Wolfgang Zängl, 25. Mai 2011, aktualisiert 12.8.2017
1 Wie funktioniert die Sportwirtschaft?
2 Die Übertragungszeiten
3 Die Vermarktung der Sportrechte
4 Ein Beispiel: Die Leichtathletik-WM 2011
5 Die „Grundversorgung“ von Sportevents durch die Öffentlichen Anstalten
6 Sportsendungen werden immer teurer
7 Fazit
1 Wie funktioniert die Sportwirtschaft?
Der international organisierte Sport verfährt weltweit einigermaßen identisch:
– Großsportereignisse werden für teueres Geld an öffentliche oder private Fernsehanstalten verkauft, wobei die Sportverbände für die Übertragungsrechte jährlich mehr Geld erzielen möchten.
– Da in Deutschland die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten ARD und ZDF durch ihr Gebührenprivileg über viel Geld und hohe Einschaltquoten verfügen, sind sie für die Sportorganisationen von hohem Interesse.
– Mit den vertraglich vereinbarten Sendezeiten lockt man Sponsoren an, deren Logos möglichst flächendeckend auf Sportstätten und in Sendungen untergebracht werden und die dafür ebenfalls viel Geld entrichten müssen.
– Mit den Fernsehübertragungen wird auch das Merchandising-Geschäft angekurbelt.
– Die Besucher der Sportevents müssen meist hohe Ticketgebühren zu bezahlen. Das Publikum wird nur noch benötigt, um die Ränge zu füllen und dem Fernsehzuschauer Attraktivität zu signalisieren. Oder wie es der frühere IOC-Vizepräsident Richard Pound ausdrückte: „Die Fans im Stadion sind gut für die Atmosphäre, das Ambiente, aber sie sind nicht der wichtigste Faktor. 99,5 Prozent der Zuschauer werden ja ohnehin nicht im Stadion sein, sondern vor den Fernsehern“ (Winterfeld 21.5.2011).
– Die internationalen und nationalen Sportorganisationen streichen die Gelder ein.
– Die ausrichtenden Gastgeberländer oder –orte müssen in der Regel das Defizit decken.
– Der Steuerzahler muss also nicht nur für die finanziellen Defizite der Sportevents aufkommen, sondern zahlt auch noch – wie in Deutschland mit zwangsweise erhobenen Fernsehgebühren für ARD und ZDF – für die überhöhten Fernsehlizenzen, unabhängig davon, ob er Sportfan ist oder nicht.
Ein Beispiel: Die ARD übertrug von der Ski-WM vom 7.2. bis 20.2.2011 in Garmisch-Partenkirchen insgesamt 14 Stunden 10 Minuten, das ZDF 14 Stunden 15 Minuten und der BR 5 Stunden 55 Minuten: Zusammen waren dies 34 Stunden und 20 Minuten Übertragungszeit in den Öffentlich-Rechtlichen, die für die Übertragungsrechte teuer zu bezahlen hatten – aus öffentlich-rechtlichen Pflichtgebühren! (Recherche: Wolfgang Zängl, Gloria Görgner)
Garmisch-Partenkirchen musste für diese Ski-WM 35 Millionen Euro investieren (hierfür gab es Zuschüsse von Bund und Land). Der Gewinn aus der Ski-WM in Höhe von 5 Millionen Euro ging aber an den Deutschen Skiverband (DSV), der sich an den Investitionen nicht beteiligt hatte.
2 Die Übertragungszeiten
Um die von Jahr zu Jahr ausführlicheren und längeren Sportberichterstattungen bei ARD und ZDF aufzuzeigen, sind hier exemplarisch und vollständig die gesamten Sportereignisse aufgelistet, die von den öffentlich-rechtlichen Anstalten ARD und ZDF plus dem BR (und den privaten Sendern RTL und SAT1) im Jahr 2010 übertragen wurden (Recherche: Gloria Görgner, Wolfgang Zängl): Auflistung siehe pdf-Text
Das Ergebnis ist bemerkenswert.
Die Sendezeiten dieser Sportveranstaltungen betrugen:
bei ARD 39.848 min oder 664 h 8 min oder 27 d 16 h 8 min: oder 109 min/Tag.
bei ZDF 34.284 min oder 571 h 24 min oder 23 d 19 h 24 min: oder: 94 min/Tag.
ARD und ZDF übertrugen im Jahr 2010 mehr als 1235 Stunden Sport, das sind 51 Tage.
Nicht dabei sind hier die anderen öffentlich-rechtlichen Länderanstalten der ARD: So übertrug allein der Bayerische Rundfunk noch 133 Stunden (5 Tage 13 Stunden) zusätzliche Sportsendungen.
Der Anteil der Sportübertragungen bei allen Sendern von ARD und ZDF betrug 2010 etwa 8 Prozent (Hahn 23.3.2011).
3 Die Vermarktung der Sportrechte
Angesichts der Marktmacht von Sportrechteagenturen der Medienkonzerne Kirch und Bertelsmann gründeten ARD und ZDF 1995 die Agentur SportA, an der sie jeweils zu 50 Prozent beteiligt sind (Keil 27.8.2009). SportA ist winzig im Vergleich zur Konkurrenz.
Die schwedische Sport-Vermarktungsagentur International Events and Communication in Sports (IEC) gehört seit 2007zum französischen Lagardère-Konzern, der 2009 insgesamt 13,9 Milliarden Euro Umsatz erzielte (Gernandt 15.4.2010; Wikipedia). IEC, die Sportrechtetochter von Lagardère, hat natürlich auch eine Filiale in Lausanne. Sie „strebt die weltweite Marktführerschaft an und hat der Europäischen Rundfunk-Union EBU mit überteuerten Rechteeinkäufen den Fehdehandschuh hingeworfen“ (Kreuzer 26.2.2011). Arnaud Lagardère ist im Übrigen ein enger Freund des französischen Staatspräsidenten Sarkozy.
Lagardère Sports hat neben IEC auch Beteiligungen an Upsolut Sports und World Sport Group. Auch die Agentur Sportfive wurde 2006 für geschätzte 865 Millionen Euro von Lagardère eingekauft und bearbeitet den kompletten Sportmarkt:
„SPORTFIVE ist weltweit führend in der Fußballvermarktung und eine der größten Agenturen im Sportbusiness. Die Sportmarketing-Gruppe deckt das gesamte Spektrum der Sportrechtevermarktung ab, vom Handel mit internationalen Fernsehrechten bis zu Stadionwerbung, Trikotsponsoring, Stadionentwicklung und Hospitality-Maßnahmen. SPORTFIVE war der exklusive Agent der MATCH Hospitality in Kontinentaleuropa für den Verkauf des offiziellen Hospitality-Programms für die Fifa Fußball-Weltmeisterschaft Südafrika 2010…
Das Internationale Olympische Komitee (IOC) hat SPORTFIVE mit der exklusiven Vermarktung der TV- und neuen Medienrechte in Europa (mit Ausnahme einiger Kernmärkte) für die Olympischen Spiele 2014 und 2016 betraut. Mit dem Deutschen Skiverband besteht ein Kooperationsvertrag für die Rennen im alpinen Weltcup sowie die Skisprung-Weltcupwettbewerbe auf deutschem Boden – ausgenommen die Vierschanzen-Tournee. Außerdem ist SPORTFIVE auch in den Sportarten Handball, Basketball, Rugby, Triathlon, Tennis und Motorsport vertreten“ (Wikipedia).
4 Ein Beispiel: Die Leichtathletik-WM 2011
Für die Fernsehrechte an der Leichtathletik-WM in Südkorea vom 27.8. bis 4.9.2011 wollte die Agentur IEC europaweit 80 Millionen Euro erzielen; die European Broadcasting Union (EBU) bot nur 63 Millionen Euro. Die deutschen öffentlich-rechtlichen Sender ARD und ZDF boten sechs Millionen Euro an – die IEC forderte aber im Auftrag des Internationalen Leichtathletik-Weltverbandes IAAF für die deutschen Senderechte 15 Millionen Euro (Serrao 15.1.2011)
Der Fernsehrat des ZDF hat 77 Mitglieder, darunter ist auch ein Vertreter des Deutschen Olympischen Sportbundes, des DOSB (www.unternehmen.zdf.de, Fernsehrat). DOSB-Präsident Thomas Bach war bis März 2010 Mitglied des ZDF-Fernsehrates. (Sein Nachfolger dort ist DOSB-Vizepräsident Hans-Peter Krämer.) Bach unterstützte im ZDF-Fernsehrat die hohe Forderung von IEC. „Der DOSB tritt dafür ein, dass ARD und ZDF ihrem öffentlich-rechtlichen Sendevertrag nachkommen und die gesamte Vielfalt des Spitzensports im Fernsehen abbilden“ (www.leichtathletik.de 24.2.2011). Dazu gehöre laut Bach auch die Berichterstattung über Großereignisse wie die Leichtathletik-WM.
