28.7.2012
Popanz: 1. Schreckgestalt, Vogelscheuche. 2. (abwertend) willenloses Geschöpf, unselbständiger, von anderen abhängiger Mensch (Fremdwörter-Duden)
Ich darf gestehen, dass ich zum ersten Mal in meinem Leben eine Eröffnungsfeier von Olympischen Spielen gesehen habe – unfreiwillig, quasi aus beruflichen Gründen. Dazu einige Anmerkungen:
Die Kosten des Ganzen
Geplant waren für die Olympischen Sommerspiele in London 2012 Kosten von 2,4 Milliarden Pfund: Inzwischen liegt die offizielle Zahl schon bei 13 Milliarden Pfund. Sky TV kam dagegen bei Einbeziehung aller Kosten auf 24 Milliarden Pfund, das ist das Zehnfache. Die 17 olympischen Tage werden die teuerste Party der Welt. Und der Fun-Faktor verteuert sich weiter. Auch die Kosten für Eröffnungs- und Abschlussevent stiegen. Nicht ohne Hintergrund hat der Londoner Bürgermeister Boris Johnson den
Zeitraum der Spiele vom 27. Juli bis 12. August als “Spaß-Epizentrum des Universums” definiert.
„Großbritanniens Premierminister David Cameron hat die Olympischen Spiele endgültig zur Chefsache erklärt. Persönlich verdoppelte er im Januar das Budget der Eröffnungs- und Abschlusszeremonie für die diesjährigen Sommerspiele in London auf 81 Millionen Pfund (98 Millionen Euro)“ (Kaiser, Tina, Britannien auf dem Weg ins Olympia-Desaster, in welt.de 16.4.2012).
Wieso sagte das gestern niemand, wieso schrieb das niemand?
Die Adressaten
Schwer zu verstehen, an wen sich der Inhalt der Vier-Stunden-Show richten sollte: ein von den Medien hoch gepushtes und hoch gelobtes Sammelsurium an Historisierendem und Sport, Musik und Promis. Besonders peinlich war die Showeinlage mit Krankenbetten, jungen Patienten und Krankenschwestern: angesichts der aktuellen massiven Kürzungen im Gesundheitssystem unter Premierminister Cameron.
Ab und an grüßte ein Politiker „seine“ Delegation“, ein Promi sein Publikum, eine Sportlerdelegation das Publikum. Letztlich war es eine Macht-Demonstration: Persönlich anwesende Staatenlenker und IOC-Herren und Industriesponsoren demonstrierten ihre Wichtigkeit. Und die technischen Möglichkeiten des Fernsehens demonstrierten bombastisch den Massen deren Unmündigkeit, Abhängigkeit und nicht zuletzt Unwichtigkeit.
Vier Stunden Klamauk: Die internationalen Events wie Eurovision Song Contest, Europa- und Weltmeisterschaften und Olympische Spiele etc. leben von den immer gleichen Zutaten und werden dadurch austauschbar und belanglos.
Die ZDF-Moderatoren
Das Wort „Gänsehaut-Feeling“, kreiert von DOSB-Präsident Bach und ein anscheinend vom DOSB vorgeschriebener Satzbaustein, wurde bei der Eröffnungsfeier eifrig verwendet vom ZDF-Moderator Wolf-Dieter Poschmann und seinen beiden Ko-Moderatoren. Diese sind ehemalige Teilnehmer Olympischer Spiele und als solche ihre Fans. Ansonsten kommentierten die drei (wie vermutlich die alternierend berichtenden Journalisten in der ARD) völlig kritiklos und begeistert: Die Öffentlich-Rechtlichen Anstalten zahlen ja viele Millionen an das IOC, um überhaupt senden zu dürfen.
Vergleiche dazu: Die öffentlich-rechtlichen Sportsender
Die Presse
Jubel, Jubel, Jubel über das olympische Massenevent – wie üblich in der Presse. Selbst sonst eher kritische Sportjournalisten knickten ein.
„Jeder, der dabei ist, spürt: war eine Superidee, dass Ticket zu kaufen“ (Gertz, Holger, Der Charme der Narren, in SZ 28.7.2012).
„Olympia ist und bleibt das größte Sportereignis der Welt. Es ist möglicherweise sogar das größte globale Fest, das man sich überhaupt vorstellen kann. Und es hat gerade erst begonnen“ (Ahrens,. Peter, Cool Britannia, in spiegelonline 28.7.2012).
Und am 12.8.2012 ist der olympische Spuk schon wieder vorbei: Dann kommt die Rechnung für Großbritannien, das sich in einer tiefen wirtschaftlichen Krise befindet.
Die illustren Gäste
80.000 sahen vier Stunden lang den Abklatsch der englischen Historie und die Prozession der 204 Sport-Nationen. Neben den üblichen Verdächtigen (Brad Pitt, Angelina Jolie, die Queen, Kate und William, Michael Douglas, …) und der zahlreichen „Olympischen Familie“ waren 120 Staats- und Regierungschefs erschienen. Darunter war auch der deutsche Bundespräsident, der im Fernsehen reichlich banal die Olympischen Spiele und das deutsche Sportgeschehen lobte.
