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Kein Licht am Ende des S-Bahn-Tunnels

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Wolfgang Zängl, 15.4.2011, aktualisiert am 24.7.2011

Der Tunnel zur zweiten S-Bahn-Stammstrecke ist ein Lieblingsprojekt des bis 2014 amtierenden Münchner OB Christian Ude. Dieser Tunnel soll bis spätestens 2017 fertiggestellt werden. Er ist sehr umstritten und steht verkehrstechnisch in keinem Zusammenhang mit München 2018, auch wenn Ude dies so darstellt und das Projekt eiligst vorantreibt, um Fakten zu schaffen. Ude macht auch hier Druck auf die Stadtratsfraktionen von SPD und Grünen, damit der Tunnel bis zu möglichen Olympischen Spielen fertig wäre. Der frühere bayerische Verkehrsminister Erwin Huber hält es “zu 90 Prozent Illusion”, dass der Tunnel zu den Olympischen Winterspielen fertiggestellt sein könnte (Stroh, Kassian, Völklein, Marco, Zeit ist Geld, in SZ 9.4.2011).
Es gab 1421 Einwendungen. Viele Anlieger befürchten jahrelangen Lärm und Dreck durch den Bau und haben sich in Bürgerinitiativen zusammengeschlossen oder sich einen Rechtsanwalt genommen (Völklein, Marco, Eine Frage der Sicherheit, in SZ 31.3.2011).
Der Bau- und Finanzierungsvertrag zwischen Deutscher Bahn und Freistaat Bayern wurde erst am 8.4.2011 unterzeichnet. Wirtschaftsminister Martin Zeil (FDP) hofft auf ein Olympia-Sonderbudget, da die Finanzierung völlig ungeklärt ist: “Um Rückenwind zu bekommen, hat Zeil den Bau der Stammstrecke eng mit dem Zuschlag für Olympia 2018 verknüpft” (Stroh, Kassian, Völklein, Marco,Zeit ist Geld, in SZ 9.4.2011).

Deshalb hofft Zeil auf den Zuschlag: “Wir rechnen ganz fest mit den Spielen. Ich kann mir gar keine andere Entscheidung vorstellen” (S-Bahn-Tunnel: Freitags soll der Vertrag stehen, in merkur-online.de 6.4.2011). Von den rund zwei Milliarden Euro Baukosten soll die Bahn einen dreistelligen Millionenbetrag übernehmen, der Bund etwa die Hälfte, wobei völlig ungeklärt ist, woher das Geld kommen soll, da der Haushalt des Bundesverkehrsministeriums unterfinanziert ist (Hutter, Dominik, Völklein, Marco, Risiko-Topf für den zweiten Tunnel, in SZ 8.4.2011).

Trotz fehlender rechtskräftiger Baugenehmigung für die drei Bauabschnitte sollen bereits mit Erlaubnis des Eisenbahnbundesamt (EBA) am Marienhof die 38 bereits stark austreibenden Bäume verpflanzt werden. Die Verpflanzung eines Baumes würde zwischen 1000 und 5000 Euro kosten (Die Pflege ist entscheidend, in SZ 13.4.2011). Dazu kommen eventuell auch noch die Bäume am Ostbahnhof für die zweite Großbaustelle des S-Bahn-Tunnels.

Demnächst soll in Haidhausen, wo der Tunnel auf besonders viel Widerstand trifft, unter der Regie der Deutschen Bahn ein Informationsbüro eingerichtet werden (Völklein, Marco, Trügerische Ruhe, in SZ 2.4.2011; Bagger, Bäume und Prozesse, in sueddeutsche.de 2.4.2011; Völklein, Marco, Im Zentrum des Widerstands, in SZ 5.4.2011).

Das EBA hat die Bahn von den Lärmschutzauflagen am Marienhof befreit, die vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof den klagenden Anliegern (u. a. die Unternehmen Dallmayr, Schlichting, Betten Rid) zugesprochen worden waren: Das EBA reichte hierzu eine Nichtzulassungsbeschwerde beim Verwaltungsgerichtshof ein und deklarierte die Arbeiten als “vorbereitende Maßnahmen vor dem eigentlichen Baubeginn” (Völklein, Marco, Anbaggern im Frühling, in SZ 9.4.2010; Stadtrat kritisiert Bahn heftig, in sueddeutsche.de 12.,4.2011). Dazu genehmigte das EBA den Aushub von 10.000 Kubikmeter Erde und die Errichtung eines Bauzauns
Das läuft unter „Schaffung von Tatsachen“.

Am Morgen vor der Abstimmung im Stadtrat brachten Mitglieder der Haidhauser Bürgerinitiative an den 38 Bäumen am Marienhof kleine Plakate mit dem Slogan “Der Baum bleibt hier!” an, die von der Stadtverwaltung bis Mittag abgeräumt wurden.

