11.7.2011, aktualisiert 28.7.2011
Wer wusste was?
Es war eine „brutale Niederlage“, wie es der ehemalige IOC-Vizepräsident Richard Pound nannte: 63 IOC-Stimmen für Pyeongchang zu 25 IOC-Stimmen für München 2018. Nur der bayerische Ministerpräsident und der Münchner OB waren überrascht. Vermutlich wussten die DOSB-Oberen längst, wie es ausgeht. Und die Bundeskanzlerin tat sich die Reise erst gar nicht an. Vorgewarnt?
Unter den IOC-Mitgliedern herrschte Verwunderung „nur darüber, dass die Münchner so verwundert waren. ‚Pyeongchang war klar, mich hat nur das klare Votum überrascht‘, sagte Gunilla Lindberg… Auch für Gian-Franco Kasper war die Sache ‚völlig klar'“ (Kistner, Thomas, „München soll 2022 wiederkommen“, in SZ 78.7.2011). Dagegen sagte DOSB-Präsident Thomas Bach: „Keinem von uns ist hinterher gesagt worden: Mit dieser Niederlage hättet ihr eigentlich rechnen können“ (!!! Teuffel, Friedhard, Bach kontert Wowereit, in Der Tagesspiegel 13.7.2011).
In meiner „Aktuellen Chronologie“ auf nolympia.de stand bereits im April 2010: „DOSB-Präsident Thomas Bach will 2013 Nachfolger des IOC-Präsidenten Jacques Rogge werden. Bach ist nicht nur Wirtschaftsanwalt, sondern Vielfach-Sportfunktionär: IOC-Vize, DOSB-Präsident, Leiter der Bewerbung 2018.
Wenn 2011 die Münchner Bewerbung erfolgreich wäre, würde Bach sehr wahrscheinlich nicht IOC-Präsident: Zweimal ein deutscher Erfolg ist unwahrscheinlich. Wenn dagegen Südkoreas Pyeongchang 2018 gewinnt, steigen Bachs Chancen auf die IOC-Präsidentschaft.“
Oder wie Jens Weinreich im April 2010 schrieb: „Denn ein Doppelsieg für Deutschland auf den IOC-Sessionen im Juli 2011 (mit München) und 2013 mit einem IOC-Präsidenten Bach ist ziemlich unwahrscheinlich“ (Weinreich, Jens, Viele Baustellen für Bach, in SZ 30.4.2010).
Aus meinem Kritischen Olympischen Lexikon, Stichwort Bach, Thomas, geschrieben im Sommer 2010:
„Die Wahl des IOC-Präsidenten, bei der Bach als Nachfolger von Jacques Rogge im Rennen ist, erfolgt 2013. IOC-Präsident Rogge sagte im August 2010: “Natürlich erwartet jeder, dass er antreten wird” („Wird antreten“, in SZ 26.8.2011; Bach bleibt defensiv, in SZ 27.8.2010; ). Zwei deutsche Siege sind unwahrscheinlich. Bach hat nur eine Chance auf die IOC-Präsidentschaft, wenn München die Olympischen Spiele 2018 nicht erhält.“ Auch der Präsident des Eishockey-Weltverbandes IIHF, René Fasel, sagte 2010: „Thomas sagt uns ja selber, er ist ein Kandidat für 2013“ (Weinreich 30.4.2010).
Thomas Kistner und Thomas Hahn schrieben im Dezember 2010: „Mancher meint, es könne einer nicht binnen zweier Jahre gleich zwei Maximalforderungen durchbringen. Im Fall Bachs hieße das: Erst 2011 um die Spiele fürs Heimatland bitten, dann 2013 um die IOC-Präsidentschaft für sich selbst“ (Im Kandidatenstadl, in SZ 4.12.2010)
René Fasel beschrieb nach der Wahl von Pyeongchang das Verhalten der IOC-Mitglieder bei der Wahl des IOC-Präsidenten 2013 so: „Etliche denken dann: Wir haben dich vor zwei Jahren mit München hängen lassen. Das machen wir jetzt wieder gut“ (Olympia-Pleite hilft Bach, in SZ 11.7.2011). Und Richard Pound sagte: „Ich glaube, dass ihm die brutale Niederlage gegen Pyeongchang sogar helfen kann“ („Okay, sie haben es verdient“, in Der Spiegel 28/11.7.2011). Und in spiegelonline stand: „Ab sofort sind seine Aktien, der nächste Präsident des IOC zu werden, sprunghaft gestiegen“ (Ahrens, Peter, Münchens Scheitern, Deutschlands Chance, in spiegelonline 6.7.2011).
Bach selbst führte eine Woche später „geopolitische Gründe“ an (Teuffel, Friedhard, Langes Auslaufen, in Der Tagesspiegel 14.7.2011). OB Ude wirkte, wie erwähnt, völlig überrascht, auch über die nur 25 IOC-Stimmen für München 2018 und sagte über die „hervorragende Informationsquelle“, IOC-Vizepräsident Thomas Bach: „Bach hat sich getäuscht“ (Hutter, Dominik, „Das Votum ist durch nichts gerechtfertigt“, in SZ 9.7.2010).
