (Ebenda).
– „Eine Hand wäscht die andere. Armstrong braucht eine Bühne, Winfrey braucht Quoten. Gemeinsam verklären sie Dopingbetrug zum Hollywood-Drehbuch – Happy End inklusive“ (spiegelonline 16.1.2013).
– „An ihrer (Winfreys) TV-Produktion ist Discovery Channel beteiligt. Der Privatsender war von 2005 bis 2007 Armstrongs Team- und Namenssponsor“ (Ebenda). Das ProTeam Discovery Channel stellte noch im November 2006 den damals schon durch die Fuentes-Affäre diskreditierten Radrennfahrer Ivan Basso ein. Nachdem die spanische Polizei neue Beweise gegen Basso gefunden hatte (z.B. einen Terminkalender für Blutentnahmen und Infusionen sowie Zahlungen über 111.000 Euro an Fuentes), wurde Basso im April 2007 von Discovery Channel suspendiert (Wikipedia: Dopingskandal Fuentes).
– Tygart beschuldigte in CBS den Leiter des Doping-Labors in Lausanne, Martinal Saugy, der Beihilfe für Armstrong: Saugy sei von der UCI angewiesen worden, „Armstrong und dessen US-Postal-Manager Bruyneel das Nachweisverfahren für Epo zu offenbaren“ (Kistner 11.1.2013). Johan Bruyneel war der engste Begleiter Armstrongs und war Manager des US Postal Team. „Erst nachdem der Texaner von seinen früheren Teamkollegen Tyler Hamilton und Floyd Landis schwer belastet und daraufhin im Oktober 2012 überführt wurde, trennte sich auch der Rennstall RadioShak-Nissan von Bruyneel“ (Ahrens 18.1.2013; Wikipedia).
– Armstrong arbeitete finanziell mit Thomas Weisel aus San Francisco zusammen, „Zentralfigur der nach dem Pharmakonzern Amgen benannten Kalifornien-Rundfahrt“ (Kistner 16.1.2013). Das passt: Amgen ist „Großproduzent des Blutverdickungs- und Blutdopingmittels Epo“ (Kistner 18.1.2013; Hervorhebung WZ).
– Weisel war auch Geldgeber von Armstrongs früherem Team US Postal. „Laut dem ‚Wall Street Journal’ soll Weisel Gelddepots Verbruggens in seiner Investmentbank verwaltet haben“ (spiegelonline 17.1.2013; Verbruggen war bis 2005 UCI-Präsident und ist seit 1996 IOC-Mitglied).
– UCI-Ehrenvorsitzender Verbruggen war als IOC-Mitglied „ein glühender Gefolgsmann des korruptionsumtosten IOC-Chefs Juan A. Samaranch. Gut steht er auch mit dessen Nachfolger Jacques Rogge“ (Kistner 18.1.2013). Verbruggen gab nach dem TV-Interview von Armstrong zu, bei verdächtigen Blutwerten Armstrong und andere Radrennfahrer gewarnt zu haben (spiegelonline 23.1.2013).
– Kathy LeMond, Frau des Ex-Radrennfahrers Greg LeMond, „bezeugte 2006 unter Eid, ein Postal-Mechaniker habe ihr berichtet, Weisel und andere hätten eine halbe Million Dollar auf ein Konto Verbruggens in die Schweiz überwiesen. Das Geld soll zur Vertuschung eines Cortison-Befundes geflossen sein, den Armstrong beim ersten Tour-Sieg 1999 hatte – und der dann aufgrund eines nachgereichten Attests getilgt worden war“ (Ebenda).
– Dopingexperte Prof. Werner Franke: „Ich vermute, dass Armstrongs Anwälte mit den Parteien, die er beschissen hat, vor seiner vermeintlichen TV-Beichte umfassende Verhandlungen geführt haben. Nach dem Motto: Ihr kriegt euer Geld zurück, aber lasst mich in Ruhe… Für ihn ist es doch das Wichtigste, dass er nicht vor einer Grand Jury aussagen muss. Dort könnte er Dinge gefragt werden, die bis jetzt noch gar nicht bekannt sind. Wenn Armstrong also vor einer Grand Jury aussagen müsste und lügen würde, würde er in den Knast wandern… Im Radsport ist die nächste Spirale des Dopings schon im vollen Gang“ (Bierschwale 15.1.2013).