Der Hintergrund für die Erhöhung der Fernsehlizenzen lag woanders: Bei der Council-Sitzung des IAAF im März 2010 in Doha musste der Schatzmeister eingestehen, dass der IAAF bei 47 Millionen Dollar Einnahmen Ausgaben von 80 Millionen Dollar hatte. Es handelte sich hier auch um einen typischen verbandsinternen Sportkrieg: Der seit 1999 amtierende IAAF-Präsident Lamine Diack aus dem Senegal pflegte seine „Afrika-Politik mit afrikanischen Interessen, die nicht ganz billig sind“, wie IAAF-Council-Mitglied Helmut Digel formulierte (Gernandt 15.4.2010). Diack will 2011 zum dritten Mal IAAF-Präsident und 2012 Präsident des Senegal werden. Er äußerte 2009: „Wir verschenken keine TV-Rechte und wir verkaufen auch keine Einzel-Events. IEC bietet TV-Rechte nur im Paket an“ (Schmitt 15.3.2010).
Der ARD-Programmdirektor Volker Herres legte Wert auf die Feststellung, dass ein gültiges Angebot seitens ARD und ZDF abgegeben worden war, das ausgeschlagen wurde. Die beiden Anstalten hatten vorher 20 Millionen Euro für die Weltmeisterschaften in Berlin (2009) und Osaka entrichtet – wegen der attraktiven Heim-WM. Die WM in Berlin 2009 sahen zehn Millionen Zuschauer, die als Rechtfertigung für die hohen Ausgaben für Übertragungsrechte herangezogen wurden. Allerdings lässt das Interesse in Europa an der Leichtathletik nach, da andere Nationen zunehmend die Sieger stellen (Kistner 22.2.2011). Die Europäer bieten der Leichtathletik „wohl die attraktivsten Bühnen, die aber werden nur von den Wunderknaben und Powerfrauen aus der Karibik, Afrika und den USA zur Selbstdarstellung genutzt“ (Gernandt 15.4.2011).
Wieweit das Thema Doping und fehlende Dopingkontrolle hier hereinspielt, wird an anderer Stelle klar, siehe Doping. (Link hier)
Der frühere Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes DLV und jetzige Chef der Marketing-Kommission des IAAF, Helmut Digel kritisierte im März 2010 die angebliche Fokussierung von ARD und ZDF auf Fußball: „Aus meiner Sicht haben die öffentlich-rechtlichen Sender einen Gesamtauftrag Sport, den sie wahrnehmen müssen“ (Schmitt 15.3.2010). Digel hob hervor, dass sich die Leichtathletik angeblich in den letzten 30 Jahren als „äußerst relevante“ Fernsehdisziplin erwiesen habe (Keil, SZ 17.3.2011).
Der DLV ließ im Fenruar 2011 250 Leichtathleten einen Offenen Brief an Bundeskanzlerin Merkel, viele Politiker und die Intendanten der Fernsehanstalten ARD uind ZDF, dem Bundesinnenminister sowie allen Ministerpräsidenmten und Sportministern der Länder schreiben (www.leichtathletik,.de 24.2.2011). Einige Sportler verweigerten auch Interviews mit Journalisten (Spiegel 5.3.2011). Im Fall der Nichtübertragung verwiesen sie auch noch drohend „auf mögliche Auswirkungen auf die Olympiabewerbung Münchens für die Winterspiele 2018, wenn die Rahmenbedingungen für den olympischen Sport im deutschen Sport schlechter würden“ (Hahn 22.2.2011).
Am 23.3.2011 befasste sich der Sportausschuss des Bundestages mit Leitlinien für ARD und ZDF bezüglich internationaler Sportwettkämpfe. Dessen Vorsitzende ist die SPD-Bundestagsabgeordnete Dagmar Freitag, gleichzeitig Vizepräsidentin des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV). Sie kündigte bereits an, dass es wichtig sei, „eine Lösung im Sinne der Leichtathletik“ zu finden (Keil 17.3.2011) Bei dem Spitzengespräch im Sportausschuss wurde auch DLV-Präsident Clemens Prokop befragt. DLV-Vizepräsidentin Freitag konnte dennoch keinen Interessenskonflikt für sich feststellen: „Ich habe die Sitzung geleitet, wie ich jede andere Sitzung geleitet habe… Also es war für mich ein Tagesordnungspunkt wie jeder andere auch“ (Kempe 23.3.2011).
Am 1.4.2011 war es dann soweit: ARD und ZDF akzeptierten. „Eine Summe wurde nicht genannt“ (dapd 1.4.2011).
5 Die „Grundversorgung“ von Sportevents durch die Öffentlichen Anstalten
„Was gehört zum Programmauftrag des öffentlich-rechtlichen Fernsehens?“ René Martens
Das ist eine äußerst berechtigte Frage: nicht nur angesichts der acht Milliarden Euro jährlicher Zwangsgebühren für ARD und ZDF (Keil 3.1.2011). Im Zusammenhang mit der Leichtathletik-WM wurde auch das Thema „Grundversorgung“ diskutiert. So hieß es zunächst: „ARD und ZDF sehen es nicht als Teil ihres öffentlich-rechtlichen Auftrags zur Grundversorgung an, die Leichtathletik-WM 2011 live zu übertragen“ (Serrao 15.1.2011).
Der DOSB-Präsident und ehemalige ZDF-Fernsehrat Bach verwies die öffentlich-rechtlichen Anstalten auf ihre vermeintliche Pflicht: „Sportgroßereignisse zählen zu den Pflichtveranstaltungen von ARD und ZDF. Sie verursachen hohe Ausgaben, bringen aber auch ansprechende Quoten“ (SZ 25.2.2011). DOSB-Generaldirektor Michael Vesper betonte im Zusammenhang mit der Priorität des Fußballs: „Gleichwohl würden wir uns wünschen, dass die anderen Sportarten, also der ganze Spitzensport in seiner ganzen Breite, mehr in den öffentlichen Programmen vorkäme“ (Kreuzer 26.2.2011).
Bedeutet dies, man soll Kultur und Politik, Dokumentation und Umwelt noch weiter zugunsten der Sportsendungen kürzen?
Zur Frage des tatsächlichen Auftrags von ARD und ZDF schrieb Christopher Keil, diese „haben aber einen Auftrag: die Grundversorgung mit allem, was man als Gesellschaft von einem quasi staatlichen Rundfunk verlangt. Und dazu gehört der Sport“ (Keil 17.3.2011). Keil fragte dann aber weiter: „Leitet sich aus dem öffentlich-rechtlichen Charakter des deutschen Rundfunksystems ein Recht auf Sportübertragungen ab, wenn sie eine bestimmte Größenordnung angenommen haben? Und wenn ja, zu welchem Preis?“ (Ebenda).
Nun bestehen bereits acht Prozent des gesamten Programms von ARD und ZDF aus Sportübertragungen (Hellmann, Rohlfing 25.2.2011; Hahn 23.2.2011). Die „Grundversorgung“ der Sportübertragungen in ARD und ZDF soll noch weiter zunehmen, wie der Antrag „Gesellschaftliche Bedeutung des Sports“ von CDU/CSU und SPD im Deutschen Bundestag zeigt. Dort wird gefordert: „Sport in seiner Vielfalt ist ein Kulturgut von hohem Rang. Es bedarf daher der Präsenz der gesamten Bandbreite des Sports in den öffentlich-rechtlichen Medien“ (Drucksache 16/11217, 3.12.2008). Unterschrieben wurde er u. a. von mehreren Mitgliedern des Sportausschusses des Bundestages, darunter wieder MdB Dagmar Freitag, Vizepräsidentin Deutscher Leichtathletik-Verband.
So versuchen die Sportverbände, ihrem Sport den Status „Kulturgut“ einzuräumen und über den Bundestag Priorität in ARD und ZDF zu gewinnen.
6 Sportsendungen werden immer teurer
„Die meisten der 35 olympischen Weltverbände (28 im Sommer, 7 im Winter) könnten ohne ihren Anteil an den IOC-Fernsehverträgen nicht existieren“ (Jens Weinreich 9.12.2008).
Den öffentlich-rechtlichen Sendern ARD und ZDF wird häufig Gebührenverschwendung vorgeworfen. In der Tat werden die Übertragungsrechte teuerst bezahlt. Der DFB bzw. seine Agentur für die Übertragungsrechte der ersten und zweiten Bundesliga und der dritten Liga verlangen pro Jahr insgesamt 412 Millionen Euro: Die ARD entrichtet davon für die Übertragung in der Sportschau 100 Millionen Euro; das ZDF bezahlt etwa 20 Millionen Euro für „Spiel der Woche“ etc. (Keil 1.3.2011; 17.3.2011).
Interessant ist auch der geplante Einstieg des ZDF in die Fußball-Champions-League der UEFA. Das ZDF will sich dies viel Geld kosten lassen: für die Rechte etwa 48 Millionen Euro. Dazu kommen noch die Produktionskosten der Sendungen von etwa 20 Millionen Euro – für einen Zeitraum von gerade einmal drei Jahren. Das ZDF muss dabei auch die Präsentation der UEFA-Sponsoren und späte Werbeblöcke senden: Dies ist üblicherweise verboten, jedoch gelten Olympische Spiele, Länderspiele oder Endspiele mit deutscher Beteiligung als „gesellschaftlich relevante Ereignisse“ und dürfen Werbung zeigen (spiegelonline 5.4.2011; SZ 17.3.2011; Keil 6.4.2011).