Das Mitglied des Sportausschusses des Deutschen Bundestags, Viola von Cramon, hatte beim IOC nach einer Liste der Eingeladenen gefragt und die ausweichende Antwort erhalten, dass 204 Nationale Olympische Komitees Einladungen erhalten hätten. Mit dabei sein durften unter anderem die Diktatoren Islam Karimow (Usbekistan), Gurbanguly Berdymuchamedow (Turkmenistan), Scheich Nasser bin Hamad al-Khalifa (NOK-Präsident Bahrain, beteiligt an der Niederschlagung des blutigen Frühling 2011), General Mounir Sabet (Ägypten, IOC-Mitglied, Schwager Mubaraks, Waffenhändler etc.), Mahmoud Ahmed Ali (NOK-Präsident Ägypten, bekämpfte den Aufstand auf dem Tahir-Platz) (Vgl. Hartmann, Grit, Weinreich, Jens, Herzlich willkommen, Diktatoren, in spiegelonline 27.7.2012). „Ginge es nach den Bossen der Ringe, wäre die Gästeliste fürs Londoner Fest deutlich länger“ (Ebenda).
Zar Wladimir Putin besucht am 2.8.2012 die olympischen Judowettbewerbe. Einige Potentaten wie der weißrussische Diktator Alexander Lukaschenko (selbstverständlich Chef des ukrainischen NOK) dürfen nicht in die EU einreisen. Trotzdem sieht man sich: 2013 wird in Weißrussland die Bahn-WM und 2014 die Eishockey-WM stattfinden – Sportfreunde unter sich.
Die Politik des IOC
Anscheinend funktioniert die IOC-Politik: 120 Staats- und Regierungschefs tanzten in London an.
Jene, die noch fehlen, werden mit Sicherheit demnächst belehrt, dass auch sie zu erscheinen haben.
Das IOC diktiert seine Politik und setzt sie durch. Mit Demokratie hat diese Politik wenig zu tun. Und Printmedien, TV-Anstalten, Konzerne, Sponsoren machen bereitwillig mit.
Das IOC agiert angeblich im Namen des Sportes und der Sportler: in Wirklichkeit geht es um Geld und Einfluss. Der IOC-Sport ist bekanntermaßen korrumpiert. Um die Sportler geht es schon lange nicht mehr. Sie sind die „Zugabe“ und Staffage für die Ziele des IOC.
Das IOC-Weltbild
Bei der Eröffnungsfeier wurden nur cleane TV-Bilder gezeigt: anscheinend eine perfekte Choreografie, von keinem umliebsamen Ereignis gestört: Das „Weltbild“ des IOC wird von den internationalen Fernsehanstalten übernommen.
Das „Weltbild“ der Uefa war schon bei der Fußball-Europameisterschaft an die globalen Fernsehsender 2012 in Polen und der Ukraine verkauft worden: Demonstrationen, Proteste, leere Tribünen und Ehrentribüne blieben ausgespart. (Siehe im Kritischen Olympischen Lexikon: Weltbild der Uefa)
Nun sehen Milliarden Fernsehzuschauer in London 2012 bei den Olympischen Sommerspielen das Weltbild des IOC: und sicher keine Demonstrationen, Proteste, leere Tribünen und Ehrentribünen. Und natürlich keine Bilder von den Konkurrenten der IOC-Sponsoren. Brot und Spiele werden weltweit übertragen – gegen viel Geld. Bei den Olympischen Sommerspielen 2012 in London werden 6000 Mitarbeiter der Olympic Broadcasting Services (OBS) etwa 6000 Stunden konventioneller Fernsehbilder produzieren.
Das IOC-Weltbild wurde erstmals bei den Olympischen Sommerspielen 2008 in Peking geliefert (12 Prozent: Olympia punktet in der TV-Primetime nicht, in handelsblatt.com 18.8.2008). Das weltweite TV-Signal wird von OBS geliefert. OBS wurde 2001 vom IOC gegründet mit dem Ziel, die Sportübertragungen möglichst neutral zu gestalten. In Vancouver 2010 war OBS erstmals alleiniger Produzent des Bildmaterials. In London 2012 wird die „Neutralität“ der Bilder von Olympic Broadcasting Services London erledigt (Wikipedia).
Vergleiche im Kritischen Olympischen Lexikon: Olympic Broadcasting System
Die heile Sportwelt darf und soll nicht gestört werden.
Von Event zu Event – bis zum Untergang
„Der Zauber guter Eröffnungsfeiern liegt eben darin, all das, was vorher kritisiert und bemeckert wurde, plötzlich winzig und klein erscheint. Angesichts der größten Show der Welt“ (Ahrens, Peter, Cool Britannia, in spiegelonline 28.7.2012).
Genau das ist die Absicht: Ablenkung vom kläglichen Alltag, von der Armut, den Sorgen und Nöten, der globalen Verschuldung, den wahren Machtverhältnissen, der Ausbeutung von Natur und Menschen. Und jene, die dafür verantwortlich zeichnen, feiern sich und lassen sich feiern. Olympische Spiele als Opium fürs Volk…
Der Film The Hunger Games lässt grüßen…