Die Vorbereitung
– Eventuelle Armstrong drohende Zahlungen u. a.: Die Versicherungsgesellschaft SCA Promotions verlangt rund 9,2 Millionen Euro; UCI verlangt mehr als drei Millionen Euro Preisgelder; die britische Zeitung Sunday Times will rund 1,2 Millionen Euro. Armstrongs Vermögen wird auf 125 Millionen Dollar geschätzt (Peschke, Hamann 14.1.2013; spiegelonline 8.2.2013). Dazu kommt der Sportbekleidungskonzern Skins, US Postal etc.
– „Armstrong sei mit einer Entourage von zwölf Anwälten und Beratern zu dem Interview erschienen. Er sei ‚gut vorbereitet’ gewesen, ließ Oprah Winfrey verlauten“ (Richter 17.1.2013).
– „Wie der TV-Sender CBS berichtete, habe er (Armstrong; WZ) den US-Behörden die Rückzahlung von mehr als fünf Millionen Dollar und seine Kooperation als Zeuge angeboten. Das Justizministerium habe die Offerten als ‚unangemessen’ ausgeschlagen“ (SZ 17.1.2013).
– IOC blitzschnell: Am 17.1.2013 verfügte das IOC, dass Armstrong seine Bronzemedaille von Sydney 2000 zurückgeben muss (spiegelonline 17.1.2013).
Die Show
Armstrong behauptete er habe zuletzt 2005 gedopt, „in seinen Comeback-Jahren 2009 und 2010 habe er nicht zu verbotenen Mitteln gegriffen.“ Er habe nie jemand unter Druck gesetzt. Armstrong zum Dopingarzt Michele Ferrari: „Ferrari war ein „guter Mann, ein schlauer Mann“. Ferrari sei kein Hintermann des Doping-Programms gewesen. „Doping sei ein normaler Bestandteil des Rennen gewesen., ‚es war einfach, es floss’ sagte Armstrong. ‚Wir pumpten unsere Reifen auf, füllten Wasser in die Flaschen, und das passierte dann auch“ (spiegelonline 18.1.2013).
Die Feststellung der Usada, dass es sich um das „ausgeklügeltste, professionellste und erfolgreichste Dopingprogramm“ gehandelt habe, das der Sport je gesehen hat, konterte Armstrong zum Auftakt des Gesprächs: „Das DDR-Staatsdoping habe wesentlich größere Dimensionen gehabt“ (Hofmann 19.1.2013).
Armstrong teilte weiter mit, er habe keine Teamkollegen zum Dopen gezwungen. „Was er dabei verschwieg: Er brauchte das auch nicht zu tun. Denn wer nicht mitzog, musste damit rechnen, bald keinen Vertrag mehr in Armstrongs Rennstall zu bekommen“ (Hacke 21.1.2013).
Zur 125.000-Dollar-Zahlung an die UCI lautete die einfache Erklärung: „Die brauchten Geld und wussten, dass ich welches habe. Sie haben mich gefragt, und ich habe was gegeben“ (Kistner 19.1.2013).
Die Rückdatierung eines Kortisonrezeptes bei der Tour-de-France 1999 könnte für Armstrong gefährlich werden, „weil seit 2006 eine eidliche Aussage vorliegt, nach der Armstrongs Lager eine halbe Million Dollar Schweigegeld in die Schweiz transferiert haben soll: an den Weisel-Kunden Verbruggen“ (Ebenda).
„Als es jedoch um konkrete Details, um Hintermänner und Mittäter ging, wurde der US-Star schweigsam, Namen wurden zumindest im ersten am Donnerstag ausgestrahlten Teil des Interviews nicht genannt. Und was sagt der Präsident des Radweltverbands UCI und IOC-Mitglied, Pat McQuaid? ‚Wir begrüßen, dass Armstrong an einem Prozess der Wahrheitsfindung teilnehmen will’“ (Ahrens 18.1.2013).