München, Marienhof, April 2011

Falls München 2018 nicht kommt, ist eine Neugestaltung des Platzes geplant – mit zwei dichten Baumreihen um den Marienhof und einer Grünfläche (Völklein, Marco, Bäume im Zentrum, in SZ 13.4.2011).
Das ist genau der Ist-Zustand!

München, Marienhof, April 2011

Die Parteien im Münchner Stadtrat waren sich über das “Dilemma” bewusst, ohne geklärte Finanzierung und rechtliche Situation dem Baubeginn zustimmen zu müssen. Die CSU diskutierte kontrovers, die Grünen wollten zunächst die Bäume retten, die FDP lehnte die Arbeiten ab. Die SPD ordnete sich wie stets OB Ude unter – oder wie es Fraktionschef Alexander Reissl ausdrückte: “Wir haben keine Wahl” (Patzig, Johannes, Marienhof: Streit auf allen Ebenen, in merkur-online.de 11.4.2011) Der Projektleiter Albert Scheller argumentierte mit Sachzwängen: Es gäbe “keine Möglichkeit, einen weiteren Zeitaufschub zu erdulden” (Völklein, Marco, Der Bau beginnt, in SZ 14.4.2011).
Da fällt einem doch das Merkelsche Unwort des Jahres ein: “alternativlos”.

Der FDP-Stadtrat Jörg Hoffmann kritisierte den Baubeginn mit den Worten: “Dieses Vorgehen ist einem Rechtsstaat unwürdig” (Ebenda). Hans Peter Göttler vom bayerischen Verkehrsministerium verwies auf die Klagemöglichkeit gegen die Genehmigung: “Der Rechtsstaat ist gewahrt”. SPD-Fraktionschef Alexander Reissl deklarierte die Maßnahmen als “eindeutig kein Baubeginn”. Und OB Ude warnte vor einem “Rückschlag für die Finanzierungsverhandlungen” (Ebenda). Am 15.4.2011 wies das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig einen Dringlichkeitsantrag von Betten Rid ab, die Vorarbeiten zu stoppen und einen besseren Lärmschutz zu gewähren. Nun wird noch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof entscheiden (Marienhof-Anlieger scheitern mit Klage, in SZ 16.4.2011).

Die städtischen Macher machten Tempo: 13.4.2011 Entscheidung im Stadtrat, 14.4. Vermessung, 15.4. Errichtung des Bauzauns, 18.4. Beginn der archäologischen Untersuchung, Anfang Juni Entfernung der Bäume. „Wir haben das Rennen aufgenommen“, jubelte Projektleiter Scheller (Völklein, Marco, „Jetzt zählt jeder Tag“, in SZ 15.4.2011). Der Fraktionschef von Bündnis 90/Die Grünen, MdL Martin Runge bezweifelte dagegen die gesamte Terminierung bis 2017 und urteilte: „Der Zeitplan ist nie und immer zu schaffen“ (Ebenda).
Die ersten werden die letzten sein!

Erwartungsgemäß sagte der Münchner Stadtrat am 13.4.2011 zu diesen Plänen JA. Dagegen waren: drei von 11 Stadträten von Bündnis 90/Die Grünen, vier von fünf der FDP, die ÖDP (1), Die Linke (3), Freie Wähler (1), Bayernpartei (1). (Maier, Christoph, Zweite Stammstrecke spaltet den Stadtrat, in abendzeitung-muenchen.de 13.4.2011). Von 80 Stadträten waren 13 dagegen – und 67 dafür.

Bertold Brecht schrieb in seinem Stück „Der Jasager“:
Wichtig zu lernen vor allem ist Einverständnis.
Viele sagen ja, und doch ist da kein Einverständnis.
Viele werden nicht gefragt, und viele
Sind einverstanden mit Falschem. Darum:
Wichtig zu lernen vor allem ist Einverständnis.“

Im Münchner Stadtrat gibt es – bis auf wenige Ausnahmen – in der Regel begeisterte Jasager. Leider.

Und so erklärte OB Ude die Tunnelfrage umgehend für erledigt. „Was die zweite S-Bahn-Röhre angeht, so sei der Tunnel beschlossene Sache… Mit der bayerischen Staatsregierung sei eine Finanzierungsvereinbarung geschlossen, und auch der Stadtrat habe das Projekt abgesegnet“ (Czeguhn, Jutta, Ude dämpft Hoffnung auf U-Bahn-Bau, in SZ 16.4.2011). Ude drohte sogar mit einem „Aufstand der S-Bahn-Fahrgäste“ und erklärte plötzlich die 2. Stammstrecke als unabhängig von Olympia (Krügel,. Christian, Ude droht mit Aufstand der Fahrgäste, in SZ 5.5.2011).