Die ARD hat gerade die Rechte für etwa 30 Boxabende in den Jahren 2013 bis 2015 für 54 Millionen Euro gekauft (Keil 17.3.2011). Die zuständigen ARD-Sender – MDR, NDR, WDR und SWR – bekamen den Vertrag lange nicht zu Gesicht. WDR-Rundfunkrat-Chefin Ruth Hieronymi bezweifelte bereits, ob Profiboxen „überhaupt zum Auftrag der Öffentlich-Rechtlichen gehört“ (Martens S. 73). Der Journalist Martens kam zu dem Schluss: „Die Kampfabende finden nur statt, weil das Geld vom Fernsehen fließt“ (Ebenda).
Das ist inzwischen bei vielen Sport-Großereignissen so.
Für die Übertragungsrechte der Olympischen Winterspiele in Vancouver 2010 und die Sommerspiele 2012 in London kassierte das IOC 3,860 Milliarden Dollar (Gehrmann 23.2.2010). Die olympischen Übertragungsrechte für Sotschi 2014 und Rio de Janeiro 2016 sind derzeit noch offen: Allein für die USA hat das IOC zwischen zwei und vier Milliarden Dollar eingeplant. Da NBC mit Vancouver 2010 etwa 223 Millionen Dollar Verlust gemacht hat, ist die Stimmung nicht euphorisch (Gehrmann 24.5.2010).
Trotzdem äußerte der Marketing-Direktor des IOC, Timo Lumme Anfang 2010: „Wir müssen möglichst viel aus unserem Produkt machen… Ich gehe (.) davon aus, dass es mehr sein wird als für die laufende Phase in Vancouver und London.“ Und zu den Bezahlsendern meinte Lumme: „Bei Sommerspielen werden in zwei Wochen mittlerweile 5.100 Stunden Olympiabilder produziert, bei Winterspielen sind es immerhin gegen 1.000. Das kann man gar nicht alles im öffentlich-rechtlichen Fernsehen zeigen“ (nzz.ch 23.2.2010).
Die bewusst produzierte Bild-Masse soll neue Nachfrage erzeugen: auch eine Art „Wachstum“!
Für die Europa-Rechte für Vancouver 2010 und London 2012 wurden von der European Broadcasting Union (EBU) 672 Millionen Euro an das IOC überwiesen. Für Sotschi 2014 und Rio 2016 werden allein für Deutschland 180 Millionen Euro angesetzt – ARD und ZDF wollen aber „nur“ 100 Millionen Euro bezahlen (sueddeutsche.de 5.4.2011). Das IOC geht für 2014 und 2016 von 200 Sendestunden im öffentlichen, frei empfangbaren Fernsehen aus (Hahn 23.3.2011).
Für die wichtigsten europäischen Länder Deutschland, England, Frankreich, Spanien und Italien fallen die Rechte-Verhandlungen übrigens in den Zuständigkeitsbereich von Thomas Bach als IOC-Vizepräsident: Der Wirtschaftsanwalt wird diese wohl nicht ohne Honorar führen. Für die übrigen europäischen Länder hat das IOC die Rechte an die Agentur Sportfive abgetreten (Gehrmann 23.2.2010).
Interessant sind die Steigerungsraten der vom IOC erzielten gesamten Fernsehlizenzen bei den Übertragungsrechten der Olympischen Spiele:
Sommerspiele:
1960 Rom 1,2 Mill. $; Moskau 1980 88 Mill. $; Sydney 2000 1.331 Mill. $; Peking (Beijing) 2008 1.737 Mill. $
Winterspiele:
1960 Squaw Valley 50.000 $; 1980 Lake Placid 20,7 Mill. $; 1998 Nagano 513,5 Mill. $; 2010 Vancouver 1.127 Mill. $
Quelle: Weinreich 9.12.2008
Ein internationaler Verhandler, der ungenannt bleiben wollte, äußerte: „Eigentlich sollte man das IOC auf den Rechten sitzen lassen und schauen, was passiert“ (Gehrmann 23.2.2010). ARD-Programmdirektor Volker Herres sagte Anfang 2009, die ARD wolle die TV-Rechte 2014 und 2016 „nicht um jeden Preis“ (spiegelonline 26.1.2009). Und im Mai 2011 äußerte er: „Sollten wir die Rechte verlieren, werden wir unser Engagement zwischen den Spielen für jede Einzelsportart überprüfen“ (Winterfeldt, Jörg, Förderer verschwunden, in Berliner Zeitung 24.5.2011).
Man darf gespannt sein!
7 Fazit
Die Übernahme der Politik und der öffentlich-rechtlichen Sender durch die Sportfunktionäre und Sportverbände des Spitzensports geht weiter. Das Geschäftsmodell wird ständig ausgedehnt. Die Politik spielt mit. Steuerzahler und Gebührenzahler der öffentlich-rechtlichen Fernsendeanstalten bezahlen letztlich die (hohe) Rechnung.
Und die Sport-Event-Fun-Fraktion gewinnt täglich.
Nachtrag 1: HBS bei der Fußball-WM 2014
“Einen Großteil der Bilder und Töne für ihre Berichterstattung erhalten ARD und ZDF — wie seit vielen Jahren üblich — von HBS, dem Host-Broadcaster der WM. HBS hat die Produktion der Fußball-Weltmeisterschaften über die Jahre immer weiter perfektioniert und liefert den Lizenznehmern, die beim Fußballverband Fifa die entsprechenden Rechte gekauft haben, Programm-Feeds und –Pakete auf höchstem Qualitätsniveau. Rein rechtlich läuft das so, dass die Fifa den Dienstleister HBS mit den Aufgaben eines Host-Broadcasters betraut. Dazu gehört es, die fernsehtechnische Infrastruktur für die TV-Übertragung der WM aufzubauen und dann während des laufenden Events die Lizenznehmer mit Bildern und Tönen zu beliefern und verschiedene Services bereitzustellen” (Gebhard, Christine, Voigt-Müller, Gerd, Fußballfest in Zuckerhut-Land: So übertragen ARD und ZDF die WM 2014 aus Brasilien, www.film-tv-video.de 24.6.2014).
Die unerbittliche Bildregie von HBS hat Folgen: Es gab und gibt keine Bilder von Protesten, Aktionen – auch nicht von Blitzern. “Bereits mehrfach waren bei den WM-Spielen in Brasilien Flitzer auf den Platz gestürmt; mehr oder weniger gründlich verhinderte die Fifa die Ausstrahlung dieser Bilder” (spiegelonline 29.6.2014). Der Geschäftsführer der Deutschen Fußball Liga, Andreas Rettig, bezeichnete dies als Zensur: “Wenn ein Spiel unterbrochen wird und eine Szene Einfluss auf das Spiel hat, muss das im TV zu sehen sein” (Ebenda).
Die ganze Bildregie von Fifa–HBS (und dem IOC-Bildlieferanten OBS) ist Zensur: Gezeigt werden aseptische, cleane Bilder – für saubere und gesäuberte BROT UND SPIELE.
Nachtrag 2: 30 Milliarden Euro aus Fernsehrechten
Laut TVSM Global Report 2015 betrug die Gesamtsumme der Fernsehrechte für Sportübertragungen im Jahr 2014 36,8 Mrd. Dollar – rund 28,8 Mrd. Euro. Das ist seit 2010 ein Anstieg um 34 Prozent. „Bis 2017 wird ein weiterer Anstieg um 21 Prozent auf rund 44,5 Milliarden Dollar (35,9 Milliarden Euro) erwartet“ (SID, Fernsehrechte für Sport erlösten 2014 fast 30 Milliarden Euro, in zeitonline 10.12.2014).
Mit den TV-Milliarden werden Brot und Spiele finanziert…
Nachtrag 3: Zum Fifa-Konkress 2015, den Verhaftungen und Blatters Wiederwahl (vor dessen Rücktritt)
„Gestützt wird dieses System allerdings nicht nur von denen, die, wie der frühere Fifa-Vizepräsident Jack Warner, Geld nehmen, sondern auch von denen, die es geben. Und das sind wir alle. Zu den Annehmlichkeiten der Weltfußballmafia trägt nämlich bei, dass sie bei ihrem bestechenden Finanzausgleich – gegen Zuschüsse für einzelne Fußballverbände gibt es die Stimmen von deren Vertretern, die eine oder andere Million verschwindet en passant – mit dem saubersten Geld überhaupt handelt.