„McQuaid hat im Anschluss an die TV-Beichte Armstrongs noch einmal eine Art Befreiungsschlag versucht. Er hat das Geständnis als ‚wichtigen Schritt auf einem langen Weg’ bezeichnet, ‚ein Weg, den Schaden zu reparieren, den der Radsport erlitten hat’. Wobei er allein durch seine Wortwahl den Schwerpunkt setzt: der Radsport ist demnach Opfer, nicht Täter“ (Ebenda). McQuaid „hat im Anschluss an die TV-Beichte Armstrongs noch einmal eine Art Befreiungsschlag versucht. Er hat das Geständnis als ‚wichtigen Schritt auf einem langen Weg“ bezeichnet, „ein Weg, den Schaden zu reparieren, den der Radsport erlitten hat’. Wobei er allein durch seine Wortwahl den Schwerpunkt setzt: Der Radsport ist demnach Opfer, nicht Täter“ (Ebenda).
Radsport-Pate Hein Verbruggen sah sich sogar entlastet: Ich bin froh, dass sich die Verschwörungstheorien nach den jahrelangen Vorwürfen gegen mich als haltlos erwiesen“ (Kistner 21.1.2013).
DOSB-Präsident Bach stellte umgehend fest, dass es nach Armstrongs TV-Beichte „keine Ansätze für neue Maßnahmen gegen den Radsport generell gibt“ (Ahrens 18.1.2013).
Fazit
Kein Eingeständnis außer einigen Details, die von der Usada schon beinhart bewiesen wurden. Kein Eingehen auf die lückenlose Beweiskette der Usada. Neue Lügen wie „kein Doping 2009 und 2010“. Kein Hinweis auf die Hintermänner. Keine Aufdeckung der Rolle von Hein Verbruggen, Pat McQuaid, UCI.
„Die Chance, dass die Blutwerte Armstrongs nicht auf Doping basierten, beziffere sich laut Tygart jedoch auf ‚eins zu einer Million'“; Tygart stellte Armstrong ein Ultimatum bis 6.2.2013, um mit der Usada zu kooperieren (spiegelonline 26.1.2013). Armstrong lieferte ein „mit Unwahrheiten gespicktes Interview“ (Kistner 24.1.2013).
Vergleiche auch im Kritischen Olympischen Lexikon: Lance Armstrong und Hein Verbruggen, Pat McQuaid und die UCI
Quellen:
Ahrens, Peter, Auf rasanter Abfahrt, in spiegelonline 18.1.2013
Armstrong gesteht Doping bei allen Tour-de-France-Siegen, in spiegelonline 18.1.2013
Armstrong muss Olympiamedaille abgeben, in spiegelonline 17.1.2013
Armstrong wurde vom UCI-Chef gewarnt, in spiegelonline 23.1.2013
Bierschwale, Jens, „Da tut Knast noch ein bisschen weh“, in welt.de 15.1.2013
Burkert, Andreas, Eine Plauderstunde und ein umstrittenes Angebot, in SZ 10.1.2013
Hacke, Detlef, Seifen-Oprah, in Der Spiegel 4/21.1.2013
Hofmann, René, Gipfel der Verlogenheit, in SZ 19.1.2013
In der Bredouille, in SZ 17.1.2013
Kistner, Thomas
– Aus dem Sumpf ins Kammertheater, in SZ 11.1.2013
– Buckeln und treten, in SZ 16.1.2013)
– Ein brisantes Konto, in SZ 18.1.2013
– Mikrodosis Bekennermut, in SZ 19.1.2013
– Geschichten eines Kontroll-Freaks, in SZ 21.1.2013
– Warnsystem für Armstrong, in SZ 24.1.2013
Oprahs Beicht-Imperium, in spiegelonline 16.1.2013
Peschke, Sara, Hamann, Birger, Die 60-Millionen-Dollar-Frage, in spiegelonline 14.1.2013
Richter, Peter, Das Rennen ums Entkommen, in SZ 17.1.2013
Usada-Chef stellt Armstrong Ultimatum, in spiegelonline 26.1.2013
Versicherung verklagt Armstrong auf zwölf Millionen Dollar, in spiegelonline 8.2.2013
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