Kein Geld da

Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer hielt Anfang Mai 2011 im SZ-Interview „ohne einen Zuschlag für die Olympischen Spiele 2018 den raschen Bau der zweiten Stammstrecke in München für unfinanzierbar“. Der Bundestagsabgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen, Toni Hofreiter beurteilte die Hoffnungen der Staatsregierung und den Zeitplan als „völlig unrealistisch“ (Fahrenholz, P.,  Völklein, M., Szymanski, M., Ramsauer stellt zweiten S-Bahn-Tunnel in Frage, in SZ 4.5.2011)
Die Grünen-Fraktion im Bayerischen Landtag begrüßte Ramsauers Rückzug bei der 2. Stammstrecke (PM 4.-5.2011: S-Bahn-Röhre: Fehlplanung endlich beenden!). Die Rathaus-FDP forderte einen „sofortigen Baustopp“ (Kristlbauer, Matthias, Stammstrecke: Ramsauer verursacht Riesen-Wirbel, in merkur-online.de 4.5.2011).
Der frühere bayerische Finanzminister Erwin Huber (CSU) forderte eine Beteiligung der Stadt München an den Kosten der 2. Stammstrecke von 500 Millionen Euro. Huber: „Ude steht nur auf der Zuschauertribüne und fällt durch Pfeifen auf“ (Hutter, Dominik, Völklein, Marco, Die Stadt soll zahlen, in SZ 6.5.2011).
Vergleiche auch: Tunnelaktion

Münchner CSU steigt aus

Anfang Juni 2011 rückte die Münchner CSU von der zweiten Röhre ab. CSU-Chef Otmar Bernhard sagte: „Es wäre wichtiger, die Störungsursachen bei der S-Bahn zu beseitigen, als für zwei Milliarden Euro eine Röhhre zu bauen“ (Zweite Röhre: CSU ist dagegen, in abendzeitung-muenchen.de 2.6.2011). Bernhard sieht die Finanzierung auch als gefährdet an, wenn der Zuschlag für München 2018 käme: Bei zwei Milliarden Euro Kosten liegt der Bundesanteil bei einer Milliarde Euro. München könne as dem „Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz“ aber nur 200 Millionen Euro erhalten. Die Herkunft der fehlenden 800 Millionen Euro sei ungeklärt.

OB Ude kommentierte wie gewohnt arrogant: „Die Kehrtwende ist die einzige Art der Fortbewegung, die die Münchner CSU noch beherrscht“ („Politische Bankrotterklärung der CSU“, in abendzeitung-muenchen.de 3.6.2011).
Aber nun hat ja die Deutsche Bahn AG ein Bürgerbüro in der Elsässerstraße eröffnet: Verkehrsminister Martin Zeil (FDP) kam persönlich. An zwei Abenden in der Woche wolle man „alle Betroffenen und Interessenten mitnehmen und offen miteinander reden“ (Die Kritik aus der CSU lässt den FDP-Minister kalt, in sueddeutsche.de 4.6.2011).
Nur über was? Die Bahn will die 2. S-Bahn-Stammstrecke so knallhart durchsetzen wie Stuttgart 21. Da sind keine Dialoge möglich.

Anfang Juni 2011 sollen die 35 japanischen Schnurbäume in eine Allacher Baumschule gebracht werden: Angeblich ist der Austrieb angeschlossen und die Verpflanzung problemlos.
Das wird zu überprüfen sein, ob 50 Jahre alte Bäume das Verpflanzen im Juni überleben werden. Versprochen wird von den Münchner Stadtoberen so viel, wie gebrochen wird. Der Baubeginn ist keiner, es handelt sich um vorgezogene Maßnahmen, Voruntersuchungen, harmlos, alles genehmigungsfrei… Und ob der Zuschlag kommt oder nicht kommt: OB Ude hat eine Riesensauerei am Marienhof veranlasst.

OB Ude kann das fragwürdige Privileg für sich in Anspruch nehmen, dass er den Marienhof auf unabsehbare Zeit zerstört hat. Die 1987 gepflanzten und nunmehr extrem gestutzten japanischen Schnur-Bäume werden nie mehr den Platz in der bisherigen Weise gestalten. Der Architekt Stephan Braunfels sieht die Grabungen als “Vorwand für vollendete Untaten” und äußerte: “Der Platz hatte endlich und erstmals nach dem Zweiten Weltkrieg wieder ein Gesicht – alles vorbei” (Isfort, Volker, Lärm in der Oase der Ruhe, in abendzeitung-muenchen-.de 10.6.2011).
Dank OB Ude.

Inzwischen wird auch Norddeutschland über die Absahner aus München sauer. Dort ist der Ausbau der S4 zwischen Hamburg und Ahrensburg (350 Millionen Euro) gefährdet: Denn die 810 Millionen Euro für die 2. Stammstrecke in München sind ein Vielfaches der Summe, die Bayern nach dem Verteilungsschlüssel aus dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz zusteht (Sulanke, Alexander, Popien, Matthias, Hängt ein Bayer den Norden ab? in abendblatt.de 7.6.2011).

Siehe auch Papier von Matthias Hintzen zu den Behauptungen des MVV: Achtmal Fehler, Halbwahrheiten und Luftnummern und Presseinformation Bund Naturschutz vom 20.7.2011

und Papier Baumgartner/Kantke vom 30.1.2011