Zwischen 2010 und 2014 hat die Fifa einen Umsatz von 5,7 Milliarden Dollar gemacht. Ein Großteil davon stammt aus der Vermarktung der Fußball-Weltmeisterschaften. Diese beruht zum überwiegenden Teil auf dem Verkauf von Fernsehrechten, vor allem in Europa. Und dort wiederum wird mit öffentlichem Geld bezahlt, in Deutschland mit dem Rundfunkbeitrag. 2,5 Milliarden Dollar soll die WM im vergangenen Jahr der Fifa beschert haben. Mit 210 Millionen Euro haben die öffentlich-rechtlichen Sender ARD und ZDF dazu beigetragen. Für die WM 2018 in Russland werden 218 Millionen Euro ausgegeben, für die WM 2022 in Qatar 214 Millionen Euro„ (Hanfeld, Michael, Die Mauer wartet auf den Freistoß, in faz.net 29.5.2015).
– „Wie wir alle das System Blatter finanzieren“: „Die höchsten Einnahmen bescheren der Fifa die Fernsehsender. Die Preise für die Übertragungsrechte der Weltmeisterschaften haben sich im neuen Jahrtausend vervielfacht. Bei der WM 1998 brachten sie der Fifa noch nicht einmal hundert Millionen Dollar ein, beim Turnier 2014 in Brasilien waren es gut 2,4 Milliarden Dollar – ein Rekordwert, der bei den kommenden Weltmeisterschaften noch einmal übertroffen werden könnte. (…) Mit 43 Prozent machen die Erträge aus den Fernsehrechten beinahe die Hälfte der Gesamteinnahmen des Weltverbandes aus. (…) Der Großteil der Fernsehgelder kommt dabei nach wie vor aus Europa. Der Anteil liegt bei knapp 50 Prozent. (siehe Grafik) Entsprechend richten sich auch die Anstoßzeiten meist nach den Bedürfnissen der hiesigen Zuschauer. Bei der WM in Brasilien etwa mussten die Mannschaften oft in glühender Mittagshitze ran, damit das Spiel zur besten europäischen Sendezeit übertragen werden konnte. (…) Die Sender selbst wollen die Zahlen weder bestätigen noch dementieren. Sie dürfen keine Details veröffentlichen. Die Fifa verlangt von ihren Vertragspartnern Stillschweigen über die gezahlten Summen“ (Kaiser, Stefan, van Hove, Anna, Wie wir alle das System Blatter finanzieren, in spiegelonline 1.6.2015). Oder wie es der ehemalige Fifa-Mann Guido Tognioni ausdrückte: „Die Fifa ist ein geschlossenes System. Die Fernsehanstalten rennen ihr die Bude ein, die Sponsoren sind sprachlos“ (Becker, Christoph, 432 Millionen Euro für das System Fifa, in faz.net 1.6.2015).
Nachtrag 4: ARD und ZDF: fast 11 Prozent Anteil an WM 2014
Der NDR berichtete im Juni 2015, dass nach Medienberichten ARD und ZDF für die Übertragungsrechte an der WM 2014 in Brasilien 270 Millionen Dollar gezahlt haben. Die Fifa nahm weltweit rund 2,5 Milliarden Dollar ein, wie sie in ihrem Geschäftsbericht angibt. Damit lag der Anteil von ARD und ZDF bei 10,8 Prozent (Der Rundfunkbeitrag und die Fifa, in ndr.de 3.6.2015). Der NDR stellte angesichts der vermutlich gekauften Turniere 2018 in Russland und 2022 in Katar die Frage: “Sind die Rundfunkbeiträge, die ARD und ZDF erhalten,, hier richtig investiert? Auf Nachfrage, ab welchem Punkt ARD und ZDF den kritischen Punkt des Ausstiegs erreicht sehen, antwortete ZDF-Intendant Bellut vage, er könne das noch nicht beantworten. Das sei im Moment zu früh” (Ebenda).
Aber die WM-Verträge sich längst unterschrieben: „Auch bei den öffentlich-rechtlichen Sendern, welche die Fernsehrechte an der WM 2018 (Russland) und 2022 (Qatar) gerade erst für zusammen 430 Millionen Euro schon erworben haben, ist keine Absicht zu erkennen, die Fifa zu boykottieren. Es gibt nicht mal eine Drohung. Doch fest steht, dass reichlich Geld vom Gebührenzahler in die umstrittene Organisation des Weltverbandes fließt. (…) Die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten hat schon auf die exorbitant hohen Minutenkosten für Sportsendungen hingewiesen, die auch aus den Rechteeinkäufen wie bei einer Fifa-WM resultieren. Der teuerste Programmbereich bei ARD und ZDF ist der Sport mit dem Fußball“ (Die unauflösliche Ehe von Fifa und DFB, in faz.net 5.6.2015).
Nachtrag 5: Öffentlich-Rechtliche Abschaffen!Der frühere Vorsitzende der Monopolkommission und Volkswirtschaftsprofessor Justus Haucap übte im Mai 2015 scharfe Kritik am öffentlich-rechtlichen Rundfunk: „Wir haben den teuersten öffentlich-rechtlichen Rundfunk der Welt. Dänemark, Schweden, Frankreich, Großbritannien – überall dort gibt es doch auch eine funktionierende Demokratie, und der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist erheblich kleiner. Politische Information oder Kulturangebote sind bloß Krümel im Kostenblock der Sender. Warum brauchen wir Seifenopern für die Demokratie? Das ist eine billige Konstruktion“ („Seifenoper für die Demokratie“, in Der Spiegel 23/30.5.2015).
Nachtrag 6: ARD will schon wieder mehr Geld – für Sport
8,4 Milliarden Euro im Jahr 2014 für die Öffentlich-Rechtlichen Sportsender reichen nicht mehr. ARD-Vorsitzender Lutz Marmor äußert Finanzwünsche, u. a. für Sport – mit der Begründung der Bewerbung Hamburg 2024: „Beim Sport muss man aber sagen: Bestimmte Rechte hätten wir gerne weiterhin, dazu bekenne ich mich. An Sublizenzen für Olympia haben wir durchaus Interesse. Wie das aussehen könnte, ist offen, vom neuen Rechteinhaber Discovery gibt es noch keine Angebote oder Gespräche. Und wir können nicht jeden Preis zahlen, das ist klar. Aber stellen Sie sich mal vor, die Olympischen Spiele kämen wirklich nach Hamburg, und der öffentlich-rechtliche Rundfunk stünde vor der Tür. Das fände ich im Interesse unserer Zuschauer keine sehr wünschenswerte Vorstellung“ (Tieschky, Claudia, Die Reseren sind aufgebraucht, in SZ 29.8.2015; Hervorhebung WZ).
Nachtrag 7: 320 Stunden Wintersport in ARD und ZDF
„Bis zum Frühjahr (2016; WZ) zeigen die beiden öffentlich-rechtlichen Sender allein 320 Stunden Live-Sendungen im klassischen Fernsehen. Die Übertragungen werden meist nur von den Nachrichten unterbrochen (!WZ). Außerdem gibt es in dieser Saison verstärkt Live-Streams auf den Internet-Seiten der Sender“ (Romanczk, Wintersportler laufen in Dauerschleife, in nwzonline.de 26.11.2015; Hervorhebung WZ).
Nachtrag 8: Bayerischer Rundfunk durch Sport in Finanznot
„Nicht-Fußball-Fans dürfte eine Information auf Seite 72 des ORH-Berichts etwas sauer machen: Demnach verursacht die ARD-Sportschau mit ihrer Berichterstattung über die Fußball-Bundesliga mit Abstand die höchsten Kosten im Vorabendprogramm. Ganze 40 000 Euro kostet eine Minute Sportschau. Zum Vergleich: Eine Minute einer Quiz-Sendung kostet 2000 Euro, eine Minute ‚Verbotene Liebe‘ oder ‚Marienhof‘ 3500 Euro und das ‚Großstadtrevier‘ 10 000 Euro. Die Berichterstattung über die Fußball-Bundesliga summiere sich jährlich auf einen dreistelligen Millionenbetrag, so viel kosteten Lizenzen und Produktion, schreibt der ORH. Während sich das Vorabendprogramm ansonsten direkt aus den Werbeeinnahme finanziere, sei das bei der Sportschau nicht der Fall. ’61 Prozent der Lizenzkosten trugen die Landesrundfunkanstalten.‘ Deshalb bleibe der ORH ‚bei seiner Auffassung, dass beim Erwerb der Rechte eine deutlich zurückhaltendere Strategie geboten ist’“ (Kuhr, Daniela, Tieschky, Claudia, Dem BR vergeht Hören und Sehen, in SZ 9.3.2016).
Nachtrag 9: ARD und ZDF draußen?
„Die olympische Zukunft im öffentlich-rechtlichen Fernsehen ist ab den Winterspielen 2018 ungewiss. ARD und ZDF befinden sich weiter in Verhandlungen mit dem Rechteinhaber Discovery – eine Einigung ist noch nicht in Sicht. ‚ARD und ZDF waren und sind weiterhin an einem Rechteerwerb zur umfassenden Berichterstattung von den Olympischen Spielen 2018 und 2020 interessiert‘, sagte ARD-Sportkoordinator Axel Balkausky dem Mediendienst ‚Meedia‘. Allerdings nannte er die Verhandlungen über eine Sublizenzierung mit dem zukünftigen Rechteinhaber Discovery ’schwierig‘. Das liege vor allem an den ‚öffentlich kommunizierten finanziellen Investitionen von Discovery‘. ARD und ZDF hätten dem US-Unternehmen aber ‚ein sehr faires Angebot‘ vorgelegt. Deshalb hofft Balkausky auf eine ‚konstruktive Fortsetzung‘ der Gespräche und eine Übereinkunft zu ‚fairen und vertretbaren Konditionen'“ (ARD und ZDF droht das Olympia-Aus, in spiegelonline 3.8.2016).
