22.12.2012, ergänzt am 10.2.2013
Intro
„Korruption im Sport interessiert nur den, der gerade selbst davon betroffen ist. Die Schweiz hatte im Europarat für den 21. Juni (2011; WZ) ein Treffen zum Thema initiiert – es wird abgesagt, wegen Mangels an Interesse. Weniger als zehn Länder hatten sich für den Sportkorruptionsgipfel angemelder“ (Kistner 2012, S. 361).
Der nächste Versuch lief im April 2012 ab: Der Europarat hatte eine Resolution verabschiedet, die Fifa sollte „vollständig die Fakten zu den Skandalen der letzten Jahre untersuchen, die ihr Image und das des internationalen Fußballs eingetrübt haben“ (Kistner 20.12.2012). Im Gefolge des ISL-Korruptionsskandals (vergleiche: ISL, Sportfreunde Blatter) wollte der Franzose François Rochebloine auch geklärt wissen, ob der 2011 zum vierten Mal gewählte Fifa-Präsident Blatter sein Amt benutzt habe, „um unfaire Vorteile für sich selbst oder potenzielle Wähler zu erhalten“ (www.20min.ch 18.12.2012).
Einer der ehemals engsten Kumpels von Fifa-Präsident Blatter, der Kuwaiter Mohamed Bin Hammam, fiel 2011 in Ungnade, weil er versucht hatte, gegen den Fifa-Paten als Fifa-Präsident zu kandidieren. Nun sollte Bin Hammam am 19.12.2012 beim Europarat vor dem Ausschuss für Kultur und Sport zu den korrupten Geschäftspraktiken der Fifa aussagen. Diesen Termin musste Bin Hammam dann leider absagen. Und das am so.
Blatter flog ein
Blatter kündigte schon früh den Schweizer Mitgliedern des Europarates an, dass er Bin Hammams Auftritt verhindern werde. In der Woche vor der Anhörung flog Blatter quasi zufällig zum Emir von Kuwait, Hamad bin Chalifa al-Thani nach Doha, vermutlich wieder im Privatjet. Am 12.12.2012 twitterte er aus Doha, er sei „tief geehrt, Seine Hoheit Scheich Hamad bin Khalifa Al Thani, den Emir von Katar, treffen zu dürfen“ (Kistner 12.12.2012).
Da einigte man sich augenscheinlich. Und schon sagte Bin Hammam am 17.12.2012 seinen Besuch beim Europarat ab. “Nun versetzt sein jäher Rückzug, rechtzeitig vor der Europarat-Anhörung, die Fifa in die komfortable Lage, den Fall abzuhaken… Dass Bin Hammam dies urplötzlich nicht mehr tut, dürfte das Resultat der Blatter-Visite beim Emir sein” (Kistner 19.12.2012).
Am selben Tag gab die Fifa auch bekannt, dass ihre Ethikkommission Bin Hammam erneut lebenslang für jede Tätigkeit im Fußball gesperrt habe: aufgrund von „Interessenskonflikten“. Chefermittler Michael Garcia hat dies wunschgemäß für den Zeitraum 2008 bis 2011 nachgewiesen.
Hat Blatter dem Emir ein paar Andeutungen über die mehr als dubiose Vergabe der Fußball–WM 2022 an Katar gemacht? Und sprang der große Emir dem Fifa-Paten bei? Bin Hammam bekam lebenslängliches Fifa-Verdikt. Geht doch mit Blatter-Supermann!
Der Vorsitzende der Europarats-Sitzung, der Kroate Gvozden Flego, gab dann am 19.12.2012 an: „Am Montag teilten die Angestellten von Herrn Bin Hammam mit, er werde nicht da sein infolge restriktiver Maßnahmen durch die Fifa” (Kistner 20.12.2012).
Zwanziger weiß von nichts
Bin Hammam wurde von Blatter abgesagt. Der englische Ex-Bewerbungschef für die Fußball-WM 2018, Lord David Triesman, sollte ebenfalls im Europarat aussagen. Er wusste wichtige Details zur schmutzigen Vergabe der Fußball-WM 2018 an Russland und antwortete 2011 „auf die Frage, ob man eine WM überhaupt ohne die Gewährung persönlicher Vorteile für Fifa-Vorstände erobern könne: ‚Das wäre sicher ein Mühlstein'“ (Ebenda).