Hat sich Thomas Bach wirklich getäuscht? Oder wurden 33 Millionen Euro für München 2018 ausgegeben – letztlich vielleicht nur, damit Bach IOC-Präsident wird?
Waren – vor allem – bayerische Politiker wirklich so blauäugig oder einfältig, diese Mechanismen nicht zu erkennen, die schon früh von kritischen Journalisten beschrieben wurden?
Am 13.7.2011 tagte dann das DOSB-Präsidium – und entschied nicht, ob sich München 2022 oder Berlin 2024 oder niemand bewerben soll. Bach, so ein Kommentar, „muss man grandiose taktische Finessen auch auf der sportpolitischen Planche bescheinigen. Im internationalen Sport gibt es neben dem unkaputtbaren Fifa-König Joseph Blatter kaum einen gewiefteren Mitspieler als ihn … Wie der deutsche Sport international an ein olympisches Ziel kommen will, wissen die DOSB-Funktionäre nicht. Es scheint auch nicht viele zu kümmern. Wichtiger als Olympische Ziele ist offenbar die Karriere des Chefs“ (Ide, Robert, Die deutschen Sport-Funktionäre warten ab, in Der Tagesspiegel 13.7.2011). Was NOlympia in diesem Zusammenhang natürlich freut, war der Satz: „Die Berliner Politik steht bereit, müsste sich allerdings in der eigenen Stadt und im Land frühzeitig mit NOlympia-Stimmungen auseinandersetzen…“ (Ebenda).
Auch die Behauptung, für eine Bewerbung 2020, welche 2013 entschieden wird und damit parallel zur IOC-Präsidentschaftsfrage, sei es zu spät, stimmte so nicht. Der Geschäftsführende Gesellschafter des – von München 2018 – „altbewährten“ Planungsbüros Albert Speer & Partner äußerte: „Wenn Berlin morgen ruft und eine Olympiabewerbung für 2020 ausgearbeitet haben möchte, könnten wir das fristgemäß leisten“ (Hettfleisch, Wolfgang, Finten auf der Planche, in Frankfurter Rundschau 14.7.2011).
Bach hielt sich nach wie vor bezüglich seiner Kandidatur bedeckt: „Die Frage ist vor Durban gekommen, da war sie zu früh. Nun kommt sie nach Durban und ist immer noch zu früh“ (Ebenda).
Oder eine andere Version von Bach: „Ich finde es aber durchaus ehrenhaft für den deutschen Sport, wenn der DOSB-Präsident für fähig gehalten wird, auch IOC-Präsident zu werden. Es ist aber alles Spekulation, weil ich meine Entscheidung noch nicht getroffen habe“ (Olympia – nur wenn die Bürger es wollen, in SZ 15.7.2011).
Jörg Winterfeldt zufolge war Bachs Lebenswerk auf die Präsidentschaft im IOC ausgerichtet. Nicht einmal ihm könnte es gelingen, „gleichzeitig für sich den Chefsessel und für sein Land die Spiele einzuwerben“. Und deshalb hat Bachs DOSB „das Problem stur ausgesessen“ (Winterfeldt, Jörg, Bach statt Berlin, in Berliner Zeitung 14.7.2011).
Jens Weinreich bezeichnete die DOSB-Erklärung als „selbstgefälliges Fünfpunktepapier“, dessen Argumentation „nicht in allen Punkten deckungsgleich mit der Wahrheit ist“ (Weinreich, Jens, Die Unwahrheiten des DOSB, in dradio.de 16.7.2011). Weinreich zufolge sollte das Papier zur Beeinflussung der öffentlichen Debatte über künftige olympische Bewerbungen dienen. Auch die Behauptung, eine dritte Kandidatur Pyeongchangs sei 2007 nicht zu erkennen gewesen, stimme nicht: Die Kandidatur der Südkoreaner war bereits absehbar gewesen. Auch für Weinreich diente die Eilbewerbung für München 2018 „den Privatinteressen des DOSB-Präsidenten“, der eine Sommerbewerbung 2020 verhindern wollte, weil diese wie die IOC-Präsidentschaft auf der IOC-Sitzung 2013 entschieden wird. Der Erste Hamburger Bürgermeister Ole von Beuyst und der Berliner Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit „fügten sich dem Diktat des DOSB, der dann mit stalinistischer Geschlossenheit München für 2018 ins Rennen schickte“ (Ebenda).
Weinreich sieht die Situation 2011 genau wie 2007: „2007 musste eine Sommerbewerbung von Hamburg und/oder Berlin für 2020 verhindert werden. und 2011 muss eine Sommerbewerbung von Hamburg und/oder Berlin für 2020 verhindert werden… Eine kleine Clique deutscher Sportfunktionäre, dem DOSB-Präsidenten beinahe hörig, bestimmt den Lauf der Dinge“ (Ebenda).
Deshalb wird erst einmal nicht beworben. Und die Bewerbung München 2018 ist schon längst Geschichte, allerdings eine mindestens 33 Millionen Euro teure Geschichte.