Nachtrag 10: Jan Fleischhauer zum Auftrag der Öffentlich-Rechtlichen:
„Der Kauf von Sportrechten durch die Öffentlich-Rechtlichen ist seit Langem ein Ärgernis. Wie viel genau die Rundfunkanstalten dafür ausgeben, dass sie im Zweijahreswechsel erst die Olympischen Spiele und dann die Fußballweltmeisterschaft übertragen, ist nicht zu erfahren. Diese Zahlen werden wie ein Staatsgeheimnis gehütet. Es ist in jedem Fall so viel, dass an anderer Stelle im Programm gespart werden muss, um den Sportzirkus zu finanzieren. (…) Man kann sich aussuchen, wen man für die korruptere Organisation von beiden hält: das IOC oder die Fifa. Ich bin sicher, nach dem Erfolg von ‚Narcos‘ überlegen sie bei Netflix, ob sie nicht demnächst das Treiben bei den Sportkartellen ins Fernsehen bringen. Blatter, Platini, Havelange und jetzt Beckenbauer – den Cast hat man schon mal zusammen. (…) Das Verfassungsgericht hat die Rundfunkanstalten mit Befugnissen ausgestattet, die ansonsten nur Finanzämter haben. Sollte man da nicht erwarten dürfen, dass sie bei der Auswahl der Geschäftspartner etwas sorgfältiger verfahren? Im Staatsvertrag über den Norddeutschen Rundfunk steht folgender Passus, Ähnliches findet sich in den Statuten aller öffentlich-rechtlichen Sender: ‚Der NDR hat in seinen Programmen die Würde des Menschen zu achten und zu schützen. Er soll dazu beitragen, die Achtung vor Leben, Freiheit und körperlicher Unversehrtheit zu stärken und sich für die Erhaltung von Natur und Umwelt einzusetzen. Das Programm des NDR soll die internationale Verständigung fördern, für die Friedenssicherung und den Minderheitenschutz eintreten, die Gleichstellung von Frau und Mann unterstützen und zur sozialen Gerechtigkeit beitragen.‘ Ich arbeite aus gutem Grund nicht beim NDR. Ich würde vermutlich bei einer Institution, bei der die Friedenssicherung zentrales Programmziel ist, nicht lange durchhalten. Aber ich lebe auch nicht von Zwangsgebühren. Im November 2022 wird die Fußballweltmeisterschaft in Katar eröffnet. Beim Bau der Stadien dürften bis dahin so viele indische Arbeitssklaven vom Gerüst gefallen sein, dass man mit ihren Gebeinen die Ausfahrtstraßen bis nach Abu Dhabi pflastern kann. Vor drei Jahren hat der Franz mal wieder in Katar vorbeigeschaut. ‚Also ich habe noch keinen einzigen Sklaven in Katar gesehen, die laufen alle frei rum‘, sagte Beckenbauer nach seinem Besuch. Was vom Wort des Franzl zu halten ist, wissen wir inzwischen. Bei ARD und ZDF glaubt man ihm aufs Wort“ (Fleischhauer, Jan, Sklaven? Welche Sklaven? in spiegelonline 19.9.2016).
Nachtrag 11: Öffentlich-rechtliche Sportsender auch bei Fußball-EM 2020 dabei
ARD und ZDF sicherten sich über ihre Sportrechteagentur SportA die Medienrechte für 2020. „Was die Sender für die Rechte bezahlen, wurde nicht bekannt. Das Erste und das Zweite dürfen alle 51 Spiele der EM, die erstmals in dreizehn Ländern übertragen wird, live zeigen“ (ARD und ZDF zeigen EM 2020, in spiegelonline 5.10.2016).
Nachtrag 12: Geld ohne Ende für ARD und ZDF
Die Zwangsbeiträge für nunmehr alle deutschen Haushalte bescherten den Öffentlich-Rechtlichen Sportsendern ARD und ZDF enorme Überschüsse. „Zu dem Überschuss kam es, weil Anfang 2013 – nach der Umstellung auf das neue Beitragsmodell, das die Zahlpflicht nicht mehr vom Vorhandensein eines Empfangsgeräts abhängen lässt – durch einen Datenabgleich sehr viele Beitragspflichtige ausfindig gemacht wurden, die bislang eine Zahlung verweigert hatten. So brachte der Rundfunkbeitrag etwa im vergangenen Jahr 8,13 Milliarden Euro ein. Davon müssen indes 153 Millionen Euro abgezogen werden, die an die über die Privatsender wachenden Landesmedienanstalten gingen. Übrig blieben rund zwei Milliarden Euro fürs ZDF, 218 Millionen Euro fürs Deutschlandradio und 5,76 Milliarden Euro für die ARD. (…) In ersten bekannt gewordenen Vorschlägen an die Länderarbeitsgemeinschaft ‚Auftrag und Strukturoptimierung des öffentlichen-rechtlichen Rundfunks‘ haben die Anstalten gelobt, ihre Produktions- und IT-Strukturen zu verbessern. (…) Ansonsten igelt man sich ein in einer gewissen Uns-kann-doch-keiner-was-Mentalität. Wenn sich die Sendermanager da mal nicht irren: Dieses Verhalten stößt in der Politik, das war in den vergangenen Jahren immer wieder zu spüren, zunehmend auf Unmut. Und es sorgt dafür, dass ARD und ZDF aus der Defensive nur noch herauskommen und ständig damit zu tun haben, Angriffe abzuwehren, mögen sie auch noch so abstrus sein. Längst hat auch der hinterste Parlamentsbänkler gemerkt, dass sich sehr leicht schmissige Schlagzeilen generieren lassen, wenn man nur möglichst heftig aufs öffentlich-rechtliche System eindrischt“ (Hoff, Hans, Groschenoper, in SZ 29.10.2016).
Das bedeutet insgesamt: noch mehr Geld für die Öffentlich-rechtlichen Sportsender – und weitgehend in Eigenregie vergebene Gebühren-Millionen.
Nachtrag 13: Die Rache des IOC: ARD und ZDF draußen
„ARD und ZDF werden nicht von den Olympischen Spielen 2018 bis 2024 berichten können. Das US-Unternehmen Discovery und die öffentlich-rechtlichen Sender konnten sich nicht auf den Verkauf von Sublizenzen einigen. Das Discovery-Tochterunternehmen Eurosport wird nach eigenen Angaben in Deutschland exklusiv live Wettkämpfe übertragen. Die langwierigen Verhandlungen sind damit gescheitert. ARD und ZDF sollen für die Sublizenzen der Winterspiele 2018 in Pyeongchang und der Sommerspiele 2020 in Tokio maximal 100 Millionen Euro geboten haben. Das US-Unternehmen Discovery soll geschätzte 150 Millionen Euro verlangen. Offizielle Bestätigungen dieser Zahlen gibt es nicht“ (Kein Olympia bei ARD und ZDF, in spiegelonline 28.11.2016; Hervorhebung WZ). – „Discovery wollte angeblich 150 Millionen Euro für die Übertragungsrechte der Spiele in Peyongchang (2018) und Tokio (2020), die deutschen TV-Sender waren jedoch nicht bereit, mehr als 100 Millionen Euro zu bezahlen. Eine offizielle Bestätigung dieser Summen gab es nicht. Allerdings teilte Ulrich Wilhelm, Sportrechte-Intendant der ARD, mit: ‚Wir müssen erkennen, dass die Forderungen von Discovery bei Weitem über dem liegen, was von uns verantwortet werden kann. Wir sind zu wirtschaftlichem Umgang mit Beitragsgeldern verpflichtet.‘ Mit den öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten Österreichs und Großbritanniens (ORF und BBC) hatte sich Discovery hingegen einigen können“ (Knaack, Benjamin, Wo kann ich jetzt noch Olympia gucken? in spiegelonline 28.11.2016; Hervorhebung WZ).
Das würde mich doch sehr wundern, wenn das keine Retourkutsche des IOC-Präsidenten Thomas Bach ist: wegen der Aufdeckung des russischen Dopingskandals durch die ARD…
Befürchtete Auswirkungen auf die Sponsoren: „Durch den Wegfall der ARD- und ZDF-Liveübertragungen erfahren die Olympischen Spiele in Deutschland zwangsläufig weniger Aufmerksamkeit. Diese zieht das Nachlassen des Sponsoreninteresses nach sich, das hat dann wiederum weniger Geld für die Verbände zur Folge. (…) DOSB-Vertreter wandten sich nach Informationen des ‚manager magazin‘ während der Verhandlungen an den deutschen IOC-Präsident Thomas Bach, damit dieser Druck auf Discovery mache. Doch Bach lehnte ab, schließlich spielt ihm das Vorgehen des US-Konzerns in die Karten. Er bastelt an seinem Olympia-TV-Kanal, der olympische Sportarten ’24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr – auf allen Plattformen‘ zeigt. Eurosport könnte da ein willkommener Partner sein“ (Ebenda).