Aber auch Triesman sagte ab – oder wurde abgesagt.
Wie das geht? Indem zum Beispiel Blatter die Warnung ausspricht, dass England keine internationalen Turniere mehr bekommt, wenn Triesman aussagen würde. So einfach kann das gehen.
Von drei Kritikern blieb nur Sylvia Schenk von Transparency International übrig. Schenk musste sich auch noch fragen lassen, „mit welcher Legitimation sie bei dieser Anhörung des Europarats zu den dubiosen Geschäftspraktiken der Fifa weile“ (Kistner 20.12.2012).
Blatter selbst ging natürlich nicht zum Europarat, schickte aber zwei Getreue: Seinen (bis Januar 2010 amtierenden) langjährigen Berater Jérôme Champagne. Champagne wurde gegen Blatters Willen vom damaligen karibischen Fußballchef Jack Warner und von Bin Hammam gefeuert (Kistner 2012, S. 247), also ein idealer Zeuge pro Blatter. Dazu kam der Blatter-Obergetreue, Theo Zwanziger, Ex-DFB-Präsident. „Theo Zwanziger wusste nicht mal, dass Blatter in Katar war” (Ebenda).
Auch der Chef der Fifa-Gerichtskammer, Hans-Joachim Eckert wusste vom Rückzug Bin Hammams nichts: „Ich ging davon aus, dass wir uns Ende Januar beim Hearing sehen… ich weiß nicht, was hinter den Kulissen ablief“ (Kistner 19.12.2012).
Da mögen der Fifa-Chefermittler, Michael Garcia und der Chef der Fifa-Ethikkommission, Hans-Joachim Eckert, gestaunt haben, wie ihr Präsident die Dinge so regelt – und ganz ohne ihr Zutun! Wie es sich wohl anfühlt, vom 76jährigen Fußballpaten bei dieser Farce derart vorgeführt zu werden?!
Und nicht einmal eine offizielle Anhörung des Europarates konnte die Korruption und die Schiebungen der Blatter-Fifa einbremsen. Blatter brachte einfach die Zeugen zum Schweigen. Und hatte die Unverfrorenheit, dies sogar vorher vor Schweizer Parlamentariern anzukündigen.
So funktioniert seine „Fußball-Familie“.
Die lauthals von Blatter und der Fifa angekündigte und mit hohem Aufwand betriebene Offensive bezüglich Besserung erweist sich als komplettes Täuschungsmanöver: „Der Vorgang entlarvt die von Blatter orchestrierte Reform der Fifa – von Offenheit und Transparenz – einmal mehr als Mogelpackung“ (Kistner 18.12.2012).
Nachtrag: Stellungnahme von Mark Pieth
Im SZ-Interview Anfang Februar 2013 lautete die Frage: „Bin Hammam legte alle Ämter nieder, kurz nachdem Blatter persönlich beim Emir von Katar aufgetaucht war. Auch schon wieder verdächtig. Muss man so einen Fall nicht transparenter lösen?
Pieth: „Sicher. In meinem Strafprozess-Lehrbuch sage ich: Der Deal verstößt gegen alle strafprozessualen Grundsätze“ (Catuogno, Kistner, Ott 6.2.2013).
Vergleiche auch unter Aktuelles: Sportfreunde Blatter
und im Kritischen Olympischen Lexikon: Sepp Blatter, Fifa, Katar-Sport
Quellen:
Catuogno, Claudio, Kistner, Thomas, Ott, Klaus, „Europa demontiert die Reform“, in SZ 6.2.2013
Europarat nimmt Fifa unter die Lupe, in www.20min.ch 18.12.2012
Kistner, Thomas
– Der unbequeme Zeuge, in SZ 12.12.2012
– Absage auf Druck des Emirs? in dradio.de 17.12.2012
– Druck von oben, in SZ 18. 12.2012
– Überfallartiger Rückzug, in SZ 19.12.2012
– Auf der Suche nach Glaubwürdigkeit, in SZ 20.12.2012
– Fifa Mafia. Die schmutzigen Geschäfte mit dem Weltfußball, München 2012