Dazu aus einem Kommentar von Peter Ahrens in spiegelonline: „Und es ist zudem eine Entscheidung, zu der man ARD und ZDF nur beglückwünschen kann. Der Katzenjammer der Öffentlich-Rechtlichen ist komplett fehl am Platze. Die Olympischen Spiele sind nie das fröhliche Sportfest gewesen, als das sie über Jahrzehnte verkauft wurden. Sie sind zwar immer noch eine Sportveranstaltung, die ihresgleichen sucht und die bei jeder Neuauflage tolle sportliche Geschichten liefert. Aber sie sind gleichermaßen knallhart durchkommerzialisierte Großevents, politisch instrumentalisiert, mit irren Kosten verbunden, ebenso mit Verdrängung von Bevölkerung, mit Umweltzerstörung, nicht zuletzt mit Doping. Immer mehr Menschen empfinden dieses Unbehagen. Es ist auch ein Unbehagen daran, dass öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten Millionenbeträge dafür ausgeben. Sender, die immer noch den Auftrag haben, das gesellschaftliche und politische Geschehen dieser Welt kritisch und aufklärerisch zu begleiten. Ein Auftrag, der unbestritten schwerer fällt, sofern man selbst Beteiligter an dem großen Spiel ist. ARD und ZDF haben es zuletzt bei den Spielen in Sotschi und Rio schon versucht, sich davon ein Stück freizumachen, haben über die offensichtlichen Missstände ausführlicher berichtet als sonst. Die Aufdeckung des Dopings russischer Sportler im Vorfeld der Sommerspiele ist zum Gutteil auch der ARD zu verdanken gewesen. (…) Der Ausstieg von ARD und ZDF aus dem Millionenpoker um Olympia ist nun eine gewaltige Chance. Die Sender sind jetzt ungebunden in ihrer Berichterstattung. Jetzt können sie ohne Zwänge das tun, wofür sie vom Gebührenzahler finanziert werden: Sie können genau und kritisch hinschauen, wenn Wintersportler zum Beispiel 2022 ihren Job in Peking zu tun haben, unter einem autoritären Regime und in einer Stadt, in der 2008 noch Sommerspiele stattgefunden haben. (…) Es ist die Stunde der kritischen Geister, es ist die Stunde der Journalisten. ARD und ZDF haben genug Potenzial, sie haben auch die Leute dafür, von Hajo Seppelt bis Jessy Wellmer, von Markus Harm bis Jochen Breyer. Es müssen herrliche Zeiten für sie anbrechen. Und die anderen, die Jubelperser, die es natürlich auch gibt, bekommen die großartige Chance, sich noch einmal die Frage zu stellen, warum sie damals bei einem öffentlich-rechtlichen Sender angefangen haben“ (Ahrens, Peter, Darüber berichten ist alles, in spiegelonline 28.11.2016). –
„Über ein Jahr zogen sich die Verhandlungen. Zäh war es, sagen beide Seiten. So zäh, dass nun Discovery die Verhandlungen beendet hat und selbst sendet. (…) Schlechte Stimmung indes bei den Öffentlich-Rechtlichen: ‚Wir müssen erkennen‘, erklärte ARD-Sportintendant Ulrich Wilhelm, ‚dass die Forderungen von Discovery bei Weitem über dem liegen, was von uns verantwortet werden kann.‘ Sein ZDF-Kollege Thomas Bellut erklärte, man sei Discovery ‚bis an unsere Schmerzgrenze‘ entgegengekommen. (…) Wohl recht klar sagten die Deutschen seit dem Sommer: 100 Millionen, das ist die Schmerzgrenze für zwei Olympiaden. Es geht um das Geld der Gebührenzahler und wir werden jetzt nicht wegen Olympia Kultursendungen einsparen. Discovery war das egal. Die Manager wollten 150 Millionen Euro für die Spiele 2018 und 2020. Wobei in diesem kostspieligen Paket aber nicht alle Rechte enthalten gewesen wären: Gerade die digitale Übertragung etwa wäre beschnitten gewesen – und dies bei Spielen, die in einer fernen Zeitzone laufen, also wohl oft im Nachhinein per Mediathek angeschaut werden. (…) Bei ARD und ZDF hoffen sie, dass die Anstrengungen bei Eurosport nicht reichen, um die deutschen Zuschauer zu überzeugen – und man doch ins Geschäft kommt. Die Olympiade in Rio verfolgten im Schnitt 2,91 Millionen Zuschauer, ein Marktanteil von 22,5 Prozent. Vielleicht seien das 2018 so viel weniger, dass Sponsoren und IOC wieder nach ARD und ZDF rufen“ (Hägler, Max, Nur dabei statt mittendrin, in SZ 29.11.2016).
Johannes Knuth in der SZ: „Jürgen Fornoff trug bis zuletzt diese Hoffnung in sich, vielleicht, dachte er, würde es ja doch noch klappen mit einer Einigung. Aber insgeheim ahnte der Generalsekretär des Deutschen Schwimm-Verbands schon, wie die Geschichte ausgehen würde. Die Kunde, dass die Olympischen Spiele ab 2018 in Deutschland in voller Länge von Eurosport übertragen werden, hat im deutschen Sport nicht gerade Begeisterung hervorgerufen. Die bisherigen Rechteinhaber ARD und ZDF hatten versucht, von Eurosport zumindest Sublizenzen zu erwerben. Dieser Versuch wurde am Montag für gescheitert erklärt. Weshalb der deutsche Sport nun von einem neuen Gefühl gepackt wird: der Unsicherheit. ‚Sportsender wie Eurosport sind Klientelsender, die sprechen weniger das allgemeine Publikum an‘, sagt Fornoff. Entsprechend geringer sei die Quote. Viele Sportarten befürchten nun einen Reichweitenverlust bei Olympia, das ist die eine Geschichte. Die andere Frage ist die, was nun in den Zwischenjahren passiert. ARD und ZDF hatten zuletzt verkündet, dass sie prüfen werden, ob sie kleinere Sportveranstaltungen noch übertragen wollen, sollten sie beim Rechtepoker mit Eurosport leer ausgehen“ (Knuth, Johannes, Unsichtbar, in SZ 29.11.2016).
René Hofmann in der SZ: „Die Hoffnung stirbt wirklich erst im Moment des Abpfiffs. Der kam an diesem Montag, als die öffentlich-rechtlichen Sender mitteilten, dass sie vom Discovery-Konzern keine Sublizenzen für Rechte an den Olympischen Spielen von 2018 bis 2024 erwerben werden. Konkret heißt das: Von den Winterspielen 2018 in Pyeongchang/ Südkorea und 2022 in Peking sowie von den Sommerwettbewerben 2020 in Tokio und dem noch nicht ausgeguckten Ort, an dem die Sommerspiele 2024 stattfinden, wird es keine Livebilder bei ARD und ZDF geben. (…) Egal, wie Olympia auf den Discovery-Kanälen letztlich genau aussieht, eines werden die Spartensender nicht ersetzen können: den von ARD und ZDF vermittelten Eindruck, dass der Sport fest verankert ist in der öffentlich-rechtlichen Umgebung, dass er quasi ein nationales Kulturgut ist, dessen Betrachtung sich per se und jenseits jeden Spektakelgehalts lohnt. Das ist tatsächlich eine Zeitenwende. Die olympischen Sportarten werden sich in vielem umstellen müssen. Für sie ändert sich weit mehr als für die Menschen an der Fernbedienung“ (Hofmann, René, Zeit zum Umschalten, in SZ 30.11.2016).
Und Thomas Kistner in der SZ: „Olympische Spiele wandern in den Privatsender Eurosport ab? Was dramatisch klingt, ist eigentlich kaum noch ein Problem. Denn die Spiele sind eh nur mehr Momentaufnahme, eine Illusion fürs Publikum: In Zeiten massivsten Dopings durch einzelne Athleten und ganze Staaten steht erst Jahre später fest, wer welche Medaille gewonnen hat“ (Kistner, Thomas, In der Nische, in SZ 29.11.2016). Kistner erwähnt die Hochsprung-Siebte von Peking 2008, Ariane Friedrich, die inzwischen auf Rang vier steht – drei vor ihr liegende Frauen flogen bei Dopingtests durch. „All das schreckt die Leute ab. Es passt nicht zu den schönen Bildern. Wie der Fußball rudert Olympia im Sumpf aus Betrug und Korruption; Strafbehörden in aller Welt ermitteln. (…) Dass das opulente olympische Märchen in der Realität damit nichts mehr zu tun hat, das merkt nun auch das Publikum. Immer weniger Menschen wollen das Sportfest noch in der eigenen Stadt haben. Wenn die Olympischen Spiele gerade jetzt im Spartensender landen, wird das ihren Bedeutungsverlust hierzulande nur beschleunigen“ (Ebenda).
Nachtrag 14: Die Trennung als Chance
Holger Gertz sieht in der SZ auch positive Möglichkeiten durch die Absage von Discovery: „Die Verbindung von ARD und ZDF zum olympischen Betrieb dagegen ist schon länger belastet. Und die Trennung jetzt mag schmerzhaft sein, eine Zäsur. Aber sie ist folgerichtig, sie kann eine Befreiung sein für die Öffentlich-Rechtlichen. Vor allem: Sie klärt die Verhältnisse. Wer als Journalist bei Olympischen Spielen ist, muss immer zweigleisig unterwegs sein. Von Sportergebnissen berichten und gleichzeitig davon, wie sie zustande kommen. Inszenierungen beschreiben und manchmal auch bestaunen, aber dabei im Blick haben, wem sie dienen, was sie kosten, wen sie täuschen. (…) Im ZDF-Sportstudio gab es neulich, moderiert von Jochen Breyer, eine Diskussionsrunde zum sperrigen Thema Sportförderung. Und am Ende der Olympischen Spiele in Rio hämmerte Peter Frey, Chefredakteur des ZDF, den Olympiabossen einen Kommentar an die Schlosstür, dessen letzte Sätze gern im Ganzen zitiert werden sollen: ‚Olympia steht kurz davor, sich selbst zu zerstören. Durch halbherzigen Anti-Doping-Kampf, Korruption bis in den innersten Machtzirkel des IOC, Überforderung der Gastgeber. Betrug an Sportkollegen und Betrug an den Fans und Zuschauern. Das macht die Idee kaputt.‘ Keine ganz neue Erkenntnis, trotzdem bemerkenswert klar formuliert vom Chef eines Senders, der die Rechte noch hatte. Das richtig schwere Brett war die Recherche eines anderen Mitarbeiters der Öffentlich-Rechtlichen. Hajo Seppelt legte mit der ARD-Dopingredaktion das System des russischen Staatsdopings frei. Wegen Seppelts inzwischen preisgekrönten Recherchen erst kamen bei Olympia in Rio all die Debatten auf, und die massive Kritik an Bach und dem IOC: Warum dürfen so viele Russen starten? Warum aber nicht die Whistleblowerin Stepanowa, die Seppelt vom staatlich gelenkten Dopingsystem berichtet hatte? Welche Nähe der Olympier zu Putin gibt es eigentlich? (…) Um dem Sport gerecht zu werden, braucht man Distanz zum Sport, die die öffentlich-rechtlichen Sender ganz am Ende ja teilweise hatten. Sie werden nichts mehr von Olympia bringen, aktuell haben sie offenbar nicht mal Rechte für Kurzberichte in den Nachrichten. (…) Die Distanz der Öffentlich-Rechtlichen zu Olympia wird in Zukunft sehr groß sein, aber Sport findet nicht nur bei den zwei Wochen Olympia statt. ARD und ZDF werden weiter Sport zeigen, und was Olympia angeht: Zu Korruption, Doping und anderen Verstrickungen werden sie weiter recherchieren, sie müssen erst recht keine Rücksichten mehr nehmen. Das ist eine Chance für den Sportjournalismus“ (Gertz, Holger, Games over, in SZ 3.12.2016 Hervorhebung WZ).
Nachtrag 15: Katar-TV-Sport
„Der Horror des deutschen Handball-Publikums hat zwei Namen: Geoblocking und Overspill. Allerdings hat das Handball-Publikum von diesen Fachbegriffen aus der Übertragungstechnik vermutlich wenig Kenntnis. Geoblocking bedeutet, dass von ausländischen Computern nicht auf deutsche Internet-Übertragungen zugegriffen werden kann. Overspill zu unterbinden bedeutet, dass ausländische Satellitenfernsehzuschauer deutsche Sender nicht sehen können. Geoblocking zu installieren und Overspill zu verhindern waren die Voraussetzungen für Übertragungen von der Handball-Weltmeisterschaft aus Frankreich (13. bis 29. Januar). Der TV-Rechte-Inhaber ‚beIN Media‚ aus Katar hatte ARD und ZDF wegen des nicht zu unterbindenden Overspills längst abgesagt. Kurzfristig im Dezember haben dann auch der Bezahlsender Sky sowie die Internet-Plattformen sportdeutschland.tv und Dazn eine Abfuhr bekommen. (…) BeIN Media, eine Tochterfirma des Fernsehsenders Al Jazeera, besitzt die WM-Übertragungsrechte bis einschließlich der Frauen-WM 2017. Das Unternehmen macht deutschen Sendern und Internet-Plattformen das Leben schwer, weil es um jeden Preis verhindern will, dass deutsche Übertragungen per Satellit auch im benachbarten Ausland, in Nordafrika oder im Mittleren Osten gesehen werden können. Dieses Ausschlusskriterium erschwert auch die Übertragungen in Deutschland selbst bis hin zum drohenden schwarzen Bildschirm“ (Hartmann, Ulrich, Geoblocking und Overspill, in SZ 7.1.2017). Die Handball-WM 2017 in Frankreich wird nun in Deutschland auf einer Internetseite des Hauptsponsors des Deutschen Handball-Bundes, der Deutschen Kreditbank (DKB) übertragen. – „Die Handball-WM in Frankreich findet in Ausschnitten nun doch noch im öffentlich-rechtlichen Fernsehen statt. Wie ARD und ZDF bestätigten, werden beide Sender während der WM ‚in Form von Highlights‘ aus Frankreich berichten, nachdem die Verhandlungen mit dem Rechteinhaber beIN Sports um eine Live-Berichterstattung geplatzt waren. (…) Ein kurzfristiger Einstieg des ZDF in die Live-Berichterstattung des Turniers für den Fall, dass Deutschland ins Finale einzieht, ist laut ZDF-Sportchef Dieter Gruschwitz kein Thema. ‚Eine Live-Möglichkeit schließe ich für das Turnier komplett aus‘, sagte er“ (ARD und ZDF zeigen doch WM-Highlights, in spiegelonline 12.1.2017).
Nachtrag 16: TV-Sport 4.0
Die Handball-WM 2017 in Frankreich „markiert einen vorläufigen Höhepunkt der tief greifenden Veränderung des TV-Marktes. Liveübertragungen im Netz, das sogenannte Streaming, werden schon bald Alltag sein. Rechtehändler, Sender, Start-ups, Onlinedienste, Sportorganisationen und Vereine bereiten sich auf diese Zukunft vor. Sie testen neue technische Wege und investieren Millionen, um im Konkurrenzkampf bestehen zu können. (…) Um eigene Fernsehsender, etwa in Frankreich zu schützen, durften die Bilder der Handball-WM für den deutschen Markt auch wirklich nur in Deutschland zu empfangen sein. Damit schieden ARD und ZDF aus. ‚Knapp 50 Prozent unserer Zuschauer werden vom Satelliten Astra bedient‘, sagt ARD-Sportkoordinator Axel Balkausky, ‚wir hatten neben rundfunkrechtlichen auch aus technischen Gründen gar keine Chance, die Rechte zu bekommen, es sei denn, wir hätten einen neuen Satelliten ins All geschossen“ (Hacke, Detlef, Ludwig, Udo, Weinreich, Jens, Olympic Netflix, in Der Spiegel 4/21.1.2017).
Nachtrag 17: ARD und ZDF hecheln Discovery hinterher
„Mehr als ein halbes Jahr nach dem offiziellen Scheitern der Vertragsgespräche scheint es im TV-Poker um die Olympischen Spiele doch noch eine Lösung zu geben. ‚Wir befinden uns in Gesprächen mit Eurosport/Discovery‘, bestätigte ARD-Sportkoordinator Axel Balkausky. ‚Wir haben ja bereits im vergangenen Jahr betont, dass wir uns bemühen würden, Sub-Lizenzen an den Olympischen Spielen zu akzeptablen Bedingungen zu erwerben.‘ Discovery muss für die europäischen TV-Rechte für die vier Spiele bis 2024 an das Internationale Olympische Komitee (IOC) 1,3 Milliarden Euro zahlen. Ohne Sub-Lizenzen für den deutschen Markt ist diese Summe schwer zu refinanzieren“ (ARD und ZDF hoffen wieder auf Olympia, in spiegelonline 18.7.2017). – „Und Discovery-Deutschland-Chefin Susanne Aigner-Drews sagte der FAZ, die zuerst über die Gespräche berichtete, es sei ‚ein Anliegen, mit Partnern zusammenzuarbeiten, die die Olympischen Spiele wertschätzen‘. Dem Blatt zufolge soll damit offenbar auch für Tokio 2020, Peking 2022 sowie Paris oder Los Angeles 2024 ‚die Tür wieder auf‘ sein. Unterschiedliche Preisvorstellungen hatten im vergangenen November zum Abbruch der Verhandlungen geführt. Allein für Pyeongchang und Tokio soll Discovery 150 Millionen Euro verlangt – ARD und ZDF sollen aber höchstens 100 Millionen geboten haben. Im SZ-Interview hatte ZDF-Sportchef Thomas Fuhrmann Ende Juni öffentlich die Frage aufgeworfen, wie Discovery die Investitionen in Höhe von 1,3 Milliarden Euro für 50 Länder und alle Sommer- und Winterspiele bis 2024 zu refinanzieren gedenke: ‚Ich bin jedenfalls gespannt'“ (DADE, Offene Türen, in SZ 19.7.2017).
Nachtrag 18: Öffentliche Sportsender – natürlich – wieder dabei
„Im Moment sieht nach SZ-Informationen alles danach aus, dass die Olympischen Spiele nun doch weitgehend bei den beiden öffentlich-rechtlichen Sendern laufen werden. Die Verhandlungen mit dem Eurosport-Mutterkonzern Discovery für eine Sublizensierung, zunächst für 2018, stünden kurz vor dem Abschluss, heißt es aus beteiligten Kreisen. (…) Die beiden öffentlich-rechtlichen Sender treffen angeblich bei der Planung bereits Vorbereitungen für die Übertragung aus Südkorea, die Zeit drängt. Die Vorläufe sind üblicherweise deutlich länger als ein Dreivierteljahr. In den Sendern müssten bei Vertragsabschluss auch noch Gremien zustimmen. (…) Discovery hatte die Fernsehrechte an den vier Olympischen Spielen von 2018 bis 2024 für ganz Europa erworben und dafür die Summe von 1,3 Milliarden Euro bezahlt. Für ARD und ZDF, die bislang alle Olympischen Spiele in Deutschland gezeigt und damit eine gute Resonanz erzielt haben, war das ein Schock – aber nicht nur für die öffentlich-rechtlichen Sender. Sportverbände sorgten sich um Reichweitenverluste für ihre Leistungsschau; auch die Frage, ob ARD und ZDF ohne die Spiele weiter kontinuierlich über die olympischen Sportarten berichten oder doch ihr Programm dort reduzieren würden, trieb viele um. Auch ob der Spartensender Eurosport ebenso nachhaltig über die politische Lage in den Austragungsländern oder investigativ über Doping berichten würde, war fraglich. ‚Wir glauben fest an die Integrität und das Fair Play bei allen Sportarten“, sagte Eurosport-Chef Peter Hutton in diesem Januar und zerstreute damit nicht gerade die Bedenken. (…) Auf der anderen Seite sind auch ARD und ZDF zunehmend unter doppeltem Druck. Einerseits, weil bei knappen Etats und Sparmaßnahmen die Ausgaben für Sportrechte nicht leicht zu rechtfertigen sind. Andrerseits, weil dem Programm wichtige Rechte im Spitzensport verloren gingen. Das ZDF zeigt von Sommer 2018 an nicht mehr die Champions-League – und sparte damit geschätzt 50 Millionen Euro pro Saison. Ausgewählte Länderspiele der deutschen Nationalmannschaft haben ARD und ZDF an RTL abgeben müssen. Dazu kommt die Konkurrenz von neuen Streaming-Anbietern, die mit Macht in den Markt drängen. Und dann auch noch kein Olympia mehr? Dagegen fassten diejenigen schon Hoffnung, die sich für ARD und ZDF einen Ausstieg aus den ständigen Bieterwettkämpfen um Sportrechte wünschten. Auf einmal sind beide Sender wieder mittendrin“ (Busse, Caspar, Hägler, Max, Tieschky, Claudia, Heim-Spiele, in SZ 28.7.2017). – „ARD und ZDF dürfen auch weiterhin Livebilder von den Olympischen Spielen zeigen. Das bestätigte das ZDF am Freitag. Die öffentlich-rechtlichen Sender einigten sich im zweiten Anlauf mit dem Rechteinhaber Discovery (Eurosport) auf eine sogenannte Sublizenzierung für die Spiele von 2018 bis einschließlich 2024, die jeweils zwei Sommer- und zwei Winterspiele umfassen. (…) Wie viel ARD und ZDF für die Rechte bezahlen, ist nicht bekannt“ (ARD und ZDF dürfen nun doch Olympia zeigen, in spiegelonline 11.8.2017).
Es folgte das Öffentlich-rechtliche Lobhudeln: „‚Das Ringen um die Liverechte hat sich gelohnt. Unser Publikum kann sich jetzt wieder darauf verlassen, die Spiele in der gewohnten Qualität von ZDF und ARD präsentiert zu bekommen‘, sagte ZDF-Intendant Thomas Bellut. Für Alfons Hörmann, den Präsidenten des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) ist es sogar eine ‚großartige Nachricht für ganz Sportdeutschland‘. (…) ‚Wir haben immer betont, welch hohes programmliches Gut die Olympischen Spiele für die öffentlich-rechtlichen Sender in Deutschland sind‘, sagte Volker Herres, der Programmdirektor der ARD. (…) Für ARD und ZDF, die bislang alle Olympischen Spiele in Deutschland gezeigt haben, war das ein Schock. Auch der DOSB befürchtete Reichweitenverluste. Praktisch sofort nach dem Rechtekauf durch die Amerikaner im Jahr 2015 begann das Werben von ARD und ZDF um Sublizenzierung. Für andere Länder gab es schnell Abschlüsse, doch die Verhandlungen in Deutschland gestalteten sich schwierig. Im vergangenen Herbst wurde offiziell das Scheitern verkündet. (…) Nun sehen sich alle Seiten als Sieger. ARD und ZDF jubeln, doch noch zum Zug zu kommen. Die Vereinbarung sei ‚ein weiteres Beispiel unseres zukunftsorientierten und wegweisenden Ansatzes im Umgang mit Premium-Livesport‘, teilte Eurosport-Chef Peter Hutton mit. Das Ziel sei erreicht: ‚Das weltweit größte Sportereignis mehr Menschen auf mehr Bildschirmen denn je zu präsentieren.‘ Auch das Internationale Olympische Komitee (IOC) begrüßt die Vereinbarung“ (Busse, Caspar, Wieder im Spiel, in SZ 12.8.2017). Über den Preis des globalen olympischen Gladiatorenspektakes wurde – natürlich – nichts bekannt: „Angaben über die Summe, die die Öffentlich-Rechtlichen nun an Discovery zahlen, gibt es nicht. Offenbar liegt der Betrag aber unter dem, den die Amerikaner noch Ende 2016 verlangt hatten. Das sollen Spekulationen zufolge 150 Millionen Euro für 2018 und für 2020 gewesen sein. Trotzdem wird eine gewaltige Summe für den Gebührenzahler fällig. Noch müssen die Gremien der Sender das Geschäft absegnen, an ihrer Zustimmung besteht aber kaum ein Zweifel“ (Ebenda).
Dazu aus einem Kommentar von René Hofmann in der SZ: „Die Einigung klingt nach einer Win-win-win-win-Situation. Aber ganz so ist es dann doch nicht. Im Sport gibt es nie nur Sieger. Und so ist es auch hier. Verlierer sind all die Gebührenzahler, die sich nicht für Sport interessieren. Sie subventionieren weiter etwas, was sie gar nicht haben wollen. Und dass ARD und ZDF standhaft jede Aussage verweigern, um wie viel Geld es dabei wirklich geht, ist mehr als ärgerlich; es ist kontraproduktiv: So kann niemand beurteilen, ob der Sport den Sendern nicht vielleicht doch zu viel wert ist. Und ob die Kritik an den Schattenseiten dieser ganz besonderen Unterhaltungsindustrie im Zweifel nicht manchmal doch dem Interesse untergeordnet wird, das eigene – teuer erworbene – Produkt zu schützen. Nicht alles am Umgang der öffentlich-rechtlichen Sender mit dem olympischen Sport war in der Vergangenheit lobenswert. Weiter so? Bei der Kumpanei mit den Protagonisten würde das einen Rückschritt bedeuten. Nicht im Olympiaboot zu sitzen, das hätte die gebührengepolsterten Journalisten gezwungen, sich um ganz neue Blickwinkel zu bemühen“ (Hofmann, René, Hammerwerfen für alle, in SZ 12.8.2017).
Quellen:
ARD und ZDF übertragen Leichtathletik-WM 2011, dapd 1.4.2011
Deutscher Bundestag, Antrag „Gesellschaftliche Bedeutung des Sports“, Drucksache 16/11217, 3.12.2008
„Ergänzungsbedarf“, in SZ 17.3.2011
Germann, Daniel, Ein olympischer Poker, in nzz.ch 23.2.2010
Gernandt, Michael, Warnsignal aus Doha, in SZ 15.4.2010
Hahn, Jörg
– Protest gegen das mediale Abseits, in faz.net 22.2.2011
– Der Sport überschätzt sich bisweilen, in faz.net 23.3.2011
Hellmann, Frank, Rohlfing, Susanne, ARD muss am Sport sparen, in fr-online.de 25.2.2011
IOC-TV-Poker: Das Warten auf die Milliarden, in